Irgendwann...

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Die Stille legte sich wie ein schwarzes Tuch über den Augenblick.

Reglos lag sie da, spürte den Schlag ihres Herzens und hörte das leise Pfeifen ihres Atems.

Schwarze Stille.

Sie hielt die Augen geschlossen, der letzte Schutz, der ihr blieb, bevor sie sich der Gegenwart stellen muss.

Wumm.

Stille.

Wumm.

Stille.

Wumm.

Der Takt ihres Herzens. Gleichmässig, unaufhörlich, immer wieder. Genau wie die Stöße, die sie immer wieder unbarmherzig trafen. Die ihren ausgemergelten Körper schonungslos über die Tischplatte trieben, nur unterbrochen von den Stücken dieser verhassten, harten, unbekannten Sprache und von dem höhnischen Lachen, das fortwährend diese Tortour begleitete.

Sie biß sich auf die Zunge, um auf gar keinen Fall einen verräterischen Ton von sich zu geben, einen Ton, der auf ihre Qualen, Entwürdigungen und Schmerzen hinwies. Das würde sie ihren Kindern, die man mit dem Rest der Familie wenigstens in die Kammer nebenan gebracht und eingesperrt hatte, ersparen. Sie würden es nie erfahren. Nie! Das schwor sie sich, während ihre Fingernägel sich in das Holz des groben Küchentisches gruben und ihre Pein für alle Zeit dort eingravierten, ihre Wange, wund und roh, brannte wie Feuer, verklebt von Blut und Asche.
Asche, die sie sich alle in ihr Gesicht rieben, als sie vom Herannahen der fremden Truppen hörten. Um möglichst unauffällig, hässlich und alt zu wirken. Aber bei ihr hatte es nichts genutzt.

Als die Horde von hungrigen, wütenden und aufgehetzten Soldaten ihr Haus stürmte, sie sich alle in der großen Küche versammeln mussten, blieben die Blicke all dieser vom Krieg zu bloßen Kreaturen verdammten Soldaten an ihr haften. Sie schüttelte den Kopf, versuchte, sich zu wehren, aber gegen die losbrechende Gewalt und den Gewehrkolben, der sie an der Stirn traf, war sie machtlos. Sie wurde bäuchlings auf den Tisch geworfen und unter johlendem Beifall der Anderen verrichteten diese Bestien ihr schändliches Werk, wie von Sinnen, berauscht von dem Willen, endlich zu Siegen, dem Feind alles zu nehmen: Den Willen, die Kraft, die Moral, den Stolz und die Würde.

Irgendwann ließen sie von ihr ab, durchwühlten den Raum nach Essbarem und zogen wieder ab.

Stille.

Das Ganze ist nun zwei Monate her. Die Platzwunde am Kopf ist verheilt, die blauen Flecken kaum noch zu sehen.

Wie in Trance verrichtet sie ihre Arbeit und versorgt ihre Kinder, macht, was zu tun ist. Ihre Seele schmerzt und schreit.

Und die Frage, der sie sich nicht zu stellen vermag. Die Frage nach dem \"Was wird...?\", seit sie spürt, dass ihr Rock in der Taille langsam enger und enger wird...

Aber sie weiß verzweifelt, dass sie es muss.

Irgendwann...
 

Wipfel

Mitglied
Hi ladameblanche,

vorsichtig. Ganz vorsichtig versuche ich Dich zu überreden an diesem grandiosen Text etwas zu streichen, auch wenn alle anderen sofort schreien werden...

Also zunächst: Mir gefällt Deine Sprache, mir gefällt, wie Du schnörkellos erzählst. Sehr sogar. Mich macht es atemlos, zu lesen, was unseren Großmüttern und Müttern geschah, was wieder auf dem Balkan geschah, im Sudan und überall dort, wo Krieg herrscht.

Wie in Trance verrichtet sie ihre Arbeit und versorgt ihre Kinder, macht, was zu tun ist. Ihre Seele schmerzt und schreit.

Und die Frage, der sie sich nicht zu stellen vermag. [strike]Die Frage nach dem \"Was wird...?\", seit sie spürt, dass ihr Rock in der Taille langsam enger und enger wird...[/strike]

Aber sie weiß verzweifelt, dass sie es muss.

Irgendwann...
Auch auf die Gefahr, dass nicht jeder Leser versteht, um welche Frage es geht - lass es weg. Der Text gewinnt dadurch. Und glaube an Deine mündigen Leser...

Grüße von Wipfel
 

Retep

Mitglied
Hayllo ladameblanche,

Inhalt und Sprache deiner Geschichte haben mich beeindruckt.
Grauenhaftes schilderst du da, das täglich passiert.

Sie hielt die Augen geschlossen, der letzte Schutz, der ihr blieb, bevor sie sich der Gegenwart stellen muss. [blue](musste?)[/blue]

- Den Schluss würde ich nicht weglassen.


Gruß

Retep
 
B

bluefin

Gast
liebe @madameblanche,

wenn man mit texten dieses inhalts hervortreten möchte, sollte man darauf achten, nicht etwas, das so oder so ähnlich schon ein paar tausendmal beschrieben wurde, einfach nachzuerzählen.

leider wurden die geschichten der im krieg vergewaltigten mütter im lauf der jahrhunderte mit zu den ausgertetendsten pantoffeln, in denen die effekthascher umherschlurften. manchwal war's tatsächlich sowas wie literatur, meist aber nur die endlose wiederholung gängiger versatzstücke.

das macht die sache an sich ntürlich nicht weniger schlimm, nutzt deren darstellung aber so stark ab, dass man nicht mehr wirklich betroffen sein kann, wenn man, wie hier, den üblichen klischees zum x-ten mal begegnet und verweifelt nach dem besonderen sucht.

aber außer dem wiederholten wort "wumm" ist da nichts. dein text bricht da ab, wo er gängiger weise immer abbricht. er widmet sich nicht weiter der eigentlich spannenden frage, was "rgendwann" denn wirklich gewesen sein könnte. sonderbarer weise haben sich die völker dieser erde mitsamt ihren schriftstellen kaum je damit befasst, was "danach" kam. erst in allerjüngster zeit liest man da und dort, was entstand, wenn es nicht abgetrieben wurde: das sog. "besatzungskind".

ob so eins geliebt werden kann und soll von einer mutter, einem stiefvater, den geschwistern, einem ort oder dem ganzen volk, ist bis heute nicht klar. es sind halbwesen, wie desertöre, die man als besiegter zwar hinzunehmen hat, die aber ohne jeden weiteren, gesellschaftlichen anspruch sind (vielleicht gerätst du mal an zuckmayers "geschichte eines bauern aus dem taunus" und verstehst dann besser, was ich meine).

ich fasse deinen text als die ein wenig im klischee stecken gebliebenene einleitung zu einer wirklichen kurzgeschichte auf, in der uns noch gesagt werden wird, was wir vielleicht geahnt, nicht aber bewusst gehört haben.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 

nachts

Mitglied
Hallo ladameblanche
es muß nichts besonderes sein, weil ihm nichts besonderes anhaftet. Es ist in tausenden von kriegen tauusende Male geschehen. Von daher liegt im Klischee vielleicht die Wahrheit. Deine Schilderung erscheint für mich nachvollziebar und treffend.
Ich hab aber ein kleines Problem mit dem/r ErzählerIn bzw. der durchgehenden Perspektive. Wenn du von "zu Kreaturen verdammten ..." schreibst ist das für mich die Erzählerperpektive, dazu passen die "Bestien, mit ihrem schändlichen Tun" nicht. Für mich wärs stimmiger, du würdest dich entscheiden zwischen Beschreiben und Bewerten, wenn du weißt was ich meine. Auch die "harte Sprache" assoziert man eher mit Osteuropa - ich weiß nicht ob du ein bestimmtes Ereignis im Kopf hattest oder "generell" formulieren wolltest. Noch was - wenn auch die Familie in der Kammer nebenan war ist es ,denk ich, klar für alle was sich abspielt oder abspielen wird - soviel Erfahrung bringt - glaub ich - der Krieg mit sich.
Hallo Bluefin: Der Begriff Besatzungskind ist in dem Zusammenhang schlicht falsch und erschließt sich aus der Geschichte nicht - der kommt woanders her.(auch wenn es da durchaus Vergewaltigungen gab)

LG Nachts
 
B

bluefin

Gast
hallo @nachts,

wenn du da so genau bescheid weißt, dann sag mir doch bitte den semantischen unterschied zwischen den früchten, die aus einer freiwilligen bzw. einer nicht freiwilligen paarung mit einem besatzungssoldaten hervorgehen. deine antwort würde mich sehr interessieren - nicht so sehr deine persönliche meinung, sondern eher der allgemeine sprachgebrauch, der deinem bekunden nach ja zu exisiteren scheint. mir ist er bislang unbekannt.

mein vetter entsprang der vergewaltigung seiner mutter durch einen amerikanischen besatzungssoldaten. sein anderssein dokumentierte sich u. a. darin, dass sich seine hautfarbe und die konsistenz seiner haare von jenen der durchschnittsdeutschen deutlich abhob. er konfigurierte in den heimen, in die er gesteckt wurde, und in der schule stets als ein besatzungskind unter vielen. wie, meinst du, hätte ihn die gesellschaft korrekter weise nennen müssen?

ein lediges kind galt vor zeiten als schande. ein lediges kind aus einer beziehung mit einem besatzungssoldaten als nationale schande. der abkömmling aus einer vergewaltigung durch einen besatzungssoldaten existiert bis heute - realiter - überhaupt nicht. er gilt der gesellschaft weniger als dreck und wartet immer noch vergeblich darauf, dass man sich ihm widmet, statt immer nur telegen beim elend der mutter zu verweilen. solche mädchen und jungs sind nur das, was blöder weise nicht abgetrieben wurde: im "glücklichsten" falle läßt sich ihre herkunft vertuschen, und ihr elend bleibt sprachlos.

in gespannter erwartung deiner antwort und mit lieben grüßen aus münchen

bluefin
 

nachts

Mitglied
hallo Bluefin

Der Begriff hat mit dieser Geschichte nix zu tun
informier dich halt
- und unser Dialog darüber auch nix
LG Nachts
 
B

bluefin

Gast
hallo nachts,

soweit ich @lamadameblanches eindringlichen text richtig gelesen und verstanden habe, bricht er im dritten schwangerschaftsmonat ab.

wenn nicht abgetrieben wird, entstünde, schrieb ich sinngemäß, ein besatzungskind, und hab dem autor empfohlen, die geschichte weiter zu denken.

du hast dich an dem begriff "besatzungskind" gestoßen und behauptet, er sei falsch.

ich bitte dich nochmals, mir mitzuteilen, wie das wohl zu nennen wäre, was aus dem leib der geschundenen protagonistin hervorkäme, triebe man es nicht ab. wenn nicht "besatzungskind", wie dann?

wenn du meinst, dass die von dir darüber begonnene diskussion hier nicht fortgeführt werden sollte, kannst du mir gerne per pn antworten.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 



 
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