Krippenspiel

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ThomasStefan

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Krippenspiel

von Thomas Stefan


Wenn es etwas in der Familie Eder gab, das ihr heilig war, dann ihre Krippentradition. Der Urgroßvater, einst aus den Erzgebirge kommend, hatte sie begründet. Er war das gewesen, was man etwa in Oberammergau einen Herrgott-Schnitzer nannte. Und er hatte der Familie eine herrliche Weihnachtskrippe hinterlassen. Die Eders hatte es nach vielerlei Schicksalsschlägen nach Bamberg verschlagen und sie waren dort gute weißblaue Staatsbürger geworden. Und immer noch bei ihnen war die alte hölzerne Krippe: Dargestellt war die Heilige Familie, die drei Könige, einige Schäfer und manches Getier, alles gut in und um einen halb offenen Stall untergebracht. Leider war im Laufe der Jahre der Stern von Bethlehem, der immer am Giebel geprangt hatte, abgebrochen und verloren gegangen. Der Mittelpunkt der Krippe war zum Glück unverändert erhalten, das Jesuskind, ein winziges Figürchen, das aus einer kleinen Holzkrippe schaute.
Über die Jahre hatte es sich eingebürgert, dass der jüngste Sohn der Familie zu Beginn der Weihnachtszeit den Stall aufbaut, sobald er das dazu nötige Alter erreicht hat. Der vierte Advent wurde sodann von der ganzen Familie besonders feierlich begangen, mit Gebet und Gesang, und das selbstverständlich im Beisein ihres Pfarrers. Die Weihnachtstradition war außergewöhnlich fest in dieser Familie verankert.

Xaver war gerade eingeschult worden, hatte seinem Vater im vergangenen Jahr geholfen, das Heim der Heiligen Familie aufzubauen und schien bereit für diese weihnachtliche Aufgabe. In der Schule hatte er sich mit Mesut angefreundet, einem kleinen pfiffigen Jungen türkischer Abstammung, der in Deutschland geboren und aufgewachsen war. Xaver und Mesut besuchten einander oft, waren mit der Familie des anderen gut vertraut. Mesut staunte über den hölzernen Stall, den Xaver zum ersten Advent aufbaute, er half ihm dabei, reichte die Figuren, die Xaver in bekannter Weise gruppierte. Was es damit auf sich hatte, verstand er nicht. Xaver kannte zumindest die Heilige Familie, bei den Tieren wusste Mesut schon mehr, aber woher der schwarze König stammen sollte, war beiden völlig schleierhaft. Für die Jungs war das Ganze mehr eine Art Bauernhof mit Kerzenbeleuchtung.

Mesuts Welt war eine ganz andere, aber sie war für Xaver nicht minder spannend als die seine für den Freund. Da gab es eine strenge Oma, die mit in der Familie wohnte und ganz offenbar bestimmte, was täglich zu geschehen hatte. Sie gab in türkischer Sprache ihrer sonst gut deutsch sprechenden Schwiegertochter, Mesuts Mutter, knappe Anweisungen und schickte ihren Sohn, Mesuts Vater, zum Rauchen auf den Balkon, in der Wohnung duldete sie es nicht. Xaver hatte zunächst etwas Angst vor ihr, aber sie lächelte immer, wenn die beiden Jungs kamen, und nachdem sie ihr erstes gemeinsames Stück Türkischen Honig in der Küche gegessen hatten, fühlte sich Xaver in dieser Familie genauso geborgen wie zu Hause.

Mesut hatte erzählt, dass er ein Geschwisterkind bekäme, und dass es wohl so aussehen müsste wie das hölzerne Krippenkind, er hatte zuletzt bei seiner Tante deren Nachwuchs in einer Wiege bewundern dürfen. Dann aber war etwas Unerklärliches passiert, jedenfalls für Mesut. Der dicke Bauch der Mutter war verschwunden, dafür lag sie ständig im Bett, das Zimmer verdunkelt und oft weinte sie. Auch mochte sie nicht mehr aufstehen, und alle waren ratlos, sogar die gestrenge Oma. Diese machte jetzt den Haushalt und auch Mesut hatte zu helfen. Dessen Vater stand oft am Fenster, starrte unbewegt hinaus. Xaver durfte nach wie vor seinen Freund besuchen, und wie früher saßen sie mit der Oma in der Küche und aßen Türkischen Honig, aber jetzt lag eine tiefe Traurigkeit über dieser Familie. Einmal schauten die beiden Jungs durch die etwas offen stehende Tür und beobachteten Mesuts Mutter, wie sie im Bett lag, an sich gedrückt ein kleines Strickjäckchen, wie es eigentlich nur einem Baby passen konnte. Da stand plötzlich die Oma hinter ihnen. Die Jungs erschraken, aber die alte Frau legte nur ihre schwieligen Hände auf deren Köpfe, so sanft, dass es kaum zu spüren war, und sie schauten gemeinsam stumm auf die leidende Mutter. Nie hatte Xaver Mesuts Oma, diese meist etwas strenge Frau, so mild, aber auch so traurig erlebt.

Schon länger waren Xaver diese kleinen blauen Anhänger in Mesuts Familie aufgefallen. Sie hingen überall, an der Eingangstür, in der Küche, auch am Schlafzimmer. So schön blau und glänzend, sie hatten auch auf Xaver eine besondere Anziehungskraft. Mesut erklärte ihm, es wären Augen, ganz besondere, sie würden Böses anhalten. Aber – mit Blick auf seine Mutter – nicht immer könnten sie helfen.

Als sie eines Tages wieder bei Xaver spielten, waren sie erneut bei der Krippe. Und wie jedes Mal machten sie begeistert alle Tiere nach, Kuh und Schaf und Esel, und inzwischen hatten sich auch einige Matchboxautos, Mesuts Batmanfigur und verschiedene Playmobilmännchen um die Heilige Familie gescharrt. Dass der Vater dies besser nicht mitbekommen sollte, das wusste Xaver schon. Aber es machte den beiden Jungs einen Heidenspaß.
Mesut hatte sich schon eine Weile den Stall genau angeschaut und deutete plötzlich mit dem Finger auf einen bestimmten Punkt.
„Xaver, kannst du ihn mir mal leihen? Geht das?“
Er deutete auf die kleine Krippe, mit dem Jesuskind.
Xaver machte ein ratloses Gesicht. Wenn er an seinen Vater dachte, bekam er so ein komisches Gefühl.
„Ich bringe ihn bestimmt zurück, Xavi. Du kannst in der Zwischenzeit das hier haben.“
Und Mesut zeigte ihm ein „blaues Auge“, schöner als alle, die Xaver bisher gesehen hatte. Seine Miene hellte sich etwas auf, aber er wusste immer noch nicht so recht.
„Es ist nur bis morgen. Ich will ihn meiner Mutter zeigen. Vielleicht kann es ihr helfen, sie ist immer noch so traurig.“
„Ist gut,“ sagte Xaver schließlich, „aber dann behalte ich Batman auch noch, den nehme ich heute mit ins Bett.“
„Einverstanden“, rief Mesut erleichtert, und die Jesuskrippe verschwand in seiner Hosentasche, während Xaver das Blaue Auge an den Giebel des Stalls hängte und es nun beschützend zwischen den Holzfiguren baumelte.

Mesut konnte es gar nicht erwarten, nach Hause zu kommen. Er stürmte ins Zimmer zur Mutter, zeigte ihr das Jesuskind in der Krippe. „Xaver hat ihn mir gegeben, Mama. Wir stellen ihn hier hin, dann geht es Dir bald besser.“ Und er legte ihn auf den Nachtschrank. Sie nahm ihren Jungen fest in den Arm, er konnte ihre Tränen nicht sehen, spürte aber einige Tropfen über seine Nackenhaare laufen.
Später am Abend schaute er wie immer mit seinem Vater nach ihr. Sie war endlich eingeschlafen, lag da mit einem glücklichen Lächeln. Der Vater sah ungläubig das Krippenkind und wurde wütend, nahm es zornig an sich und zog den Jungen mit in die Küche.
„Was fällt dir ein? Warum machst du deiner Mutter diesen Kummer? Merkst du nicht, wie weh du ihr tust, wenn du sie an das Unglück erinnerst, und sogar anderen davon erzählst?“
Mesut verstand nichts. Er presste die Lippen aufeinander, wollte auf keinen Fall weinen, während der Vater ihn am Arm riss, hin und her schüttelte. Wütend schickte er Mesut sofort ins Bett und warf die kleine, für ihn bedeutungslose Schnitzerei in den Mülleiner.

Xaver war mit Batman glücklich. Sein Vater hielt von solchen Plastikfiguren gar nichts, daher zeigte er ihn auch lieber nicht vor. Vor dem Einschlafen konnte er die furchteinflößende Figur im Mondlicht gut studieren, und er hatte das Gefühl, einen guten Tausch gemacht zu haben. Mesut sollte Jesus am besten noch einige Tage behalten.
Am nächsten Morgen, einem Samstag, wollte sein Vater sich die Weihnachtskrippe einmal ansehen, ob Xaver sie richtig aufgestellt habe. Der Sohn folgte ihm widerstrebend. Wie vom Donner gerührt sah der Hausherr den kinderlosen Stall, stattdessen das Unheil abweisende blaue Auge. Gegen seine Wut war das Amulett jedoch ohnmächtig.
„Wo - ist - Jesus?“ brüllte der Vater.
Xaver war starr vor Angst, brachte keinen Ton hervor. Zornbebend nahm Eder den blauen Anhänger vom Stalldach.
„Xaver, du sagst mir jetzt sofort, wo der Sohn Gottes ist!“
„Ich habe das Jesuskind Mesut gegeben, aber nur geliehen, es ist für seine Mutter...“
Weiter kam der Junge nicht. Wutschnaubend zog sich der Vater die Jacke an. „Wenn das noch der Urgroßvater erlebt hätte, seine wertvollen Schnitzereien einfach weitergeben, an Türken, und dann ausgerechnet Jesus. Der würde sich im Grabe umdrehen.“
Und er machte sich auf den Weg, das Kleinod wieder zu holen.

Als es an der Tür von Mesuts Familie klingelte, saßen Vater und Sohn in schlechter Stimmung am Küchentisch. Das Frühstück hatte ihnen nicht geschmeckt, die Oma wusste auch nicht warum, hatte inzwischen abgeräumt.
Sie öffnete die Tür.
„Guten Morgen, ich bin Xavers Vater, ich möchte den Hausherrn sprechen,“ sagte Eder kühl, „es handelt sich um eine wichtige Angelegenheit.“
Die kluge Frau erfasste den Ärger und die besondere Situation sofort, bat sehr freundlich herein und brachte ihn in die Wohnküche. Mesuts Vater schaute überrascht, steif begrüßten sich die Männer, nahmen Platz. Mesut verschwand nach einem Händedruck auf den Wink des Vaters. Die Großmutter stellte ohne Nachfragen Gläser mit Tee auf den Tisch. Beide Männer musterten sich für einen stillen Moment.
„Ich bin gekommen, um Jesus zu holen, ich meine, die kleine Holzfigur,“ begann Xavers Vater, „er fehlt in unserer Krippe. Ihre Aufstellung hat eine lange Tradition in unserer Familie, sie bedeutet uns sehr viel, das verstehen Sie sicherlich.“
Und gleich einem Pfand legte er das ausgeliehene Amulett, das blaue Auge, auf den Tisch, um es wieder einzutauschen.
Mesuts Vater erinnerte sich an die kleine Figur, nickte verständnisvoll. Er trank seinen Tee und überlegte fieberhaft, was zu tun wäre, während er verstohlen zum gerade geleerten Mülleimer hinüberschaute. Die Oma begriff gar nichts, bot wie immer türkischen Honig an Xavers Vater lehnte dankend ab.
„Ich werde ihn holen, warten Sie bitte,“ sagte Mesuts Vater endlich, erhob sich langsam und griff nach dem Mülleimer.
„Ich bringe ihn nur schnell hinaus, der Geruch, entschuldigen Sie, es ist eine Belästigung.“
Mit einem ungläubigen Gesicht sprang die Großmutter mit auf, wollte ihm den Eimer aus der Hand nehmen.

(sie auf türkisch)
„Osman, was soll das? Das kann der Junge machen, ich hole ihn her. Kümmere du dich um unseren Gast.“
(er auf türkisch)
„Lass mich, ich weiß was ich tue. Schenke ihm lieber nach, unterhalte ihn.“
Die alte Frau sah ihn mit wütend funkelnden Augen an.
(sie auf türkisch)
„Was ist nur los mit dir? Du wirst doch nicht den Mülleiner hinausbringen, wo dein Sohn oder ich es immer machen?!“
(er auf türkisch)
„Das verstehst du nicht. Schweig endlich und tue, was ich dir sage.“
Sie sah ihm kopfschüttelnd hinterher.
(sie auf türkisch)
„Was ist nur aus meinem Sohn geworden, dieses Deutschland bekommt ihm nicht. Jetzt macht er sich noch zum Gespött der Leute.“

Während sie Xavers Vater Tee nachschenkte, sah sie aus dem Fenster auf den Hof und erblickte ihren Sohn zwischen einigen Frauen am Abfallcontainer, wie er mit den Hand hineinlangte und etwas suchte. Das Kopfschütteln der anderen konnte sie sehen, ihr Getuschel schien sie bis in die Küche hinauf zu hören.
Endlich hatte er Jesus gefunden, mühsam befreite er ihn von Essensresten. Zurück in der Wohnung übergab er ihn an Xavers Vater. Genau in dem Moment, als Gottes Sohn wieder den Besitzer wechselte, sah man ein einzelnes, schmieriges Reiskorn auf den Bauch des Krippenkindes liegen. Für eine Sekunde hielten die Männer ein - sie sahen es beide, niemand sagte ein Wort - dann schloss sich Eders Faust um die kleine Figur.
Xavers Vater stand auf, eine knappe Verbeugung, und schon waren sie an der Tür. Da stand plötzlich Mesuts Mutter vor ihnen, und sie strahlte Herrn Eder an.
„Mesut sagte mir, dass Sie gekommen sind. Ich danke Ihnen, dass mir Ihr Sohn das Jesuskind geschickt hat, als Trost. Es hat mir sehr geholfen, da ich selbst mein Kind verloren habe. Ihr Xaver ist ein wunderbarer Junge.“
Sie sah sich etwas hilflos um.
„Ich weiß gar nicht mehr, wo die kleine Krippe ist, ich hatte sie im Schlafzimmer. Ich werde Mesut nachher schicken, um sie zurückzubringen.“
Sie reichte ihm dankbar die Hand.
Jesus lag wie glühendes Metall in Eders Faust, als wollte die Figur auf immer ein Mal in seine Handfläche brennen. Mit einem Kloß im Hals schob Eder das Krippenkind schnell in die Hosentasche und gab Mesuts Mutter zum Abschied die Hand. Während sie und die Oma ihrem Besucher am Eingang nachsahen, stand Mesuts Vater am offenen Fenster, rauchte eine Zigarette und wischte sich verstohlen etwas aus den Augen. Xavers Vater ging dagegen mit schweren Schritten und gebeugt die Treppen hinab, als würde ihn eine furchtbare Last drücken. Als sie die Tür schlossen, bemerkte Mesuts Mutter etwas in ihrer Hand. Sie sah nach und entdeckte ein kleines Reiskorn.

Feierlich wurde der vierte Advent begangen, mit Gebet und Gesang. Der Pfarrer strahlte. Eine derartig fest im christlichen Glauben verwurzelte Familie gab es nicht mehr häufig, selbst in Bamberg.
Nach dem Festessen bewunderte er mit der Familie die hölzerne Krippe, den traditionellen Mittelpunkt der Weihnacht im Hause Eder. Da stutzte er. Ein blauweißes Amulett hing am Giebel der Krippe, mit Sicherheit kein christliches Emblem. Mit einem Mal fiel ihm ein, wo er Derartiges schon einmal gesehen hatte. Er deutete darauf.
„Schauen Sie mal, Herr Eder, da hat sich etwas in die christliche Weihnacht verirrt.“
Etwas Spott über dieses kleine Unglück schwang schon mit, und mit einen kurzen Blick tadelte er den kleinen Xaver, der neben ihm stand.
„Damit hat es schon seine Richtigkeit, Hochwürden,“ erwiderte der Hausherr und lächelte seinerseits nachsichtig.
Xaver strahlte.
„Das ist jetzt unser neuer Stern von Bethlehem, Herr Pfarrer. Mein Vater hat gesagt, er hat so stark geleuchtet, das alle den rechten Weg gefunden haben.“
 

Grauschimmel

Mitglied
Frohe Weihnachten

Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen…
Oh Thomas, Deine Weihnachtsgeschichte gehört in alle Sprachen der Welt übersetzt…
Nicht die ihrem Gott wohl gefallen, soll Frieden beschieden sein…
Allen, die aus gutem Glauben an menschliche Werte auch einfache Taten für den Menschen vollbringen, unabhängig von Stand, Konfession oder anderen Überzeugungen…
Einfach da sein, um zu helfen und nicht nur zu Weihnachten.
Frieden auf Erden und allen fühlenden Wesen ein Wohlgefallen.
Einen lieben Gruß vom Grauschimmel!
 

ThomasStefan

Mitglied
Hallo Grauschimmel!
Ich danke dir für deine Zeilen, tut ganz gut. Ich hoffe, du nimmst mich nicht auf den Arm bei all deiner Begeisterung.
Ich habe vor einigen Tagen den Text wieder mal (vor)gelesen (schwer genug) und die Idee gehabt, ihn auch hier einmal einzustellen, damit er nicht ganz in der Versenkung verschwindet.
Beste Grüße und ein schönes Weihnachtsfest, Thomas
 

Grauschimmel

Mitglied
Nein, Thomas, frohen 4. und anschließend Dir auch ein schönes Weihnachtsfest…
…veräppeln wollte ich Dich nicht. Meine Begeisterung ist echt. Die leisen Zwischentöne in den Bildern
„um“ die alte, weise Großmutter, aber auch das Gefangensein in ihrer Kultur … und die Reaktionen auf der
„Gegenseite“ der neue Stern… authentisch, gut erzählt, nicht rührselig, anrührend und aufrüttelnd.
Deshalb habe ich auch meinen Erstkommentar mit der falschen Auslegung und der noch „falscheren“
Verwendung dieser Bibelstelle begonnen. Dass diese Geschichte „übersetzt“ gehört, damit sie „verstehbar“
wird… war mein vollster Ernst.
Gruß Grauschimmel!
 

ThomasStefan

Mitglied
Hallo Grauschimmel!
Nochmals vielen Dank. Als ich vor einigen Jahren diese Geschichte gerade fertig geschrieben hatte, überraschte mich meine Frau zu Weihnachten mit einer hoelzernen Krippe als Geschenk. Eine große Überraschung fuer mich, zumal wir zu diesen christlichen Symbolen eher eine deutliche Distanz haben. Seitdem wird die Holzkrippe immer wieder aufgebaut.
Ich wünsche die eine schoene Weihnachtszeit. Thomas
 

HelenaSofie

Mitglied
Hallo Thomas Stefan,

deine Erzählung finde ich inhaltlich und sprachlich sehr gelungen. Ich habe sie gern und mit Interesse gelesen.
Im letzten Satz:..., dass alle den rechten... (anstatt das)
Ich wünsche dir weiterhin viele gute Geschichten und überhaupt alles Gute für das neue Jahr.

Liebe Grüße
HelenaSofie
 

ThomasStefan

Mitglied
Krippenspiel

von Thomas Stefan


Wenn es etwas in der Familie Eder gab, das ihr heilig war, dann ihre Krippentradition. Der Urgroßvater, einst aus den Erzgebirge kommend, hatte sie begründet. Er war das gewesen, was man etwa in Oberammergau einen Herrgott-Schnitzer nannte. Und er hatte der Familie eine herrliche Weihnachtskrippe hinterlassen. Die Eders hatte es nach vielerlei Schicksalsschlägen nach Bamberg verschlagen und sie waren dort gute weißblaue Staatsbürger geworden. Und immer noch bei ihnen war die alte hölzerne Krippe: Dargestellt war die Heilige Familie, die drei Könige, einige Schäfer und manches Getier, alles gut in und um einen halb offenen Stall untergebracht. Leider war im Laufe der Jahre der Stern von Bethlehem, der immer am Giebel geprangt hatte, abgebrochen und verloren gegangen. Der Mittelpunkt der Krippe war zum Glück unverändert erhalten, das Jesuskind, ein winziges Figürchen, das aus einer kleinen Holzkrippe schaute.
Über die Jahre hatte es sich eingebürgert, dass der jüngste Sohn der Familie zu Beginn der Weihnachtszeit den Stall aufbaut, sobald er das dazu nötige Alter erreicht hat. Der vierte Advent wurde sodann von der ganzen Familie besonders feierlich begangen, mit Gebet und Gesang, und das selbstverständlich im Beisein ihres Pfarrers. Die Weihnachtstradition war außergewöhnlich fest in dieser Familie verankert.

Xaver war gerade eingeschult worden, hatte seinem Vater im vergangenen Jahr geholfen, das Heim der Heiligen Familie aufzubauen und schien bereit für diese weihnachtliche Aufgabe. In der Schule hatte er sich mit Mesut angefreundet, einem kleinen pfiffigen Jungen türkischer Abstammung, der in Deutschland geboren und aufgewachsen war. Xaver und Mesut besuchten einander oft, waren mit der Familie des anderen gut vertraut. Mesut staunte über den hölzernen Stall, den Xaver zum ersten Advent aufbaute, er half ihm dabei, reichte die Figuren, die Xaver in bekannter Weise gruppierte. Was es damit auf sich hatte, verstand er nicht. Xaver kannte zumindest die Heilige Familie, bei den Tieren wusste Mesut schon mehr, aber woher der schwarze König stammen sollte, war beiden völlig schleierhaft. Für die Jungs war das Ganze mehr eine Art Bauernhof mit Kerzenbeleuchtung.

Mesuts Welt war eine ganz andere, aber sie war für Xaver nicht minder spannend als die seine für den Freund. Da gab es eine strenge Oma, die mit in der Familie wohnte und ganz offenbar bestimmte, was täglich zu geschehen hatte. Sie gab in türkischer Sprache ihrer sonst gut deutsch sprechenden Schwiegertochter, Mesuts Mutter, knappe Anweisungen und schickte ihren Sohn, Mesuts Vater, zum Rauchen auf den Balkon, in der Wohnung duldete sie es nicht. Xaver hatte zunächst etwas Angst vor ihr, aber sie lächelte immer, wenn die beiden Jungs kamen, und nachdem sie ihr erstes gemeinsames Stück Türkischen Honig in der Küche gegessen hatten, fühlte sich Xaver in dieser Familie genauso geborgen wie zu Hause.

Mesut hatte erzählt, dass er ein Geschwisterkind bekäme, und dass es wohl so aussehen müsste wie das hölzerne Krippenkind, er hatte zuletzt bei seiner Tante deren Nachwuchs in einer Wiege bewundern dürfen. Dann aber war etwas Unerklärliches passiert, jedenfalls für Mesut. Der dicke Bauch der Mutter war verschwunden, dafür lag sie ständig im Bett, das Zimmer verdunkelt und oft weinte sie. Auch mochte sie nicht mehr aufstehen, und alle waren ratlos, sogar die gestrenge Oma. Diese machte jetzt den Haushalt und auch Mesut hatte zu helfen. Dessen Vater stand oft am Fenster, starrte unbewegt hinaus. Xaver durfte nach wie vor seinen Freund besuchen, und wie früher saßen sie mit der Oma in der Küche und aßen Türkischen Honig, aber jetzt lag eine tiefe Traurigkeit über dieser Familie. Einmal schauten die beiden Jungs durch die etwas offen stehende Tür und beobachteten Mesuts Mutter, wie sie im Bett lag, an sich gedrückt ein kleines Strickjäckchen, wie es eigentlich nur einem Baby passen konnte. Da stand plötzlich die Oma hinter ihnen. Die Jungs erschraken, aber die alte Frau legte nur ihre schwieligen Hände auf deren Köpfe, so sanft, dass es kaum zu spüren war, und sie schauten gemeinsam stumm auf die leidende Mutter. Nie hatte Xaver Mesuts Oma, diese meist etwas strenge Frau, so mild, aber auch so traurig erlebt.

Schon länger waren Xaver diese kleinen blauen Anhänger in Mesuts Familie aufgefallen. Sie hingen überall, an der Eingangstür, in der Küche, auch am Schlafzimmer. So schön blau und glänzend, sie hatten auch auf Xaver eine besondere Anziehungskraft. Mesut erklärte ihm, es wären Augen, ganz besondere, sie würden Böses anhalten. Aber – mit Blick auf seine Mutter – nicht immer könnten sie helfen.

Als sie eines Tages wieder bei Xaver spielten, waren sie erneut bei der Krippe. Und wie jedes Mal machten sie begeistert alle Tiere nach, Kuh und Schaf und Esel, und inzwischen hatten sich auch einige Matchboxautos, Mesuts Batmanfigur und verschiedene Playmobilmännchen um die Heilige Familie gescharrt. Dass der Vater dies besser nicht mitbekommen sollte, das wusste Xaver schon. Aber es machte den beiden Jungs einen Heidenspaß.
Mesut hatte sich schon eine Weile den Stall genau angeschaut und deutete plötzlich mit dem Finger auf einen bestimmten Punkt.
„Xaver, kannst du ihn mir mal leihen? Geht das?“
Er deutete auf die kleine Krippe, mit dem Jesuskind.
Xaver machte ein ratloses Gesicht. Wenn er an seinen Vater dachte, bekam er ein ungutes Gefühl.
„Ich bringe ihn bestimmt zurück, Xavi. Du kannst in der Zwischenzeit das hier haben.“
Und Mesut zeigte ihm ein „blaues Auge“, schöner als alle, die Xaver bisher gesehen hatte. Seine Miene hellte sich etwas auf, aber er wusste immer noch nicht so recht.
„Es ist nur bis morgen. Ich will ihn meiner Mutter zeigen. Vielleicht kann es ihr helfen, sie ist immer noch so traurig.“
„Ist gut,“ sagte Xaver schließlich, „aber dann behalte ich Batman auch noch, den nehme ich heute mit ins Bett.“
„Einverstanden“, rief Mesut erleichtert, und die Jesuskrippe verschwand in seiner Hosentasche, während Xaver das Blaue Auge an den Giebel des Stalls hängte und es nun beschützend zwischen den Holzfiguren baumelte.

Mesut konnte es gar nicht erwarten, nach Hause zu kommen. Er stürmte ins Zimmer zur Mutter, zeigte ihr das Jesuskind in der Krippe. „Xaver hat ihn mir gegeben, Mama. Wir stellen ihn hier hin, dann geht es Dir bald besser.“ Und er legte ihn auf den Nachtschrank. Sie nahm ihren Jungen fest in den Arm, er konnte ihre Tränen nicht sehen, spürte aber einige Tropfen über seine Nackenhaare laufen.
Später am Abend schaute er wie immer mit seinem Vater nach ihr. Sie war endlich eingeschlafen, lag da mit einem glücklichen Lächeln. Der Vater sah ungläubig das Krippenkind und wurde wütend, nahm es zornig an sich und zog den Jungen mit in die Küche.
„Was fällt dir ein? Warum machst du deiner Mutter diesen Kummer? Merkst du nicht, wie weh du ihr tust, wenn du sie an das Unglück erinnerst, und sogar anderen davon erzählst?“
Mesut verstand nichts. Er presste die Lippen aufeinander, wollte auf keinen Fall weinen, während der Vater ihn am Arm riss, hin und her schüttelte. Wütend schickte er Mesut sofort ins Bett und warf die kleine, für ihn bedeutungslose Schnitzerei in den Mülleiner.

Xaver war mit Batman glücklich. Sein Vater hielt von solchen Plastikfiguren gar nichts, daher zeigte er ihn auch lieber nicht vor. Vor dem Einschlafen konnte er die furchteinflößende Figur im Mondlicht gut studieren, und er hatte das Gefühl, einen guten Tausch gemacht zu haben. Mesut sollte Jesus am besten noch einige Tage behalten.
Am nächsten Morgen, einem Samstag, wollte sein Vater sich die Weihnachtskrippe einmal ansehen, ob Xaver sie richtig aufgestellt habe. Der Sohn folgte ihm widerstrebend. Wie vom Donner gerührt sah der Hausherr den kinderlosen Stall, stattdessen das Unheil abweisende blaue Auge. Gegen seine Wut war das Amulett jedoch ohnmächtig.
„Wo - ist - Jesus?“ brüllte der Vater.
Xaver war starr vor Angst, brachte keinen Ton hervor. Zornbebend nahm Eder den blauen Anhänger vom Stalldach.
„Xaver, du sagst mir jetzt sofort, wo der Sohn Gottes ist!“
„Ich habe das Jesuskind Mesut gegeben, aber nur geliehen, es ist für seine Mutter...“
Weiter kam der Junge nicht. Wutschnaubend zog sich der Vater die Jacke an. „Wenn das noch der Urgroßvater erlebt hätte, seine wertvollen Schnitzereien einfach weitergeben, an Türken, und dann ausgerechnet Jesus. Der würde sich im Grabe umdrehen.“
Und er machte sich auf den Weg, das Kleinod wieder zu holen.

Als es an der Tür von Mesuts Familie klingelte, saßen Vater und Sohn in schlechter Stimmung am Küchentisch. Das Frühstück hatte ihnen nicht geschmeckt, die Oma wusste auch nicht warum, hatte inzwischen abgeräumt.
Sie öffnete die Tür.
„Guten Morgen, ich bin Xavers Vater, ich möchte den Hausherrn sprechen,“ sagte Eder kühl, „es handelt sich um eine wichtige Angelegenheit.“
Die kluge Frau erfasste den Ärger und die besondere Situation sofort, bat sehr freundlich herein und brachte ihn in die Wohnküche. Mesuts Vater schaute überrascht, steif begrüßten sich die Männer, nahmen Platz. Mesut verschwand nach einem Händedruck auf den Wink des Vaters. Die Großmutter stellte ohne Nachfragen Gläser mit Tee auf den Tisch. Beide Männer musterten sich für einen stillen Moment.
„Ich bin gekommen, um Jesus zu holen, ich meine, die kleine Holzfigur,“ begann Xavers Vater, „er fehlt in unserer Krippe. Ihre Aufstellung hat eine lange Tradition in unserer Familie, sie bedeutet uns sehr viel, das verstehen Sie sicherlich.“
Und gleich einem Pfand legte er das ausgeliehene Amulett, das blaue Auge, auf den Tisch, um es wieder einzutauschen.
Mesuts Vater erinnerte sich an die kleine Figur, nickte verständnisvoll. Er trank seinen Tee und überlegte fieberhaft, was zu tun wäre, während er verstohlen zum gerade geleerten Mülleimer hinüberschaute. Die Oma begriff gar nichts, bot wie immer türkischen Honig an Xavers Vater lehnte dankend ab.
„Ich werde ihn holen, warten Sie bitte,“ sagte Mesuts Vater endlich, erhob sich langsam und griff nach dem Mülleimer.
„Ich bringe ihn nur schnell hinaus, der Geruch, entschuldigen Sie, es ist eine Belästigung.“
Mit einem ungläubigen Gesicht sprang die Großmutter mit auf, wollte ihm den Eimer aus der Hand nehmen.

(sie auf türkisch)
„Osman, was soll das? Das kann der Junge machen, ich hole ihn her. Kümmere du dich um unseren Gast.“
(er auf türkisch)
„Lass mich, ich weiß was ich tue. Schenke ihm lieber nach, unterhalte ihn.“
Die alte Frau sah ihn mit wütend funkelnden Augen an.
(sie auf türkisch)
„Was ist nur los mit dir? Du wirst doch nicht den Mülleiner hinausbringen, wo dein Sohn oder ich es immer machen?!“
(er auf türkisch)
„Das verstehst du nicht. Schweig endlich und tue, was ich dir sage.“
Sie sah ihm kopfschüttelnd hinterher.
(sie auf türkisch)
„Was ist nur aus meinem Sohn geworden, dieses Deutschland bekommt ihm nicht. Jetzt macht er sich noch zum Gespött der Leute.“

Während sie Xavers Vater Tee nachschenkte, sah sie aus dem Fenster auf den Hof und erblickte ihren Sohn zwischen einigen Frauen am Abfallcontainer, wie er mit den Hand hineinlangte und etwas suchte. Das Kopfschütteln der anderen konnte sie sehen, ihr Getuschel schien sie bis in die Küche hinauf zu hören.
Endlich hatte er Jesus gefunden, mühsam befreite er ihn von Essensresten. Zurück in der Wohnung übergab er ihn an Xavers Vater. Genau in dem Moment, als Gottes Sohn wieder den Besitzer wechselte, sah man ein einzelnes, schmieriges Reiskorn auf den Bauch des Krippenkindes liegen. Für eine Sekunde hielten die Männer ein - sie sahen es beide, niemand sagte ein Wort - dann schloss sich Eders Faust um die kleine Figur.
Xavers Vater stand auf, eine knappe Verbeugung, und schon waren sie an der Tür. Da stand plötzlich Mesuts Mutter vor ihnen, und sie strahlte Herrn Eder an.
„Mesut sagte mir, dass Sie gekommen sind. Ich danke Ihnen, dass mir Ihr Sohn das Jesuskind geschickt hat, als Trost. Es hat mir sehr geholfen, da ich selbst mein Kind verloren habe. Ihr Xaver ist ein wunderbarer Junge.“
Sie sah sich etwas hilflos um.
„Ich weiß gar nicht mehr, wo die kleine Krippe ist, ich hatte sie im Schlafzimmer. Ich werde Mesut nachher schicken, um sie zurückzubringen.“
Sie reichte ihm dankbar die Hand.
Jesus lag wie glühendes Metall in Eders Faust, als wollte die Figur auf immer ein Mal in seine Handfläche brennen. Mit einem Kloß im Hals schob Eder das Krippenkind schnell in die Hosentasche und gab Mesuts Mutter zum Abschied die Hand. Während sie und die Oma ihrem Besucher am Eingang nachsahen, stand Mesuts Vater am offenen Fenster, rauchte eine Zigarette und wischte sich verstohlen etwas aus den Augen. Xavers Vater ging dagegen mit schweren Schritten und gebeugt die Treppen hinab, als würde ihn eine furchtbare Last drücken. Als sie die Tür schlossen, bemerkte Mesuts Mutter etwas in ihrer Hand. Sie sah nach und entdeckte ein kleines Reiskorn.

Feierlich wurde der vierte Advent begangen, mit Gebet und Gesang. Der Pfarrer strahlte. Eine derartig fest im christlichen Glauben verwurzelte Familie gab es nicht mehr häufig, selbst in Bamberg.
Nach dem Festessen bewunderte er mit der Familie die hölzerne Krippe, den traditionellen Mittelpunkt der Weihnacht im Hause Eder. Da stutzte er. Ein blauweißes Amulett hing am Giebel der Krippe, mit Sicherheit kein christliches Emblem. Mit einem Mal fiel ihm ein, wo er Derartiges schon einmal gesehen hatte. Er deutete darauf.
„Schauen Sie mal, Herr Eder, da hat sich etwas in die christliche Weihnacht verirrt.“
Etwas Spott über dieses kleine Unglück schwang schon mit, und mit einen kurzen Blick tadelte er den kleinen Xaver, der neben ihm stand.
„Damit hat es schon seine Richtigkeit, Hochwürden,“ erwiderte der Hausherr und lächelte seinerseits nachsichtig.
Xaver strahlte.
„Das ist jetzt unser neuer Stern von Bethlehem, Herr Pfarrer. Mein Vater hat gesagt, er hat so stark geleuchtet, dass alle den rechten Weg gefunden haben.“
 

ThomasStefan

Mitglied
Hallo Helena Sofie!
Ich danke die, auch fürs genaue Lesen. Ich wünsche die einen guten Rutsch und ebenfalls tolle Inspirationen für 2013.
Thomas
 



 
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