===JOLINO===
oder
Die vergeigten Ferien
Die Geige des Pantomimen Jolino ist kaputt und seine Traurigkeit kennt keine Grenzen. Wie aber repariert man eine unsichtbare Geige? Anja und Peter haben eine Idee...
Ferienzeit kann fĂŒr Kinder ja so langweilig sein, wenn Mama und Papa nicht in Urlaub fahren können und statt dessen im GemĂŒseÂŹladen hinter der Verkaufstheke stehen mĂŒssen. Die GeschĂ€fte aber liefen in diesem Jahr leider schlecht, und es ist einfach kein Geld fĂŒr eine Reise da. So streifen Anja und Peter mal wieder durch ihre kleine Stadt, kicken Papierkörbe um, malen bunte Gesichter auf graue BetonwĂ€nde, und Ă€rgern die kleineren Kinder auf dem Spielplatz. Wenn ihnen gar nichts besseres einfĂ€llt, dann Ă€rgern sich die Geschwister auch schon mal gegenseitig, und es ist gar nicht selten, dass ihnen nichts besseres einfĂ€llt.
Das ist ja alles so langweilig! Doch Moment, was ist denn das? Anja sieht ihn zuerst. Es ist der stadtbekannte Pantomime Jolino. Der sitzt am StraĂenrand und sein weiĂ geschminktes Gesicht zerflieĂt beinahe vor Traurigkeit. Als die Kinder sich nĂ€hern, klagt er lautlos mit groĂer Geste in Pantomimensprache, wie traurig er ist. Armer Kerl!
âWasân los mit dir?â fragt ihn Anja neugierig.
Der Pantomime deutet neben sich, zuckt hilflos mit den Schultern und dann fĂ€ngt er eine unsichtbare TrĂ€ne auf, die ihm ĂŒber die Wange lĂ€uft. Er verbirgt das Gesicht hinter seinen HĂ€nden, beginnt unhörbar zu weinen.
Die beiden Kinder schauen sich an. Peters Handbewegung zeigt eindeutig, dass er den Kerl fĂŒr etwas durchgedreht hĂ€lt. Er zieht Anja weiter. Sie sind nĂ€mlich gerade auf dem Weg zur Eisdiele, wo sich jeden Nachmittag die âDaheimgebliebenenâ treffen. Nun ist schon mal was los, da will Anja nicht mitkommen. Kaum zu glauben! Aber die kann einfach nicht ertragen, dass der Mann so traurig ist. Sie will bleiben, also muss sich Peter wohl oder ĂŒbel seiner jĂŒngeren Schwester fĂŒgen, bevor er sie am Ende noch verliert und Ărger bekommt.
Mit Grimassen versucht Anja zunĂ€chst, Jolino aufzumuntern. Der verzieht jedoch nur das Gesicht. Er bemĂŒht sich zwar, wieder zu lachen, aber es will ihm nicht gelingen. Nicht mal Hochhalten der Mundwinkel nutzt was. Es ist zum MĂ€use melken!
Anja ist verzweifelt. Irgendwie muss sie dem armen Kerl einfach helfen. Wer weiĂ, was ihm schreckliches passiert ist! Sie blickt auf die Stelle neben dem Pantomimen, auf die er vorhin gedeutet hat, aber sie kann nichts erkennen. Sie legt den Finger an die Nase und ĂŒberlegt.
âIst vielleicht was kaputt?â fragt sie, und als Peter quengelt, dass er jetzt endlich weitergehen will, meint sie voller Ăberzeugung: âIch denke, da ist was kaputt. Da muss was kaputt sein. Wenn er etwas verloren hĂ€tte, wĂ€re es ja nicht mehr hier, und er könnte nicht drauf zeigen.â
Nun lÀchelt Jolino doch noch, wenn auch ganz vorsichtig. Er zeigt erneut auf den unsichtbaren Gegenstand neben sich, dann ahmt er die Bewegungen eines Geigers nach. Dabei verzieht sich sein Gesicht, als hÀtte er in eine Zitrone gebissen.
âDie Geige ist kaputt!â ruft Anja ganz aufgeregt wĂ€hrend Peter stöhnt. Soviel zum Thema Eis schlemmen! Jolino nickt, und die Traurigkeit in seinen Augen zerreiĂt dem MĂ€dchen fast das Herz.
Zum GlĂŒck hat Anja eine rettende Idee. In der Stadt gibt es einen Geigenbauer, das weiĂ sie von ihrem Vater, der frĂŒher dieses Instrument immer so gerne gespielt hat. Das war, bevor die Familie den Laden aufgemacht hat. Peter ist zwar von der Idee nicht begeistert, aber Anja schleppt ihn, Jolino und die kaputte Geige einfach mit.
Der Geigenbauer ist ein vielbeschĂ€ftigter Mann und hat fĂŒr Firlefanz keine Zeit. Eine unsichtbare Geige reparieren, wo gibtâs denn so was? Also nein!
âAch, bitte, tun sie doch einfach soâ, fleht Anja, nachdem sie den Mann etwas zur Seite gezogen hat. âIch gebe ihnen auch mein Taschengeld vom ganzen Monat. Jolino ist doch sooo traurig!â
Das Bitten des kleinen MĂ€dchens erweicht schlieĂlich doch noch das Herz des Geigenbauers. Er nimmt die unsichtbare Geige, dreht sie hin, dreht sie her. Dann tut er so, als wĂŒrde er eine Saite einspannen und schlieĂlich âspieltâ er ein paar Töne. Zufrieden mit dem Ergebnis reicht er die reparierte Geige an Jolino. Doch auf dessen Gesicht zeigt sich nicht ein winziges LachfĂ€ltchen. Im Gegenteil, der Pantomime scheint tatsĂ€chlich noch trauriger als zuvor.
Anja kann es nicht verstehen, aber Peter weiĂ, was los ist. âMan muss das Ding schon richtig reparieren. Der Geigenbauer hat doch nur so getan als ob.â
Diese Einsicht erstaunt Anja nun doch. âWoher willst du das denn wissen? Du bist doch sowieso dagegen, dass wir Jolino helfen!â
âBin ich nicht. Ich will nur, dass wir es schnell hinter uns bringen, damit wir noch mit den anderen Eis essen können.â
âNa, dann hab du doch eine Idee, du Besserwisser!â
TatsĂ€chlich scheint Peter etwas eingefallen zu sein, denn plötzlich greift er sich die unsichtbare Geige, nimmt Anja bei der Hand und deutet Jolino, ihm zu folgen. Zu Anjas Ăberraschung landen sie im heimischen Wohnzimmer der Familie. Peter holt schnell Papas Geige aus dem Schlafzimmer. âDarauf spielt er eh nicht mehrâ, sagt er ĂŒberzeugt und reicht sie dem Pantomimen.
Jolino strahlt mit kindlicher Freude. Es ist ein wirklich schönes Instrument! Nur Anja sieht Ă€uĂerst skeptisch drein. Wenn das der Papa merkt! Jolino hĂ€lt die Geige ans Kinn, lĂ€Ăt den Bogen darĂŒber streichen, und â oh weh, das Ding gibt nicht einen Pieps von sich, schon gar keine wohltönende Geigenmusik.
Mit vor Staunen offenen MĂŒndern stehen Anja und Peter da, starren auf Jolino, der eine Geige spielt, die verstummt zu sein scheint. Nun sind sie genauso traurig wie Jolino. âPapa hĂ€tte sowieso nicht erlaubt, dass wir die Geige hergebenâ, meint Anja im hilflosen Versuch, sich und ihren Bruder zu trösten.
Da steht eben dieser Herr Papa plötzlich in der TĂŒr zum Wohnzimmer und sieht ganz schön irritiert aus. âWollte nur mal schauen, was ihr da so macht!â sagt er und betrachtet Jolino miĂtrauisch.
âEine Saite seiner Geige ist gerissenâ, sagen die Kinder wie aus einem Mund voller EnttĂ€uschung und deuten auf die unsichtbare Geige auf dem Tisch.
âDann repariert sie doch.â Typisch ahnungsloser Vater! Die Reaktion seiner Kinder ist ein genervtes Stöhnen. Peter schĂŒttelt den Kopf. âSo weit waren wir auch schon. Ist doch eine unsichtbare Geige!â Jolino zuckt traurig mit den Schultern und legt Papas Instrument liebevoll zurĂŒck in den Geigenkoffer, zupft gedankenverloren die stumme G-Saite.
Und da, mit einem Mal, breitet sich ein Grinsen auf Peters Gesicht aus, als wĂ€re er in einen GlĂŒhwĂŒrmchenschwarm geraten. âVielleicht mĂŒssen wir sie ja gar nicht sehen, um sie zu reparieren.â Anja sieht ihren Bruder einen Moment verwirrt an, dann grinst auch sie. âEh, gar nicht schlecht fĂŒr einen groĂen Bruder!â
Peter nimmt Papas Geige, spannt eine der Saiten aus und gibt sie Anja. Die wiederum spannt sie in Jolinos unsichtbare Geige ein. Und siehe da, schon hĂ€lt sie ein Instrument in der Hand, von der man nur die eine, eben die neue Saite sieht. Vorsichtig schlĂ€gt Anja die Saite an. Dann stimmt sie die Saite, schlĂ€gt nochmals an und plötzlich gibt die Geige einen wunderschönen, perfekten Ton von sich. Im nĂ€chsten Moment verschwindet die Saite vor den Augen der Kinder und Anja gibt voller Stolz Jolino die nun reparierte, unsichtbare Geige zurĂŒck.
Jolino kann endlich wieder lachen, und das ist was schönes, denn es macht alle Menschen glĂŒcklich, wenn die Pantomimen lachen.
Kurze Zeit spĂ€ter schon steht Jolino vor dem GemĂŒseladen der Familie und spielt auf seiner unsichtbaren Geige und die Musik, die durch die StraĂe schwebt, ist die wunderschönste Geigenmusik, die man sich vorstellen kann. GlĂŒcklich und ausgelassen tanzen die Kinder. Da kommt der Vater mit seiner Geige aus dem Laden und stimmt in die flotte Melodie des Pantomimen ein. Nun kommen von ĂŒberall her die Leute herbeigelaufen, um den beiden zu lauschen. WĂ€hrend sie vor dem Laden stehen, sehen die Menschen all die leckeren FrĂŒchte, und jeder kauft ein Pfund oder auch zwei der saftigen Pfirsiche und der leckeren Birnen.
âDas Klingeln der Kasse ist beinahe so schön wie die Geigenmusikâ, sagt die Mutter von Anja und Peter glĂŒcklich. âDa könnten wir morgen Nachmittag eigentlich alle zusammen an den See fahren!â
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