Am Sonntag traf man sich bei Tante Annie zum Kaffeekränzchen. Kaffee plus Kranz plus Kuchen. Alles wurde darin vermengt; Grundzutaten wie Mehl, Milch, Butter, Ei, Salz und Zucker zu Teig verrührt - das ist der Ton, der die Musik macht - und dann Rosinen, Nüsse, Marzipan, Schokolade und andere Kleinteile in das Gesamtkuchenwerk eingestrudelt. Die Kinder mochten diese Kaffeekränzchen; alle hatten ihre Mutter in sicherer Nähe, sicher, dass die nicht jeden Moment aufbrausen oder abhauen würde, beschäftigt wie sie war mit ihrem Kaffee, dem Kuchen und den Kommentaren. meinemeinung.de gab es damals noch life, von Mund zu Mund und Angesicht zu Angesicht mitsamt aller dazugehörigen Gerüche, vom Haarspray Tante Annies über die Reste der Kochdünste, die in Tante Hildes Haaren hängen geblieben waren, bis hin zum Windelriechen-Rest.
Jetzt wurde alles vom Kaffeeduft übertüncht. "Ist das nun Tchibo oder Eduscho?", fragte Tante Elsbeth. "Also ich finde den neuen Gnade-dir-Gott-Kaffee ja toll", wandte das Lenchen ein, dem aber niemand zuhörte, alleine schon, weil sie nur Tante, nie aber mehr geworden war. Denn hier ging es nicht um Anfang und Ende der Welt. So durfte Tante Lenis Neuigkeit zwar ihr Coming out haben, doch die Meinung dazu zählte dann doch mehr, in ihrem Fall, dass es keine gab.
Schon wahr, dass das Kaffeekränzchen eines jener Vergnügen ist, bei dem man sich begnügen muss. Nichts da mit Projekt X oder Plan B, keine Verschwörung, kein hehres oder höheres Ziel, das gesucht und oder angestrebt würde, erst Recht nicht verfolgt. Nichts weiter passiert, als Geschmacksurteile und Neuigkeiten auszutauschen, neue und alte, bei Kaffee und Kuchen.
Manchmal, um so den Verstrickungen des Alltags oder eben doch dem, was da tief unten im Gedächtnis wühlt, zu entgehen, manchmal, um Neues zu erfahren. Mit Kaffeekränzchengeplauder kann man von Seerosenblatt zu Seerosenblatt hüpfen und wird dabei nur an den Füßen ein kleines bisschen nass, aber man geht nicht unter. Und so haben auch Kaffeekränzchen ein Ziel beziehungsweise einen Zweck, auf den sie sich eingeschworen haben: Sich nur ja nie unterkriegen zu lassen, nie nie nie. Weder vom Leben noch vom Tod und erst Recht nicht von der Nachbarin, des Teufels kleiner Großmutter.
Und Kaffeekränzchenplaudereien zehren allzu oft von dieser einen Wahrheit, die die Teilnehmer alle kennen und miteinander teilen, wenn auch nicht mitteilen, denn darüber braucht man wahrlich nicht mehr groß zu reden: Mein Gott, wir wissen alle, dass das Leben eine Wanderschaft ist, die mal auf gerader Strecke gut und lustig voran geht, mal sich in Feuchtgebieten von einem unsicheren Halt zum nächsten sprunghaft gestaltet (o Sprache!), dann steil bergauf führt oder schnurstracks in den Abgrund ... und ach herrje, wissen wir doch, dass unter allem, mitten im Mittelpunkt der Erde, ein feurig heißer Kern steckt, eine brodelnde Masse, zu besichtigen in der Nähe von Neapel oder im Norden der USA, wo ganze Felder kochend heiß vor Hitze übersprudeln, und wo die Erdkruste deshalb stellenweise aussieht wie eine aufgeplatzte Wunde. Aber das wollen wir doch nicht andauernd wissen. Da schütten wir uns lieber ein Likörchen in den Kaffee. Noch mehr davon und wir wissen von gar nichts mehr.
Und wir, ebenso bezirzt, sehen jetzt auch endlich die hübschen Blumenkränzchen auf ihren seidigen Haupthaaren, in der einen Hand schweben die Kaffeetassen zwanzig Zentimeter schräg unter der Nase und nochmals etwas darunter fliegen die Untertassen, ganz Wonne alles, bei dem Dunst ..
Während also die Tanten sich im Wohnzimmer gelegentlich eine Kirschpraline zum Kaffee einwarfen, saßen die Onkels auf eine Runde Bier mit Wurst in der Bude. So hieß der inoffizielle Verkaufsraum zwischen Garage und Wohnhaus, da, wo die Bier-, Cola-, Fanta- und Gerolsteiner-Sprudelflaschenkästen gestapelt waren, und wo seinemeinung.de vorweggenommen wurde. Onkel Oswald verdiente sich wochentags mit dem Verkauf der Getränke ein bisschen was dazu, sonntags gab es außerdem Wurst und Salzstangen. Davon hatte man dann Durst, anders als bei den Tanten, die nur Kaffee zu Kuchen tranken. Niemand trinkt Kaffee, weil er Durst hat. Kaffeetrinken ist eine der Arten, seinen Durst mit Kuchen zu verschleiern. Den Durst nach mehr. Beim Bier war es der Durst nach Wurst. Ihr wisst schon: Was sich reimt, das frisst sich. Weiß ich. Auch das dient zur Verschleierung.
Es waren genauso Bierkränzchen wie im Wohnzimmer die Kaffeerunden stattfanden, aber das machte weniger die Runde als Toni, das einzige Kind, das sich immer mal wieder auch in die Höhle der Löwen wagte, da, wo man endlich einmal mit den Themen fertig werden wollte, die alle anderen nichts angingen. Toni aß lieber Wurst als Kuchen.
Schtt!! hörte man als erstes, sobald Toni sich im falschen Moment näherte, das heißt jedes Mal. Was willst du? sagte dann Onkel Oswald laut, eine Wurst?! Schon lachten alle, jeder auf seine Art, der eine schallend, der andere grinsend. Der Vater lächelte verlegen. Das war der Grund, warum Toni das Angebot ablehnte und ganz unhöflich, ohne nein danke zu sagen Kopf schüttelnd auf dem Absatz kehrt machte. So langsam wie man sich herangetastet hatte, so schnell wollte man jetzt Reißaus nehmen. Na komm, sagte der Vater dann, stell dich nicht so an! Schon machte Toni noch einmal kehrt und nahm das Stückchen Wurst, das Onkel Oswald in der ausgestreckten Hand hielt, an.
Zurück beim Kaffeekränzchen lachte man auch darüber. Toni, hieß es, ginge es immer nur um die Wurst. Die Wurst in allen ihren Bestandteilen und Bedeutungen. Im wahrsten Sinn des Wortes sowie im übertragenen, will heißen Wurst als Materie, was irgendwie heißt, als etwas Greif- und Essbares, Wurst als Wert und Wurst als Wort, als Synonym, Symbol oder Metapher. Irgendwie, dachte Toni damals schon trotzig, ging es doch auch bei Onkel Oswald und wer weiß, wo sonst überall noch immer nur um die Wurst.
Hier aber, beim Kaffeekränzchen taten sie weiter so, als ginge es um weiter nichts als Kaffeedunst. Mal um das Thema "Tante Hedwig und das Flüwatüt" (hat sie immer noch nicht verstanden, was das ist, denk nur!), mal um die Schuhe von Heinchens Rosi bei der letzten Kranzniederlegung am Denkmal für die gefallenen Soldaten (gelb!) und mal um die Zahl der Kränze auf dem Grab von Adenauer (so viele!). Kurz: Es ging vor allem um das Drumherum, die Hülle, darum, worin etwas eingemacht worden war, um die Grabbeilegungen und den Schmuck sowie die Verpackung, aber nie, nie ging es um das, was da nun wirklich drin war oder dahinter gesteckt hatte. Aufdeckung war wie gesagt hier Sache nicht.
Tante Annie wollte endlich hören, wie viel Arbeit und Liebe sie in den Kuchen hineingesteckt hatte, abgesehen von all den Zutaten, die sie sie ja nun schon preisgegeben hatte. Tante Rosa meinte, dass sie dann aber ihr Rezept nicht hätte verraten dürfen, genauso wenig wie der Hersteller von Coca Cola das mit dem seinen machte. Denn das seien nun mal diejenigen, die auf dem Markt sich am besten behaupteten, im Gegensatz zu den Plaudertaschen. Und Tante Clementine fügte sofort hinzu, dass um das Geheimnis dann aber trotzdem auch viel Drumherum geredet werden müsse, denn sonst interessiere es auch wieder keinen Menschen.
Toni machte sich fünf Minuten später wieder auf zur Onkelrunde in der Bude. Dort wurde weiter sehr viel um die Wurst herum geheim gehalten, darum, dass doch jeder wisse, was da drin sei, und dass sowieso nur zähle, wo sie dann rein gesteckt würde, in wessen Mund, was sonst. Tatsächlich ging es aber eigentlich um noch viel mehr, nach der dritten Flasche Bier.
So zockten sie und rissen Zoten, während bei den Tanten zunehmend getüttelt und gekichert wurde.
Jetzt wurde alles vom Kaffeeduft übertüncht. "Ist das nun Tchibo oder Eduscho?", fragte Tante Elsbeth. "Also ich finde den neuen Gnade-dir-Gott-Kaffee ja toll", wandte das Lenchen ein, dem aber niemand zuhörte, alleine schon, weil sie nur Tante, nie aber mehr geworden war. Denn hier ging es nicht um Anfang und Ende der Welt. So durfte Tante Lenis Neuigkeit zwar ihr Coming out haben, doch die Meinung dazu zählte dann doch mehr, in ihrem Fall, dass es keine gab.
Schon wahr, dass das Kaffeekränzchen eines jener Vergnügen ist, bei dem man sich begnügen muss. Nichts da mit Projekt X oder Plan B, keine Verschwörung, kein hehres oder höheres Ziel, das gesucht und oder angestrebt würde, erst Recht nicht verfolgt. Nichts weiter passiert, als Geschmacksurteile und Neuigkeiten auszutauschen, neue und alte, bei Kaffee und Kuchen.
Manchmal, um so den Verstrickungen des Alltags oder eben doch dem, was da tief unten im Gedächtnis wühlt, zu entgehen, manchmal, um Neues zu erfahren. Mit Kaffeekränzchengeplauder kann man von Seerosenblatt zu Seerosenblatt hüpfen und wird dabei nur an den Füßen ein kleines bisschen nass, aber man geht nicht unter. Und so haben auch Kaffeekränzchen ein Ziel beziehungsweise einen Zweck, auf den sie sich eingeschworen haben: Sich nur ja nie unterkriegen zu lassen, nie nie nie. Weder vom Leben noch vom Tod und erst Recht nicht von der Nachbarin, des Teufels kleiner Großmutter.
Und Kaffeekränzchenplaudereien zehren allzu oft von dieser einen Wahrheit, die die Teilnehmer alle kennen und miteinander teilen, wenn auch nicht mitteilen, denn darüber braucht man wahrlich nicht mehr groß zu reden: Mein Gott, wir wissen alle, dass das Leben eine Wanderschaft ist, die mal auf gerader Strecke gut und lustig voran geht, mal sich in Feuchtgebieten von einem unsicheren Halt zum nächsten sprunghaft gestaltet (o Sprache!), dann steil bergauf führt oder schnurstracks in den Abgrund ... und ach herrje, wissen wir doch, dass unter allem, mitten im Mittelpunkt der Erde, ein feurig heißer Kern steckt, eine brodelnde Masse, zu besichtigen in der Nähe von Neapel oder im Norden der USA, wo ganze Felder kochend heiß vor Hitze übersprudeln, und wo die Erdkruste deshalb stellenweise aussieht wie eine aufgeplatzte Wunde. Aber das wollen wir doch nicht andauernd wissen. Da schütten wir uns lieber ein Likörchen in den Kaffee. Noch mehr davon und wir wissen von gar nichts mehr.
Und wir, ebenso bezirzt, sehen jetzt auch endlich die hübschen Blumenkränzchen auf ihren seidigen Haupthaaren, in der einen Hand schweben die Kaffeetassen zwanzig Zentimeter schräg unter der Nase und nochmals etwas darunter fliegen die Untertassen, ganz Wonne alles, bei dem Dunst ..
Während also die Tanten sich im Wohnzimmer gelegentlich eine Kirschpraline zum Kaffee einwarfen, saßen die Onkels auf eine Runde Bier mit Wurst in der Bude. So hieß der inoffizielle Verkaufsraum zwischen Garage und Wohnhaus, da, wo die Bier-, Cola-, Fanta- und Gerolsteiner-Sprudelflaschenkästen gestapelt waren, und wo seinemeinung.de vorweggenommen wurde. Onkel Oswald verdiente sich wochentags mit dem Verkauf der Getränke ein bisschen was dazu, sonntags gab es außerdem Wurst und Salzstangen. Davon hatte man dann Durst, anders als bei den Tanten, die nur Kaffee zu Kuchen tranken. Niemand trinkt Kaffee, weil er Durst hat. Kaffeetrinken ist eine der Arten, seinen Durst mit Kuchen zu verschleiern. Den Durst nach mehr. Beim Bier war es der Durst nach Wurst. Ihr wisst schon: Was sich reimt, das frisst sich. Weiß ich. Auch das dient zur Verschleierung.
Es waren genauso Bierkränzchen wie im Wohnzimmer die Kaffeerunden stattfanden, aber das machte weniger die Runde als Toni, das einzige Kind, das sich immer mal wieder auch in die Höhle der Löwen wagte, da, wo man endlich einmal mit den Themen fertig werden wollte, die alle anderen nichts angingen. Toni aß lieber Wurst als Kuchen.
Schtt!! hörte man als erstes, sobald Toni sich im falschen Moment näherte, das heißt jedes Mal. Was willst du? sagte dann Onkel Oswald laut, eine Wurst?! Schon lachten alle, jeder auf seine Art, der eine schallend, der andere grinsend. Der Vater lächelte verlegen. Das war der Grund, warum Toni das Angebot ablehnte und ganz unhöflich, ohne nein danke zu sagen Kopf schüttelnd auf dem Absatz kehrt machte. So langsam wie man sich herangetastet hatte, so schnell wollte man jetzt Reißaus nehmen. Na komm, sagte der Vater dann, stell dich nicht so an! Schon machte Toni noch einmal kehrt und nahm das Stückchen Wurst, das Onkel Oswald in der ausgestreckten Hand hielt, an.
Zurück beim Kaffeekränzchen lachte man auch darüber. Toni, hieß es, ginge es immer nur um die Wurst. Die Wurst in allen ihren Bestandteilen und Bedeutungen. Im wahrsten Sinn des Wortes sowie im übertragenen, will heißen Wurst als Materie, was irgendwie heißt, als etwas Greif- und Essbares, Wurst als Wert und Wurst als Wort, als Synonym, Symbol oder Metapher. Irgendwie, dachte Toni damals schon trotzig, ging es doch auch bei Onkel Oswald und wer weiß, wo sonst überall noch immer nur um die Wurst.
Hier aber, beim Kaffeekränzchen taten sie weiter so, als ginge es um weiter nichts als Kaffeedunst. Mal um das Thema "Tante Hedwig und das Flüwatüt" (hat sie immer noch nicht verstanden, was das ist, denk nur!), mal um die Schuhe von Heinchens Rosi bei der letzten Kranzniederlegung am Denkmal für die gefallenen Soldaten (gelb!) und mal um die Zahl der Kränze auf dem Grab von Adenauer (so viele!). Kurz: Es ging vor allem um das Drumherum, die Hülle, darum, worin etwas eingemacht worden war, um die Grabbeilegungen und den Schmuck sowie die Verpackung, aber nie, nie ging es um das, was da nun wirklich drin war oder dahinter gesteckt hatte. Aufdeckung war wie gesagt hier Sache nicht.
Tante Annie wollte endlich hören, wie viel Arbeit und Liebe sie in den Kuchen hineingesteckt hatte, abgesehen von all den Zutaten, die sie sie ja nun schon preisgegeben hatte. Tante Rosa meinte, dass sie dann aber ihr Rezept nicht hätte verraten dürfen, genauso wenig wie der Hersteller von Coca Cola das mit dem seinen machte. Denn das seien nun mal diejenigen, die auf dem Markt sich am besten behaupteten, im Gegensatz zu den Plaudertaschen. Und Tante Clementine fügte sofort hinzu, dass um das Geheimnis dann aber trotzdem auch viel Drumherum geredet werden müsse, denn sonst interessiere es auch wieder keinen Menschen.
Toni machte sich fünf Minuten später wieder auf zur Onkelrunde in der Bude. Dort wurde weiter sehr viel um die Wurst herum geheim gehalten, darum, dass doch jeder wisse, was da drin sei, und dass sowieso nur zähle, wo sie dann rein gesteckt würde, in wessen Mund, was sonst. Tatsächlich ging es aber eigentlich um noch viel mehr, nach der dritten Flasche Bier.
So zockten sie und rissen Zoten, während bei den Tanten zunehmend getüttelt und gekichert wurde.