Integration - gelungen.

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TaugeniX

Mitglied
Integration - gelungen

Aischa Kadyrowa heiratete einen Deutschen. Ihre Brüder erblassten vor Zorn und schrien zu Ehrenmord auf. „Zurück mit euch“, befahl der Vater und versperrte ihnen den Weg mit einer bloßen vorgestreckten Hand. „Aischa verläßt ihr Volk für einen Mann. Immerhin tut sie es aus Liebe. Wollt ihr auch darüber richten, warum wir unser Land verlassen haben?“ Nein, das wollten sie nicht. Sie gehorchten und zogen sich leise knurrend zurück. Aber Trauerkleider wollten sie tragen, – ein ganzes Jahr lang, – denn sie hatten keine Schwester mehr… Ihre Mutter weinte nur.

Die junge Frau Kreuzhuber genoss, frisch verheiratet, die Freiheiten ihres neuen westlichen Lebens. Sie machte die Schule nach und ging in ein Abendlokal kellnern. Auf die Kinder wollte das Paar vorerst verzichten. Aischa kam sogar in ein Fitnessstudio, sie nahm fast 10kg ab und zwang ihren Körper stolz in hautenge Jeans…

Zu Silvester bediente Aischa – auch selbst in Feierstimmung – eine lustig grölende Runde. Die Kumpels soffen wie bodenlose Fässer und sparten nicht beim Trinkgeld. Aischa setzte sich an die Tischkante und quatschte mit ihnen, – sie freute sich wie ein Kind darüber, dass man ihr den ausländischen Akzent kaum mehr anhörte. Sogar beim Volkslied, das die Männer angestimmt haben, wusste sie den Text.

Ein völlig betrunkener, dumm und lüstern grinsender Gast packte sie am Nacken mit einer Hand, mit der Anderen am Hintern und küsste sie schmatzend und feucht auf den Mund… – Sie brüllte, riss sich aus und rannte hinter die Theke. „Ich soll jetzt die Polizei holen?“ Meinte der Oberkellner, „sei doch nicht so bösartig. Der Trottel ist nur blau und tut keinem was zuleide. Es ist Silvesterabend. Die Leute schlagen ein bisschen über die Stränge. Mach mir bitt` schön kein Theater daraus.“

Diese Gleichgültigkeit machte Aischa irr` vor Wut. Bis sie nach Hause kam, brannte der Kuss auf ihren Lippen wie Feuer. Heulend schreckte sie ihren Mann aus dem Schlaf: „Du musst ihn finden. Du musst mich rächen.“ Der Mann hörte die Geschichte an und fand nichts Erschreckendes dabei. „Vielleicht kannst du ihn anzeigen? Ich kenn` mich da nicht aus. Aber so heulen brauchst man wirklich nicht.“ Sie verfiel in ihren alten harten Akzent, machte Sprachfehler, trommelte ihrem Mann mit Fäusten gegen die Brust und verlangte Rache von ihm, – Rache für ihre Schande. „Sag`, geht mit Dir Dein genetisches Gedächtnis durch?“, staunte der Mann. Solche Ausbrüche war er von seiner Gattin nicht gewohnt.

Am nächsten Tag band sich Aischa zum ersten Mal seit 2 Jahren wieder ein Kopftuch, kramte einen langen Rock aus den Tiefen ihres Kleiderschranks und ging zu ihrer Familie. Dort warf sie sich auf den Boden und zerriss ihre Bluse, sie richtete sich auf und zerkratzte sich blutig das Gesicht als Zeichen der Trauer. In ihrer archaischen blumigen Muttersprache klagte sie ihr Leid, sie klagte ihre Schande, unauslöschbaren Fleck auf ihrer Ehre, Schande, – Schande ihrer ganzen Familie schrie sie raus und klagte den Fremden, den Gott verdammten ungläubigen Fremden an.

Ihre Brüder vergaßen, dass sie keine Schwester mehr haben. Da war sie wieder, – Aischa, ihre unschuldige arme Schwester, geschändet in den Händen des Gott verdammten Kafir. Rache, – Rache wollten sie schwören. Lebend wollten sie ihm seine Eingeweide aus dem Leib reißen und auf den Türstock seines Hauses hängen. „Zurück mit euch“, – befahl ihr Vater und versperrte ihnen den Weg mit einer bloßen vorgestreckten Hand.
„Du hast uns verlassen und bist Bürgerin eines Landes, in dem wir Fremde sind. Wenn Du eine Deutsche bist, Aischa, sollst Du nach dem Recht Deiner Heimat leben und einen deutschen Richter suchen. Dein Volk weiß seine Frauen ohne unsere Hilfe zu schützen.

Wenn Du nun doch Tschetschenin bist, – meine Tochter, – so will ich Deine Schande vergelten. Ich, alter Mann, werde mit eigener Hand die Kehle jener Bestie durchschneiden, die es meinem Kind angetan hat. Doch vorher, Aischa, sollst Du selber sterben, – denn nach unserem Recht hast Du schlimmer gelebt als eine Hure. – Bist Du eine Tschetschenin, Aischa?“
Die Wut und süße Lust nach Rache stiegen Aischa zu Kopf. Fast hätte sie „Ja“ geschrien. Schon warf sie ihren Kopf in den Nacken und bot den Hals dem gebogenen scharfen Halbmond. Doch dann kam die Angst. Aischa schlug die Hände vors Gesicht und drehte sich weg. „Nein, Vater, ich bin eine Deutsche“, sagte sie leise und ging davon. Ihre Mutter weinte nur…
 

Wipfel

Mitglied
Integration? Taugi, ich finde keinen Zugang zu dieser Geschichte. Das Geschehen wirkt auf mich gestelzt, konstruiert, unwirklich. Sexueller Übergriff auf eine Kellnerin? Vor allen Gästen? Und zeige mir den Mann, der so aus dem Schlaf gerüttelt nichts dabei findet, wenn ein anderer seine Frau angrabscht. Die Erzählform klingt oft eher wie ein Bericht.
Auf [strike]die[/strike] Kinder wollte das Paar vorerst verzichten.
Integration und Text - noch nicht gelungen.

Grüße von wipfel
 

TaugeniX

Mitglied
Klingt übel. Ich bin wohl der Versuchung erlegen, unbedingt zur "tagesaktuellen" Problematik zu schreiben. In Schutz möchte ich den Text gar nicht nehmen, - wenn er aufgestelzt klingt, dann ist es so, völlig wurscht, was für tolle Gefühle ich beim Aufschreiben hatte.

Ich wunderte mich schon, warum ich "Noten" bekomme für diesen Text, aber keine Kommentare. Da haben sich wohl die Leute aus Zartgefühl zurückgehalten. Dabei sind die kritischen Kommentare so wichtig. Man wird doch völlig betriebsblind dem eigenen Text gegenüber!

Glaubst Du, dass schon die Wurzel der Geschichte wurmstichig ist und nichts daran zu retten?
 
TaugeniX, zunächst habe ich mich gefragt, für wie glaubwürdig ich eine solche dramatische Geschichte halten soll. Von tschetschenischen Flüchtlingen in Deutschland wusste ich fast nichts. Nach einigem Recherchieren kann ich sagen: Der Stoff entspricht tatsächlich bekannt gewordenen Verhältnissen in diesem Milieu. Besonders informativ war für mich ein ausführlicher FAZ-Artikel vom 15.9.13: "Verroht und hoch aggressiv". Du hast also einen authentisch wirkenden Stoff verarbeitet, gut so.

Zum Formalen. Ich finde den Text weder misslungen noch rundum überzeugend. Dem Ablauf der einzelnen Szenen merkt man deutlich an, dass mit ihnen etwas Gedanklich-Theoretisches realisiert werden soll, ähnlich wie bei romantischer Programmmusik. Dadurch wirkt er auf mich eher wie eine bebilderte Folge von Thesen zu Migration und Integration, weniger wie eine organisch sich entwickelnde Kurzgeschichte. Besonders deutlich wird das an der Redeweise der Tschetschenen. Vor allem der Vater redet wie auf dem Theater, nicht wie ein Mensch von heute im realen Leben. Das entspricht einem älteren Literaturstil, wie er bis vor ca. 100 Jahren gerade in Romanen viel verwendet wurde. Bei einer modernen Kurzgeschichte wirkt das etwas befremdlich. Aber vielleicht irre ich insoweit auch und Tschetschenen reden miteinander doch auf diese Weise, wenn es um Extremes geht?

Ich kann nicht sagen, wie ich es besser machen würde, da mir solche Menschen und Verhältnisse gar nicht bekannt sind. Nur vermisse ich eben kleine individuelle Details und Übergänge, die erst Atmosphäre erzeugen und den Leser dazu überreden zu glauben, dass alles so gewesen und nicht zweckvolle Fiktion ist.

Ein paar kleine sprachliche Schnitzer sind wohl deiner fremdsprachlichen Herkunft geschuldet. So müssten die Brüder zum Ehrenmord aufrufen, nicht schreien. Auch holt man die Schule nach.

Schönen Abendgruß
Arno Abendschön

PS Gerade noch Wipfels Kommentar und deine Reaktion gelesen. Nein, "wurmstichig" ist es im Kern durchaus nicht. Es müsste nur stilistisch anders bewältigt werden.
 

TaugeniX

Mitglied
Tschetschenen sind immer noch in etwa das: (keine grausame Szene, ruhig reinschauen) https://www.youtube.com/watch?v=K5N_vFq5qQI

Ich kenne in Salzburg einige Familien und bin sogar anfreundet, sofern man sich mit dem gelebten Mittelalter anfreunden kann. Die Älteren und die besser Gebildeten von ihnen sprechen ein leidliches Russisch.

Weißt Du, es sind Männer, die vor ihrem Vater auf ein Knie gehen, ihm die Hand küssen und ihn mit "mein Herr, Dein Knecht" anreden. Sie sagen auch: "die Zöpfe meiner Schwester sind so lang, dass man damit die Burg Derbent umwinden könnte". Ich werde diese Zöpfe aber niemals sehen, denn ihre Mädchen hüten das Aurat auch vor Frauen, wenn diese wie ich Kafir (ungläubige) sind. Verstehst Du, was ich meine? Sie sind keine Menschen von heute. Aber wenn es nicht so ankommt, dann habe ich es schlecht erzählt.

Ich habe mich übernommen, bzw. ich habe nicht genug gearbeitet. Mein Ziel war das Aufprallen des Mittelalters auf die Moderne zu zeichnen. Aber das Mittelalter wirkt gekünstelt. Das ist das Problem...
 

TaugeniX

Mitglied
Integration - gelungen

Aischa Kadyrowa heiratete einen Deutschen. Ihre Brüder erblassten vor Zorn und riefen zu Ehrenmord auf. „Zurück mit euch“, befahl der Vater und versperrte ihnen den Weg mit einer bloßen vorgestreckten Hand. „Aischa verläßt ihr Volk für einen Mann. Immerhin tut sie es aus Liebe. Wollt ihr auch darüber richten, warum wir unser Land verlassen haben?“ Nein, das wollten sie nicht. Sie gehorchten und zogen sich leise knurrend zurück. Aber Trauerkleider wollten sie tragen, – ein ganzes Jahr lang, – denn sie hatten keine Schwester mehr… Ihre Mutter weinte nur.

Die junge Frau Kreuzhuber genoss, frisch verheiratet, die Freiheiten ihres neuen westlichen Lebens. Sie holte die Schule nach und ging in ein Abendlokal kellnern. Auf Kinder wollte das Paar vorerst verzichten. Aischa kam sogar in ein Fitnessstudio, sie nahm fast 10kg ab und zwang ihren Körper stolz in hautenge Jeans…

Zu Silvester bediente Aischa – auch selbst in Feierstimmung – eine lustig grölende Runde. Die Kumpels soffen wie bodenlose Fässer und sparten nicht beim Trinkgeld. Aischa setzte sich an die Tischkante und quatschte mit ihnen, – sie freute sich wie ein Kind darüber, dass man ihr den ausländischen Akzent kaum mehr anhörte. Sogar beim Volkslied, das die Männer angestimmt haben, wusste sie den Text.

Ein völlig betrunkener, dumm und lüstern grinsender Gast packte sie am Nacken mit einer Hand, mit der Anderen am Hintern und küsste sie schmatzend und feucht auf den Mund… – Sie brüllte, riss sich aus und rannte hinter die Theke. „Ich soll jetzt die Polizei holen?“ Meinte der Oberkellner, „sei doch nicht so bösartig. Der Trottel ist nur blau und tut keinem was zuleide. Es ist Silvesterabend. Die Leute schlagen ein bisschen über die Stränge. Mach mir bitt` schön kein Theater daraus.“

Diese Gleichgültigkeit machte Aischa irr` vor Wut. Bis sie nach Hause kam, brannte der Kuss auf ihren Lippen wie Feuer. Heulend schreckte sie ihren Mann aus dem Schlaf: „Du musst ihn finden. Du musst mich rächen.“ Der Mann hörte die Geschichte an und fand nichts Erschreckendes dabei. „Vielleicht kannst du ihn anzeigen? Ich kenn` mich da nicht aus. Aber so heulen brauchst man wirklich nicht.“ Sie verfiel in ihren alten harten Akzent, machte Sprachfehler, trommelte ihrem Mann mit Fäusten gegen die Brust und verlangte Rache von ihm, – Rache für ihre Schande. „Sag`, geht mit Dir Dein genetisches Gedächtnis durch?“, staunte der Mann. Solche Ausbrüche war er von seiner Gattin nicht gewohnt.

Am nächsten Tag band sich Aischa zum ersten Mal seit 2 Jahren wieder ein Kopftuch, kramte einen langen Rock aus den Tiefen ihres Kleiderschranks und ging zu ihrer Familie. Dort warf sie sich auf den Boden und zerriss ihre Bluse, sie richtete sich auf und zerkratzte sich blutig das Gesicht als Zeichen der Trauer. In ihrer archaischen blumigen Muttersprache klagte sie ihr Leid, sie klagte ihre Schande, unauslöschbaren Fleck auf ihrer Ehre, Schande, – Schande ihrer ganzen Familie schrie sie raus und klagte den Fremden, den Gott verdammten ungläubigen Fremden an.

Ihre Brüder vergaßen, dass sie keine Schwester mehr haben. Da war sie wieder, – Aischa, ihre unschuldige arme Schwester, geschändet in den Händen des Gott verdammten Kafir. Rache, – Rache wollten sie schwören. Lebend wollten sie ihm seine Eingeweide aus dem Leib reißen und auf den Türstock seines Hauses hängen. „Zurück mit euch“, – befahl ihr Vater und versperrte ihnen den Weg mit einer bloßen vorgestreckten Hand.
„Du hast uns verlassen und bist Bürgerin eines Landes, in dem wir Fremde sind. Wenn Du eine Deutsche bist, Aischa, sollst Du nach dem Recht Deiner Heimat leben und einen deutschen Richter suchen. Dein Volk weiß seine Frauen ohne unsere Hilfe zu schützen.

Wenn Du nun doch Tschetschenin bist, – meine Tochter, – so will ich Deine Schande vergelten. Ich, alter Mann, werde mit eigener Hand die Kehle jener Bestie durchschneiden, die es meinem Kind angetan hat. Doch vorher, Aischa, sollst Du selber sterben, – denn nach unserem Recht hast Du schlimmer gelebt als eine Hure. – Bist Du eine Tschetschenin, Aischa?“
Die Wut und süße Lust nach Rache stiegen Aischa zu Kopf. Fast hätte sie „Ja“ geschrien. Schon warf sie ihren Kopf in den Nacken und bot den Hals dem gebogenen scharfen Halbmond. Doch dann kam die Angst. Aischa schlug die Hände vors Gesicht und drehte sich weg. „Nein, Vater, ich bin eine Deutsche“, sagte sie leise und ging davon. Ihre Mutter weinte nur…
 
Hallo TaugneniX.
Etwas gegen Betriebsblindheit:
Das zB Küssen der väterlichen Hand ist nicht unüblich nach meiner Erfahrung. Die Sprache des Vaters scheint sich an arabischer Lyrik zu orientieren, die in diesem Kulturkreis einen hohen Stellenwert hat. Es gibt sogar TV-Shows in denen die besten Gedichte und Vortragenden ausgezeichnet werden. Das ist für Nordeuropäer nicht unbedingt nach zu vollziehen. Man muss auch bedenken, das es sich um ein deutlich geringeres Bildungsniveau mit stärker ausgeprägten Traditionen handelt.
Ich finde die Geschichte ein wenig grob abgehandelt, mag aber die Aussage. Ihr fehlt ein wenig das Erzählerische, Emotionelle.
Scham wird in anderen Kulturen sicher tiefer verinnerlicht (die Augen senken, sich bedecken), deshalb ist Aischas Reaktion nachvollziehbar. Auch die der Familie, denn das Werben anderer Glaubensrichtungen wird zuweilen schon als Mordversuch angesehen, da es jemanden der Familie und der Gemeinschaft entreißt.
Die Aussage, die ich sehe, ist, das Aischa am Ende nirgendwo mehr hin gehört. Die Geschichte wirft bestenfalls einen fahlen Schatten, was das Aufeinanderprallen von Kulturen angeht. Die Hintergründe kommen nicht heraus.
Aischas Liebesheirat und Abkehr von ihrer Tradition kann man bestenfalls als Anpassungsversuch, nicht aber als Integration auslegen. Sie mag einige ihrer neuen Freiheiten, kann sich aber nicht von ihrem Wesen trennen. Das wird ihr letztendlich klar. Integration muss nicht unbedingt etwas Positives sein. Die Werte, auf die man trifft, können durchaus etwas Verabscheuungswürdiges haben, den Aspekt hätte ich gern etwas klarer gesehen. Die Geschichte läßt sich verbessern, indem man sie stärker ausbaut, meine bescheidene Meinung.
 

TaugeniX

Mitglied
Servus, Norbert!

Danke für Deine Kritik. Ich nehme Time Out und versuche aus dieser Skizze doch eine "lebende" Geschichte zu machen. Vielleicht hatte ich auch zu viel Angst, den Leser mit "Exotik" vor den Kopf zu stoßen.
 

TaugeniX

Mitglied
Der Text wurde von mir zwecks Generalsanierung rausgenommen. Ich danke allen Kollegen für kritische Beurteilung und Ratschläge.

LG Darja
 



 
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