Katzenauge

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para_dalis

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Katzenauge

Es dämmerte bereits und der Nebel tauchte die Landschaft in ein milchiges Licht, das nur von den orangenen Tönen der Blätter aufgelockert wurde. Sie lief und lief und befürchtete, dass ein vorüber fahrender Wagen sie erfassen könne. Sie sprang in den Graben neben der Straße, wenn sie die Geräusche der sich nähernden Fahrzeuge hörte, und es schien, als wolle sie nicht bemerkt werden. Nur Wald war um sie und die Straße. Eine Straße, die durch den Wald führte.

Den Abend zuvor hatte sie in einer Bar verbracht.
Sie saß am Tresen. Ihr Blick ging nach innen und sie drehte das Glas in ihren Händen. Selbst die sonst so ausgehungerten Männer, die dankbar für jede Abwechslung eben auch diese Bar aufsuchten, sprachen die Frau nicht an, oder übersahen sie. Sie hatte so etwas abweisendes, eben etwas nach innen gekehrtes.
Den Kopf hielt sie gesenkt.
Sie hatte einen schlechten Platz. Immer wenn sich die Tür öffnete, erkannte sie aus den Augenwinkeln urinierende Männer. Die Hosen hingen zwischen den Kniekehlen und die Handbewegung nach dem Verstummen des Geräusches ließ sie einen Brechreiz bekämpfen. Gegenüber der Toiletten hörte sie das Klappern der Töpfe und die Flüche des Koches. Sie mochte sich nicht vorstellen, was in den Köpfen kochte, und was die Gäste zu speisen gedachten. Ihr Kopf schmerzte, ihre Augen tränten. Ihr Augapfel, der rechte, begann sich vorzuwölben. Es hatte zugenommen im Laufe der Jahre. Es muss sich eingeschlichen haben. Immer öfter wurde sie auf die unterschiedliche Größe ihrer Augen angesprochen.

Die unterschiedliche Größe und Auffälligkeit ihrer Augen war die eine Sache. Die Schmerzen hinter dem Auge eine andere. Morgens, sie war meist noch nicht richtig wach, begann sich dieser dumpfe Schmerz bereits anzukünden. Gegen Mittag war der Schmerz so präsent, dass sie nur noch in ihre abgedunkelte Wohnung wollte. Sie verlagerte ihre Arbeitszeit. Und ging tagsüber schließlich gar nicht mehr ins Freie. Ihre Augen, besonders das rechte, wurden immer lichtempfindlicher. Die Schmerzmittel wurden stärker. Und verloren dennoch immer wieder ihre Wirkung.
Sie begann schlecht zu träumen. Sie träumte von Katzen auf Bäumen, die sie im Dunkeln pflückte und in ihren Beutel packte. Sie träumte von Katzen, die sie anzündete. Die kleinen, süßen Katzenköpfchen brannten lichterloh und sie hielt eine sterbende Katze zur nächsten noch Lebenden, um das Feuer auch auf sie zu übertragen. Sie schämte sich für ihre Träume und beschloss nicht mehr zu schlafen. Sie blieb tage- und nächtelang wach und die Schmerzen verschlimmerten sich. Sie wurde abweisend und unausstehlich, und fühlte sich missverstanden. Sie wollte nicht so sein wie sie war. Ihr Auge hatte ihre Psyche verändert.

Manchmal saß sie in ihrer dunklen Ecke des großen, geräumigen Zimmers und wollte sich das Auge aus der Augenhöhle reißen. Es einfach von sich werfen, das große, glotzende Auge. Und manchmal begab sie sich im Dunkeln aus dem Haus und suchte verschiedene Lokale auf, in der Hoffnung, sich ablenken zu können. Dann saß sie zwischen abgerissenen Arbeitern und urinierenden Geschäftsmännern in einer Kneipe und stellte sich vor, was in den Köpfen kochte, und was die Gäste verspeisten. Sie konnte ihren Augapfel hinein werfen, es würde nicht bemerkt werden. Die Gäste starrten auf den überdimensionalen Bildschirm an der Decke in der Mitte des Raumes und schaufelten das Essen in sich hinein. Es könnten Augäpfel sein. Es könnten andere Dinge sein, die in den Köpfen vor sich hin brodelten, es würde nicht bemerkt werden. Es könnten die angebrannten Katzen sein, die wie Äpfel an den Bäumen hingen, auch das würde niemand merken.

An guten Tagen, wenn ihr Auge weniger schmerzte, betrachtete sie die Menschen. Sie bemerkte hervorstehende Adern auf alten Handrücken, die sichelförmig angeordnet waren, oder auch andere Glotzaugen. Dann wollte sie die Person ansprechen und nach ihren Schmerzen fragen. Sie unterließ es. An anderen Tagen war sie bemüht, sich abzulenken. Sie besuchte mittelmäßige Lesungen in unterirdischen Mauern oder betrachtete Kunstwerke, die sie so gar nicht als Kunst betrachten konnte. Sie fragte sich, was ein einzelnes Plastikreh hinter Glas aussagen wollte oder warum Eva, die sehnsuchtsvoll und mit perlenverhangenem Gesicht nicht zum Apfel fand. Sie verstand nicht, warum zwei Stühle hinter einem Vorhang die Besucher einluden, einem alten Mann beim onanieren beizuwohnen.
Die Versuche sich abzulenken, waren von wirklich kurzer Dauer. Sie schlief immer weniger und die Schmerzen nahmen zu. Das Auge begann zu zucken, der Schmerz wurde unerträglich. Es war, als ob ihr rechtes Auge den Schädel verlassen wollte und es nicht konnte. Es wollte aus ihrem Kopf. Es führte schon längst ein Eigenleben.

Einmal, es dämmerte bereits und der Nebel verdunkelte die Landschaft, war es ihr gleich, ob ein Auto sie erfassen würde. Sie sprang in keine Gräben mehr und sie verließ auch nicht mehr die Mitte der Straße, als sie das herannahende Fahrzeug hörte. Sie warf das schmerzende Auge von sich. Sie riss es sich einfach aus der Höhle und warf es mitten auf die Straße.
 
so intensiv ...

hi heike,

deine bildersprache so intensiv, surrealistisch, bedrückend einerseits, aber auch mit einer mit einer prise anarchie
nach dem motto: "mach kaputt, was dich kaputt macht" oder so ähnlich(?)

augen als spiegel der seele - sehen zu viel - mutieren zu katzenaugen, sie sehen tags und nachts - all die hässlichen bilder werden unerträglich - die rettung: sich vom "sehen" befreien, lieber blind und tot(?)
bzw. die seele will sich dem außen nicht mehr offenbaren?

deine bilder könnten einem bunuel film entsprungen sein

habe nun schon einiges von dir gelesen, liebe heike, aber diese story gefällt mir besonders gut
kleine kritik am rande: der schluss - als leser erwartet man etwas mehr, naja ich zumindest ... d.h. beruhigendes, tröstendes u.ä.

so long
 

para_dalis

Mitglied
danke dir!

;-)

mit den schlüssen habe ich so meine schwierigkeiten.

;-)

will ich schnell fertig werden? will ich meine gedanken, (meine schmerzen?)
schnell los werden? mich nicht mehr damit befassen und es von mir reißen??

und es gibt nun mal leider nicht immer etwas tröstendes. manches ist wie es ist.

doch das ist vielleicht schon wieder zu eigensinnig, zu engstirnig. wenn man schreibt, schreibt man zu gefallen des lesers oder um sich zu befreien? ideal ist wohl, wenn man beides vereinen kann.
ich arbeite dran.
versprochen!

und nochmal
danke!!

Gruß
Heike
 



 
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