Isolationstreff

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Isolationstreff

Die Flaschen im Regal zeigen freundliche Gesichter. Dicht aneinander gereiht, auf Tuchfühlung, ein Sortiment von Wohlstand und Vorzeigemuss. Verschiedene Formen und Farben, Etiketten die alles versprechen, was Zunge und Gaumen liebt.

Unsichtbar dazwischen quillt Einsamkeit hervor, Depression. Sie schrillen lauter als Sirenen. Doch niemand will hören, sie wahrnehmen, von ihnen wissen. Jeder scheut sich des Erkennens. Gießt noch einen Drink ein, stellt die Musik lauter. Einziger Halt ist das Glas in der Hand, die Fußstützen der Barhocker, Armlehnen, um die sich Hände krallen. Spiegel werfen zerschlissene Gesichter zurück. Unwahr, unreal für den, der hineinschaut. Wahr und real in der tonlosen Tristesse. Erkennen verschwimmt mit dem Inhalt der geleerten Gläser.

Alleinsein trotz Anwesenheit anderer, ballt sich zur Lawine der Einsamkeit. Irgendwann losgetreten, zerschellt an ihr all das, was noch an Lebendigsein zwischen all der Irrealität schwimmt.

In der Stille der Räume verbinden sich die Zeichen der Verluste mit Namen Trauer, Tod, Verlassenheit, Zerstörung, Drogen, Alkohol, Trunkenheit, inhalierte Rauchwolken, ausgerissene Haare, abgerissene, abgekaute Fingernägel, vergessene Hingabe. Auf den Flicken davon fliegender Gedankenteppiche isoliert sich der Mensch in der Gesellschaft. Karambolagen mit anderen verursachten nur leichte Schäden. Mit sich selbst allerdings Totalschaden.

Ab und zu tastende Blicke. Kulissen sind die Körper. Schlank, hochbeinig, gut aussehend, die Figur, die Brieftasche. An dem Mensch dahinter geht alles vorbei. Er trägt die Fassade wie ein Schild vor sich her. Versteckt sich dahinter, weiß oft selbst nicht mehr wie er ist.

Da gibt es keine Unterschiede zwischen Männer und Frauen. Alles wird egal. Nur nicht mehr allein sein müssen. Allein in die Nacht hinaus gehen müssen, in eine andere Einsamkeit.
Nein, nur nicht alleine sein. Egal, wenn man später nichts mehr, oder nur wenig von dem anderen einsamen Gesicht weiß. Für Augenblicke gibt es Nähe, Wärme. Das Frieren kommt später. Wenn man Glück hat erst, wenn man wieder allein ist. Dem Spiegel nicht mehr ins Gesicht schaut, die Haut schrubbt, als könnte man Verlassenheit, Unglücklichsein, Ungeliebtsein, Unsicherheit und Lebensangst mit Seife und Wasser wegspülen.

Bis die Zeiger der Uhr wieder ihren Rundenlauf zum x.ten Mal durchlaufen haben. Vor dem inneren Auge die Batterie der Flaschen ein malerisches Bild bietet, der Drang nach Gemeinsamkeit wieder an der Oberfläche des Seins auftaucht. Schemenhaft nur, nicht greifbar. Und man sich wiederfindet, in dieser Bar, am gleichen Ort, mit Gesichtern, die man vielleicht schon mal gesehen hat. Aber ganz sicher ist man sich nicht.

An die Getränke erinnert man sich. Vielleicht geht man wieder mit, mit jemandem, mit irgendeiner Person. Vielleicht..., vielleicht bekommt dieser Isolationstreff mal einen anderen Namen.

Eines nur hat wirklichen Bestand. Die Flaschen im Regal, die Reihenfolge ihrer Aufstellung, der gewohnheitsmäßige Griff des Barkeepers danach.

Die Musik verteilt ihre Noten, Einsamkeiten und Depression kriechen aus ihren Verstecken, halten Schritt im Rhythmus. Die Isolation verteilt sich in gleichmäßigen Abständen, als wäre sie ein Schutzschild.

Die Zunge leckt über die Lippen. Worte verschlucken sich im Nichts. Die stummen Zeugen im Regal zeigen ihre bunte Seite.
Noch einmal das gleiche....
 



 
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