Keep in touch

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Anonym

Gast
Keep in touch

Ich habe echt Glück mit den Leuten, mit denen ich die Freizeit verbringe. Wenn ich mir anschaue, wie die anderen so drauf sind und was DIE treiben, hey, da bin ich noch gut dran. Ungelogen jetzt. Gerade am Samstag Abend. Ich meine, Samstag Abend, das ist doch der coolste Tag der Woche. Da sollte man nicht vor seinem Fernseher hocken und sich die Birne käsig starren beim Fußball. So wie Jerzy. Meine Güte, dauernd versuche ich, ihn dazu zu bringen, etwas mit mir zu unternehmen, wenigstens am Samstag.

Stattdessen hockt er nur auf der Couch mit einer Dose Bier auf seinem Bauch (die steht da einwandfrei ohne jede Schieflage) und guckt Fußball. Für mich das ödeste Spiel der Welt, allein deshalb schon, weil es für mein Gefühl viel zu oft Null zu Null ausgeht. Anderthalb Stunden für nichts und wieder nicht.
Damit Fußball für mich interessanter wäre, müssten mindestens zwei Bälle mehr auf dem Spielfeld rumfliegen und nicht alle dauernd in die Abseitsfalle laufen.
Die ich noch nie kapiert habe. Jerzy ist aber auch ein mieser Erklärer.

Wenn ich Fußball spielen würde, würde ich zusehen, dass ich den Ball ins Tor kriege. Das klingt jetzt banal, aber wenn ich Jerzy richtig verstanden habe, denken die meisten Spieler ans Team (wenn er nach einer Erklärung sucht, warum kein Tor fällt). Sie nennen es Teamgeist und ich soll das Wort im Duden nachschlagen, wenn´s mir nicht geläufig ist.
Das einzige, was ICH sehe, sind ein Haufen Leute, die ständig aufeinander liegen und sich besabbern.
Der Schiedsrichter pfeift und Jerzy rastet aus. „Ich schmeiß gleich mein Bier in den Fernseher!“, droht er.

„Jerzy? Was geht heute ab?“
Jerzy könnte heute Abend Zeit für mich haben; Fußball ist nachmittags.
Jerzy wendet seinen Blick nicht vom Bildschirm ab. „Was soll abgehen, Kleines? Wir machen einen drauf.“
„So wie letzten Samstag, Jerzy?“
„Du hast es erraten.“ Er ärgert sich, dass der Reporter auf die schlechte Presse seines Clubs zu sprechen kommt.
Letzten Samstag! Ich verziehe das Gesicht. Meine Frage war ironisch gemeint gewesen, aber wenn Jerzy Fernsehen guckt, merkt er nichts. Wie ein Kaninchen starrt er auf den Torkeeper.
„Wo soll´s denn hingehen?“, fragt er. „Ich bin zu Petes Party eingeladen.“
Ich auch. Ich habe es ihm ausgerichtet. Schon vor einer Woche. Seitdem überlege ich, ob wir hingehen sollen.
Mein erster Gedanke, wenn ich aufwache, mein letzter, wenn ich schlafen gehe.
Okay, übertrieben.
Jerzy schlägt vor, dass ich ihn später noch mal anrufe soll, so um Zehn, dann weiß er Genaueres.

Seufzend rufe ich Maja an und sage ihr, dass sich Jerzy noch nicht entschieden hat. Erst ab Zehn.
„Diese Vollidioten“, schimpft sie. Sie hat gerade eine ähnliche Konversation mit Diesel erlebt. Der hat gesagt, dass er heute Abend definitiv um Neun bei Matze sein muss, weil sein Rechner am Arsch ist. Na wunderbar. Bevor das nicht hingebogen ist, geht´s nirgendwo hin für Diesel, denn Matze hat vielleicht einen Auftrag. Das betrifft auch Diesel, denn über kurz oder lang will er bei Matze einsteigen.
„Na schön, und jetzt, Maja?“, frage ich.
Maja rechnet nach. „Also ich glaube, dass halb Elf realistisch ist, was Diesel betrifft.“
„Okay, und Jerzy gibt Parole um Zehn. Aber was machen wir bis dahin? Es ist Acht.“
„Wollen wir eine Cola trinken?“
„Okay, triff mich in der Oranienstraße, Ecke Schöneberger.“
Ich gehe zur S-Bahn und fahre los. Unterwegs schreibe ich Sabs eine SMS, dass ich mit Maja um halb Neun auf der Oranienstraße verabredet bin. Sabs meldet sich gleich zurück, dass sie in einer anderen Richtung mit dem Bus unterwegs ist, zu Mikey. Mikey hat Geburtstag – habe ich das vergessen?
Habe ich nicht. Der Idiot hat mich nicht eingeladen.

Genervt checke ich meine Mailbox. Trixi ist drauf, sie hat sich definitiv entschieden, zu Petes Party zu gehen und da Pete gesagt hat, Jerzy kommt, denkt sie, dass ich auch komme und „Küsschen, bis später“. Um viertel vor Neun ist Maja immer noch nicht in der Oranienstraße; dann ruft sie an, dass ihre Mutter angefangen hat zu heulen und in der Küche sitzt und sich umbringen will. Maja will später in die Disco kommen, dann ist bestimmt auch Diesel mit dem Rechner so weit und ich soll Sabs anrufen.
Okay, ich bleibe ruhig. Der Abend läuft phantastisch.
Weil ich Zeit habe, hole ich mir schnell einen Kaffee und sondiere das Terrain. Unsere Clique besteht aus ungefähr 20 Leuten, also festen 20 Leuten, da gibt’s noch ne Menge elliptische Umlaufbahnen (den Ausdruck hat Jerzy geprägt), die wiederum unsere Umlaufbahn kreuzen. Plusminus sind wir hundert. (Ich sag ja, ich hab Glück, ich kenne viele Leute).

Ich checke weiter meine Angebote. Jana geht auf ein Konzert, für das es noch Karten gibt, ich kann mitkommen, aber die Musik macht mich nicht an, Deutschrap, nein danke. Nicht mein Lebensgefühl.
Ellyn turnt auf irgendeiner Sportveranstaltung. Ohne Quatsch jetzt. Das fällt natürlich flach, mir steht Smstag Abends nicht der Sinn nach Leibesübungen.
Ich möchte gar nicht wissen, welche Nase sich das ausgedacht hat, wahrscheinlich so ein Sportvereinsfuzzi, der findet, dass Mädchen Samstags Nachts nicht auf die Straße gehören.

Toby ist mit Daniel auf dem Weg zum Türken, Döner essen. Später wollen sie zu Pete. Ich gucke mir den Stadtplan an: Dieser Döner ist mit der U-Bahn in einer halben Stunde zu erreichen. Ob ich dann mit zu Pete gehe, lasse ich offen – kommt drauf an, was Jerzy macht.
In der U-Bahn telefoniere ich mit ein paar Leuten, bei denen noch nicht klar war, was sie vorhaben, Vanessa gab ihr übliches „Mal sehn, was sich ergibt“ zum Besten, Samira ihr übliches „Keine Ahnung, ich ruf dich später an“, Conny ihr übliches „Ich habe gerade Sex mit Tom.“

Ich komme nur eine Viertelstunde zu spät bei Toby und Daniel an. Sie essen Auberginen in Joghurtsoße und ich darf reindippen. Wir besprechen, was wir machen wollen und wer wohin will und wer wohin kommt.
Ivan fällt aus, sagt Daniel, er ist zu seiner Oma nach Hiddensee gefahren. Es kann ihn keiner anrufen, weil er das Handy nicht mitgenommen hat. Sagt sein HANDY. Wir gehen den Rest durch: Michelle ist auf der Konkurrenzparty von Pete eingeladen. Sie ist Petes Ex-Freundin und findet, dass Storky ihr näher steht als Pete. Jetzt müssen wir Storkys Party noch einbauen. Pete und Storky wohnen in verschiedenen Stadtteilen. Ein Teil von der Clique soll dahin fahren, der andere dorthin und jeweils schöne Grüße bestellen.
Toby sagt, das kommt nicht in Frage, dass du allein zu Storky fährst, entweder wir fahren alle oder keiner.
„Oder wir bleiben in der Stadt und gehen in die Disco“, sagt Daniel.
„Oder das“, nickt Toby.

Mein Nachrichtenticker summt: Mikey lädt mich endlich zu seiner verdammten Geburtstagsparty ein. Gerade noch mal die Kurve gekriegt, Kleiner! Noch ein Summen: Timo ist dran und fragt, ob er einen Abstecher zu Pete machen soll, er ist gerade bei ihm in der Nähe. Wer sonst noch so bei Pete ist?
Ich lüge ihm vor, dass wir schon so gut wie auf dem Weg sind und Jerzy sicher kommt. Und Maja schon da ist. Timo ist ein heikler Fall. Er geht RATFATZ auf Parties von anderen Leuten, wenn man ihn nicht warmhält. Ein spontaner Auf- und Abspringer, so ein Trittbrettfahrer. (Das fehlte noch, das der zu einer anderen Clique überläuft).

Na ja. Unser kleines System funktioniert nur, wenn alle gleichzeitig in Aktion treten. Wenn heute Abend also gleichzeitig Majas Mutter aufhört zu heulen, Matzes Rechner wieder funktioniert (damit Diesel weg kann), Jerzys Fußballübertragung vorbei ist und Jana und Samira sich entschieden haben, zu Pete zu kommen, Conny mit dem Sex fertig sind und Ellyns Sportfuzzi mit einer Salmonellenvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert wurde.

Letzten Samstag beispielsweise hat`s nicht geklappt. Blöde Anfängerfehler. Zu viele vage Absagen, nicht zurückgerufen etc.. Dann ist jeder von uns in einer anderen Ecke der Stadt verblödet, ohne dass was abgegangen wäre. Es soll ja bald Handys geben, die einen auf dem Stadtplan abbilden, wenn man miteinander telefoniert. Wir werden dann lauter so kleine Leuchtpunkte sein – alle. Ich stelle mir das aufregend vor.
Natürlich denke ich manchmal auch, man könnte sich einfach so verabreden, ganz verbindlich und so. Aber ich glaube, es hat zu viele Nachteile. Am Ende hängen wir alle bei Storky auf der Party herum, obwohl die von Pete cooler war (oder umgekehrt). Ein Sackgassenabend.

„Also was ist jetzt, Jerzy“, frage ich, „es ist Zehn!“
„Ich bleib hier!“, knatscht Jerzy mit Erdnussflips im Mund (er ernährt sich von Erdnussflipps), „jetzt kommt Boxen.“
Gott, wie ich das alles hasse.
„Und was mache ich?“, frage ich. Er gibt keine Antwort, wahrscheinlich ist er schon wieder absorbiert von der Kiste.
Ich bin also zu ihm gefahren. Boxen gucken. Ein genialer Abend.
Nächsten Samstag muss das alles anders werden. Sage ich zu Jerzy.
„Nächsten Samstag?“, fragt er, das Bier auf dem Bauch. „Aber da fängt die Tour de France an, Püppchen!“
 



 
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