Interlude für einen Barden

Lars Neumann

Mitglied
Interlude für einen Barden

Calamus der Barde ist nach Fylke unterwegs. Immer noch. Er hatte sich gehörig verschätzt. Sowohl was die Entfernung bis zu seinem Ziel, als auch seine Kraft betraf. Er ist, trotz seiner Jugend, bereits ein erfahrener Handlungsreisender in Sachen Lied und Erzählkunst. Aber bisher hatte er sich zu dieser Jahreszeit immer in sonnigeren Gefilden aufgehalten. Und nun hatten ihn die Götter hierher geführt. In jede Richtung Schnee, soweit ein Vogel fliegen kann. Oh, grausig Schicksal!
Einerseits war er in dieses Land gekommen um dessen König zu dienen. Andererseits um zu lernen. Denn wenn alle seiner Zunft, immer und immer wieder, die selben Geschichten und Lieder vortragen, können sie sich bald nur noch als Bettler verdingen. Da Calamus niemanden kannte der jemals so hoch im Norden war, erhoffte er sich vieles, dass sich verwenden, oder verwerten ließ.
Doch unerwartet hatte sich seine eigene Geschichte in eine Odyssee verwandelt. Der König hatte seine Reise zu den Göttern angetreten, noch bevor er ein Urteil über Calamus und seine Kunst fällen konnte. Sein Erbe war mehr dem Schwert zugetan, dessen Abschiedsworte klangen immer noch in seinen Ohren.
„Ihr dürft über mich singen, wenn ich meine ersten Siege errungen habe. Doch bis dahin, gehabt euch wohl!“
Gestrandet in fremden Landen, ohne Gönner und eigenen Besitz, hatte er seine Pläne begraben. Drei Klafter tief. Mindestens.
Fylke ist die einzige größere Siedlung auf dem Marsch zurück, aber trotz Umweg verspricht er sich dort Unterkunft und Lohn. Bereits kurz nach Sonnenaufgang hatten ihn die Häuser, und ihre Rauchfahnen, freudig am Horizont gegrüßt. Eine weitere Nacht in der Wildnis schien nicht nötig zu sein, deshalb hatte er es unterlassen nach Feuerholz zu suchen. Doch in der klaren Luft, sieht alles in dieser flachen Landschaft näher aus, als es wirklich ist. Durch diese Fehleinschätzung ist er immer noch nicht angekommen, stapft weiter durch den fast knietiefen Schnee. Dabei hatte der Winter gerade erst begonnen!
In der kommenden Dunkelheit besteht die Möglichkeit sich zu verlaufen, ohne ein Feuer droht ihm der kalte Tod. Außerdem gehen seine Vorräte zu Neige. Wild hatte sich, bis jetzt, erfolgreich versteckt. Den letzten Salzfisch hatte er vor zwei Tagen gegessen. Was ihm bleibt ist ein halber Laib, steinhartes, Brot. Er muss Fylke einfach erreichen.
Es dämmert, die Silhouette der Siedlung beginnt mit dem Hintergrund zu verschwimmen. Atem dringt durch den, vor sein Gesicht gebundenen, Schal. Seine Schritte lassen den Schnee knirschen. Der böige Wind treibt die, zuletzt gefallenen, lockeren, Flocken über die Ebene. Zum Glück bläst er ihm nicht ins Gesicht. Wahrscheinlich hätte er dann den Schein einer einzelnen, schwach leuchtenden, Laterne übersehen. Sie bewegt sich etwas und verlöscht.
„Dank euch, ihr Götter. Dank für dieses Zeichen. Wenn ich dieses Abenteuer überlebe, werde ich ein weiteres Lied zu euren Ehren zu singen.“
Er rückt seinen Lederbeutel zurecht, zieht den Schal etwas fester, und ändert seine Richtung. Mit der nun neu aufkeimender Hoffnung, fallen seine Schritte merklich energischer aus. Zudem erreicht er einen, wohl kurz zuvor, geräumten Weg.
Dort wo die Laterne erlosch, steht ein einzelnes, flaches, aus groben Holzstämmen gezimmerten Haus. Es ist nicht klein wie eine Hütte, hat aber keine angrenzenden Gebäude, wie Stall oder Schuppen. Seine Fenster sind mit dicken Brettern vernagelt, kein Lichtschein dringt durch Ritzen oder Astlöcher. Er klopft drei mal an die Türe und tritt zwei Schritte zurück. Schwere Schritte auf blanken Bohlen nähern sich. Calamus entblößt sein Gesicht und streckt die Arme zu Seite, die offenen Handflächen nach vorne. Die Tür öffnet sich, das herausströmende Licht blendet ihn. Er kann nur den Umriss einer massigen Gestalt erkennen.
„Wer stört so spät? Wer bist du?“
„Der Götter Segen über euer Heim. Ich bin Calamus, ein reisender Barde und suche …“
Rummms!!!
Diese Tür war schneller wieder zu als er Drachentöter sagen konnte. Merkwürdig. Aber wer weiß schon bei was sich dieser Mann gestört fühlte. Oder er mag einfach keine Barden.
Also auf zum nächsten Haus. Die Prozedur ist dort die Selbe. Klopfen, in Positur stellen, Begrüßungsformel ins Gedächtnis rufen und warten. Doch diesmal verkünden keine Schritte das nahen eines Bewohners. Die Tür wird sachte geöffnet, in ihrem Rahmen steht ein kleines, blondes, Mädchen.
„Hallo, Ich bin Sylphe! Wer bist du denn?“
„Auch Hallo, meine kleine! Ich bin Calamus, sind deine Eltern zu Hause?“
Als sie antworten will, wird sie von einer erwachsenen Hand an der Schulter angefasst und ins Haus gezogen.
„Du sollst doch nicht alleine aufmachen.“
„Ja, Mama!“
„Geh deiner Schwester helfen.“
Die kleine lächelt ihre Mutter an und trippelt freudig aus dem Sichtfeld.
„Was kann ich für euch tun?“
„Der Götter Segen über euer Heim, werte Dame des Hauses. Mein Name ist Calamus, ich bin reisender Barde und ...“
Die eben noch entspannten Gesichtszüge der Frau verwandeln sich in eine Maske der Furcht. Ihre weit geöffneten Augen starren ihn vorwurfsvoll an. Als sei er ein Monstrum, entsprungen aus einer längst vergangen geglaubten Epoche. Als sie, genau wie ihr Nachbar, wortlos die Türe schließen will, fleht er sie an.
„Bitte, sagt mir was hier vorgeht! Ich tue doch nichts böses.“
„Aber ihr beschwört es herauf.“
„Wie? Aber ich ...“
„Geht. Ich kann euch nicht helfen. Ich darf nicht helfen. Niemand in Fylke wird das“
„Bitte zeigt Erbarmen, werte Frau. Sagt mir wenigstens wer es kann.“
„Es gibt vielleicht nur einen der sich traut. Versucht es bei Dolus dem Jäger. Folgt diesem Weg bis er aus Fylke hinausführt. Der letzte Hof auf der rechten Seite. Und jetzt geht und kommt nie wieder.“
Sie schließt ohne seinen Dank abzuwarten.
So etwas hatte er noch nicht erlebt. Wenn er Zauberer oder Bettler wäre, gut. Und ja, seine Kleider sind nicht mehr die besten, aber er ist Barde. Leute wie er singen niemanden zu Tode. Sie versuchen es nicht mal.
Von dem eben erlebten verwirrt, macht er sich auf den Weg durch das Dorf, dass so verschieden ist, von dem was er gehört, was er erwartet hatte. Den Schal wieder vor das Gesicht bindend, schreitet er wie schlafwandelnd durch die Dunkelheit. Er weiß das ihn Spekulationen nicht weiter bringen, kann aber nicht umhin nach verdächtigem Ausschau zu halten. Doch kein Zeichen deutet auf irgendeine Teufelei. Keine Runen oder unheilige Zeichen an den Wänden, keine Schädel an den Firsten oder auf Stangen vor den Behausungen.
Auf einem Platz, in der Nähe einer alten Eiche, steht ein Brunnen. Calamus weicht vom Weg ab um seinen, seit Tagen leeren, Wasserschlauch zu füllen. Doch der Brunnen ist mit einem eisenbeschlagenen Deckel verschlossen, gesichert mit schweren Ketten, versperrt mit massiven Schlössern, an im Fundament eingelassenen Ringen verankert. Er denkt sich ein 'dann halt nicht', schaufelt sich eine Hand voll Schnee in den Mund und formt einen großen Ball, um diesen Stück für Stück zu verzehren. Sein Blick richtet sich flehend gen Himmel.
„Götter, wenn ihr mich sehen könnt in dieser klaren Nacht. Führt mich durch diese schwere Zeit. Lasst nicht zu dass sie mir ihre Hilfe versagen. Ich bitte euch! Lasst mich noch nicht sterben.“
Er denkt an seine Familie, Freunde die er verlassen hatte. Seinen Lehrmeister, freundliche Auftraggeber und deren Töchter, angenommene und ausgeschlagene Angebote. All dies hinter sich lassen, nur um an diesen unsäglichen Ort zu gelangen? Wer könnte so etwas wollen?
Am letzten Haus angekommen, zögert er zunächst. Doch was nützt die Angst, wenn sie von dem abhält, das helfen kann? Das letzte bisschen Mut zusammen nehmend, wendet er sich dem Eingang zu und wird von kurzem, kehligem, Bellen empfangen.
„Ruhig Kroton, ich sehe ja schon nach.“
Es wird geöffnet und ein riesiger, grauer Schatten springt heraus. Dieser bellt und stellt sich drohend vor Calamus, bereit zu beißen, zu zerreißen.
„Rührt euch nicht! Lasst ihn Witterung aufnehmen. Wenn er gutes in euch spürt könnt ihr euch wieder bewegen.“
Und tatsächlich. Plötzlich fängt der Schwanz zu wedeln an. Der daran hängende Hund umrundet ihn freudig, stubst mit der Schnauze seine Hand an.
Der Jäger grinst.
„So. Jetzt könnt ihr euch vorstellen.“
„Mein Name ist Calamus, ich möchte um eure Hilfe bitten. Ich bin hier fremd und verstehe nicht was vor sich geht an diesem Ort. Sobald ich erwähne dass ich Barde bin ...“
„Halt! Sprecht nicht weiter!“
Der Jäger blickt um sich, anscheinend um zu prüfen dass sie alleine sind.
„Kommt herein, aber sprecht erst drinnen weiter.“
Er geht vor, sein Hund folgt ihm. Der bleibt auf der Schwelle stehen, dreht sich hechelnd um und sieht ihm direkt in die Augen. Fehlt nur noch das er beginnt zu sprechen. Bevor er eintritt klopft sich Calamus den Schnee von den Stiefeln. Drinnen wird er bereits von wohliger Wärme erwartet. Der Jäger schließt die Türe und deutet an die Wand. Dort ist ein Geweih befestigt, an dessen Enden hängen zwei Mäntel, einer aus Leder, einer aus Fell.
„Hängt eure Habe dort auf und setzt euch mit an den Tisch, ich wollte gerade essen. Reden können wir danach. Ich heiße übrigens Dolus, Kroton kennt ihr ja schon.“
Der zuletzt genannte lag flach vor dem Kamin und schnaubte, wie um die Rede zu bestätigen.
Er tat wie ihm befohlen, denn seine größte Sorge war erneut vertrieben zu werden. Sein Magen knurrte schon so bedrohlich wie der Hund.
„Ich danke euch für eure Gastfreundschaft, mögen die Götter euch und euer Heim segnen.“
Es gab heißen Eintopf und Brot, dass nicht wie ein Stein aussah. Das Wasser war warm, schmeckte jedoch nicht abgestanden. Sie aßen schweigend, fast andächtig. Als sie fertig waren wollte Calamus helfen den Tisch abzuräumen, doch Dolus winkte ab.
„Lasst es, nehmt den Stuhl und setzt euch zu mir an den Kamin.“
Er greift nach einer bauchigen Kanne aus Zinn, die am Rand des Kamins steht und füllt zwei Becher. Es ist warmer, leicht gewürzter, Wein.
„Der wird uns gut tun.“
„Zu eurem Wohl!“
Kroton verändert seine Lage und legt seinen Kopf auf Calamus' Füße.
„Er mag euch. Wenn ihr jemandem danken wollt dann ihm. Sonst wärt ihr immer noch dort draußen.“
Calamus beugte sich hinunter, kraulte Kroton hinter den Ohren und begann zu erzählen.
Von seiner Heimat, den Orten die er bereist hatte, den Leuten an diesen Orten. Von den Umständen die zu seiner momentanen Lage führten. Er fasste sich kurz, verschwieg aber nichts. Als sein Bericht endete sah Dolus lange, ohne ein Wort zu sagen, ins Feuer. Dann legte er Holz nach und sah Calamus in die Augen.
„Ihr seid fremd hier, könnt davon nichts wissen. Niemand außerhalb von Fylke ahnt etwas von unserem Schicksal, unserem Fluch.“
Calamus hörte schweigend zu. Ließ die in ihm brennenden Fragen nicht über seine Lippen kommen. Sein Lehrmeister hatte immer gesagt: „Wenn man sich in Geduld übt, beantworten sich die meisten Fragen wie von selbst. Übe weiter.“ Nun wusste er was damit gemeint war.
„Es begann vor rund zehn Jahren. Die Bauern hatten die Ernte bereits eingebracht, die Vorräte für den kommenden Winter waren in den Kammern. Eine gute, eine fröhliche Zeit. Fröhlich. Dachte nicht dass ich dieses Wort noch einmal verwenden würde.“
Er schenkt Wein nach.
„Zwei, drei Tage vor dem Fest der Feldmutter verschwand das erste Kind. Ein Mädchen, immer gut gelaunt, stets ein Lied auf den Lippen. Der Stolz seiner Eltern. Das Ganze Dorf suchte, doch wir konnten sie nicht finden. Sie wäre nie weggelaufen, aber wir fanden auch nichts, was auf ein Verbrechen deutete. Als wir die Suche abbrachen verschwand der nächste, ein Junge. Er war nicht der erste und nicht der letzte. Es waren immer frohe Gemüter, die gerne lachten und sangen. Die Gerüchte wuchsen. Ein Varulv sei gesehen worden, er habe sich alle geholt und gefressen. Aber wir haben nur einmal Blut gefunden, und keine Leichen. Der Rat der Alten setzte Singen und lautes Lachen unter Strafe, befahlen uns Schweigen. Und seit dem ist niemand mehr verschwunden. Das ist jetzt acht Jahre her und wir leben gut damit, wenn auch nicht sehr fröhlich.“
„Jetzt verstehe ich die Angst eurer Nachbarn, auch wenn ich sie nicht teile. Wenn ich dies gewusst hätte, wäre ich nicht nach Fylke gekommen. Ich muss euch doppelt danken, für das Mahl und eure Ehrlichkeit. Doch sagt, bekommt ihr keinen Ärger wenn ihr mir helft? Das möchte ich nicht.“
„Nein, ich bin hier geboren. Sie werden mir schon nichts tun. Aber ich möchte euch trotzdem bitten morgen früh weiter zu reisen. Schlafen könnt ihr bei meinen Beefalos. Die freuen sich über jede Gesellschaft.“
„Dann muss ich euch schon wieder danken. Ihr seid ein guter Mensch. Ich hoffe die Götter vergelten es euch.“
„Das haben sie schon. Kommt nun, ich führe euch.“
Im Stall stehen drei Beefalos, alles Kühe, in einer abgetrennten Box. Sie muhen kurz aber nehmen nicht wirklich Notiz von ihrem neuen „Gast“.
„Dort hinten ist genug Stroh um euch warm zu halten, aber bitte esst nichts davon, es muss bis zum Frühling reichen.“
„Dank euch ist das nicht nötig. So gut wie vorhin habe ich seit Wochen nicht gegessen.“
„Oh, wenn ihr auf den Abtritt müsst, der ist an der Rückseite vom Stall.“
„Danke. Darf ich mich morgen von euch verabschieden? Es wäre in meinen Augen nicht gebührlich einfach zu verschwinden.“
„Wir werden sehen. Und nun schlaft, ihr werdet morgen wieder all eure Kraft brauchen. Ruht wohl.“
Calamus, nun wieder alleine, macht sich zunächst ein schönes weiches Polster aus Stroh. Dann nimmt er seine Laute aus dem Beutel und begutachtet sie von allen Seiten. Er ist erleichtert keine Risse oder Verformungen zu entdeckten. Er hatte gehört dass so etwas bei diesen Temperaturen vorkommen kann. Aber sein Instrument scheint ein sehr gutes Exemplar zu sein. Er lächelt.
„Danke, Meister Futhark, wahrlich ein königliches Geschenk!“
Er schlägt einen Akkord an, einen zweiten, einen dritten.
„Aber so verzogen wie du bist, ist mir klar dass mich hier niemand hören will.“
Er verstaut sie wieder im Beutel, legt sich hin und schaufelt alles Stroh in seiner Reichweite über sich. Es dauert nicht lange bis er in tiefen Schlaf gleitet.

Calamus wird wach, geweckt von lauten Stimmen. Das flackernde Licht von Fackeln dringt durch das, nicht mehr ganz geschlossene, Stalltor. Er kann die Stimmen nicht einordnen, aber sie scheinen ausschließlich Männern zu gehören. Die Bewohner des Dorfes? Aber hatte Dolus nicht gesagt …?
Das Tor schwingt ganz auf, er kann nun mehr erkennen. Ein Mann, unbestimmbaren Alters, mit schulterlangem, weißen Haar, steht vor einer ganzen Gruppe aus, vierzig, fünfzig, aufgebracht wirkenden Leuten. Er scheint der einzige zu sein der keine Fackel trägt. Dafür hält er einen Trokar in der rechten Hand. Die drei Schneiden der etwa einen Fuß langen Waffe schimmern im wechselnden Licht. Doch diese, in wenigen Augenblicken festgestellten, Tatsachen sind alle nicht so schlimm. Was ihn am meisten schockiert, ist derjenige, der hinter dem Weißhaar steht.
Dolus!
Der Alte macht einen Schritt in den Stall hinein, und spricht:
„Komm heraus Calamus, es macht keinen Sinn sich zu verstecken, wir wissen dass du noch da bist.“
Er befreit sich vom Stroh, nimmt seinen Beutel in die Hand, und macht ein paar Schritte auf den Alten zu.
„Wer bist du, und was willst du von mir?“
Der Alte lächelt milde.
„Mein Name ist Bramarbas, ich bin Sprecher des Rates. Und es geht nicht darum was ich will, sondern um das, was alle hier wollen.“
„Und das wäre`“
„Frieden. Leben ohne Angst. Ohne Angst vor dem Varulv.“
„Aber ich bin kein Varulv. Ich bin Barde.“
„Und damit das was der Varulv will.“
Calamus dachte: 'Jetzt ist alles klar. Sie wollen mich opfern, dem Varulv als Geschenk darbieten! Oh, ihr Götter, zeigt mir einen Ausweg.'
„Ihr habt ja nicht mal Beweise das es ein Varulv war. Und selbst wenn es damals einer war. Acht Jahre ist nichts geschehen, wie könnt ihr sicher sein dass er noch da ist?“
„Wie könnten wir nicht?“
Er wechselte den Trokar in die linke Hand, kramte mit der Rechten in der Hosentasche und brachte eine silberne Kette mit Anhänger zum Vorschein.
„Dies gehörte meiner Enkelin, ich denke du weißt wer sie war.“
„Was ihr vorhabt bringt sie nicht zurück.“
„Nein, sicher nicht. So dumm sind wir nicht. Aber es wird verhindern das es wieder geschieht. Für immer.“
„Wie könnt ihr das nur glauben?“
„Weil ich ihm glaube.“
Er stellt sich neben Dolus und legt ihm die Hand auf die Schulter.
„Er ist unser bester Jäger, unser bester Fallensteller. Mit dem richtigen Köder fängt er alles. Sogar einen Varulv.“
Dolus dreht sich um, spricht zu seinen Kumpanen.
„Lassen wir das Gerede, die Sonne geht bald auf. Wir sollten bis dahin fertig sein.“
Als sie sich wie ein Körper nach vorne bewegen knurrt es bedrohlich hinter Calamus. Es ist Kroton! Er stellt sich mit gefletschten Zähnen zwischen ihn und dem Mob.
„Kroton! Aus! Ich verstehe das nicht. Komm her du dummer Hund.“
„Nein das werde ich nicht.“
Jetzt waren alle überrascht.
„Ihr seid immer noch der Meinung euer Verzicht ist verantwortlich für euren armseligen Frieden? Ihr denkt ihr könnt diesen Frieden erhalten, in dem ihr etwas tötet, was ihr nicht versteht? In dem ihr das tötet, was euch die letzten acht Jahre beschützt hat?“
Kroton beginnt sich zu verändern. Seine Glieder wachsen, er legt an Masse zu, Schnauze und Fell bilden sich zurück. Als die Verwandlung beendet ist, steht dort ein Wesen, menschenähnlich, aber nicht ganz Mensch. Knapp zwei Meter groß, mit Muskeln die fast alles bezwingen können. Vielleicht sogar einen kleinen Drachen. Bramarbas ist anderer Meinung. Er stürzt sich schreiend auf den Varulv, versucht ihm den Trokar direkt ins Herz zu stechen. Doch Krotons Arme sind länger als seine, und die Klinge ritzt nicht einmal seine Haut. Eine Hand umschließt den Hals des Angreifers.
„Lasst ihn fallen, Ältester. Glaubt ihr wirklich mir mit diesem Spielzeug etwas antun zu können?“
Er neigt seinen Kopf zu Bramarbas und flüstert ihm ins Ohr.
„Habt ihr daran gedacht ihn weihen zu lassen? Nein? Dann gesteht eure Niederlage ein. Ich möchte euch wirklich nichts antun. Wenn das so wäre hätte ich es längst getan.“
Der Trokar fällt zu Boden.
„Dolus, ich werde Fylke verlassen. Und dieser Barde wird mich begleiten. Denn er kann nichts für euer Unglück.“
Er führt das Ratsmitglied am Genick durch den Aufruhr. Calamus folgt ihnen auf dem Fuß. Als sie hindurch sind gibt Kroton Bramarbas frei.
„Das sollte Beweis genug sein, dass ich es nicht war.“
Sie waren noch keine zehn Schritte gegangen als die leise Stimme Dolus erklang.
„Aber wenn nicht du, wer oder was war es dann?“
Kroton dreht sich um und grinst wölfisch.
„Das mein lieber, werdet ihr bald herausfinden. Versprochen!“
Genau in diesem Moment geht die Sonne auf. Sie wird von vielstimmigem Geheul begrüßt.


Anmerkung des Autors:
Wem die hier verwendeten Namen und Bezeichnungen seltsam vorkommen, der nimmt bitte ein Fremdwörterbuch zur Hand. Denn alles hat seine Bedeutung. ;-)
 

Val Sidal

Mitglied
@Lars Neumann

Wem die hier verwendeten Namen und Bezeichnungen seltsam vorkommen, der nimmt bitte ein Fremdwörterbuch zur Hand. Denn alles hat seine Bedeutung
... es sei denn, der Autor ist so nett und listet sie für alle Leser in einem kleinen Vorspann ...

nur so 'ne Idee, um die Lesebereitschaft zu fördern ...
 

Lars Neumann

Mitglied
Namen und Bezeichnungen

Hallo Val Sidal.

Die Bedeutungen in einem "Vorspann" zu enthüllen würde, leider, die Bedeutung von mindestens einer Hauptfigur vorwegnehmen. Da ich aber einsehe dass mancher Leser einfach zu wenig Zeit hat selbst nachzuschlagen, also hier im "Nachspann":


Calamus, (lat.), männl., Calami: Schreibrohr im Altertum; unterer, hohler Teil des Vogelfederkiels.

Dolus, (lat. List), männl., nur sing.: Arglist, Heimtücke, Vorsatz (Rechtswesen)

Bramarbas, (span.) männl.,-se.: Prahler, Großsprecher, Aufschneider.

Kroton, (gr.), männl.,-e: ostasiatisches Wolfmilchgewächs, Heilpflanze.

Varulv, schwedisch für Werwolf

Futhark, ['fu:thark], sächl.,-e: nach den ersten sechs Runenzeichen benanntes germanisches Runenalphabet.

Sylphe, Sylphide, ['sü.lfe, lat.], weibl.,-n: weiblicher Luftgeist; zartes anmutiges Mädchen.

Fylke, (norweg.), sächl.,-r: norwegischer Verwaltungsbezirk.

Beefalo, ['bi:felo:, engl.] männl., -s: aus der Kreuzung von Hausrind und Bison gezüchtetes Rindvieh.

Trokar, (lat.), männl.,-e und -s: chirurgisches Stichinstrument mit einer dreikantigen Spitze und einem Röhrchen für Punktionen (Med.)

Da ich selbst Probleme damit habe mir sinnvolle, aussprechbare, Namen auszudenken, schien es am einfachsten, diese einem Fremdwörterlexikon zu entnehmen. Diesbezüglich ist Arthur C. Clark ein Vorbild für mich, denn er verwendete oft Namen von, unbekannten, aber real existierenden Städten und Gegenden.
 



 
Oben Unten