Liebe für eine Nacht

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SiggiH

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„Hey Andi, spielst noch ne Runde mit?“
Sven und Michael sahen ihn fragend an. Andi schüttelte den Kopf. Er hatte keine Lust mehr auf Dart. Er wollte etwas ganz anderes. Seine Aufmerksamkeit war schon seit geraumer Zeit auf die Kellnerin gerichtet. Sie war zwar keine Schönheitskönigin, manch einer würde sie als pummelig bezeichnen, aber das war Andi momentan egal. Sie hatte ein nettes Lächeln, und er spürte förmlich, dass da mehr drin sein müsste, wie ein Small-Talk.
Seinen Kollegen waren diese Blicke keineswegs entgangen, und süffisant lächelnd verzogen sie sich diskret zum Dartgerät.
Andi leerte sein Glas und wartete darauf, dass die Kellnerin kommen würde, um seine Wünsche entgegen zu nehmen. Die Schwierigkeit war nun, seine wahren Wünsche schmackhaft vorzutragen. Er war nicht unbedingt ein Frauenheld. Er hatte kein Babyface wie Leonardo di Caprio, sondern recht markante Gesichtszüge. Aber er hatte sich schon überlegt, was er sagen würde, und er hatte ja schließlich nichts zu verlieren.
Das Lokal leerte sich zusehends. Unter der Woche war zu so später Stunde wohl nicht mehr viel los. Die Kellnerin kam lächelnd auf ihn zu und fragte, ob er noch was trinken wolle. Er bestellte noch eine Cola. Als sie ihm diese dann brachte, sprach er sie direkt an, ob er ihr eine Frage stellen dürfe. Sie lächelte ihn amüsiert und neugierig an und bejahte. Andi ließ den sorgsam zurechtgelegten Satz heraus: „Ich weiß, dass ich nicht sehr attraktiv bin, aber könntest du dir trotzdem vorstellen, mit mir was trinken zu gehen?“
Sie blickte ihn irritiert an, anscheinenden wurde sie das nicht sehr oft gefragt. Unbewusst schob sie sich eine braune Haarsträhne hinters Ohr. Dann überraschte sie ihn, indem sie ihm in seiner Aussage widersprach. Sie fände ihn durchaus attraktiv, er habe sehr schöne Augen, aber es sei wahrscheinlich keine gute Idee.
-schwupp-
Die Falle war zugeschnappt. Sie wusste es vielleicht noch nicht, aber Andi war klar, dass er sie hatte: Sie hatte nicht „nein“ gesagt, und oben drein hatte sie indirekt zugegeben, auf ihn zu stehen. Das war ja beinahe zu einfach. Er ärgerte sich fast, so etwas nicht schon früher gemacht zu haben. Ständig auf Montage, schon lang keine feste Freundin mehr – irgendwie musste „Mann“ ja mal „Dampf ablassen“.
Sie räumte die leeren Gläser der anderen Tische ab und verschwand hinterm Tresen. Jetzt hieß es für ihn: dran bleiben. Er schlenderte scheinbar gelassen zu ihr rüber und sah ihr beim Spülen zu. Ihm fiel ein, dass er sich ja noch gar nicht vorgestellt hatte. Das würde die Sache gleich viel intimer machen: „Ich bin übrigens Andi.“
Sie verriet ihm, dass sie Silvi gerufen wurde.
Sein Herzschlag raste unerbittlich auf einen gefährlichen Höhepunkt zu. Er durfte jetzt keinen Fehler machen. Er fragte sie, ob sie Single sei, was sie nach kurzem Zögern bejahte. Oh ja, die Schlinge wurde für sie immer enger. Er erklärte ihr, dass er auch Single sei und außerdem am übernächsten Tag wieder abreisen würde. Sie solle die Gelegenheit nutzen, und sich mit ihm auf ein Abenteuer einlassen.
Jetzt war es raus. Sie wusste nun, was er wollte, und es kam immer noch kein klares „nein“. Sie ging, die letzten Gäste abkassieren und spülte das restliche schmutzige Geschirr. Sven und Michael hatten ihr Spiel auch beendet und machten sich an den Aufbruch. Breit grinsend gingen sie an Andi vorbei und wünschten ihm noch, mit einem spöttischen Unterton, eine „Gute Nacht“. Sven ging sogar soweit mit seinen Händen und Fingern recht eindeutige Zeichen und Bewegungen zu machen, worauf ihm Michael auf den Oberarm boxte. Ja, die Beiden würden morgen ganz sicher einen Bericht von ihm verlangen. In seinem Interesse hoffte er, dass es auch wirklich was Lohnendes zu erzählen gab.
Andi richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Silvi, die immer noch hoch konzentriert beim Abwasch war und ihn keines Blickes würdigte. Verdammt, die war härter, als er gedacht hatte. Zeigte ihm die kalte Schulter, obwohl er ihr eben ein eindeutiges Angebot gemacht hatte.
Er beobachtete ihre Hände, die flink die Gläser durch das Spülwasser zogen. Sie hatte schmale lange Finger mit natürlichen schönen Fingernägeln, die sie bestimmt einzusetzen wusste. Er konnte diese Fingernägel schon förmlich spüren, wie sie über seine Haut kratzten. Ein leichtes Kribbeln in der Leistengegend machte sich bemerkbar, und er war ganz froh, dass der Tresen zwischen ihnen war. Oh Gott, er wollte sie jetzt unbedingt, er würde nicht locker lassen!

Der würde nicht locker lassen. Das wurde Silvi langsam immer klarer. Ihre Chance, klar und deutlich „nein“ zu sagen, hatte sie irgendwie verpasst. Er hatte sie aber auch total überrumpelt. So etwas war ihr noch nie passiert. Und sie hatte auch immer mit größter Überzeugung behauptet, dass ein One-Night-Stand für sie niemals in Frage kommen würde. Sie könnte nie ohne Gefühle Sex machen, war sie selbst zumindest immer überzeugt gewesen. Und gerade da war das Problem. Dieser Andi war ihr schon angenehm aufgefallen, als er das Lokal betreten hatte, und als ihre Kollegin schon früher in den Feierabend gegangen war, hatte sie sich gefreut, seinen Tisch mit bedienen zu dürfen. Er hatte eine sehr angenehme Stimme, blonde Haare und wunderschöne rehbraune Augen; eigentlich genau ihr Typ. Aber dass er tatsächlich an ihr Interesse haben sollte, konnte sie beinahe nicht fassen. Er konnte doch bestimmt hübschere Frauen abschleppen, mit dem Charme. Außer, bei ihm herrschte der absolute Notstand. Sie sollte wirklich so viel Stolz zeigen und ihm den Laufpass geben. Anderseits - hatte nicht auch sie so etwas wie einen Notstand? Mit ihrem langjährigem Freund Thorsten lief die letzten Monate gar nichts mehr, und erst vor ein paar Wochen hatten sie dann einen Schlussstrich gezogen. Er hatte sie mehrfach betrogen und gab tatsächlich ihr daran die Schuld. Sie habe ihn vernachlässigt, und außerdem sei sie eine Enttäuschung im Bett. Sie sei nicht mal im Stande, einen Orgasmus zu bekommen, oder wenigstens wie andere Frauen, einen vorzutäuschen. Da würde jeder Mann mit der Zeit die Lust verlieren. Sie hatte nicht gewusst, das Thorsten dies belastet hatte. Sie wusste doch selbst nicht, weshalb sie nie zum Höhepunkt kam. Sie hatte ja schon überlegt, darüber mit ihrem Frauenarzt zu sprechen, aber irgendwie war ihr das dann doch wieder zu peinlich. Und ihr selbst hatte es auch nie gefehlt. Wenn jemand noch nie Champagner getrunken hatte, vermisste der ihn ja auch nicht.
Mit einem Schlag wurde Silvi bewusst, dass Andi sie die ganze Zeit beobachtete, und sie spürte, wie sie errötete. Sie verfluchte sich dafür. Andi konnte ja nicht ahnen, was für Gedanken ihr gerade durch den Kopf gingen. Aber sie fasste einen Entschluss: Sie würde mit ihm mitgehen. Was hatte sie denn zu verlieren? Es war ja nur für einmal. Sie würde ihn nie wieder sehen, also brauchte ihr vor ihm auch nichts peinlich sein. A Propos peinlich; gerade heute hatte sie ein hässliches langes weißes Baumwollunterhemd angezogen. Sie kämpfte schon seit zwei Wochen mit einer Erkältung und versuchte alles, damit sie endlich wieder richtig gesund werden würde; dazu gehörte auch, warme Unterwäsche zu tragen. Gut, sie würde sich noch schnell auf die Personaltoilette zurückziehen, und sich von dem Unterhemd befreien, denn das wäre ihr dann doch zu peinlich.
Der Tresen war sauber, und sie hatte ihre Pflichten für heute erledigt. Sie schnappte ihre Handtasche und sagte Andi, dass sie noch kurz auf die Toilette wolle und ihn dann begleiten würde. Auf der Toilette kamen dann doch wieder die Zweifel, ob es wirklich richtig war. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, also kramte sie ihr Handy raus und rief ihre beste Freundin Monika an. Nach dem achten Freizeichen meldete sich diese verschlafen. Silvi entschuldigte sich, dass sie sie geweckt hatte, aber dringend einen Rat benötige. Sie schilderte ihr kurz die Situation und wartete gespannt auf die Antwort. Die kam sofort, klar und deutlich: „Na logisch machst du das! Wenn er dir gefällt, wieso nicht? Aber schick mir ne SMS, wenn du bei ihm bist. Ich will wissen, wo du steckt - nur für alle Fälle.“ Silvi war nicht wirklich überrascht, da sie genau wusste, dass Moni nicht viel von Thorsten gehalten hatte. Nun hatte sie sich endgültig entschieden: Sie würde mit Andi mitgehen...

Sie würde mit ihm mitgehen! Er hatte Mühe, ein triumphierendes Lächeln zu unterdrücken, aber eigentlich war es ihm ja von Anfang an klar gewesen. Sie wollte nur noch kurz auf die Toilette, dann wäre sie soweit. Auch das ließ ihn innerlich schmunzeln, war so ein Toilettengang doch „typisch Frau“. Er rief sich in Erinnerung, wie er sein Pensionszimmer verlassen hatte. Lag da irgendwas herum, das evtl. ein schlechtes Licht auf ihn werfen würde? Seine frischen Klamotten hatte er in seiner Reisetasche. Es konnte sein, dass ein schmutziges T-Shirt auf dem Bett oder Sofa lag, aber darüber musste er sich gewiss keine Sorgen machen. Er hatte sie soweit gebracht, da würde sie wegen Schmutzwäsche oder leeren Bierdosen bestimmt nicht Reißaus nehmen. Was machte sie nur so lange im Klo? Da hätte er ja doch noch gemütlich eine rauchen können. Sie stellte seine Geduld schon enorm auf die Probe.
Nach gefühlten drei Stunden tauchte sie endlich wieder auf. Sie machte einen selbstsicheren Eindruck - zu jeder Schandtat bereit. Das versprach interessant zu werden. Nachdem sie abgeschlossen und die Alarmanlage angestellt hatte, führte sie ihn zu ihrem Auto, und sie fuhren zu seiner Pension.
Er ging voraus und gemeinsam stiegen sie leise die Treppen hoch. Andi hatte natürlich das Zimmer ganz oben mit Dachschräge, mit der er schon mehrfach schmerzhafte Zusammenstöße hatte, bekommen. Er hoffte nur, dass die mollige Kellnerin nicht schon vom Treppensteigen völlig aus der Puste sein würde. Er schloss sein Zimmer auf, trat ein und sah sich schnell um. Es war okay, zwar nicht wirklich aufgeräumt, aber auch nicht so durcheinander, dass er sich hätte schämen müssen. Schnell entfernte er noch ein T-Shirt vom Bett und setzte sich darauf. Silvi steuerte das Sofa an, das im rechten Winkel ans Bett stieß, und er warnte sie vorsichtshalber noch vor der Dachschräge. Sie stellte ihre Handtasche zur Seite und zog ihre Jacke aus. Dann saß sie nur da wie ein Mauerblümchen und sah ihn unsicher an. Er wusste nicht so recht, wie er den nächsten Schritt einleiten sollte. Er brauchte jetzt entweder eine Zigarette oder ein Bier, um sich zu beruhigen. Er zog neben dem Bett die Tüte mit dem Dosenbier hervor und bot auch Silvi eins an, was sie jedoch dankend ablehnte. Er war ja so ein Idiot; sie war doch mit dem Auto unterwegs, da würde sie doch kein Alkohol trinken. Was er allerdings sehr bedauerte. Das hätte sie bestimmt ein wenig lockerer gemacht. Schnell nahm er einen Schluck aus der Dose, bemüht nicht zu gierig zu trinken. Er schaltete den kleinen Fernseher an, damit es nicht so bedrückend still im Raum war. Es lief ein Actionfilm mit Bruce Willis. Er mochte den Schauspieler. Nicht mehr der Jüngste, und trotzdem immer noch hart im Nehmen und, viel wichtiger, von den Frauen begehrt. Andi hoffte insgeheim, dass es bei ihm auch mal so sein würde. Er fand seinen Körper durchaus vorzeigbar, er hatte zwar keinen Six-Pack, aber der Rest war nicht übel. Was ihm unwillkürlich seine Pläne für diese Nacht wieder ins Gedächtnis rief. Er wollte jetzt endlich zum Schuss kommen, also wählte er wieder den direkten Weg: „Willst du ins Bad, oder soll ich?“ Die Frage schien sie ein wenig zu verwirren. Mensch, wieso hatte er gerade so eine zimperliche Tussi aussuchen müssen. Er würde einfach mal die Initiative ergreifen. „Also, ich gehe jetzt ins Bad, und du kannst dich ja hier schon mal frei machen.“ Er schenkte ihr noch ein aufmunterndes Lächeln und verschwand im Bad. Er überlegte, ob er sich komplett ausziehen sollte, entschied sich dann jedoch dagegen. Sein Gefühl sagte ihm, dass die Gefahr bestand, die Kleine damit wohl doch ein wenig zu überrumpeln. Also machte er sich kurz frisch und zog T-Shirt und Boxershorts wieder an. Es ging ihm zwar ziemlich gegen den Strich, aber er würde wohl doch auf sensibel und rücksichtsvoll machen müssen. Wäre doch zu schade, wenn er sie jetzt kurz vor seinem Ziel vergraulen würde.
Er kam aus dem Bad heraus und war wenig überrascht, dass Silvi noch genau so da saß, wie er sie verlassen hatte. Okay, sensibel und rücksichtsvoll lautete die Devise. Also setzte er sich wieder aufs Bett, brav den Sicherheitsabstand einhaltend. Er setzte sein charmantestes Lächeln auf, und sie lächelte zurück. „Dann geh ich mal ins Bad,“ verkündete sie selbstsicher. An der Tür zum Bad blickte sie ihn dann doch noch mal schüchtern an. „Könntest du evtl. das Licht ausmachen?“ Er musste innerlich schmunzeln. „Ja klar, mach ich.“ Er stand auf, um das Deckenlicht auszuschalten, der Fernseher reichte völlig als Beleuchtung. Ein wenig Romantik konnte er ihr schon geben, Hauptsache, sie würde endlich locker werden.

Sie musste endlich locker werden. Aber er hatte sie total schockiert, mit der Frage, ob sie sich im Bad ausziehen wollte oder hier. Sie hatte keine Ahnung, was plötzlich mit ihr los war. Es war ja nicht so, dass sie ihn nicht wollte, aber es passte auch gar nichts. Sie hatte Durst, und er bat ihr eine Dose Bier an. Erstens hasste sie Bier, zweitens trank sie nie Alkohol, wenn sie noch fahren musste. Sie hätte ihn ja einfach fragen können, ob er ihr ein Mineralwasser hatte. Aber sie bat selten um etwas, sie wartete meistens, dass es ihr angeboten wurde, sonst fühlte sie sich zu aufdringlich. A propos aufdringlich, er verkündete eben, dass er jetzt mal ins Bad gehen würde, während dessen sie sich ja auch schon frei machen könne. Kaum war er verschwunden, breitete sich Panik in ihr aus. Kam er jetzt gleich nackt aus dem Bad? Was erwartete er von ihr? Sollte sie sich schon mal nackt ins Bett legen? Oder nur in Unterhose auf dem Sofa auf ihn warten? Sie fühlte sich wie die Maus, die von der Katze in die Ecke getrieben worden war. Aber die Katze war jetzt im Bad. Vielleicht sollte sie eiligst von hier verschwinden? Sie schüttelte energisch ihren Kopf. So ein Blödsinn. Wovor hatte sie eigentlich Angst? Es war doch nur Sex. Nichts besonderes. Sie würden eine schnelle Nummer machen, danach würde sie gehen. Fertig, auf nimmer-wiedersehen. Ihr fiel ein, dass Moni ja noch auf eine Nachricht von ihr wartete. Schnell kramte sie ihr Handy raus, und teilte ihren Aufenthaltsort mit. Die Antwort kam sofort: „Viel Spaß, geh jetzt dann schlafen, Handy liegt neben mir, falls was wäre, by.“ Langsam beruhigte sie sich wieder, da ging auch schon die Tür vom Bad auf. Erleichtert stellte sie fest, dass er keinesfalls nackt war, sondern noch T-Shirt und Shorts trug. Und doch gefiel ihr das, was sie sah. Er hatte muskulöse Beine und Arme, war weder zu dürr, noch zu dick - genau ihr Typ, musste sie auf ein Neues feststellen. Er schien nicht enttäuscht zu sein, dass sie sich noch nicht ausgezogen hatte. Okay, jetzt war sie dran. Sie würde sich dann auch im Bad umziehen, das war dann doch etwas diskreter, aber sie bat ihn noch, das Licht auszuschalten, denn so war es hier definitiv zu hell.
Im Bad sah sie sich erst mal um. Rechts unter der Dachschräge war das Klo. Silvi musste breit grinsen. Sie war ja für eine Frau schon recht groß, aber Andi überragte sie um Haupteslänge. Diese Dachschräge würde ihn, sofern er es nicht schon war, bestimmt zum Sitzpinkler umerziehen. Links von ihr war die Dusche – groß und geräumig. Zu gerne würde sie jetzt duschen, gerne auch mit ihm... Genau vor ihr war das Waschbecken mit einem großen Spiegel darüber. Erschrocken zuckte sie zusammen. Das war doch nicht sie, die ihr da lüstern grinsend entgegen blickte. Oh Gott, was tat sie hier? Hatte sie wirklich vor, mit einem Fremden Sex zu haben? War sie denn noch zu retten? Sie hatte doch immer ihre moralischen Prinzipien gehabt. Sie wusste doch gar nichts von ihm! Er könnte verheiratet sein, und sie würde ihn zum Ehebrecher machen. Sie war keinesfalls streng gläubig. Zwar getauft, aber mit der Kirche selber hatte sie nicht viel am Hut. Aber die ethnischen Grundregeln hatte sie eigentlich immer befolgt. Wie hatte Andi es doch gleich nochmal formuliert? Hatte er gesagt, er habe keine Freundin, oder er sei Single? Eine Ehefrau war ja schließlich keine Freundin. Ach, war doch eigentlich egal, er würde schon nicht verheiratet sein. Und wenn doch, hatte sie sich nichts vorzuwerfen. Aber wenn sie recht darüber nachdachte, war sie sich eigentlich doch zu schade für so eine Aktion. Ein One-Night-Stand! So was war doch entwürdigend. Keine Romantik, kein Austausch von Zärtlichkeiten. Keine geflüsterten Liebesbezeugungen. All die Dinge, die ihr so wichtig waren, würde fehlen. Eigentlich ging es hier doch nur um die Befriedigung seiner Triebe! Das durfte sie als emanzipierte Frau doch nicht unterstützen! Schockiert stellte sie fest, dass sie tatsächlich schon den Knopf ihrer Hose geöffnet hatte. Sie machte ihn schnell wieder zu. Sie würde Charakter und Ehre beweisen und ihm erklären, dass doch nichts aus dem Abenteuer werden würde. Das war einfach nicht ihre Welt, sie konnte das nicht. Er würde das schon verstehen. Schlimmsten Falls würde er denken, dass sie ihn verarscht hatte.

Die will mich wohl verarschen. Andi konnte es nicht fassen, als sie komplett angezogen aus dem Bad heraus kam. Am liebsten hätte er laut „Scheiße!“ geschrien und sie einfach raus geworfen. Auch seine Geduld hatte mal ein Ende. Was bildete sich die Tussi eigentlich ein? Sie sah nun wirklich nicht gerade wie ein Model aus. Eigentlich müsste sie sich geehrt fühlen, überhaupt von so einem tollen Typen, wie ihm abgeschleppt zu werden. Aber er hatte sich nun mal ein Ziel für heute Abend gesetzt, und er würde jetzt nicht so leicht aufgeben. Sensibel und rücksichtsvoll – das konnte er. Er konnte der perfekte Gentleman sein – wenn er wollte. Und heute Abend wollte er... Er lächelte sie verständnisvoll an und tippte auf den Platz neben sich auf dem Sofa, auf das er sich jetzt niedergelassen hatte, um endlich die Distanz zwischen ihnen aufzuheben. Tatsächlich setzte sich neben ihn. Sofort begann er ein inhaltsloses Gespräch mit ihr, und sie entspannte sich zusehends. Er spürte genau, dass sie von seinem Blick gefangen war, jetzt noch eine Prise Romantik, und sie wäre reif. „Ich würde dich jetzt zu gerne küssen...“ warf er einfach mal so in den Raum. Er war gespannt, auf ihre Reaktion, die ihn dann doch ein wenig überraschte: „Warum tust du es dann nicht, Rehauge?“ fragte sie ihn mit unschuldigem Blick. Er fasste es nicht – das war ja die reinste Berg- und Talfahrt. Mit so einer Frau eine Beziehung zu führen, musste der reinste Eierlauf sein; Gott sei dank blieb ihm das erspart. Er wusste schließlich, was und wie viel er von ihr wollte. Und das zu erreichen, war jetzt wieder in greifbare Nähe gerückt. Er rückte ganz dicht zu ihr und presste seine Lippen extra sanft auf ihre. Sie reagierte sofort, kam ihm entgegen und erwiderte den Kuss leidenschaftlich. Na also, es ging doch. Sofort brachte er seine ganze Kusstechnik zum Einsatz und war doch sehr erfreut, dass auch sie einiges zu bieten hatte. Oh ja, sie war durchaus willig. Jetzt hieß es am Ball bleiben. Seine Hand glitt diskret unter ihr Sweatshirt, und er stellte amüsiert fest, dass sie darunter nichts weiter trug. Langsam schob er das Shirt nach oben. Sie lies ihn gewähren, schlüpfte bereitwillig heraus und verfuhr ebenso mit seinem T-Shirt. Voller Euphorie sah er zu, wie sie sich nun ihrer Jeans entledigte. Jetzt war es soweit. Er schlüpfte noch schnell aus seiner Boxershorts und sah von ihr aufmunternd Richtung Bett. Oh Mann, war er spitz. Aber er würde alles tun, damit sie ihre Entscheidung nicht bereuen würde.

Diese Entscheidung würde sie bestimmt bitter bereuen. Also setzte sie sich doch entgegen ihrem eben gefassten Entschluss zu gehen, neben ihn aufs Sofa. Sie sah ihm in die Augen und war gefesselt von diesem zärtlichen warmen Blick. Und als er sie dann auch noch quasi um Erlaubnis bat, sie küssen zu dürfen, waren alle moralischen Bedenken plötzlich nicht mehr existent. Sie hätte nicht gedacht, dass er so sensibel war. Ganz spontan kam ihr der Name „Rehauge“ in den Sinn. Ja der Name passte perfekt. Und schon ertrank sie beinahe in seinen Küssen. Er küsste unheimlich gut. Gefühlvoll und dann wieder stürmisch, aber nicht zu energisch. Und dann waren plötzlich seine Hände auf ihrer Haut. Sofort überkam sie ein leichter Schauder vom Scheitel bis zur Zehenspitze. Wie in Trance registrierte sie eben noch den Verlust ihres Sweatshirts, und schon war sie ganz besessen davon, seine Haut zu spüren. Sie Zog ihm das T-Shirt aus und streichelte über seine Schultern und seine Brust. Oh ja, sie wollte ihn - hier und jetzt. Um ihm dies zu zeigen zog sie nun ihre Hose aus. Er verstand sofort, entledigte sich ebenfalls seines letzten Kleidungsstück und machte deutlich, wo er fortzufahren gedachte. Sie konnte deutlich sehen, dass er mindestens genau so erregt war wie sie und dachte nur noch daran, sich endlich in dieses wunderbare Abenteuer zu stürzen.
Sie hatten sich mehrmals geliebt, und sie wusste noch nicht so recht, wie ihr geschehen war, als sie schließlich gemeinsam eng umschlungen nackt auf dem Sofa saßen. Er war perfekt gewesen – zärtlich, liebevoll und voller Leidenschaft. Sie hätte es nie für möglich gehalten, dass ein One-Night-Stand so emotionsgeladen sein konnte. Sanft streichelte sie über seine Arme. Sie wünschte sich, dass diese Nacht nie vorüber gehen würde. Am liebsten würde sie für immer so bei ihm sitzen – ihn berühren, küssen, lieben. Plötzlich durchfuhr sie ein Schreck. Was tat sie denn jetzt schon wieder? War sie etwa gerade dabei, sich in den Typen zu verlieben? Jetzt war sie wohl total übergeschnappt. Der Kerl schleppte fremde Frauen aus Kneipen ab! Das hatte doch nichts mit Liebe zu tun. Er hatte ja schließlich die Karten klar und offen auf den Tisch gelegt. Es wäre besser, wenn sie jetzt gehen würde. Das teilte sie ihm auch schließlich mit. Sie hatte das Gefühl, dass ihn das doch ein wenig traurig machte, aber es war besser so. Sie zog sich schweigend an, und auch er schlüpfte wieder in Shirt und Boxershorts. Der Abschied war recht undramatisch. Er küsste sie noch einmal und wollte wissen, ob sie abends wieder beim Arbeiten wäre.
Leise und alleine ging sie die Treppen hinunter und verließ die Pension. Am Auto angelangt, überschlugen sich ihre Gedanken geradezu. Wieso wollte Andi wissen, ob sie arbeiten musste? Wollte er sie noch einmal sehen? Und der letzte Kuss – er schmeckte nach Sehnsucht, und sein Blick war doch eindeutig von Traurigkeit gezeichnet. Waren dies normale Reaktionen nach einem One-Night-Stand? Sie hatte ja keinerlei Erfahrung damit, aber das fühlte sich nicht richtig an. Irgendetwas lief hier nicht wie geplant. Im Auto tippte sie noch schnell eine Nachricht an Moni ins Handy, dass sie auf dem Heimweg sei. Sonst müsste sie sich morgen wieder die schlimmsten Vorwürfe anhören, dass sie sich nicht mehr gemeldet habe. Prompt kam auch die Antwort: „Gut und gute Nacht.“
Wie im Traum fuhr sie mit dem Auto die menschenleeren Straßen entlang. Sie stellte das Radio an, damit ihr Gehirn aufhören sollte, zu grübeln. Sie ließ die Stadt hinter sich und fuhr auf der Landstraße. Es war recht hell für diese Uhrzeit, da der Vollmond groß und leuchtend auf sie herab sah. Sie liebte den Vollmond, hielt sich selbst sogar manchmal für mondsüchtig, und die Sternbilder faszinierten sie schon seit sie ein kleines Mädchen war. Ja, sie war ein Kind der Nacht. Die Sonne war ihr zu grell und der Sommer zu heiß. Aber der Mond mit seinem kalten beruhigendem Licht war total ihr „Ding“. Im Radio lief Bruno Mars mit „Count on you“. Da konnte sie nicht anders, und musste laut und schräg mitsingen. Das war momentan einer ihrer Lieblingssongs. „...like one, two, three – I'll be there...“
Und wieder erlag sie dem Zwang, einen Blick auf ihren geliebten Mond zu werfen. Und sie fühlte sich so frei und leicht, als ob sie fliegen würde. Sie schloss kurz ihre Augen und sah Andis zärtlichen Blick vor sich. Lächelnd sah sie wieder auf die Straße und sah zwei leuchtende Sterne genau vor ihr. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Der rechte Fuß trat die Bremse durch. Reifen quietschten. Ein dumpfer Schlag. Zersplitterndes Glas. Das Geräusch brechender Knochen. Ein misslungener Ausweichversuch. Der Baum, der mit rasender Geschwindigkeit auf das Auto zuschoss. Ein unförmiges Etwas auf der Motorhaube. Ein Knall. Ein gehörnter Kopf, der in der Windschutzscheibe steckte. Und das letzte, was sie sah und dachte war „Rehauge“.

„Rehauge“ war das Letzte, was sie zu ihm sagte. „Träum süß, Rehauge.“
Er musste immer noch darüber schmunzeln, als er schon längst im Bett lag. Er konnte sich nicht erinnern, wann er den Entschluss dazu gefasst hatte, aber er wollte sie wieder sehen. Er würde sie bei der Arbeit besuchen und nach ihrer Handy-Nummer fragen. Und wenn er dann das nächste mal hier in die Gegend kommen würde, wollte er unbedingt mit ihr etwas unternehmen. Etwas Trinken gehen, oder zum Essen, oder Kino. Egal was, aber er hatte das starke Bedürfnis, diese Frau näher kennen zu lernen. Er konnte sich ja selbst nicht erklären, warum. Das Wort Liebe kam ihm in den Sinn, was er aber sofort zur Seite fegte. Er war nicht der Typ, der sich so Hals über Kopf verliebte. Dazu war er zu realistisch. Er würde es eher schlicht und einfach Interesse nennen. Er wollte sie einfach gerne näher kennen lernen, und dann würde man weiter sehen. Vielleicht war er aber auch einfach nur noch in der Euphorie der letzten Stunden gefangen, und nach einer Woche, hätte er sie wieder vergessen. Das war natürlich durchaus möglich. Aber die Telefonnummer wollte er trotzdem, für alle Fälle, und mit diesem Entschluss schlief er selig ein.
Nach der Arbeit machte sich Andi schnell auf den Weg in die Pension. Er wollte nur schnell Duschen und sich umziehen, dann war er auch schon auf dem Weg in die Kneipe. Mit Herzklopfen öffnete er die Tür und trat ein. Suchend ließ er den Blick über den Gastraum gleiten, konnte Silvi aber nirgends entdecken. Es waren schon einige Gäste da, und eine zierliche Kellnerin hastete zwischen den Tischen umher. Er ging auf sie zu und fragte nach Silvi. Sie sah ihn mit großen glänzenden Augen an, drehte sich um und verschwand hastig hinter einer Tür mit der Aufschrift „Privat“.
Kurze Zeit später kam ein Mann mittleren Alters heraus und kam direkt auf ihn zu. Andi wurde ein wenig mulmig zumute. Aber er ließ sich nichts anmerken und fragte nun den Typen freundlich, wo Silvi sei.
„Wer will das wissen?“ fragte dieser nun nicht gerade freundlich und musterte ihn von oben bis unten.
„Ein alter Freund.“ behauptete Andi bestimmt.
Der Mann sah ihn nun fast fürsorglich an. Mit leiser sanfter Stimme erklärte er ihm:
„Silvi hatte heute Nacht einen Unfall. Ein Rehbock muss ihr vors Auto gelaufen sein. Sie hat versucht auszuweichen, ist dabei aber die Böschung runter gerutscht – genau auf einen Baum. Sie ist noch am Unfallort gestorben.“
Wie hypnotisiert verließ Andi das Lokal. Er konnte nicht mehr klar denken, und ihm war schlecht. Das konnte doch nicht war sein! Sie war tot, und er würde sie nie mehr sehen. Jetzt wusste er, dass es doch Liebe war. - Aber nur für eine Nacht.
 
Hallo SiggiH,

das ist eine schöne Geschichte.
Du hast sie flüssig erzählt. Ich habe Spannung gefühlt beim Lesen. Die Charaktere haben für mich Profil.
Ich wünsche dir noch viele gute Einfälle.

Liebe Grüße. Rhondaly.
 



 
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