Kwam, die Sonne, der Schnee und die Monstermethode

Episkopi

Mitglied
KWAM
März 2010
Kwam, die Sonne , der Schnee und die Monstermethode

Es war bereits Ende März. Eine für Berliner Verhältnisse dicke Schneedecke, bedeckt mit einer harten Firnkruste plagte uns anhaltend und hartnäckig. An Radfahren war noch lange nicht zu denken. Hin und wieder schenkten mehrstündige, heitere Intermezzi vielversprechende Sonnenstrahlen und Temperaturen um den Gefrierpunkt. In den Rinnsteinen begann der Schnee zu schmelzen, zu rinnen und zu gurgeln Er fror dann aber bald wieder fest. Der Frühling schien noch weit weg.Die Sonne schaffte es einfach nicht. Der Winter setzte sich immer wieder durch.
Die Logik der Schneefeger und Schneeräumer war nicht nachvollziehbar. Im Wesentlichen entstand durch ihre Tätigkeit kein einziger vollständig geräumter oder gestreuter Weg. Ich entwickelte eine besondere Lauftechnik, um zügig durch das unwegsame Berlin zu gelangen, ähnlich der von Schneeschuhläufern aus Alaska bildete ich mir ein.
Ich liebte meine damalige Arbeitsstelle, und nannte sie auch Traumstelle. Dort gab ich Förderstunden für Kinder mit Entwicklungsschwieirgkeiten.Die Traumstelle hatte nur einen Haken: sie war befristet.
Jeden Mittwoch holte ich Kwam aus dem anliegenden Kindergarten ab und brachte ihn in unsere Einrichtung.Ich kam immervom Garten, schaute einfach durch das Fenster in Kwams Kindergruppe und lachte, bis mich die Kinder seiner Gruppe entdeckten und Kwam riefen. Dann drehte er sich um und lächelte halb verlegen, halb stolz. Dann staunte ich immer wieder über dieses wunderschöne, fast schwarze Gesicht, den großen markanten Schädel und dieses unglaublich würdevolle Lächeln. Kwam hatte den lässig wirkenden, leicht wippenden Gang, wie ich ihn schon oft bei afrikanischen Kindern beobachtet habe. Wir liefen immer durch einen Garten, schauten den vorbei fliegenden Vögeln nach und amüsierten uns über zwei Eichhörnchen, die wir Hops und Klops tauften. Das waren immer nur ein paar Minuten, aber in diesen Minuten hielten wir einfach die Zeit an. Niemand hinderte uns daran. Die Kindergärtnerinnen berichteten, dass Kwam an einem Mittwoch, an dem ich nicht kam, weil ich krank war,auf der Treppenstufe saß, und auf etwas zu warten zu schien.Er konnte die Wochentage eigentlich noch nicht kennen. Als ich das erfuhr, bekam ich es ein klein wenig mit der Angst zu tun. Kwams Existenz in Deutschland war vorerst befristet. Er sprach kaum, weder in Deutsch noch in seiner Muttersprache.
Nun war der Garten, den Kwam und ich seit einem halbe Jahr jeden Mittwoch durchquert hatten, schon den dritten Monat tief verschneit. Die Pforte, die Kwams Kindergarten von unserer Einrichtung trennte ,war zu geschneit, und schwer zu öffnen. Nun war es Kwam sehr wichtig, ob der Doktor, dessen Praxis mit unserer Einrichtung zusammenarbeitete und dessen Behandlungsraum zum Garten zeigte, ihm zuwinken würde. Der Doktor war ein sehr wichtiger Mensch. Man besuchte ihn nur selten. ER bestimmte ob ich Kwam weiter jeden Mittwoch aus dem Kindergarten abhole. Wahrscheinlich hatte er auch entschieden, dass ich Kwams kleinen Bruder nicht abhole, mochte der auch jeden Mittwoch noch so jammern. Kwam näherte sich jeden Mittwoch mit bangem Blick dem Doktorfenster. Elende Kleinigkeiten konnten verhindern, dass der Doktor Kwam zu winkte, und dann musste man auf den Rückweg warten. Es konnte sein, dass das Telefon genau Mittwochs klingelte oder andere Kinder mit ihren Eltern genau Mittwochs in die Praxis kamen, oder der Doktor ausgerechnet am Mittwoch einen Brief schreiben musste. Und dann sah er Kwam nicht. Es war nicht so, dass Kwam dann ärgerlich oder ungeduldig wurde. Meistens ging er einfach weiter, und meistens ergab es sich,, dass der Doktor ihm auf dem Rückweg zuwinkte. Einmal jedoch war der Doktor tatsächlich nicht im Haus. Auf dem Hinweg nahm Kwam es mit der üblichen Gelassenheit. Als der Doktor aber auf dem Rückweg immer noch nicht da war, stand Kwam fassungslos da, Tränen standen ihm in den Augenwinkeln, aber er weinte nicht, sondern sah tief verzweifelt aus. Er wollte erst weitergehen, als ich ihm versprach,
einen Brief an den Doktor von Kwam zu schreiben, was ich auch tat.
Kwam war bei a uns gut bekannt. Anfänglich musste er fast jeden Mittwoch eingefangen werden. Er rannte einfach los wie ein geölter Blitz. Meine Kollegen waren darauf verständigt, ihn aufzuhalten, wenn er ihnen entgegen kam und zurückzubringen. Es stresste mich.Ich war mir nicht sicher wie gelassen meine Kollegen meinen Umgang mit Kwams nahmen. In unseren Sitzungen war die Notwendigkeit , Kindern Grenzen zu setzen
wichtiges Thema geworden.Mein Arbeitsvertrag war befristet. Ich bewegte mich auf unsicherem Gelände. Für solche Fälle hatte ichdiverse Gangbilder entwickelt. Doch diesmal wollte ich wirklich gerne bleiben. Es war mein Traum Förderstunden zu geben.
Ich vermittelte Kwam mit Mimik und Gestik und einigen universellen lautmalerischen Schlüsselwörtern, dass der Doktor schimpfen würde wenn Kwam wegliefe. Es half.
Ich gebe zu, dass ich manchmal ganz zufrieden war, Kwam immer nur einmal in der Woche abzuholen. Er hatte nicht nur einen markanten sondern einen ausgesprochenen Dickschädel. Er wurde schnell wütend und dann half nur noch die Monster-Methode:
„Hey, Kwam, wo ist das Monster?“, fragte ich ihn dann.
„Da!“ zeigte er nach vorne und erschoss es mit der entsprechenden Geste. Dann war seine Wut vorbei.
Ich hofftei nständig, dass meine Kollegen die Monster-Methode nicht mitbekommen würden, Zugegeben zweifelte ich selbst am pädagogischen Gehalt der Monster-Methode.
Aber Kwam begann zu sprechen.
Kwam streckte sich in die Länge,die Zeit verging. Meine Frist rückte näher. Es gab eine kleine Chance, dass ich auf meiner Traumstelle weiterarbeiten könnte.
Die Entscheidung über mich wurde an einem Mittwoch gefällt. Kwam lief mir an diesem Tag weg. Niemand hielt ihn auf, es war so lange schon nicht mehr passiert.Er rannte durch die ganze Einrichtung, niemand hielt ihn auf, weil es so lange nicht passiert war. Er entwischte auf Strümpfen durch den Eingang auf die Straße. An der Ampel bleib er stehen, weil sie rot zeigte. Ich trug ihn zurück, er hatte Tränen in den Augen. Nachmittags erfuhr ich, dass meine Stelle nicht verlängert werden konnte.
Ich stapfte eine Woche später mit Kwam durch den Schnee und grübelte. Kwam schlurfte neben mir her. Kurz vor der eingeschneiten Gartenpforte hatte ich eine Idee:
„Hey, Kwam, wo ist das Monster?“
„Da!“ sagte er , und wir beschossen es mit Schneebällen.
Mir fiel ein, dass die Kindergärtnerinnen den Kindern bestimmt nicht erlauben, mit verharschten Schneebällen zu werfen. Sie würden es Kwam verbieten.. Wie frei wir doch waren, jeden Mittwoch für fünf Minuten.
Und dann war plötzlichganze Schnee geschmolzen . Die Schneeglöckchen und Krokusse schienen sich unter der Schneedecke auf ihren Auftritt vorbereitet zu haben, den sie nun auf den Punkt und perfekt in Schneeweiß, Lila und Quieteschgelb hinlegten. In Berlin ist der Frühling ein echter Punk .
„Hey, Kwam“, fragte ich ihn, „ Wo ist der Schnee und das ganze Eis geblieben?Letzte Woche war alles noch da?“
„Die Sonne hat das ganze Eis aufgegessen.Jetzt hat sie Bauchschmerzen und liegt im Bett.“
antwortete Kwam. Dabei blinzelte er nach oben, wo die Sonne nur sehr fahl durch die Wolken schimmerte.
Da wusste ich dass Kwam und ich sehr oft durch diesen Garten gegangen sind und die Zeit angehalten haben. So oft, dass es unmöglich ist, es völlig zu vergessen. Das ist genug für ein Band zwischen zweien, die nichts verbindet.
 

rothsten

Mitglied
Hallo Episkopi,

zwei Menschen, denen ein paralleles Schicksal droht: die Ausweisung. Du schilderst es anhand einer Betreuerin und einem Kindergarten-Kind. Die eine wird arbeitslos, der Kleene muss zurück in eine Welt, die man seine Heimat nennen wird. Kwam selbst wird dort alles fremd finden.

Dein Plot stellt eine Forderung auf: es könnte alles so einfach sein! Einfach ist es aber nicht, nicht das Leben, im Besonderen auch nicht das deutsche Asyl- und Arbeitsrecht. Zwei Belege für eine kälter werdenden Welt? Ich denke schon. Deine Textidee ist gut!

„Die Sonne hat das ganze Eis aufgegessen.Jetzt hat sie Bauchschmerzen und liegt im Bett.“
Für diesen einen Satz hat das Lesen bereits gelohnt! Den finde ich klasse. :)

Kleine Negativ-Anmerkungen:

Oft fehlt Deinen Sätzen ein Leerzeichen nach dem Punkt. In der Häufigkeit muss ich das schlampig nennen. Dein Text steht seit 2010; Zeit genug ... :-(

In den Rinnsteinen begann der Schnee zu schmelzen, zu rinnen und zu gurgeln [blue](Punkt) [/blue]Er fror dann aber bald wieder fest.
Schnee, der schmilzt, wird zu Wasser. Friert Wasser wieder an, wird es zu Eis, nicht zu Schnee. Klingt komisch, ist aber so.

Kwams Existenz in Deutschland war vorerst befristet. Er sprach kaum, weder in Deutsch noch in seiner Muttersprache.
So ich Dich richtig vestanden habe, betreut Dein Prot eine Kindergartengruppe. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass Kinder in diesem Alter die Bedeutung einer drohenden Ausweisung verstünden, aber so wirklich überzeugt es mich nicht.

Ich lasse mich hier aber gerne aufklären.

Kwam war bei a uns gut bekannt.
Solche Satzstummel sind ärgerlich und offenbaren, dass Du Deinem Text nicht genug Aufmerksamkeit gewidmet hast, nachdem Du ihn aufgeschrieben hast.

Nimm die Feile, hier musst Du nochmal ran. ;-)

lg
 



 
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