Kein Thema
Es war Freitag Abend und ich hing wieder einmal bei Anni an der Bar herum. Die Gäste lauschten ausnahmslos der Musik, denn die von Anni vorgegebene Lautstärke unterband ohnehin jede sinnvolle Unterhaltung. Ich mochte das. Man konnte sich auf die visuellen Eindrücke beschränken und der Musik im Unterbewusstsein einen Kontext dazu herstellen lassen. Eben hämmerten die Troggs ihren alten Hit "I can´t control myself" aus den Lautsprechern. Ich bestellte noch ein Bier - das wievielte eigentlich? Egal, Anni schrieb mit.
"Servus Dichterfürst, ist noch ein bisschen Platz da?" Brüllte irgendwann eine Stimme fünf Zentimeter neben meinem rechten Ohr gegen Status Quo´s "Whatever you want" an. Ich hatte den Neuankömmling, der sich ohne eine Antwort abzuwarten, zwischen mich und meinen Barnachbarn presste schon öfters gesehen, aber ausser dass man ihn Toni nannte, wusste ich nichts von ihm. Es ging inzwischen auf Mitternacht zu und mehrmals schien mir, als wollte Toni zu einem Gespräch ansetzen, aber gegen Jimi Hendrix´ "Hey Joe" und den "Midnight Rambler" von den Rolling Stones kam er nicht an.
Erst die sanften Anfangstöne von "Sound of Silence" eröffneten meinem Nachbarn endlich die Möglichkeit, eine Frage an mich zu richten. "He, du hast ein Buch geschrieben, wie macht man denn so etwas?" "Nun ja, man setzt sich hin und schreibt halt", antwortete ich kurz. „Ja, aber wenn man ein Buch schreibt, muss man ja unheimlich viel wissen", hakte mein Nebenmann nach. Er hob Stimme und rechten Zeigefinger plötzlich leicht an und rezitierte: "Denn an sich ist nichts weder gut noch böse, das Denken macht es erst dazu." Ich glotzte ihn verständnislos an, was meinem fortgeschrittenen Bierkonsum und dem völligem Nichtverstehen gleichermaßen zuzuschreiben war. "Shakespeare, Hamlet", triumphierte er in belehrendem Ton! " Als Schriftsteller solltest du das eigentlich kennen." Vor der Fortsetzung dieser peinlichen Aufdeckung meiner literarischen Bildungslücken retteten mich Simon & Garfunkel, indem sie den Klang der Stille in einem finalen Furioso auf etwa einhundertzwanzig Dezibel anschwellen ließen. Dass Anni darauf Pink Floyd (.."we don´t need no Educations...") erdröhnen ließ, mag Zufall gewesen sein.
Als sich die Uhrzeiger immer mehr den frühen Morgenstunden näherten und Anni die Leistung der Stereoanlage etwas drosseln musste, sah der auf einem inzwischen frei gewordenen Barhocker neben mir lümmelnde Hagere seine Chance wieder gekommen. "Weisst du eigentlich, was eine Parsec ist, oder eine astronomische Einheit?" Schoss er unvermittelt eine Testfrage an mich ab. Wusste ich nicht, aber selbst wenn, hätte ich seine Frage verneint. "Das gibt es doch gar nicht, wie kann man denn ein Buch schreiben, wenn man überhaupt nichts weiss", ereiferte sich mein Gesprächspartner. Ich schriebe Mundartgedichte, da bräuchte ich derartigen Quatsch nicht, erwiderte ich ihm, inzwischen einigermaßen gereizt. Eine Eskalation der Lage verhinderte aber Neil Diamond mit seinem beruhigend einlullendem "Song Sung Blue". Toni bestellte zwei Bier und wir gingen in eine entspannte Phase der Verbrüderung über.
Zwei Runden Bier später bescherten uns David Bowie´s "Heroes" dramatische Höhenflüge der Verzweiflung und des Selbstmitleides. Mit feuchten Augen erklärte mir Toni, dass er ja auch gern schreiben würde, sofort, morgen schon, einen Roman, wenn er nur ein Thema hätte. Ich gestand ihm unter Tränen, dass auch ich für mein nächstes Buch noch nicht im Entfertesten ein Solches gefunden hätte. Vollends geschehen war es um unsere Beherrschung, als die unvergessene Janis Joplin in der herzzerreissenden Ballade von ihr und Bobby Mc Gee ihre Trauer und ihren Schmerz hinausschrie. Schluchzend fielen wir einander in die Arme. Nie, nie mehr wieder, das schworen wir uns, wollten wir beide kein Thema für ein Buch haben.
Wir waren inzwischen die letzten Gäste im Lokal. Anni legte Reinhard Mey auf: "Gute Nacht, Freunde"...
Es war Zeit für uns zu gehn... Wenn Schluss war, war Schluss, das war für Anni kein Thema.
Es war Freitag Abend und ich hing wieder einmal bei Anni an der Bar herum. Die Gäste lauschten ausnahmslos der Musik, denn die von Anni vorgegebene Lautstärke unterband ohnehin jede sinnvolle Unterhaltung. Ich mochte das. Man konnte sich auf die visuellen Eindrücke beschränken und der Musik im Unterbewusstsein einen Kontext dazu herstellen lassen. Eben hämmerten die Troggs ihren alten Hit "I can´t control myself" aus den Lautsprechern. Ich bestellte noch ein Bier - das wievielte eigentlich? Egal, Anni schrieb mit.
"Servus Dichterfürst, ist noch ein bisschen Platz da?" Brüllte irgendwann eine Stimme fünf Zentimeter neben meinem rechten Ohr gegen Status Quo´s "Whatever you want" an. Ich hatte den Neuankömmling, der sich ohne eine Antwort abzuwarten, zwischen mich und meinen Barnachbarn presste schon öfters gesehen, aber ausser dass man ihn Toni nannte, wusste ich nichts von ihm. Es ging inzwischen auf Mitternacht zu und mehrmals schien mir, als wollte Toni zu einem Gespräch ansetzen, aber gegen Jimi Hendrix´ "Hey Joe" und den "Midnight Rambler" von den Rolling Stones kam er nicht an.
Erst die sanften Anfangstöne von "Sound of Silence" eröffneten meinem Nachbarn endlich die Möglichkeit, eine Frage an mich zu richten. "He, du hast ein Buch geschrieben, wie macht man denn so etwas?" "Nun ja, man setzt sich hin und schreibt halt", antwortete ich kurz. „Ja, aber wenn man ein Buch schreibt, muss man ja unheimlich viel wissen", hakte mein Nebenmann nach. Er hob Stimme und rechten Zeigefinger plötzlich leicht an und rezitierte: "Denn an sich ist nichts weder gut noch böse, das Denken macht es erst dazu." Ich glotzte ihn verständnislos an, was meinem fortgeschrittenen Bierkonsum und dem völligem Nichtverstehen gleichermaßen zuzuschreiben war. "Shakespeare, Hamlet", triumphierte er in belehrendem Ton! " Als Schriftsteller solltest du das eigentlich kennen." Vor der Fortsetzung dieser peinlichen Aufdeckung meiner literarischen Bildungslücken retteten mich Simon & Garfunkel, indem sie den Klang der Stille in einem finalen Furioso auf etwa einhundertzwanzig Dezibel anschwellen ließen. Dass Anni darauf Pink Floyd (.."we don´t need no Educations...") erdröhnen ließ, mag Zufall gewesen sein.
Als sich die Uhrzeiger immer mehr den frühen Morgenstunden näherten und Anni die Leistung der Stereoanlage etwas drosseln musste, sah der auf einem inzwischen frei gewordenen Barhocker neben mir lümmelnde Hagere seine Chance wieder gekommen. "Weisst du eigentlich, was eine Parsec ist, oder eine astronomische Einheit?" Schoss er unvermittelt eine Testfrage an mich ab. Wusste ich nicht, aber selbst wenn, hätte ich seine Frage verneint. "Das gibt es doch gar nicht, wie kann man denn ein Buch schreiben, wenn man überhaupt nichts weiss", ereiferte sich mein Gesprächspartner. Ich schriebe Mundartgedichte, da bräuchte ich derartigen Quatsch nicht, erwiderte ich ihm, inzwischen einigermaßen gereizt. Eine Eskalation der Lage verhinderte aber Neil Diamond mit seinem beruhigend einlullendem "Song Sung Blue". Toni bestellte zwei Bier und wir gingen in eine entspannte Phase der Verbrüderung über.
Zwei Runden Bier später bescherten uns David Bowie´s "Heroes" dramatische Höhenflüge der Verzweiflung und des Selbstmitleides. Mit feuchten Augen erklärte mir Toni, dass er ja auch gern schreiben würde, sofort, morgen schon, einen Roman, wenn er nur ein Thema hätte. Ich gestand ihm unter Tränen, dass auch ich für mein nächstes Buch noch nicht im Entfertesten ein Solches gefunden hätte. Vollends geschehen war es um unsere Beherrschung, als die unvergessene Janis Joplin in der herzzerreissenden Ballade von ihr und Bobby Mc Gee ihre Trauer und ihren Schmerz hinausschrie. Schluchzend fielen wir einander in die Arme. Nie, nie mehr wieder, das schworen wir uns, wollten wir beide kein Thema für ein Buch haben.
Wir waren inzwischen die letzten Gäste im Lokal. Anni legte Reinhard Mey auf: "Gute Nacht, Freunde"...
Es war Zeit für uns zu gehn... Wenn Schluss war, war Schluss, das war für Anni kein Thema.