Koma

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Das Ich

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Als ich in der Nacht einschlief war auf einmal das Bett nicht mehr da. Einen halben Gedanken später war ich selbst auch nicht mehr da. Nichts war mehr da. Nicht mal das Nichts. Nur noch Zeit.
Ich weiß nicht mehr, wie lange dieser Zustand andauerte, aber irgendwann war es dann, als brannte ein rotes grelles Licht in meinem Kopf und ich hatte das Gefühl, schreien zu müssen - aber ich konnte es nicht.
Dann zerriss mein Bewusstsein und zersplitterte zusammen mit meinem Ich in unendlich viele Fragmente.
Was dann geschah, weiß ich nicht mehr, ich errinere mich nur noch an ein sehr dunkles Rauschen und Blitze in Farben, die es nicht gibt.
Irgendwann sah ich vor mir einen schwarzen Tunnel. Die Wände waren aus Stahl, bewegten sich aber wie die Oberfläche von Wasser. Staub wirbelte durch die Luft und bildete bizarre Formen. Kinder sangen in toten Sprachen.
Ich hörte eine Stimme, die krächzte: "Leb' deinen Traum. Frei sein - Licht sein - im toten Hirn der Ewigkeit. Leb' deinen Traum! Schrei' deine Erkenntnis!"
Ich bakam Angst, wusste nicht wovor, wollte wegrennen.
Die Stimme schrie in meinem Kopf: "Angst ist der Komatraum! Angst ist der Komatraum!"
Und kicherte.
Ein Sog zog mich in den Tunnel. Mir wurde schlecht, meine Augen bluteten. Meine Herz verknotete sich und Steine aus Eis prasselten darauf. Plötzlich schlug ich auf eine Wasserfläche auf und ging unter.
Aber ich konnte atmen und dann erkannte ich, dass es gar kein Wasser war, in das ich gefallen war, sondern Licht.
Kleine Kinder umringten mich, tanzten und fingen an zu singen. Über dem Hals hatten sie kein Fleisch, aus leeren Augenhöhlen sahen sie mich an.
Aus dem Fleisch an ihrem Hals tropfte weißes Blut.
Eine Stimme schrie mit einer gigantischen Lautstärke:"WILLKOMMEN IM PARADIES!!
Und die Kinder tanzten um mich herum uns sangen mit ihren toten hellen Stimmen:
"Flieg' mit uns zu kalten Sonnen
Liebe ohne Ende schrein
Spiel' mit uns für Plastikwonnen
Frei und endlich glücklich sein"
Ein alter Mann kam auf mich zu. Er hatte Zähne aus Glas. Er fragte mich: "Soll ich dir ein Märchen erzählen? Das Märchen vom toten Dichter und seinem Plastikgrab? Wird dir helfen."
"NEIN!", schrie ich.
Aber der Alte begann zu erzählen, ich konnte mich nicht bewegen und die Luft erzitterte: "Vor langer langer Zeit, als Gott nach über euch gewacht hat und ihr ihm eure Würde geopfert habt, da lebte in einem fernen Land, das heute von Kriegen zerstört ist, ein Dichter. Und dieser Dichter benutze in seinen Gedichten oft die Wörter "Seele", "Herz" und "Ewigkeit". Aber was das sein sollte, eine Seele, das hat er nicht gewusst. Und das sein Herz nur eine Pumpe ist, die das Blut durch seinen schleimigen fetten Körper pumpt, das hat er auch nicht gewusst.
Und wie die Ewigkeit aussieht, DAS hat er nichtmal geahnt, hahaha!
Er hat über die schönen Blumen im Julimorgen gedichtet und seine hässliche Frau, die hat er schön gedichtet.
Und als er älter wurde und er den Tod nahe fühlte - auch so eine schöne Phrase von euch, haha! - dachte er: 'Gott wird mich bald in seine Arme aufnehmen'
Aber Gott war längst tot und seine Kinder liegen zerfetzt in Blutspeicherkellern.
Also hat Gott ihn nicht in seine Arme aufgenommen, aber wir - wir haben ihn in unsere Arme aufgenommen, nicht wahr?" Und die toten Kinder lachten. "Da hinten, in dem Plastiksarg, da haben wir ihn begraben. Und dort liegt er jetzt. Und zwar für immer. Da bekommt das Wort Ewigkeit eine ganz neue Bedeutung, hahaha! Willst du wissen, was er jetzt dichtet? Hör gut zu:

Müdigkeit zerspeit mein Licht.
Das Blut erzählt von Sagen.
Tote Stimmen lügen nicht,
nur die Zeiten klagen."

Ich bakam Angst. Ich wollte wegrennen, doch ich konnte mich ja nicht bewegen.
Eine Frau kam auf mich zu. Sie sagte, ohne die Lippen zu bewegen: "Ich liebe dich ich liebe dich ich liebe dich ich liebe-"
Dann wurde alles weiß. Weiß rot grau hell dunkel blind - - - -
Ich lag in einem Bett. Männer mit weißen Kitteln standen um mich herum.
"Er ist aufgewacht!", sagte eine Stimme.
Vor mir stand eine Frau. Das war meine Frau.
"Ich liebe dich", sagte sie.
Ja, ich bin im Koma gelegen. Zwei Tage lang, sagen sie. Aber es war mehr als das. Viel mehr.
Ich kann seitdem nicht mehr gut schlafen. In der Nacht stehe ich am Fenster und beobachte die Menschen draußen. Manchmal fange ich dann an zu weinen.
Ich hatte schon immer Angst vor dem Leben. Aber noch unendlich mal viel mehr Angst habe ich jetzt vor dem Tod.
Ich habe eine Therapie angefangen. Aber ich weiß eigentlich, dass mir niemand helfen kann.
Wenn meine Frau sagt: "Ich liebe dich", bekomme ich panische Angst, aber ich antworte: "Ich liebe dich auch."
Wenn ich die Todesanzeigen in der Zeitung lese, wird mir schlecht.
Ich gehe abends durch die verregneten Straßen und sehe den Menschen in die Augen. Und niemand - niemand weiß, was ich weiß.
 

EngelGottes

Mitglied
Ich

habe nicht so viel Zeit deinen ganzen Text durchzuarbeiten, aber ich will es auch nicht. Es ist schön und so wahr, obwohl ich das ja nicht nachvollziehen kann. Einzige Bemerkung: nimm "bekam" statt "bakam", du hast zweimal den gleichen Tipfehler gemacht, oder das Wort noch nie geschrieben :D
Dann interessiert es mich noch, ob dich das wirklich betrifft oder es rein erfunden ist. Wenn du dies wirklich erlebt haben solltest dann wüsste ich auch gern das was du jetzt weißt.
Ich wünsch dir was
EG
 



 
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