Lord Vader

John

Mitglied
"A hard rain's a-gonna fall"
- Bob Dylan




Zufrieden blickte Rosi, eine rundliche Frau im Dirndl (ein „feistes bayrisches Madl“, wie man in der Gegend, aus der sie kam, wohl sagen würde) auf ihre bewaffneten Männer (und Frauen – es waren jedoch überwiegend Männer) in ihrer schwarzen Kleidung und ihren Springerstiefeln, wie sie sich da auf jener Waldlichtung versammelt hatten und ihren Befehl erwarteten.
„Der Dunkle Meister hat uns klare Anweisungen gegeben!“, rief sie, in ihrem starken südbayrischen Akzent, ihren wartenden Gesichtern zu.
‚Der Dunkle Meister‘ war der geheime Anführer der RFD und Rosi war die einzige, die Zugang zu ihm hatte. Oft traf sie sich mit ihm und bekam dann direkt von ihm die Befehle, welche sie an ihre Männer weitergab. Rosi behauptete, ‚Der Dunkle Meister‘ sei eine Art übernatürliche dämonische Macht, welche sich nur ihr allein zeigen würde. So richtig glauben konnte das von ihren Männern in Wirklichkeit niemand –manche zweifelten sogar heimlich an, dass er überhaupt existierte- doch traute sich niemand, zu widersprechen.
„Es geht um Anna Ebert!“, sagte Rosi.
Ein erwartungsvolles Raunen ging durch ihre Reihen: Anna Ebert war eine junge idealistische Politikerin, welche für alles stand, was die RFD ablehnte: Frieden, Gerechtigkeit, Toleranz...
„Werden wir uns endlich ihrer entledigen?“, rief Karl.
„Ja!“, sagte Rosi, „und ich habe auch schon meinen Agenten in der Innenstadt darauf angesetzt!“
Für einen kurzen Moment schwiegen sie einfach nur und starrten mit feuchten Augen ins Leere. Dann brach ein Jubel aus, wie Rosi ihn noch nie gekannt hatte: Endlich war es so weit. Wie lange hatten die Mitglieder der RFD auf diesen Tag gewartet! Endlich, nach all dieser Zeit, all diesen Jahren, in denen Der Dunkle Meister sie immer wieder hingehalten und zur Geduld, zum Warten auf den richtigen Zeitpunkt, ermahnt hatte, endlich also, würden sie ihren vielleicht größten Sieg über die Demokratie feiern…



Darth Vaders Handy klingelte. Er blieb stehen und begann, aufgeregt in seinen Taschen herumzukramen. Als er schließlich das Handy (ein weißes Samsung) zu fassen gekriegt hatte, wollte er es sich ans Ohr halten, bloß um dann festzustellen, dass das ja mit der Maske auf gar nicht ging. Also zog er sie aus und zum Vorschein kam das ansehnliche Gesicht einer jungen Frau, circa Mitte zwanzig, deren lange, blonde Haare nun zu beiden Seiten unter der Maske hervorfielen. Ihr Gesicht war breit, etwas pausbäckig, mit dem Hauch eines Lächelns, das eine gewisse innere Ruhe und Zufriedenheit vermuten ließ.
„Hallo?“, sagte sie, „Ja, Schatz! Ja! Aber Schatz, ich hatte Dir doch gesagt, dass ich mich heute noch mit den Nerds treffe! Ja! Wir sehen uns doch später! Tschüß!“ Sie machte ein Kussgeräusch, legte auf, steckte das Handy wieder ein und pfriemelte ihre Haare wieder umständlich unter die Darth-Vader-Maske.

Nach einiger Zeit hatte sie eine enge Gasse mit einer Reihe Cafés, Dönerläden und Miethäusern erreicht. Unten vor der Tür eines dieser Miethäuser stand bereits ein Mann im C3PO-Kostüm und war offensichtlich dabei, SMS zu schreiben. Als er unseren ‚Darth Vader‘ sah, rief er sofort: „Lord Vader, Euer Besuch ehrt uns! Welch unerwartetes Vergnügen!“
„Sparen Sie sich die Floskeln“, sagte ‚Darth Vader‘, „Ich bin hier um dafür zu sorgen, dass der Bau dieses neuen Todessterns wie geplant abgeschlossen wird!“
„Alles klar, Sarah!“, lachte C3PO, „Viel Spaß!“ Sarah grüßte ‚huldvoll‘ und betrat die bereits offene Tür, sich fragend, wer genau ‚C3PO‘ eigentlich war (sie konnte ihn ja nicht erkennen; er kannte sie offensichtlich, aber sie konnte die Stimme nicht identifizieren und beschloss, es auch gar nicht weiter zu versuchen).
Als sie im Begriff war, die unterste Treppe hochzugehen, begegnete ihr ein mürrisch dreinblickender Mann von etwa Anfang 60. Er trug eine Gärtnerhose, dazu Hemd und Hosenträger. Sarah verdrehte die Augen (aber das konnte ja unter der Maske niemand sehen): Sie kannte den Mann. Es war Svens unsympathischer Vermieter, Hermann Baum. Sven hasste ihn genau wie Sarah.
„Karneval is‘ vorbei!“, spottete Baum bei ihrem Anblick. Am liebsten hätte sie ihm eine gescheuert, beschloss aber, so zu tun als ignoriere sie ihn komplett und ging weiter die Treppen hinan, während Baum ihr kopfschüttelnd nachblickte und dann seine Wohnung betrat.
Oben vor Svens Apartment stand Sven, der Gastgeber der Nerd-Party (wie alle zwei Wochen), ein dünner Mann um die zwanzig mit braunen Haaren, vertieft in ein Gespräch mit einem Stormtrooper und einer Prinzessin Leia (er selbst trug ein Jedi-Gewand). Auch er grüßte Sarah freundlich. Dann betrat sie die Wohnung, um dort sofort Anstoß an der Musik zu nehmen: Es handelte sich um Filmmusik aus ‚Herr der Ringe‘. Filmmusik aus ‚Herr der Ringe‘? Auf einer Party? Sarah musste Abhilfe schaffen und so kramte sie in ihrer Handtasche, die sie unter dem Kostüm verborgen hatte und legte schließlich, als sie die extra mitgebrachte CD gefunden hatte, Musik aus ‚Harry Potter‘ auf. Sofort begann eine Person im Chewbacca-Kostüm (wieder hatte Sarah leider keine Ahnung, um wen es sich handelte) zur Harry-Potter-Musik eine Art wilden Breakdance aufs Parkett zu legen.
„Sarah, ich hab Dir schon tausendmal gesagt, eine Frau darf sich nicht als Darth Vader verkleiden!“ Peter, ein kleiner schmächtiger Kerl im Han-Solo-Outfit, das bei ihm besonders lächerlich aussah, kam angelaufen.
„Ich weiß Peter“, antwortete Sarah sarkastisch, „sondern nur als Leia, jaja... Am Besten noch im Sklavendress in Jabbas Palast, was Peter?“
„Äh, so war das nicht gemeint“, sagte Peter etwas kleinlaut, „Außerdem hast Du ja noch Auswahl! Es gibt ja nicht nur Leia, es gibt ja auch noch Jabbas grüne Tänzerin, Mon Mothma und Lukes Tante Beru!“
„Na toll“, Sarah verdrehte die Augen. „Ich weiß gar nicht, was Euer Problem ist“, mischte sich da plötzlich Kathi ein, eine Bekannte der beiden, welche ein Jedi-Gewand trug, „Habt ihr die Prequels nicht gesehen?“
„OK, das ist das Stichwort!“, entfuhr es Sarah, „ich gehe!“
„Halt Sarah, jetzt warte doch mal!“, rief ihr Kathi hinterher. „Genau“, stimmte Peter mit ein, „wie kann man nur so intolerant sein! Also ich persönlich hasse die Prequels nicht! Gut, sie sind nicht so gut gemacht wie die alten Filme, aber dafür haben sie eine Story, die teilweise sogar noch besser ist, als die der alten Filme!“
„Ihr wollt mich wohl verarschen“, sagte Sarah, „Ich hab nur einen von den Scheiß Filmen gesehen und Jar Jar Binks muss sterben!“
„Also ich liebe Jar Jar Binks“, sagte Kathi. Sarah verdrehte stöhnend die Augen.
„Ich nicht“, widersprach ihr Peter, „aber ich hasse ihn auch nicht! Er ist eher was für Kleinkinder und eher nervig als zum Lachen, das gebe ich zu; aber er ist eine wichtige handlungstragende Figur!“
„Also…“, hob Sarah an. Dann stockte sie; in der Tür stand plötzlich eine Person, die ganz offensichtlich nicht auf die Party gehörte: Baum.
„Das halt‘ ich nich‘ aus!“, grummelte er, Lärmbelästigung… verdammte Hippies…“
Er ging einfach zum CD-Player, öffnete ihn und nahm die Harry-Potter-CD heraus. Dann suchte er noch mit den Augen das kleine Tischchen ab und schnappte sich auch die Hülle. Sarah hatte ihn vor Schreck einfach sprachlos beobachtet.
„Da soll ein Mensch fernsehen können bei dem Gedöns!“, murmelte Baum und schickte sich an, die Wohnung zu verlassen.
„E…es ist zwei Uhr nachmittags!“, entfuhr es Sarah, „Wir verstoßen nicht gegen die Mittagsruhe! Sie haben dazu kein Recht!“
„Ich hab zu noch ganz andere Sachen ein Recht, Fräulein!“, sagte Baum aggressiv. Sich fragend, was das wohl bedeuten sollte, blieb Sarah eine passende Erwiderung im Hals stecken.
„Herr Baum, Herr Baum!“, rief Sven ihm hinterher, als er die Wohnung schon verlassen hatte. „Weg“, sagte er dann, sich zu den anderen umdrehend. Anscheinend hatte Baum auch das Haus verlassen.
„Hey Sarah“, sagte Sven, „das tut mir wirklich leid! Baum ist ein Arsch! Du hattest vollkommen recht, das stand ihm nicht zu und ich rede mit ihm, ja?“


„Rosina ‚Rosi‘ Müller! Hat früher in Bayern als Grundschullehrerin gearbeitet, bis herauskam, dass sie den Kindern nach Schulschluss irgendein süchtig machendes Medikament verkaufte, das sie selbst zusammengepanscht hatte. Sollte ihre Aufmerksamkeit im Unterricht fördern. Hat es auch, aber leider hatte es die Nebenwirkung, dass es, wie gesagt, süchtig machte und die Familien sich in Unkosten stürzen mussten, um den Kindern mehr zu besorgen. Für Rosi war das ein lukratives Geschäft, für die Schüler und deren Eltern… weniger“.
Nora lächelte, wobei sich ihre Stirn beim Gedanken an Rosi in Sorgenfalten legte.
„Und die“, sagte Anna irritiert, „leitet jetzt diese Untergrundorganisation, die sich ‚Recht für Deutschland‘ nennt?“
„Genau“, antwortete Nora, „‘RFD‘! Die RFD ist überzeugt, dass die Demokratie der falsche Weg sei und sie seien dazu ausersehen, Deutschland zu beherrschen. Wir wissen also, wer dahintersteckt, aber da wir nicht wissen, wo sie sich aufhalten, ist das im Moment ein bisschen wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen!“
Nora war bei der Kriminalpolizei und seit der Uni mit Anna befreundet. Seitdem Anna zur populären, stets in den Medien präsenten, Politikerin aufgestiegen war, hatte Nora sich freiwillig bereiterklärt, kostenlos ein wenig auf Annas Sicherheit zu achten. Denn Anna hatte auch Gegner.
Es polterte im Nebenzimmer von Annas Büro. Anna und Nora schreckten auf und Nora zückte sofort ihre Pistole und stürmte darauf zu.
„Wer sind Sie, was wollen Sie?“, hörte Anna Nora nebenan rufen und dann hörte sie das Stöhnen einer männlichen Stimme, welche Anna nur allzu vertraut erschien. Sie ging zu Nora und, tatsächlich, ihre Annahme bestätigte sich:
„Ist schon gut“, sagte Anna, die Augen verdrehend, „Du kannst ihn loslassen, Nora!“
„Kennst Du ihn?“, Nora lockerte den Polizeigriff, blickte aber immer noch misstrauisch auf den etwa dreißigjährigen Mann mit langen Haaren und Bart, in T-Shirt, zerrissener Jeans und abgelatschten Turnschuhen, den sie da zu Boden gezwungen hatte.
„‘Kennen‘ ist ein lustiger Begriff“, sagte Anna, „er ist mein Bruder!“
Anna war eine Musterschülerin mit Einser-Abitur gewesen, die danach ein erfolgreiches Politik-Studium abgeschlossen hatte und heute, mit sechsundzwanzig, bereits als berühmte Politikerin aktiv tätig war. Ihr älterer Bruder Tom dagegen hatte die Schule abgebrochen um Rockstar zu werden, was bedeutete, dass er inzwischen seinen Tagesbedarf an Dosenbier durch seine Tätigkeit als Straßen-Musiker bestreiten konnte, für alles andere, hauptsächlich Miete und Verpflegung jeglicher Art, aber bis zu deren Tod auf ‚großzügige Spenden‘ von Seiten seiner Eltern und jetzt von Seiten Annas angewiesen war. Nora wusste, dass Anna einen Bruder hatte, war ihm aber bis jetzt nie persönlich begegnet.
Anna warf Nora einen bestimmten Blick zu und die verstand instinktiv und ließ die beiden allein, wobei sie im Gehen immer noch Tom misstrauisch fixierte.
„Also Tom“, sagte Anna sarkastisch, direkt zum Punkt kommend, „Wieviel soll es denn sein?“
„Tausend“, antwortete Tom schief grinsend, „Wären für den Anfang schon mal gar nicht so schlecht!“
Tom war zwar ein Idiot, aber er war immer noch Annas Bruder und natürlich sorgte sie sich um ihn. Zumal er nach dem Tod der Eltern das einzige Stück Familie war, das ihr noch blieb.
„Weißt Du, Tom“, seufzte Anna, während sie in ihrem Portemonnaie herumkramte, „Ich würde es wirklich begrüßen, wenn Du Dir mal’n Job suchen würdest…“
„Ich hab’n Job“, gab Tom zurück.
-„Einen von dem Du leben kannst mein ich“
-„Ach so, die Art Job…“

„Lass mich raten“, sagte Nora, nachdem Tom gegangen war, „Du bist nicht das schwarze Schaf der Familie, Anna!“
„Irgendwo versteh‘ ich ihn ja“, seufzte Anna, „er hat wirklich ‘nen guten Musikgeschmack und ich würde ihm ja gönnen, dass er von dem, was ihm Spaß macht, leben könnte! Aber solange das nicht geht, wählt er halt einfach den falschen Weg, wenn er nicht wenigstens mal versucht, eine Arbeit zu finden!“
Plötzlich fiel ein Schuss. Anna stieß einen Schmerzensschrei aus und hielt sich die Schulter. Blitzschnell sah Nora sich um und registrierte ein winziges Loch in der Fensterscheibe und eine verschwommene Silhouette, die im Haus gegenüber davonlief.
Sie wollte hinterher sprinten, hielt dann aber inne. Verzweifelt blickte sie zwischen Anna und dem Fenster hin und her.
„Ist schon OK!“, sagte Anna, sich die Schulter haltend. „Versuch Du den Typen zu kriegen, ich ruf‘ mir selbst ‘nen Krankenwagen!“
Nora wollte Anna nicht aus den Augen lassen. Aber wenn sie den Schützen davonkommen ließe, würde sie nie erfahren, für wen er arbeitete. Abgesehen davon, dass sie ihre polizeiliche Pflicht vernachlässigen würde. Schnell funkte sie ihre Kollegen an und erzählte ihnen von der Sache. Dann bat sie noch einen, zu Anna zu fahren und ein Auge auf sie zu werfen, was dieser auch versprach. All das geschah innerhalb kürzester Zeit.
„Rühr Dich nicht vom Fleck!“ rief sie dann Anna zu, dann nahm sie die Verfolgung auf.
Unten vor der Tür sah sie den mutmaßlichen Attentäter in Richtung der Hauptstraße fliehen. Sie preschte, unter Hupen und Reifenquietschen, über die Straße, worauf der Täter leider seinen Schritt beschleunigte
Kilometerlang (so schien es Nora) jagte sie ihn die Hauptstraße hinauf, vorbei an Friseurläden, Hinterhöfen Tankstellen und was-nicht-noch-allem, bis er schließlich den Fehler machte, die Straßenseite wechseln zu wollen… und prompt vor ein Auto lief.
Nora sprintete zu ihm und hielt dem geschockten Fahrer ihren Polizeiausweis entgegen.
Der Täter, ein etwa Vierzigjähriger, war blutüberströmt. Seine Waffe war ihm aus der Jackentasche gefallen und lag neben ihm.
„Wer ist Dein Auftraggeber?“, schrie sie ihn an. Irritierenderweise grinste der Mann;
„Was soll das?“, fauchte Nora, „warum grinst Du so?“
„Du hättest bei Ebert bleiben sollen“, sagte der Mann nur noch, dann schloss er die Augen.


Eigentlich schmeckte Tom dieses Aldi-Bier gar nicht, aber was sollte er schon tun, wenn er sich nun einmal nichts anderes leisten konnte? Mit dem Trinken aufhören?
„Mach Dich doch nicht lächerlich!“, sagte er, um dann, peinlich berührt, zu bemerken, dass er gerade mit sich selbst sprach, beziehungsweise mit seinem Gehirn. Jedenfalls war der Geruch der Pizza beruhigend, die er gerade von Annas Geld erstanden hatte.
„Ich muss es ihr irgendwie zurückgeben“, dachte er. Aber jetzt war nicht der Zeitpunkt, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, für heute Abend würde er sich Led Zeppelin auflegen (oder sowas) seine Pizza und sein Bier genießen und an nichts Schlimmes mehr denken. Gerade wollte er seine winzige Wohnung betreten da fiel sein Blick auf den Fernseher im Kiosk in der Nähe. „Berühmte Politikerin tot“, stand da oben auf dem Bildschirm, „Anna Ebert ermordet in ihrem Büro aufgefunden.“ Klatsch, die Pizza war in den Dreck gefallen, sowie das geöffnete Bier, welches sich nun über den Bordstein ergoss…


„Machst Du wieder Dein Star Trek?“
Sarah konnte sich noch gerade so zurückhalten, nicht ausfallend zu werden. Da es ihr aber gelang, beschloss sie, es gut sein zu lassen: Leuten wie Lena konnte man nicht helfen, wenn diese nicht in der Lage waren, den Unterschied zwischen diesem modernen Klassiker Star Wars und dieser billigen Science-Fiction Star Trek zu erkennen.
Lena Meier, Kindergärtnerin und Leiterin einer Kindertagesstätte in Köln Süd, Sarahs beste Freundin seit Schultagen, saß in ihrer bald schon klaustrophobisch beengten Wohnung (trotzdem war das noch der reinste Luxus-Palast im Gegensatz zu Toms ‚Apartment‘) und topfte ihre Blumen um. Sarah half ihr dabei.
„Zu sagen, dass Star Wars keinen Bezug zur Realität hätte, ist einfach völlig falsch, Lena“, konnte Sarah sich doch nicht zu sagen verkneifen, „immerhin geht es um wichtige Themen wie zum Beispiel den Vater-Sohn-Konflikt…“
„Ich bitte Dich Sarah“, gab Lena zurück, „wie kann es in einem Film mit Raumschiffen und piepsenden Robotern um den Vater-Sohn-Konflikt gehen?“
Sarah stöhnte und verdrehte die Augen: Lena war offensichtlich unbelehrbar.
„Ich will Dir doch nur helfen, Schatz!“, sagte Lena in einem beschwichtigenden Tonfall, „wenn Du mehr Zeit für Dein Politikstudium aufwenden würdest als für Star Trek, dann wärst Du vielleicht heute schon fertig. Und dann müsstest Du auch nicht mehr diesen schrecklichen Job machen…“
Sarah seufzte. Lena hatte ja Recht. Ihr Supermarkt-Job war wirklich nicht der tollste, den man sich vorstellen konnte. Und sie war noch nicht mal gut darin. Aber sie hasste es eben, gemaßregelt zu werden, sei es nun durch Lena oder durch ihre, Sarahs, Mutter, die im Prinzip dasselbe sagte. Sarah wusste, dass sie es beide nur gut meinten, aber es war ihr trotzdem unangenehm.


Fassungslos starrte Tom auf das kleine Holzkreuz. Wenn es wenigstens schon ein richtiger Stein gewesen wäre. Aber das würde ja noch kommen. Plötzlich tippte ihn jemand von hinten an. Vor Schreck drehte er sich mit einer solchen Wucht um, dass er die Person dabei zu Boden stieß.
„Oh sorry“, sagte er, ihr aufhelfend. Es handelte sich um eine junge Frau –ziemlich attraktiv eigentlich, schlank, durchtrainiert, dunkelhäutig, mit krausen Haaren und schönen dunklen Augen. Sie kam Tom irgendwie bekannt vor, aber er konnte sie gerade nicht einordnen.
„‘tschuldigung“, sagte er, „kennen wir uns nicht irgendwoher?“
„Das ist der Grund, aus dem ich zu Dir gekommen bin, Tom!“, sagte sie, sich mit säuerlichem Gesichtsausdruck die Schulter haltend, „ich war Annas beste Freundin!“
Plötzlich dämmerte es Tom: „Lydia!“, rief er fröhlich aus. Sie gab ihm eine Ohrfeige.
„Oh Entschuldigung“, sagte sie, „war ein Reflex! Mein Name ist Nora!“
„Ich wusste doch, es war ein Name, der mit ‚a‘ aufhörte!“, sagte Tom mit seinem so typischen schiefen Grinsen, während er sich die Backe rieb.
„Hör mal, Tom!“, sagte Nora, sich nervös umblickend, „kann ich Dich mal sprechen?“
-„Tust Du doch schon!“
-„Nein, ich meine, irgendwo, wo ich mich nicht so beobachtet fühlen muss! Können wir in Deine Wohnung gehen?“ Das missfiel Tom. Er mochte es nicht, wenn jemand in sein kleines Refugium eindrang, gerade weil es so klein war.
„Warum gehen wir nicht in Deine Wohnung?“, fragte er.
„Also schön“, seufzte sie.

Noras Wohnung war ganz anders als Toms. Sie war größer. Sie war sauber. Und es hingen keine halb-abgerissenen Metallica-Poster an der Wand. Das war Tom sehr unangenehm und er stellte fest, dass er sich nicht gern bei ihr aufhielt. Sie gingen in die Küche (diese war nicht besonders groß, aber im Gegensatz zu Tom hatte sie wenigstens eine) und Nora machte Kaffee. „Kann ich Dir auch ‘nen Kaffee anbieten, Tom?“, fragte sie.
„Hättest Du auch Kakao?“, fragte Tom.
„Ähm nein, tut mir leid“, reagierte sie irritiert.
„Also, worum geht es denn?“, fragte Tom, als sie am Tisch saßen.
„Es geht um Anna“, seufzte Nora. Sie wurde kleinlaut und nervös: „Ich…ich hatte versprochen, auf sie aufzupassen und…“
„Na“, sagte Tom, sehr unbeholfen bemüht, Mitgefühl zu zeigen, „mach Dir deswegen nicht so große Vorwürfe…“ Er wusste gar nicht, was er weiter sagen sollte.
„Als ich zurückkam“, sagte Nora, „lag sie da!“
„Und Du hast keine Ahnung“, fragte Tom, „wer das gewesen sein könnte?“
„Naja“, antwortete Nora, „wir vermuten, dass es der Notarzt war. Also, nicht wirklich der Notarzt, sondern eine Person, die sich als Notarzt bzw. Notärztin ausgegeben hat! Ich hatte meinen Kollegen Robert gebeten, nach Anna zu sehen, während ich den Schützen verfolgte. Aber als er ankam, war es schon zu spät. Anna hatte gesagt, sie wollte sich einen Krankenwagen rufen, so passt alles zusammen. Sie wurde vergiftet und in ihrem Arm hat man einen Einstich gefunden. Vermutlich hat der Täter behauptet, ihr ein Betäubungsmittel zu spritzen!“
„Und Du bist sicher, dass nicht dieser Robert was damit zu tun hat?“. fragte Tom. Es war seltsam, derart ‚sachlich‘ über den Tod seiner Schwester zu sprechen. Aber gerade das machte auch die Situation erträglicher.
„Ich vertraue Robert!“, sagte Nora, „natürlich können wir versuchen, sein Alibi noch einmal zu überprüfen, aber ich kann Dir versichern, dass er nichts damit zu tun hat. Warum auch, ich meine, welches Motiv sollte er haben? Nein, also ich verdächtige eher diesen ‚Notarzt‘. Sie wussten, dass der Schütze nur einen Versuch hatte, und hatten sich für den Fall, dass er Anna nur verletzen würde als ‚Plan B‘ die Sache mit dem Krankenwagen ausgedacht. Wir haben den Schützen identifiziert, er ist ein professioneller Auftragskiller namens Karsten Groth. Aber er starb im Krankenhaus bevor er uns sagen konnte, wer ihn beauftragt hatte. Das muss ich jetzt rausfinden und dafür brauch‘ ich Deine Hilfe, Tom!“
„Wieso meine Hilfe?“, fragte Tom erstaunt.
-„Weil ich einen Assistenten brauche!“
-„Kann das nicht einer Deiner Polizei-Kollegen machen?“
-„Du verstehst nicht, Tom!“ Ihre Stimme wurde gedämpfter, „Ich darf diesen Fall eigentlich gar nicht übernehmen! Befangenheit!“
Das Wort kam Tom irgendwie bekannt vor, aus den Fernsehkrimis.
„Trotzdem versteh‘ ich nicht“, sagte er, wieso Du dann ausgerechnet zu mir kommst!“
-„Weil Du Annas Bruder bist. Beziehungsweise warst. Du kennst sie.“
„Ich bezweifle“, sagte Tom, „, dass ich sie wirklich besser kannte als Du!“
-„In jedem Fall wirst Du mehr Grund haben, mir zu helfen als irgendjemand anders. Willst Du nicht herausfinden, wer Deiner Schwester das angetan hat?“
-„Das bringt sie auch nicht zurück!“
Nora seufzte. „Da hast Du Recht, Tom, aber…“ Sie dachte angestrengt nach. Plötzlich hatte sie eine Idee:
„Was wirst Du jetzt eigentlich tun, Tom?“
-„Wie meinst Du das?“
-„Ich meine, was hast Du jetzt vor? Du kannst Dir kein Geld mehr von Anna leihen!“
„Danke, dass Du mich dran erinnerst!“, bemerkte Tom sarkastisch, „also ich hatte ja so oder so vor, mir endlich mal ‘nen richtigen Job zu suchen! Natürlich wird es schwierig, wenn ich nicht bald einen finde. Ich hab‘ noch die tausend Euro die Anna mir…zuletzt… gegeben hat, danach…“
„Dann bräuchtest Du ja zur Überbrückung vielleicht nochmal jemanden, der Dir was geben kann…“, sagte Nora verschmitzt lächelnd. Jetzt begriff Tom:
„Moment, versuchst Du etwa mich zu bestechen?“ Er senkte den Blick und fügt verdruckst hinzu: „Denn das gelingt Dir gerade…“ „Stimmt“, bemerkte er dann noch, „Du dürftest ja als Kriminalpolizistin auch ganz gut verdienen!“
„Nicht so gut wie Du vielleicht denkst“, sagte Nora, „aber für den Moment sollte das in Ordnung sein. Also, sind wir uns dann einig?“
„Also schön“, seufzte Tom schließlich, „kannst Du mit denn dann schon mal tausend Euro leihen?“
-„Aber Anna hatte Dir doch gerade noch…“
-„Ich weiß, aber ich kenn mich und weiß, wie schnell ich die wieder rausgehauen habe!“
Widerwillig gab Nora Tom das Geld, sich fragend, ob sie bei ihrer Idee vielleicht einen entscheidenden Haken nicht mitbedacht hatte…


„Warum hast Du eigentlich nur mit Leuten zu tun, die mit Star Wars nichts anfangen können?“
„Ich hab‘ mit Euch zu tun!“, antwortete Sarah.
„Ich weiß“, sagte Kathi, „ich meine ja auch mehr so im ‚richtigen Leben‘“
„Naja“, sagte Sarah, „Lena und ich kennen uns halt schon von der Schule. Ich war immer ‘ne Außenseiterin und sie hat sich irgendwie meiner angenommen und sowas verbindet halt auf Dauer! Was dagegen Paul betrifft…“
„Also ich“, warf Peter ein, „könnte nie in ‘ner Beziehung sein mit jemandem, der Star Wars nicht mag!“
„Ich glaub Du könntest überhaupt nie in ‘ner Beziehung sein, Peter“, zog Kathi ihn auf.
„Doch könnte ich“, sagte Peter trotzig, „aber das müsste ‘ne Tussi sein, die Star Wars mag! Das ist für mich die Feuerprobe! Ein so’n Spruch wie ‚Aber warum fliegen da Buchstaben durch’s Weltall?‘ und es ist aus!“
„Hey Sarah“ Sven hatte ihr an die Schulter getippt. Sarah blickte erwartungsvoll.
„Und, hast Du die CD?“, fragte sie.
„Leider nein“, antwortete er, „das wollte ich Dir gerade sagen! Ich erreiche Baum einfach nicht, er geht nicht ans Telefon und scheint auch nie zu Hause zu sein! Aber ich versuch’s weiter, ja?“
„Nee, das reicht mir jetzt“, bemerkte Sarah, mehr zu sich, als Sven sich entfernt hatte, „ich werd‘ jetzt selber mal zu Baum gehen, ich will meine CD zurückhaben!“


Tom und Nora hatten das Erstbeste getan, was ihnen eingefallen war und hatten sich an den Tatort begeben, Annas Büro nämlich. Tom hatte sich einen bösen Blick Noras eingehandelt, als er sich nicht verkniff, zu bemerken, dass er als Nicht-Kriminalist auch auf die Idee hätte kommen können.
„Es geht nicht nur darum!“, sagte sie, „man muss auch wissen, wonach man zu suchen hat!“
„Zum Beispiel nach dieser CD!“, sagte Tom und hob eine auf dem Boden liegende CD mit kaputter Hülle auf.
„Ich glaube, nicht dass…“, setzte Nora an, um dann zu stocken: Das war sicher keine von Annas CD’s, daher konnte das tatsächlich ein wichtiger Hinweis sein.
„‘Harry Potter und der Stein der Weisen‘“, las Tom vor, „‘der Original-Soundtrack zum Film‘! Ich glaub‘ nicht, dass Anna sowas gehört hat…oder?“
„Nein“, sagte Nora erfreut, „hat sie nicht! Und ich höre das auch nicht. Hörst Du das?“
„Nein“, sagte Tom.
Die CD könnte also dem Täter gehört haben. Nora nahm sie in die Hand, drehte sie um und –es war fast schon zu gut um wahr zu sein- auf der Rückseite fanden sich ein Name und eine Adresse, die einer gewissen Lena Meier aus Köln.


Lena ging nochmal den Plan für den Stuhlkreis durch: Sie konnte Gregor nicht neben Karsten setzen, die beiden machten immer zusammen Quatsch und störten alle. Aber Simone haute alle Jungs, deshalb musste sie links und rechts von ihr jeweils ein Mädchen setzen. Wobei, wenn Lena recht bedachte, Simone leider auch immer alle Mädchen haute. Am besten würde sie Simones Eltern anrufen und diese bitten, Simone weiszumachen, der Kindergarten falle morgen aus.
In diesem Moment klingelte es an der Tür. Lena stand auf und stieß sich erstmal fluchend den Kopf an ihrer Deckenlampe. Sarah würde wahrscheinlich wieder sagen, Lenas Wohnung erinnere sie an eine Hobbit-Höhle. Zum Glück war Sarah nicht da! Lena quetschte sich schließlich erfolgreich durch ihren engen Flur, der schon zur Hälfte durch ihren Kleiderständer eingenommen wurde, und öffnete die Haustür. Davor standen ein Mann und eine Frau. Die Frau hielt ihr sofort eine Polizeidienstmarke entgegen.
„Haben Sie Anna umgebracht?“, fragte Tom.
-„Was?!?“
Nora hüstelte peinlich berührt.
„Tom, was machst Du denn?“, raunte sie ihm zu und sagte dann laut zu Lena: „Wir, äh, hätten da ein paar Fragen. Es geht um den Tod von Anna Ebert, Sie haben vielleicht davon gehört…“
„Ähm, jaja…“, stammelte Lena, immer noch mit aufgerissenen Augen Tom fixierend.
„Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?“, fragte sie dann Nora in einem forschen Tonfall.
„Ähm, nein!“, antwortete Nora.
-„Dann können Sie auch nicht rein! Aber selbst wenn, es wäre eh schwierig meine Wohnung zu durchsuchen, es sei denn, Sie würden ein Polizei-Wiesel einsetzen!“ Lena lachte.
„Sie hat etwas zu verbergen!“, sagte Tom.
Was?“, fragte Nora.
„Überleg‘ doch mal, Nora:“, fuhr Tom fort, „warum sonst sollte sie uns den Zutritt zu ihrer Wohnung verweigern?“
„Ich hab‘ keine Ahnung, wovon…“, setzte Lena an.
„Sie war meine Schwester!“, brüllte Tom. Tränen schossen ihm in die Augen und er packte die verdutzte Lena am Kragen und rüttelte sie. „Sie war meine Schwester, Du miese Sau! Das einzige Stück Familie, das ich noch hatte!“ Er festigte seinen Griff und schien sie zu Boden werfen zu wollen. Dann hielt er kurz inne.
„Tom!“, schrie Nora entsetzt und zückte im Reflex ihre Pistole
Tom schien ein wenig zur Vernunft zu kommen.
„Ich hab‘ so getan, als könnte ich mit Annas Tod umgehen!“, sagte er, sich fangend, während er seinen Kopf zu Nora wandte, „aber das stimmt nicht! Ich weiß nicht, ob sie es war, aber eins weiß ich, Nora: Wenn wir die Person finden, musst Du mich zurückhalten, leg mir Handschellen an, wenn es sein muss, schlag mich K.O.. Denn ich weiß nicht, was ich sonst tue!“
„Ich versichere Dir Tom“, sagte Lena, „ich war’s nicht!“ Sie war erstaunlich ruhig dafür, wie Tom gerade mit ihr umgesprungen war. „Mein herzliches Beileid!“, fügte sie hinzu.
„Es tut mir furchtbar leid, Frau Meier!“, sagte Nora, während sie Tom langsam aber bestimmt von Lena wegzerrte, „Wir…ich wollte Ihnen nur ein paar Fragen stellen! Es geht um diese CD. Was können Sie uns dazu erzählen?“
Lena sah sich die CD genau an und schluckte dann trocken:
„Das sieht mir wohl nach einer von Sarahs CD’s aus! Wenn Sarah ein bisschen knapp bei Kasse ist –und das ist sie meistens- tue ich ihr manchmal den Gefallen, die auf meinen Namen zu bestellen! Woher haben Sie die?“
„Sarah wie?“, fragte Nora, ohne auf Lenas Frage einzugehen.
„Sarah Masic“, klärte Lena sie auf, „Sie ist meine beste Freundin. Sie arbeitet in einem Supermarkt in der Nähe und jetzt im Moment trifft sie sich mal wieder mit den Star-Trek-Fans bei… Sven oder wie der heißt! Hier, ich schreib‘ Ihnen die Adresse auf! Aber Sie denken doch nicht, dass Sarah was mit dem Mord zu tun hat, oder?“
„Das bleibt abzuwarten!“, sagte Nora.

Kaum waren Tom und Nora von dannen gezogen, ergriff Lena hastig ihr Handy und wählte Sarahs Nummer. Dummerweise hatte Sarah ihr Handy ausgeschaltet, also zog Lena sich rasch etwas über und brach auf.

„Ich hab gemacht, was ihr mir gesagt habt“, sagte Uwe, „ich hab‘ ihr Telefon abgehört und mich als Notarzt verkleidet, als sie einen gerufen hat. Dann hab‘ ich ihr das Gift gespritzt und behauptet, das sei was Gutes! Wo ist jetzt die Kohle?“
Friederike reichte ihm einfach wortlos das Bündel.
„War mir ‘ne Freude, mit Euch RFD-Typen Geschäfte gemacht zu haben!“, sagte er dann noch, „jederzeit wieder gern!“
„Abschaum“, grummelte Baum, als Uwe, der Auftragskiller, gegangen war, „nur an Geld interessiert, keine Ideologie!“
„Trotzdem“, gab Friederike zu bedenken, „sind wir für den Moment auf diesen Abschaum leider angewiesen, Hermann! Gedulde Dich noch ein bisschen, wenn wir an der Macht sind, wird es staatliche Eliminatoren geben, die es aus Spaß an der Sache tun!“
„Schwärm‘ nicht zu sehr!“, sagte Baum, „das erinnert mich nur schmerzlich daran, wie weit wir von diesem Traum noch entfernt sind!“
„Gar nicht so weit wenn es nach Lady Rosina geht...“
In diesem Moment klingelte es an der Tür. Fluchend ging Baum die Kellertreppe hoch und öffnete. Draußen stand Sarah.
„Was gibt’s?“, fragte Baum missmutig.
„Herr Baum“, krakeelte Sarah aufgebracht, „ich möchte, dass Sie mir auf der Stelle meine CD zurückgeben!“
„Wie CD?“, fragte Baum irritiert. Dann erinnerte er sich. „Hab ich nich‘ mehr“, sagte er barsch, „hab‘ ich verloren!“
„Wie verloren?“ Sarah war außer sich. „Dann müssen Sie mir die CD ersetzen!“
„Ach“, grunzte Baum nur und schlug Sarah einfach die Tür vor dem Gesicht zu. Doch wenn er dachte, dass Sarah sich so leicht würde abspeisen lassen, hatte er sich getäuscht: Sie ging die Wand des Hauses ab und fand – tatsächlich- ein unachtsam aufgelassenes Kellerfenster. Sarah kletterte hindurch und sah sich um (sie ging davon aus, dass Baum log und die CD hier irgendwo rumliegen musste). In diesem Raum, mit Gartenarbeitsgeräten und Ähnlichem, war sie aber nicht. Das war Sarah egal. Sie würde Baums komplette Wohnung durchsuchen wenn es nötig wäre. Sie durfte sich nur nicht erwischen lassen. Vorsichtig lugte sie um die Ecke in den Flur hinein. Baum war nirgends zu sehen. Im Raum gegenüber brannte Licht und die Tür war ein Spalt weit offen.
„Wann werden wir denn Operation Zukunft in die Tat umsetzen?“, hörte sie Baums Stimme aus dem Zimmer.
„Was genau war nochmal war Operation Zukunft?“, fragte eine Frauenstimme.
„Wie das hast Du vergessen?“, sagte Baum, „Lady Rosina hatte es doch kürzlich nochmal erklärt! ‚Operation Zukunft‘ bedeutet nichts anderes, als dass wir die Macht übernehmen! Mit einem gezielten Schlag gegen die Regierung. Wir marschieren gegen den Bundestag und übernehmen die Kontrolle!“
„Meinst Du wirklich“, fragte Friederike, „dass wir dafür genug Leute haben?“
„Ja“, antwortete Baum nur, „und nun da wir uns der Ebert entledigt haben, sind unsere Leute auch motivierter und die Bevölkerung demoralisierter, also dürfte das jetzt genau der richtige Zeitpunkt sein!“
Sarah japste entsetzt. Das war ein Fehler.
„Da ist jemand“, rief die Frauenstimme aufgeregt.
„Ich seh‘ mal nach!“, sagte Baum. Da ging auch schon die Tür auf. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte Sarah, was sie tun sollte, dann entschied sie sich für eine Verzweiflungstat und warf sich mit ihrem vollen Gewicht von außen gegen die Tür.
Sie hörte ein Rumpeln.
„Au“, rief Baum von innen, „er hat mir die Nase gebrochen!“
„Na warte“, sagte die Frau. Rasch trat sie aus dem Raum und hielt Sarah eine Pistole entgegen.
„Du hältst Dich wohl für unglaublich clever, was Kleine?“, fragte sie gehässig.
Panisch blickte Sarah sich zu allen Seiten um, sah aber keinen Ausweg. Schon hatte sie mit ihrem Leben abgeschlossen, als jemand von rechts angestürmt kam und die Frau mit einem Holzscheit K.O. schlug: „Gern geschehen, Schatz!“
„Lena!“, rief Sarah erfreut aus.
„Sven sagte mir, dass Du hier runter gegangen seist!“, sagte Lena, „als ich dann das offene Kellerfenster sah, konnte ich mir den Rest zusammenreimen!“
„Was ist hier los?“, fragte da plötzlich eine Frauenstimme hinter ihnen. Sie drehten sich um und da standen Tom und Nora.
„Baum hat Anna Ebert umgebracht!“, sagte Sarah.
„Wer ist Baum?“, fragte Nora. Genau in diesem Moment kam Baum mit blutender Nase aus dem Kellerraum. Als er Nora sah, ergriff er sofort die Flucht. Aber natürlich war sie wesentlich schneller als er und so hatte sie ihn innerhalb kürzester Zeit in Handschellen gelegt. Dann funkte sie ihre Kollegen an.

„Ich denke, damit dürfte Sarah entlastet sein, oder?“, fragte Lena, als die vier sich draußen versammelt hatten, während sie auf die Polizei warteten.
„Ihr müsst auf jeden Fall alle aufs Präsidium mitkommen!“, gab Nora zur Antwort.
„Ich muss Euch noch was sagen!“, bemerkte Sarah. Und sie erzählte allen von ‚Operation Zukunft‘ und was Baum dazu erklärt hatte.
„Hast Du mitbekommen, für wann sie das planen?“, fragte Nora sie.
-„Keine Ahnung, aber wohl schon bald!“
-„Wir müssen herausbekommen, wo sie sich treffen und zwar schnell!“


Sie blickten durch jenes große Glasfenster des Verhörraums, welches für die Personen im Raum wie ein Spiegel aussieht. Friederike saß dort und starrte manisch vor sich, ohne eine Miene zu verziehen.
Nora brauchte eine Pause. „Puh“, sagte sie, „ich weiß nicht, was Rosi mit denen gemacht hat, aber sie hat ganze Arbeit geleistet!“
„Gehirnwäsche?“, fragte Sarah.
-„So was in der Art, ja!“
Ein Wachmann kam und tuschelte etwas zu Nora.
„Was?“, rief diese darauf fassungslos, „wie konnte das denn passieren?“

Es stellte sich heraus, dass Baum sich in seiner Zelle das Leben genommen hatte: Bei der Durchsuchung hatte man unachtsamer Weise ein Stück Kordel übersehen, das er als eine Art „Armband“ um sein Handgelenk geschlungen hatte.
So blieb also nur noch Friederike übrig.
„Vielleicht“, schlug Sarah vor, „solltet ihr mal Lena mit Friederike sprechen lassen!“
„Meinst Du wirklich, Sarah?“, fragte Lena erstaunt.
„Naja“, fuhr Sarah fort, „immerhin ist Lena auch Pädagogin!“
„Sie hat Recht“, stimmte Lena zu, „natürlich sind das Erwachsene, aber als guter Pädagoge lernt man auch immer Psychologie! Rosi hatte als Lehrerin gearbeitet sagt ihr? Dann hat sie sich wahrscheinlich unsichere, labile, leicht zu beeinflussende Leute für ihre RFD ausgesucht, die psychisch ohnehin eher wie Kinder sind, und ihre Psychologiekenntnisse verwendet, um sie zu manipulieren, sich ihr in ewiger Treue zu unterwerfen. Vielleicht kann ich da helfen!“
„Wer hier Leute verhören darf“, gab Nora zu bedenken, „muss auch immer eine gewisse Grundbildung in Psychologie besitzen! Aber andererseits: vielleicht habt ihr Recht! Da Rosis Anhänger tatsächlich eher wie unsichere Kinder sind und sie sich gerade das zunutze gemacht hat, kann jemand, der so denkt wie sie, vielleicht eher etwas ausrichten!“

So wurde Lena schließlich für etwa zwei Stunden mit Friederike allein gelassen. Die anderen bekamen gar nicht wirklich mit, was genau sie mit Friederike besprach, aber als sie den Verhörraum verließ, lag ein zufriedenes Grinsen auf ihrem Gesicht.
„Ich hab‘ den Stützpunkt!“, sagte sie nur.
Sie zeigte ihn Nora auf der Karte, worauf diese sofort mit einer Spezial-Einheit aufbrach.
„Ich sollte mitkommen!“, sagte Sarah, ihnen hinterherblickend.
„Warum das denn?“, fragte Lena erstaunt.
„Ich weiß nicht!“, sagte Sarah, „ich will helfen! Ich will nicht hier rumsitzen und alles verpassen! Wer weiß, ob sie nicht auf meine Hilfe angewiesen sind?“
„Das wage ich zu bezweifeln“, sagte Lena seufzend, „aber meinetwegen, tu was Du nicht lassen kannst!“
Sarah grinste und machte sich auf den Weg.


Als Rosi gerade nach Hause gehen wollte, stand plötzlich eine vermummte Gestalt auf ihrem Weg.
„Dunkler Meister“, rief sie aus, „Ihr habt mich fast zu Tode erschreckt! Was macht Ihr um diese Uhrzeit hier?“
„Ich habe neue Informationen erhalten“, antwortete der Dunkle Meister in seiner so typischen unheimlichen Stimme, die unnatürlich und verzerrt klang, „sie haben herausgefunden, wo wir uns aufhalten! Sie sind auf dem Weg hierher!“
„Was können wir tun?“, fragte Rosi angstvoll.
„Nicht viel“, gab der Dunkle Meister zurück, „das Beste, was ihr tun könnt, ist Operation Zukunft sofort in die Tat umzusetzen!“
„Jetzt?“, fragte Rosi entsetzt.
„Es gibt keine andere Möglichkeit!“, sagte der Dunkle Meister.
„Aber Meister“, sagte Rosi mit zitternder Stimme, „bedenkt die späte Uhrzeit, wir… wir sind darauf nicht vorbereitet!“
„Wenn ich sagte“, antwortete der Dunkle Meister, „dass es das sei, was ihr tun könnt, so meinte ich damit eigentlich, es ist ein Befehl! Ihr werdet es tun!“
-„Aber…“
-„Ihr werdet doch wohl hoffentlich nicht meinen Befehl in Frage stellen, oder Lady Rosina?“
-„Nein, Meister, natürlich nicht!“
-„Tut es! Jetzt!“
-„Sehr wohl, Dunkler Meister!“
Und so funkte Rosi ihre Männer an, die sich eigentlich schon auf dem Heimweg befanden und instruierte sie, sofort Operation Zukunft in die Tat umzusetzen. Also bereiteten sie sich auf den Weg nach Berlin vor.
Doch schon kurz nachdem sie ihren Zufluchtsort verlassen hatten, stellte sich ihnen die Polizei in den Weg. Leider hatte diese die Situation falsch eingeschätzt und die RFD war extrem in Überzahl.
„Hört auf!“, rief Nora durch ein Megaphon, „stellt Euch freiwillig oder wir sind gezwungen, das Feuer zu eröffnen!“
„Eher sterben wir“, rief Rosi, „als dass wir uns den Schergen der Demokratie unterwerfen!“
Sie gab den RFD-Mitgliedern ein Zeichen und diese preschten auf einmal auf die überrumpelten Polizisten zu, die damit nicht gerechnet hatten: Zwar eröffneten sie reflexartig das Feuer und viele RFD-Mitglieder sanken getroffen nieder. Doch waren Letztere, wie gesagt, in Überzahl, so dass es ihnen gelang, einen Großteil der Polizisten zu Boden zu werfen. Von den RFD-Mitgliedern besaßen auch manche Gewehre und Pistolen, doch waren die Polizisten stark geschützt, außerdem wollte die RFD diese stärkeren Geschütze wohl für ihr eigentliches Vorhaben aufsparen. So verwendeten sie hauptsächlich ihre Füße als ‚Waffen‘ und traten unbarmherzig auf die am Boden Liegenden ein, manche der RFD-ler hatten auch Baseballschläger oder Eisenstangen, mit denen sie sich anschickten, die Helme der Polizisten zu zerschlagen. Auch Nora lag am Boden und bemühte sich verzweifelt, aufzustehen und gleichzeitig die Schläge und Tritte der RFD-ler möglichst abzuwehren.
In diesem Moment ertönte von hinten der ‚Imperial March‘ aus einer Art Ghetto Blaster. Rosi und einige der anderen drehten sich erstaunt um und sahen, wie eine große Gruppe Storm Trooper mit Darth Vader an der Spitze schnellen Schritts auf sie zumarschiert kam. Darth Vader trug den Ghetto Blaster, den er aber jetzt ablegte und schon preschten er und die Storm Trooper, bewaffnet mit Brettern, Stangen und anderem vor.
Nun hätten Sarah und die Nerds vermutlich kaum eine Chance gegen die RFD gehabt, doch waren diese durch sie kurzzeitig abgelenkt, was Nora und ihrer Truppe erlaubte, wieder die Oberhand zu gewinnen: Sie schafften es, eine große Menge der RFD-ler von hinten K.O. zu knüppeln. Da hatten auch Sarah und die anderen sie schon erreicht und halfen, so gut sie konnten. In dem Gewühle bemerkte niemand, dass Rosi gerade versuchte, heimlich davonzukriechen. Niemand außer Sarah. Sie sprang hin und da sie ihre andere Bewaffnung verloren hatte, hielt sie Rosi das Laserschwert gegen die Kehle. Natürlich hätte sie mit diesem vermutlich nicht viel ausrichten können, daher war das eher eine symbolische Geste, die sagte: ‚Denk nicht, dass ich nicht wenigstens versuche, Dich aufzuhalten‘. Zum Glück funktionierte es, zumal Rosi anscheinend durch das Darth-Vader-Kostüm sehr irritiert wenn nicht gar eingeschüchtert war. Sarah zog die Maske aus: „Denk nicht mal im Traum dran, Schlampe!“ Sie grinste. Einen Spruch dieser Art hatte sie schon immer mal ablassen wollen!

In der Zwischenzeit hatte Nora Verstärkung angefordert, die auch kurz darauf mit Blaulicht ankam und der RFD schließlich den Rest gab (sofern das überhaupt noch nötig war): Rosi und die anderen Überlebenden wurden in Handschellen abgeführt. Nora blickte sich um und ihr Blick traf Sarahs. „Danke“ sagte Nora nur und lächelte. Da kamen Kathi und Peter an, ihre Helme abnehmend.
„Puh“, sagte Kathi, „hätte nie gedacht, dass ich sowas mal in der Realität machen würde! Ist schon was anderes als in den Filmen! Naja, wenigstens hab‘ ich mir nicht wörtlich in die Hose gemacht, wie Peter!“
„Hab ich gar nicht!“, rief Peter entsetzt aus, obwohl er reichlich blass um die Nase aussah.
„Wie auch immer“, sagte Sarah grinsend, „jedenfalls danke Leute!“
„Für Dich immer gern, Sarah!“, mischte sich Sven in das Gespräch ein.


Man schubste Rosi unsanft in eine kleine Zelle und schloss hinter ihr ab. Das war eine bittere Niederlage, doch der Dunkle Meister würde sie befreien, davon war Rosi überzeugt. Keine Miene verziehend hockte sie sich auf den kalten Gefängnisboden, um abzuwarten. Plötzlich stand jemand über ihr. Doch es war nicht der Dunkle Meister. Es war ein etwa dreißigjähriger Mann mit langen Haaren und Bart, in T-Shirt, zerrissener Jeans und abgelatschten Turnschuhen. Die Art wie er sie ansah, beunruhigte Rosi. In der linken Hand hielt er eine Metallstange.
„Weißt Du, wer ich bin?“, fragte er. Sie antwortete nicht.
„Ich bin Anna Eberts Bruder! Du hast meine Schwester getötet! Du warst es nicht selbst, aber Du bist verantwortlich! Was soll ich jetzt mit Dir machen, hm?“ Er packte sie am Kragen und zog sie hoch. Sie leistete keinen Widerstand, obwohl die manische Art, in der er sie anstierte, ihr unwillkürlich einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Ganz frei von menschlichen Regungen war auch Rosi nicht, aber sie tat ihr Bestes, sie zu unterdrücken.
„Du kannst mich umbringen!“, sagte sie dann, „aber den Geist der RFD wirst Du nicht zerstören! Nicht solange der Dunkle Meister noch lebt!“
„Der Dunkle Meister!“, sagte Tom spöttisch, „Euer Hirngespinst!“
„Er ist kein Hirngespinst“, sagte Rosi, „es gibt ihn und er wird grausame Rache üben an allen, die sich ihm in den Weg stellen!“
„Grausame Rache“, Tom wurde laut, „grausame Rache, ja? Das ist es was Du willst?“ Er tat die Metallstange in die rechte Hand und packte mit der linken dann wieder Rosi am Kragen.
„Tom“, schrie Nora von draußen. „Lass mich rein, schnell!“, sagte sie dann zum Wachmann, der aufgeregt den richtigen Schlüssel suchte.
„Sie war das einzige Stück Familie, das ich noch hatte und ihr miesen Schweine habt sie einfach weggepustet! Einfach ausgelöscht, einfach so! Und da erzählst Du mir was von der ‚grausamen Rache‘ Eures bekackten ‚Dunklen Meisters‘! Wenn hier jemand Grund hat, grausame Rache zu üben, dann bin ich es ja wohl, findest Du nicht auch, Rosina? Was ist das überhaupt für’n bescheuerter Name, Deine Eltern waren offensichtlich geisteskrank. Kein Wunder auch, wenn ich mir Dich so angucke! Du miese, widerliche…“ Er hob die Metallstange noch ein bisschen höher und zielte direkt auf Rosis Kopf, während er sie sich mit der anderen Hand in die richtige Position hielt.
„Tom!“ Nora hatte ihn an der Schulter gepackt. Tom hielt inne. „Tom“, fuhr Nora fort, „Anna hätte das nicht gewollt!“
-„Anna ist nicht mehr da!“
-„Aber ich bin noch da!“
Tom senkte seinen Arm: Nora war noch da. Warum interessierte ihn das? Er wusste es nicht genau. Doch ein Funke Hoffnung kam aus dieser Gewissheit, der ihn zurückhielt.
„Ich denke, Du bist bestraft genug!“, sagte er zu Rosi. Dann ließ er sich von Nora hinausgeleiten.
„Es tut mir Leid, Nora!“, sagte er, „fasst wäre ich zu etwas geworden, was…“
„Ist schon gut, Tom!“, sagte sie, ihm sanft die Schulter tätschelnd, „entscheidend ist, dass es nicht passiert ist! Lass uns auch dabei bleiben, ja?“


Sarah konnte noch gar nicht glauben, dass Bundeskanzlerin Gesine Schmidt sie hatte sehen wollen.
„Naja“, sagte Lena, „in Anbetracht der Tatsache, dass Du eine gewaltsame Machtergreifung der RFD verhindert hast, ist das schon OK! Es tut mir übrigens Leid, dass ich Dir das ausreden wollte“, fügte sie hinzu.
„Jetzt findest Du Star Wars nicht mehr so doof, oder?“, fragte Sarah.
„Das hab‘ ich nicht gesagt“, stellte Lena klar. Sarah verzog säuerlich den Mund.
„Junge Dame“, hob die Kanzlerin, umringt von ihren Bodyguards, an, „ich und die gesamte Bundesregierung stehen tief in Ihrer Schuld! Wenn es irgendwas gibt, was wir für sie tun können…“
„Naja“, sagte Sarah und schielte zu Lena rüber, „ein Stipendium wäre nicht schlecht, damit ich meinen grauenhaften Job kündigen und mich auf mein Studium konzentrieren kann!“ Lena lächelte.
„Kann ich veranlassen!“, sagte Schmidt.


"Er war nun nicht mehr Anakin Skywalker, er wurde Darth Vader! [...] Ich habe Dir also, von einem gewissen Standpunkt aus, die Wahrheit gesagt!"
- Star Wars
 

jon

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Teammitglied
Ich bin gespalten. Zum einen sind mir der Ansatz und Sprache zu teeniemäßig, zum anderen muss ich gestehen, dass die Konstruktion (bei aller Überzeichnung und fehlender sprachlicher Unterstützung) spannend ist. Allerdings habe ich vor allem deshalb gelesen, weil ich wissen wollte, was Star Wars mit "sowas" zu tun hat - den Rest habe ich dann nur noch sehr grob überflogen (da machte sich die mangelnde Erzählqualität bemerkbar), weil ich kurz noch wissen wollte, wer der Mörder war. (Kann sein, dass ich beim Überfliegen was übersehen habe, aber: Wenn Baum jemanden zum Töten geschickt hat, warum findet man am Tatort dann die CD, die Baum eingesteckt hatte?)

Das „Stück Familie" ist der schlimmste sprachliche Ausrutscher in dem Text; dicht gefolgt von den Klammer-Ausdrücken. Klammern haben in erzählender Prosa nichts zu suchen, es sei denn, da taucht ein Zettel oder so auf, auf dem Klammern stehen und der „zitiert“ wird.
Das Wort „du“ wird klein geschrieben, ebenso die davon abgeleiteten Wörter.

Irritierend finde ich den Widerspruch zwischen dem naiven Plot und der weitgehend naiven Sprache (wobei "naiv" im Sinne von kindlich naiv gemeint ist, oben als teeniehaft bezeichnet – eine bessere Beschreibung des Eindruck fällt leider mir nicht ein), den gelegentlich "reifen Formulierungen" und vor allem dem wirklich nicht üblen Sprach-Teil der Dialoge.
 

John

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"A hard rain's a-gonna fall"
- Bob Dylan




Zufrieden blickte Rosi, eine rundliche Frau im Dirndl (ein „feistes bayrisches Madl“, wie man in der Gegend, aus der sie kam, wohl sagen würde) auf ihre bewaffneten Männer (und Frauen – es waren jedoch überwiegend Männer) in ihrer schwarzen Kleidung und ihren Springerstiefeln, wie sie sich da auf jener Waldlichtung versammelt hatten und ihren Befehl erwarteten.
„Der Dunkle Meister hat uns klare Anweisungen gegeben!“, rief sie, in ihrem starken südbayrischen Akzent, ihren wartenden Gesichtern zu.
‚Der Dunkle Meister‘ war der geheime Anführer der RFD und Rosi war die einzige, die Zugang zu ihm hatte. Oft traf sie sich mit ihm und bekam dann direkt von ihm die Befehle, welche sie an ihre Männer weitergab. Rosi behauptete, ‚Der Dunkle Meister‘ sei eine Art übernatürliche dämonische Macht, welche sich nur ihr allein zeigen würde. So richtig glauben konnte das von ihren Männern in Wirklichkeit niemand –manche zweifelten sogar heimlich an, dass er überhaupt existierte- doch traute sich niemand, zu widersprechen.
„Es geht um Anna Ebert!“, sagte Rosi.
Ein erwartungsvolles Raunen ging durch ihre Reihen: Anna Ebert war eine junge idealistische Politikerin, welche für alles stand, was die RFD ablehnte: Frieden, Gerechtigkeit, Toleranz...
„Werden wir uns endlich ihrer entledigen?“, rief Karl.
„Ja!“, sagte Rosi, „und ich habe auch schon meinen Agenten in der Innenstadt darauf angesetzt!“
Für einen kurzen Moment schwiegen sie einfach nur und starrten mit feuchten Augen ins Leere. Dann brach ein Jubel aus, wie Rosi ihn noch nie gekannt hatte: Endlich war es so weit. Wie lange hatten die Mitglieder der RFD auf diesen Tag gewartet! Endlich, nach all dieser Zeit, all diesen Jahren, in denen Der Dunkle Meister sie immer wieder hingehalten und zur Geduld, zum Warten auf den richtigen Zeitpunkt, ermahnt hatte, endlich also, würden sie ihren vielleicht größten Sieg über die Demokratie feiern…



Darth Vaders Handy klingelte. Er blieb stehen und begann, aufgeregt in seinen Taschen herumzukramen. Als er schließlich das Handy (ein weißes Samsung) zu fassen gekriegt hatte, wollte er es sich ans Ohr halten, bloß um dann festzustellen, dass das ja mit der Maske auf gar nicht ging. Also zog er sie aus und zum Vorschein kam das ansehnliche Gesicht einer jungen Frau, circa Mitte zwanzig, deren lange, blonde Haare nun zu beiden Seiten unter der Maske hervorfielen. Ihr Gesicht war breit, etwas pausbäckig, mit dem Hauch eines Lächelns, das eine gewisse innere Ruhe und Zufriedenheit vermuten ließ.
„Hallo?“, sagte sie, „Ja, Schatz! Ja! Aber Schatz, ich hatte dir doch gesagt, dass ich mich heute noch mit den Nerds treffe! Ja! Wir sehen uns doch später! Tschüß!“ Sie machte ein Kussgeräusch, legte auf, steckte das Handy wieder ein und pfriemelte ihre Haare wieder umständlich unter die Darth-Vader-Maske.

Nach einiger Zeit hatte sie eine enge Gasse mit einer Reihe Cafés, Dönerläden und Miethäusern erreicht. Unten vor der Tür eines dieser Miethäuser stand bereits ein Mann im C3PO-Kostüm und war offensichtlich dabei, SMS zu schreiben. Als er unseren ‚Darth Vader‘ sah, rief er sofort: „Lord Vader, Euer Besuch ehrt uns! Welch unerwartetes Vergnügen!“
„Sparen Sie sich die Floskeln“, sagte ‚Darth Vader‘, „Ich bin hier um dafür zu sorgen, dass der Bau dieses neuen Todessterns wie geplant abgeschlossen wird!“
„Alles klar, Sarah!“, lachte C3PO, „Viel Spaß!“ Sarah grüßte ‚huldvoll‘ und betrat die bereits offene Tür, sich fragend, wer genau ‚C3PO‘ eigentlich war (sie konnte ihn ja nicht erkennen; er kannte sie offensichtlich, aber sie konnte die Stimme nicht identifizieren und beschloss, es auch gar nicht weiter zu versuchen).
Als sie im Begriff war, die unterste Treppe hochzugehen, begegnete ihr ein mürrisch dreinblickender Mann von etwa Anfang 60. Er trug eine Gärtnerhose, dazu Hemd und Hosenträger. Sarah verdrehte die Augen (aber das konnte ja unter der Maske niemand sehen): Sie kannte den Mann. Es war Svens unsympathischer Vermieter, Hermann Baum. Sven hasste ihn genau wie Sarah.
„Karneval is‘ vorbei!“, spottete Baum bei ihrem Anblick. Am liebsten hätte sie ihm eine gescheuert, beschloss aber, so zu tun als ignoriere sie ihn komplett und ging weiter die Treppen hinan, während Baum ihr kopfschüttelnd nachblickte und dann seine Wohnung betrat.
Oben vor Svens Apartment stand Sven, der Gastgeber der Nerd-Party (wie alle zwei Wochen), ein dünner Mann um die zwanzig mit braunen Haaren, vertieft in ein Gespräch mit einem Stormtrooper und einer Prinzessin Leia (er selbst trug ein Jedi-Gewand). Auch er grüßte Sarah freundlich. Dann betrat sie die Wohnung, um dort sofort Anstoß an der Musik zu nehmen: Es handelte sich um Filmmusik aus ‚Herr der Ringe‘. Filmmusik aus ‚Herr der Ringe‘? Auf einer Party? Sarah musste Abhilfe schaffen und so kramte sie in ihrer Handtasche, die sie unter dem Kostüm verborgen hatte und legte schließlich, als sie die extra mitgebrachte CD gefunden hatte, Musik aus ‚Harry Potter‘ auf. Sofort begann eine Person im Chewbacca-Kostüm (wieder hatte Sarah leider keine Ahnung, um wen es sich handelte) zur Harry-Potter-Musik eine Art wilden Breakdance aufs Parkett zu legen.
„Sarah, ich hab dir schon tausendmal gesagt, eine Frau darf sich nicht als Darth Vader verkleiden!“ Peter, ein kleiner schmächtiger Kerl im Han-Solo-Outfit, das bei ihm besonders lächerlich aussah, kam angelaufen.
„Ich weiß Peter“, antwortete Sarah sarkastisch, „sondern nur als Leia, jaja... Am Besten noch im Sklavendress in Jabbas Palast, was Peter?“
„Äh, so war das nicht gemeint“, sagte Peter etwas kleinlaut, „Außerdem hast du ja noch Auswahl! Es gibt ja nicht nur Leia, es gibt ja auch noch Jabbas grüne Tänzerin, Mon Mothma und Lukes Tante Beru!“
„Na toll“, Sarah verdrehte die Augen. „Ich weiß gar nicht, was euer Problem ist“, mischte sich da plötzlich Kathi ein, eine Bekannte der beiden, welche ein Jedi-Gewand trug, „Habt ihr die Prequels nicht gesehen?“
„OK, das ist das Stichwort!“, entfuhr es Sarah, „ich gehe!“
„Halt Sarah, jetzt warte doch mal!“, rief ihr Kathi hinterher. „Genau“, stimmte Peter mit ein, „wie kann man nur so intolerant sein! Also ich persönlich hasse die Prequels nicht! Gut, sie sind nicht so gut gemacht wie die alten Filme, aber dafür haben sie eine Story, die teilweise sogar noch besser ist, als die der alten Filme!“
„Ihr wollt mich wohl verarschen“, sagte Sarah, „Ich hab nur einen von den Scheiß Filmen gesehen und Jar Jar Binks muss sterben!“
„Also ich liebe Jar Jar Binks“, sagte Kathi. Sarah verdrehte stöhnend die Augen.
„Ich nicht“, widersprach ihr Peter, „aber ich hasse ihn auch nicht! Er ist eher was für Kleinkinder und eher nervig als zum Lachen, das gebe ich zu; aber er ist eine wichtige handlungstragende Figur!“
„Also…“, hob Sarah an. Dann stockte sie; in der Tür stand plötzlich eine Person, die ganz offensichtlich nicht auf die Party gehörte: Baum.
„Das halt‘ ich nich‘ aus!“, grummelte er, Lärmbelästigung… verdammte Hippies…“
Er ging einfach zum CD-Player, öffnete ihn und nahm die Harry-Potter-CD heraus. Dann suchte er noch mit den Augen das kleine Tischchen ab und schnappte sich auch die Hülle. Sarah hatte ihn vor Schreck einfach sprachlos beobachtet.
„Da soll ein Mensch fernsehen können bei dem Gedöns!“, murmelte Baum und schickte sich an, die Wohnung zu verlassen.
„E…es ist zwei Uhr nachmittags!“, entfuhr es Sarah, „Wir verstoßen nicht gegen die Mittagsruhe! Sie haben dazu kein Recht!“
„Ich hab zu noch ganz andere Sachen ein Recht, Fräulein!“, sagte Baum aggressiv. Sich fragend, was das wohl bedeuten sollte, blieb Sarah eine passende Erwiderung im Hals stecken.
„Herr Baum, Herr Baum!“, rief Sven ihm hinterher, als er die Wohnung schon verlassen hatte. „Weg“, sagte er dann, sich zu den anderen umdrehend. Anscheinend hatte Baum auch das Haus verlassen.
„Hey Sarah“, sagte Sven, „das tut mir wirklich leid! Baum ist ein Arsch! Du hattest vollkommen recht, das stand ihm nicht zu und ich rede mit ihm, ja?“


„Rosina ‚Rosi‘ Müller! Hat früher in Bayern als Grundschullehrerin gearbeitet, bis herauskam, dass sie den Kindern nach Schulschluss irgendein süchtig machendes Medikament verkaufte, das sie selbst zusammengepanscht hatte. Sollte ihre Aufmerksamkeit im Unterricht fördern. Hat es auch, aber leider hatte es die Nebenwirkung, dass es, wie gesagt, süchtig machte und die Familien sich in Unkosten stürzen mussten, um den Kindern mehr zu besorgen. Für Rosi war das ein lukratives Geschäft, für die Schüler und deren Eltern… weniger“.
Nora lächelte, wobei sich ihre Stirn beim Gedanken an Rosi in Sorgenfalten legte.
„Und die“, sagte Anna irritiert, „leitet jetzt diese Untergrundorganisation, die sich ‚Recht für Deutschland‘ nennt?“
„Genau“, antwortete Nora, „‘RFD‘! Die RFD ist überzeugt, dass die Demokratie der falsche Weg sei und sie seien dazu ausersehen, Deutschland zu beherrschen. Wir wissen also, wer dahintersteckt, aber da wir nicht wissen, wo sie sich aufhalten, ist das im Moment ein bisschen wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen!“
Nora war bei der Kriminalpolizei und seit der Uni mit Anna befreundet. Seitdem Anna zur populären, stets in den Medien präsenten, Politikerin aufgestiegen war, hatte Nora sich freiwillig bereiterklärt, kostenlos ein wenig auf Annas Sicherheit zu achten.
Es polterte im Nebenzimmer von Annas Büro. Anna und Nora schreckten auf und Nora zückte sofort ihre Pistole und stürmte darauf zu.
„Wer sind Sie, was wollen Sie?“, hörte Anna Nora nebenan rufen und dann hörte sie das Stöhnen einer männlichen Stimme, welche Anna nur allzu vertraut erschien. Sie ging zu Nora und, tatsächlich, ihre Annahme bestätigte sich:
„Ist schon gut“, sagte Anna, die Augen verdrehend, „Du kannst ihn loslassen, Nora!“
„Kennst du ihn?“, Nora lockerte den Polizeigriff, blickte aber immer noch misstrauisch auf den etwa dreißigjährigen Mann mit langen Haaren und Bart, in T-Shirt, zerrissener Jeans und abgelatschten Turnschuhen, den sie da zu Boden gezwungen hatte.
„‘Kennen‘ ist ein lustiger Begriff“, sagte Anna, „er ist mein Bruder!“
Anna war eine Musterschülerin mit Einser-Abitur gewesen, die danach ein erfolgreiches Politik-Studium abgeschlossen hatte und heute, mit sechsundzwanzig, bereits als berühmte Politikerin aktiv tätig war. Ihr älterer Bruder Tom dagegen hatte die Schule abgebrochen um Rockstar zu werden, was bedeutete, dass er inzwischen seinen Tagesbedarf an Dosenbier durch seine Tätigkeit als Straßen-Musiker bestreiten konnte, für alles andere, hauptsächlich Miete und Verpflegung jeglicher Art, aber bis zu deren Tod auf ‚großzügige Spenden‘ von Seiten seiner Eltern und jetzt von Seiten Annas angewiesen war. Nora wusste, dass Anna einen Bruder hatte, war ihm aber bis jetzt nie persönlich begegnet.
Anna warf Nora einen bestimmten Blick zu und die verstand instinktiv und ließ die beiden allein, wobei sie im Gehen immer noch Tom misstrauisch fixierte.
„Also Tom“, sagte Anna sarkastisch, direkt zum Punkt kommend, „Wieviel soll es denn sein?“
„Tausend“, antwortete Tom schief grinsend, „Wären für den Anfang schon mal gar nicht so schlecht!“
Tom war zwar ein Idiot, aber er war immer noch Annas Bruder und natürlich sorgte sie sich um ihn. Zumal er nach dem Tod der Eltern das einzige Stück Familie war, das ihr noch blieb.
„Weißt du, Tom“, seufzte Anna, während sie in ihrem Portemonnaie herumkramte, „Ich würde es wirklich begrüßen, wenn du dir mal’n Job suchen würdest…“
„Ich hab’n Job“, gab Tom zurück.
-„Einen von dem Du leben kannst mein ich“
-„Ach so, die Art Job…“

„Lass mich raten“, sagte Nora, nachdem Tom gegangen war, „Du bist nicht das schwarze Schaf der Familie, Anna!“
„Irgendwo versteh‘ ich ihn ja“, seufzte Anna, „er hat wirklich ‘nen guten Musikgeschmack und ich würde ihm ja gönnen, dass er von dem, was ihm Spaß macht, leben könnte! Aber solange das nicht geht, wählt er halt einfach den falschen Weg, wenn er nicht wenigstens mal versucht, eine Arbeit zu finden!“
Plötzlich fiel ein Schuss. Anna stieß einen Schmerzensschrei aus und hielt sich die Schulter. Blitzschnell sah Nora sich um und registrierte ein winziges Loch in der Fensterscheibe und eine verschwommene Silhouette, die im Haus gegenüber davonlief.
Sie wollte hinterher sprinten, hielt dann aber inne. Verzweifelt blickte sie zwischen Anna und dem Fenster hin und her.
„Ist schon OK!“, sagte Anna, sich die Schulter haltend. „Versuch du den Typen zu kriegen, ich ruf‘ mir selbst ‘nen Krankenwagen!“
Nora wollte Anna nicht aus den Augen lassen. Aber wenn sie den Schützen davonkommen ließe, würde sie nie erfahren, für wen er arbeitete. Abgesehen davon, dass sie ihre polizeiliche Pflicht vernachlässigen würde. Schnell funkte sie ihre Kollegen an und erzählte ihnen von der Sache. Dann bat sie noch einen, zu Anna zu fahren und ein Auge auf sie zu werfen, was dieser auch versprach. All das geschah innerhalb kürzester Zeit.
„Rühr dich nicht vom Fleck!“ rief sie dann Anna zu, dann nahm sie die Verfolgung auf.
Unten vor der Tür sah sie den mutmaßlichen Attentäter in Richtung der Hauptstraße fliehen. Sie preschte, unter Hupen und Reifenquietschen, über die Straße, worauf der Täter leider seinen Schritt beschleunigte
Kilometerlang (so schien es Nora) jagte sie ihn die Hauptstraße hinauf, vorbei an Friseurläden, Hinterhöfen Tankstellen und was-nicht-noch-allem, bis er schließlich den Fehler machte, die Straßenseite wechseln zu wollen… und prompt vor ein Auto lief.
Nora sprintete zu ihm und hielt dem geschockten Fahrer ihren Polizeiausweis entgegen.
Der Täter, ein etwa Vierzigjähriger, war blutüberströmt. Seine Waffe war ihm aus der Jackentasche gefallen und lag neben ihm.
„Wer ist dein Auftraggeber?“, schrie sie ihn an. Irritierenderweise grinste der Mann;
„Was soll das?“, fauchte Nora, „warum grinst du so?“
„Du hättest bei Ebert bleiben sollen“, sagte der Mann nur noch, dann schloss er die Augen.


Eigentlich schmeckte Tom dieses Aldi-Bier gar nicht, aber was sollte er schon tun, wenn er sich nun einmal nichts anderes leisten konnte? Mit dem Trinken aufhören?
„Mach dich doch nicht lächerlich!“, sagte er, um dann, peinlich berührt, zu bemerken, dass er gerade mit sich selbst sprach, beziehungsweise mit seinem Gehirn. Jedenfalls war der Geruch der Pizza beruhigend, die er gerade von Annas Geld erstanden hatte.
„Ich muss es ihr irgendwie zurückgeben“, dachte er. Aber jetzt war nicht der Zeitpunkt, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, für heute Abend würde er sich Led Zeppelin auflegen (oder sowas) seine Pizza und sein Bier genießen und an nichts Schlimmes mehr denken. Gerade wollte er seine winzige Wohnung betreten da fiel sein Blick auf den Fernseher im Kiosk in der Nähe. „Berühmte Politikerin tot“, stand da oben auf dem Bildschirm, „Anna Ebert ermordet in ihrem Büro aufgefunden.“ Klatsch, die Pizza war in den Dreck gefallen, sowie das geöffnete Bier, welches sich nun über den Bordstein ergoss…


„Machst du wieder Dein Star Trek?“
Sarah konnte sich noch gerade so zurückhalten, nicht ausfallend zu werden. Da es ihr aber gelang, beschloss sie, es gut sein zu lassen: Leuten wie Lena konnte man nicht helfen, wenn diese nicht in der Lage waren, den Unterschied zwischen diesem modernen Klassiker Star Wars und dieser billigen Science-Fiction Star Trek zu erkennen.
Lena Meier, Kindergärtnerin und Leiterin einer Kindertagesstätte in Köln Süd, Sarahs beste Freundin seit Schultagen, saß in ihrer bald schon klaustrophobisch beengten Wohnung (trotzdem war das noch der reinste Luxus-Palast im Gegensatz zu Toms ‚Apartment‘) und topfte ihre Blumen um. Sarah half ihr dabei.
„Zu sagen, dass Star Wars keinen Bezug zur Realität hätte, ist einfach völlig falsch, Lena“, konnte Sarah sich doch nicht zu sagen verkneifen, „immerhin geht es um wichtige Themen wie zum Beispiel den Vater-Sohn-Konflikt…“
„Ich bitte dich Sarah“, gab Lena zurück, „wie kann es in einem Film mit Raumschiffen und piepsenden Robotern um den Vater-Sohn-Konflikt gehen?“
Sarah stöhnte und verdrehte die Augen: Lena war offensichtlich unbelehrbar.
„Ich will dir doch nur helfen, Schatz!“, sagte Lena in einem beschwichtigenden Tonfall, „wenn du mehr Zeit für dein Politikstudium aufwenden würdest als für Star Trek, dann wärst Du vielleicht heute schon fertig. Und dann müsstest Du auch nicht mehr diesen schrecklichen Job machen…“
Sarah seufzte. Lena hatte ja Recht. Ihr Supermarkt-Job war wirklich nicht der tollste, den man sich vorstellen konnte. Und sie war noch nicht mal gut darin. Aber sie hasste es eben, gemaßregelt zu werden, sei es nun durch Lena oder durch ihre, Sarahs, Mutter, die im Prinzip dasselbe sagte. Sarah wusste, dass sie es beide nur gut meinten, aber es war ihr trotzdem unangenehm.


Fassungslos starrte Tom auf das kleine Holzkreuz. Wenn es wenigstens schon ein richtiger Stein gewesen wäre. Aber das würde ja noch kommen. Plötzlich tippte ihn jemand von hinten an. Vor Schreck drehte er sich mit einer solchen Wucht um, dass er die Person dabei zu Boden stieß.
„Oh sorry“, sagte er, ihr aufhelfend. Es handelte sich um eine junge Frau –ziemlich attraktiv eigentlich, schlank, durchtrainiert, dunkelhäutig, mit krausen Haaren und schönen dunklen Augen. Sie kam Tom irgendwie bekannt vor, aber er konnte sie gerade nicht einordnen.
„‘tschuldigung“, sagte er, „kennen wir uns nicht irgendwoher?“
„Das ist der Grund, aus dem ich zu dir gekommen bin, Tom!“, sagte sie, sich mit säuerlichem Gesichtsausdruck die Schulter haltend, „ich war Annas beste Freundin!“
Plötzlich dämmerte es Tom: „Lydia!“, rief er fröhlich aus. Sie gab ihm eine Ohrfeige.
„Oh Entschuldigung“, sagte sie, „war ein Reflex! Mein Name ist Nora!“
„Ich wusste doch, es war ein Name, der mit ‚a‘ aufhörte!“, sagte Tom mit seinem so typischen schiefen Grinsen, während er sich die Backe rieb.
„Hör mal, Tom!“, sagte Nora, sich nervös umblickend, „kann ich dich mal sprechen?“
-„Tust du doch schon!“
-„Nein, ich meine, irgendwo, wo ich mich nicht so beobachtet fühlen muss! Können wir in Deine Wohnung gehen?“ Das missfiel Tom. Er mochte es nicht, wenn jemand in sein kleines Refugium eindrang, gerade weil es so klein war.
„Warum gehen wir nicht in deine Wohnung?“, fragte er.
„Also schön“, seufzte sie.

Noras Wohnung war ganz anders als Toms. Sie war größer. Sie war sauber. Und es hingen keine halb-abgerissenen Metallica-Poster an der Wand. Das war Tom sehr unangenehm und er stellte fest, dass er sich nicht gern bei ihr aufhielt. Sie gingen in die Küche (diese war nicht besonders groß, aber im Gegensatz zu Tom hatte sie wenigstens eine) und Nora machte Kaffee. „Kann ich Dir auch ‘nen Kaffee anbieten, Tom?“, fragte sie.
„Hättest Du auch Kakao?“, fragte Tom.
„Ähm nein, tut mir leid“, reagierte sie irritiert.
„Also, worum geht es denn?“, fragte Tom, als sie am Tisch saßen.
„Es geht um Anna“, seufzte Nora. Sie wurde kleinlaut und nervös: „Ich…ich hatte versprochen, auf sie aufzupassen und…“
„Na“, sagte Tom, sehr unbeholfen bemüht, Mitgefühl zu zeigen, „mach dir deswegen nicht so große Vorwürfe…“ Er wusste gar nicht, was er weiter sagen sollte.
„Als ich zurückkam“, sagte Nora, „lag sie da!“
„Und du hast keine Ahnung“, fragte Tom, „wer das gewesen sein könnte?“
„Naja“, antwortete Nora, „wir vermuten, dass es der Notarzt war. Also, nicht wirklich der Notarzt, sondern eine Person, die sich als Notarzt bzw. Notärztin ausgegeben hat! Ich hatte meinen Kollegen Robert gebeten, nach Anna zu sehen, während ich den Schützen verfolgte. Aber als er ankam, war es schon zu spät. Anna hatte gesagt, sie wollte sich einen Krankenwagen rufen, so passt alles zusammen. Sie wurde vergiftet und in ihrem Arm hat man einen Einstich gefunden. Vermutlich hat der Täter behauptet, ihr ein Betäubungsmittel zu spritzen!“
„Und du bist sicher, dass nicht dieser Robert was damit zu tun hat?“. fragte Tom. Es war seltsam, derart ‚sachlich‘ über den Tod seiner Schwester zu sprechen. Aber gerade das machte auch die Situation erträglicher.
„Ich vertraue Robert!“, sagte Nora, „natürlich können wir versuchen, sein Alibi noch einmal zu überprüfen, aber ich kann dir versichern, dass er nichts damit zu tun hat. Warum auch, ich meine, welches Motiv sollte er haben? Nein, also ich verdächtige eher diesen ‚Notarzt‘. Sie wussten, dass der Schütze nur einen Versuch hatte, und hatten sich für den Fall, dass er Anna nur verletzen würde als ‚Plan B‘ die Sache mit dem Krankenwagen ausgedacht. Wir haben den Schützen identifiziert, er ist ein professioneller Auftragskiller namens Karsten Groth. Aber er starb im Krankenhaus bevor er uns sagen konnte, wer ihn beauftragt hatte. Das muss ich jetzt rausfinden und dafür brauch‘ ich deine Hilfe, Tom!“
„Wieso meine Hilfe?“, fragte Tom erstaunt.
-„Weil ich einen Assistenten brauche!“
-„Kann das nicht einer deiner Polizei-Kollegen machen?“
-„Du verstehst nicht, Tom!“ Ihre Stimme wurde gedämpfter, „Ich darf diesen Fall eigentlich gar nicht übernehmen! Befangenheit!“
Das Wort kam Tom irgendwie bekannt vor, aus den Fernsehkrimis.
„Trotzdem versteh‘ ich nicht“, sagte er, wieso du dann ausgerechnet zu mir kommst!“
-„Weil du Annas Bruder bist. Beziehungsweise warst. Du kennst sie.“
„Ich bezweifle“, sagte Tom, „, dass ich sie wirklich besser kannte als du!“
-„In jedem Fall wirst du mehr Grund haben, mir zu helfen als irgendjemand anders. WillstdDu nicht herausfinden, wer deiner Schwester das angetan hat?“
-„Das bringt sie auch nicht zurück!“
Nora seufzte. „Da hast Du Recht, Tom, aber…“ Sie dachte angestrengt nach. Plötzlich hatte sie eine Idee:
„Was wirst du jetzt eigentlich tun, Tom?“
-„Wie meinst du das?“
-„Ich meine, was hast Du jetzt vor? Du kannst Dir kein Geld mehr von Anna leihen!“
„Danke, dass du mich dran erinnerst!“, bemerkte Tom sarkastisch, „also ich hatte ja so oder so vor, mir endlich mal ‘nen richtigen Job zu suchen! Natürlich wird es schwierig, wenn ich nicht bald einen finde. Ich hab‘ noch die tausend Euro die Anna mir…zuletzt… gegeben hat, danach…“
„Dann bräuchtest Du ja zur Überbrückung vielleicht nochmal jemanden, der dir was geben kann…“, sagte Nora verschmitzt lächelnd. Jetzt begriff Tom:
„Moment, versuchst du etwa mich zu bestechen?“ Er senkte den Blick und fügt verdruckst hinzu: „Denn das gelingt dir gerade…“ „Stimmt“, bemerkte er dann noch, „Du dürftest ja als Kriminalpolizistin auch ganz gut verdienen!“
„Nicht so gut wie du vielleicht denkst“, sagte Nora, „aber für den Moment sollte das in Ordnung sein. Also, sind wir uns dann einig?“
„Also schön“, seufzte Tom schließlich, „kannst du mit denn dann schon mal tausend Euro leihen?“
-„Aber Anna hatte dir doch gerade noch…“
-„Ich weiß, aber ich kenn mich und weiß, wie schnell ich die wieder rausgehauen habe!“
Widerwillig gab Nora Tom das Geld, sich fragend, ob sie bei ihrer Idee vielleicht einen entscheidenden Haken nicht mitbedacht hatte…


„Warum hast du eigentlich nur mit Leuten zu tun, die mit Star Wars nichts anfangen können?“
„Ich hab‘ mit euch zu tun!“, antwortete Sarah.
„Ich weiß“, sagte Kathi, „ich meine ja auch mehr so im ‚richtigen Leben‘“
„Naja“, sagte Sarah, „Lena und ich kennen uns halt schon von der Schule. Ich war immer ‘ne Außenseiterin und sie hat sich irgendwie meiner angenommen und sowas verbindet halt auf Dauer! Was dagegen Paul betrifft…“
„Also ich“, warf Peter ein, „könnte nie in ‘ner Beziehung sein mit jemandem, der Star Wars nicht mag!“
„Ich glaub du könntest überhaupt nie in ‘ner Beziehung sein, Peter“, zog Kathi ihn auf.
„Doch könnte ich“, sagte Peter trotzig, „aber das müsste ‘ne Tussi sein, die Star Wars mag! Das ist für mich die Feuerprobe! Ein so’n Spruch wie ‚Aber warum fliegen da Buchstaben durch’s Weltall?‘ und es ist aus!“
„Hey Sarah“ Sven hatte ihr an die Schulter getippt. Sarah blickte erwartungsvoll.
„Und, hast du die CD?“, fragte sie.
„Leider nein“, antwortete er, „das wollte ich dir gerade sagen! Ich erreiche Baum einfach nicht, er geht nicht ans Telefon und scheint auch nie zu Hause zu sein! Aber ich versuch’s weiter, ja?“
„Nee, das reicht mir jetzt“, bemerkte Sarah, mehr zu sich, als Sven sich entfernt hatte, „ich werd‘ jetzt selber mal zu Baum gehen, ich will meine CD zurückhaben!“


Tom und Nora hatten das Erstbeste getan, was ihnen eingefallen war und hatten sich an den Tatort begeben, Annas Büro nämlich. Tom hatte sich einen bösen Blick Noras eingehandelt, als er sich nicht verkniff, zu bemerken, dass er als Nicht-Kriminalist auch auf die Idee hätte kommen können.
„Es geht nicht nur darum!“, sagte sie, „man muss auch wissen, wonach man zu suchen hat!“
„Zum Beispiel nach dieser CD!“, sagte Tom und hob eine auf dem Boden liegende CD mit kaputter Hülle auf.
„Ich glaube, nicht dass…“, setzte Nora an, um dann zu stocken: Das war sicher keine von Annas CD’s, daher konnte das tatsächlich ein wichtiger Hinweis sein.
„‘Harry Potter und der Stein der Weisen‘“, las Tom vor, „‘der Original-Soundtrack zum Film‘! Ich glaub‘ nicht, dass Anna sowas gehört hat…oder?“
„Nein“, sagte Nora erfreut, „hat sie nicht! Und ich höre das auch nicht. Hörst Du das?“
„Nein“, sagte Tom.
Die CD könnte also dem Täter gehört haben. Nora nahm sie in die Hand, drehte sie um und –es war fast schon zu gut um wahr zu sein- auf der Rückseite fanden sich ein Name und eine Adresse, die einer gewissen Lena Meier aus Köln.


Lena ging nochmal den Plan für den Stuhlkreis durch: Sie konnte Gregor nicht neben Karsten setzen, die beiden machten immer zusammen Quatsch und störten alle. Aber Simone haute alle Jungs, deshalb musste sie links und rechts von ihr jeweils ein Mädchen setzen. Wobei, wenn Lena recht bedachte, Simone leider auch immer alle Mädchen haute. Am besten würde sie Simones Eltern anrufen und diese bitten, Simone weiszumachen, der Kindergarten falle morgen aus.
In diesem Moment klingelte es an der Tür. Lena stand auf und stieß sich erstmal fluchend den Kopf an ihrer Deckenlampe. Sarah würde wahrscheinlich wieder sagen, Lenas Wohnung erinnere sie an eine Hobbit-Höhle. Zum Glück war Sarah nicht da! Lena quetschte sich schließlich erfolgreich durch ihren engen Flur, der schon zur Hälfte durch ihren Kleiderständer eingenommen wurde, und öffnete die Haustür. Davor standen ein Mann und eine Frau. Die Frau hielt ihr sofort eine Polizeidienstmarke entgegen.
„Haben Sie Anna umgebracht?“, fragte Tom.
-„Was?!?“
Nora hüstelte peinlich berührt.
„Tom, was machst du denn?“, raunte sie ihm zu und sagte dann laut zu Lena: „Wir, äh, hätten da ein paar Fragen. Es geht um den Tod von Anna Ebert, Sie haben vielleicht davon gehört…“
„Ähm, jaja…“, stammelte Lena, immer noch mit aufgerissenen Augen Tom fixierend.
„Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?“, fragte sie dann Nora in einem forschen Tonfall.
„Ähm, nein!“, antwortete Nora.
-„Dann können Sie auch nicht rein! Aber selbst wenn, es wäre eh schwierig meine Wohnung zu durchsuchen, es sei denn, Sie würden ein Polizei-Wiesel einsetzen!“ Lena lachte.
„Sie hat etwas zu verbergen!“, sagte Tom.
Was?“, fragte Nora.
„Überleg‘ doch mal, Nora:“, fuhr Tom fort, „warum sonst sollte sie uns den Zutritt zu ihrer Wohnung verweigern?“
„Ich hab‘ keine Ahnung, wovon…“, setzte Lena an.
„Sie war meine Schwester!“, brüllte Tom. Tränen schossen ihm in die Augen und er packte die verdutzte Lena am Kragen und rüttelte sie. „Sie war meine Schwester, du miese Sau! Das einzige Stück Familie, das ich noch hatte!“ Er festigte seinen Griff und schien sie zu Boden werfen zu wollen. Dann hielt er kurz inne.
„Tom!“, schrie Nora entsetzt und zückte im Reflex ihre Pistole
Tom schien ein wenig zur Vernunft zu kommen.
„Ich hab‘ so getan, als könnte ich mit Annas Tod umgehen!“, sagte er, sich fangend, während er seinen Kopf zu Nora wandte, „aber das stimmt nicht! Ich weiß nicht, ob sie es war, aber eins weiß ich, Nora: Wenn wir die Person finden, musst du mich zurückhalten, leg mir Handschellen an, wenn es sein muss, schlag mich K.O.. Denn ich weiß nicht, was ich sonst tue!“
„Ich versichere dir Tom“, sagte Lena, „ich war’s nicht!“ Sie war erstaunlich ruhig dafür, wie Tom gerade mit ihr umgesprungen war. „Mein herzliches Beileid!“, fügte sie hinzu.
„Es tut mir furchtbar leid, Frau Meier!“, sagte Nora, während sie Tom langsam aber bestimmt von Lena wegzerrte, „Wir…ich wollte Ihnen nur ein paar Fragen stellen! Es geht um diese CD. Was können Sie uns dazu erzählen?“
Lena sah sich die CD genau an und schluckte dann trocken:
„Das sieht mir wohl nach einer von Sarahs CD’s aus! Wenn Sarah ein bisschen knapp bei Kasse ist –und das ist sie meistens- tue ich ihr manchmal den Gefallen, die auf meinen Namen zu bestellen! Woher haben Sie die?“
„Sarah wie?“, fragte Nora, ohne auf Lenas Frage einzugehen.
„Sarah Masic“, klärte Lena sie auf, „Sie ist meine beste Freundin. Sie arbeitet in einem Supermarkt in der Nähe und jetzt im Moment trifft sie sich mal wieder mit den Star-Trek-Fans bei… Sven oder wie der heißt! Hier, ich schreib‘ Ihnen die Adresse auf! Aber Sie denken doch nicht, dass Sarah was mit dem Mord zu tun hat, oder?“
„Das bleibt abzuwarten!“, sagte Nora.

Kaum waren Tom und Nora von dannen gezogen, ergriff Lena hastig ihr Handy und wählte Sarahs Nummer. Dummerweise hatte Sarah ihr Handy ausgeschaltet, also zog Lena sich rasch etwas über und brach auf.

„Ich hab gemacht, was ihr mir gesagt habt“, sagte Uwe, „ich hab‘ ihr Telefon abgehört und mich als Notarzt verkleidet, als sie einen gerufen hat. Dann hab‘ ich ihr das Gift gespritzt und behauptet, das sei was Gutes! Wo ist jetzt die Kohle?“
Friederike reichte ihm einfach wortlos das Bündel.
„War mir ‘ne Freude, mit euch RFD-Typen Geschäfte gemacht zu haben!“, sagte er dann noch, „jederzeit wieder gern!“
„Abschaum“, grummelte Baum, als Uwe, der Auftragskiller, gegangen war, „nur an Geld interessiert, keine Ideologie!“
„Trotzdem“, gab Friederike zu bedenken, „sind wir für den Moment auf diesen Abschaum leider angewiesen, Hermann! Gedulde dich noch ein bisschen, wenn wir an der Macht sind, wird es staatliche Eliminatoren geben, die es aus Spaß an der Sache tun!“
„Schwärm‘ nicht zu sehr!“, sagte Baum, „das erinnert mich nur schmerzlich daran, wie weit wir von diesem Traum noch entfernt sind!“
„Gar nicht so weit wenn es nach Lady Rosina geht...“
In diesem Moment klingelte es an der Tür. Fluchend ging Baum die Kellertreppe hoch und öffnete. Draußen stand Sarah.
„Was gibt’s?“, fragte Baum missmutig.
„Herr Baum“, krakeelte Sarah aufgebracht, „ich möchte, dass Sie mir auf der Stelle meine CD zurückgeben!“
„Wie CD?“, fragte Baum irritiert. Dann erinnerte er sich. „Hab ich nich‘ mehr“, sagte er barsch, „hab‘ ich verloren!“
„Wie verloren?“ Sarah war außer sich. „Dann müssen Sie mir die CD ersetzen!“
„Ach“, grunzte Baum nur und schlug Sarah einfach die Tür vor dem Gesicht zu. Doch wenn er dachte, dass Sarah sich so leicht würde abspeisen lassen, hatte er sich getäuscht: Sie ging die Wand des Hauses ab und fand – tatsächlich- ein unachtsam aufgelassenes Kellerfenster. Sarah kletterte hindurch und sah sich um (sie ging davon aus, dass Baum log und die CD hier irgendwo rumliegen musste). In diesem Raum, mit Gartenarbeitsgeräten und Ähnlichem, war sie aber nicht. Das war Sarah egal. Sie würde Baums komplette Wohnung durchsuchen wenn es nötig wäre. Sie durfte sich nur nicht erwischen lassen. Vorsichtig lugte sie um die Ecke in den Flur hinein. Baum war nirgends zu sehen. Im Raum gegenüber brannte Licht und die Tür war ein Spalt weit offen.
„Wann werden wir denn Operation Zukunft in die Tat umsetzen?“, hörte sie Baums Stimme aus dem Zimmer.
„Was genau war nochmal war Operation Zukunft?“, fragte eine Frauenstimme.
„Wie das hast du vergessen?“, sagte Baum, „Lady Rosina hatte es doch kürzlich nochmal erklärt! ‚Operation Zukunft‘ bedeutet nichts anderes, als dass wir die Macht übernehmen! Mit einem gezielten Schlag gegen die Regierung. Wir marschieren gegen den Bundestag und übernehmen die Kontrolle!“
„Meinst du wirklich“, fragte Friederike, „dass wir dafür genug Leute haben?“
„Ja“, antwortete Baum nur, „und nun da wir uns der Ebert entledigt haben, sind unsere Leute auch motivierter und die Bevölkerung demoralisierter, also dürfte das jetzt genau der richtige Zeitpunkt sein!“
Sarah japste entsetzt. Das war ein Fehler.
„Da ist jemand“, rief die Frauenstimme aufgeregt.
„Ich seh‘ mal nach!“, sagte Baum. Da ging auch schon die Tür auf. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte Sarah, was sie tun sollte, dann entschied sie sich für eine Verzweiflungstat und warf sich mit ihrem vollen Gewicht von außen gegen die Tür.
Sie hörte ein Rumpeln.
„Au“, rief Baum von innen, „er hat mir die Nase gebrochen!“
„Na warte“, sagte die Frau. Rasch trat sie aus dem Raum und hielt Sarah eine Pistole entgegen.
„Du hältst dich wohl für unglaublich clever, was Kleine?“, fragte sie gehässig.
Panisch blickte Sarah sich zu allen Seiten um, sah aber keinen Ausweg. Schon hatte sie mit ihrem Leben abgeschlossen, als jemand von rechts angestürmt kam und die Frau mit einem Holzscheit K.O. schlug: „Gern geschehen, Schatz!“
„Lena!“, rief Sarah erfreut aus.
„Sven sagte mir, dass du hier runter gegangen seist!“, sagte Lena, „als ich dann das offene Kellerfenster sah, konnte ich mir den Rest zusammenreimen!“
„Was ist hier los?“, fragte da plötzlich eine Frauenstimme hinter ihnen. Sie drehten sich um und da standen Tom und Nora.
„Baum hat Anna Ebert umgebracht!“, sagte Sarah.
„Wer ist Baum?“, fragte Nora. Genau in diesem Moment kam Baum mit blutender Nase aus dem Kellerraum. Als er Nora sah, ergriff er sofort die Flucht. Aber natürlich war sie wesentlich schneller als er und so hatte sie ihn innerhalb kürzester Zeit in Handschellen gelegt. Dann funkte sie ihre Kollegen an.

„Ich denke, damit dürfte Sarah entlastet sein, oder?“, fragte Lena, als die vier sich draußen versammelt hatten, während sie auf die Polizei warteten.
„Ihr müsst auf jeden Fall alle aufs Präsidium mitkommen!“, gab Nora zur Antwort.
„Ich muss euch noch was sagen!“, bemerkte Sarah. Und sie erzählte allen von ‚Operation Zukunft‘ und was Baum dazu erklärt hatte.
„Hast du mitbekommen, für wann sie das planen?“, fragte Nora sie.
-„Keine Ahnung, aber wohl schon bald!“
-„Wir müssen herausbekommen, wo sie sich treffen und zwar schnell!“


Sie blickten durch jenes große Glasfenster des Verhörraums, welches für die Personen im Raum wie ein Spiegel aussieht. Friederike saß dort und starrte manisch vor sich, ohne eine Miene zu verziehen.
Nora brauchte eine Pause. „Puh“, sagte sie, „ich weiß nicht, was Rosi mit denen gemacht hat, aber sie hat ganze Arbeit geleistet!“
„Gehirnwäsche?“, fragte Sarah.
-„So was in der Art, ja!“
Ein Wachmann kam und tuschelte etwas zu Nora.
„Was?“, rief diese darauf fassungslos, „wie konnte das denn passieren?“

Es stellte sich heraus, dass Baum sich in seiner Zelle das Leben genommen hatte: Bei der Durchsuchung hatte man unachtsamer Weise ein Stück Kordel übersehen, das er als eine Art „Armband“ um sein Handgelenk geschlungen hatte.
So blieb also nur noch Friederike übrig.
„Vielleicht“, schlug Sarah vor, „solltet ihr mal Lena mit Friederike sprechen lassen!“
„Meinst Du wirklich, Sarah?“, fragte Lena erstaunt.
„Naja“, fuhr Sarah fort, „immerhin ist Lena auch Pädagogin!“
„Sie hat Recht“, stimmte Lena zu, „natürlich sind das Erwachsene, aber als guter Pädagoge lernt man auch immer Psychologie! Rosi hatte als Lehrerin gearbeitet sagt ihr? Dann hat sie sich wahrscheinlich unsichere, labile, leicht zu beeinflussende Leute für ihre RFD ausgesucht, die psychisch ohnehin eher wie Kinder sind, und ihre Psychologiekenntnisse verwendet, um sie zu manipulieren, sich ihr in ewiger Treue zu unterwerfen. Vielleicht kann ich da helfen!“
„Wer hier Leute verhören darf“, gab Nora zu bedenken, „muss auch immer eine gewisse Grundbildung in Psychologie besitzen! Aber andererseits: vielleicht habt ihr Recht! Da Rosis Anhänger tatsächlich eher wie unsichere Kinder sind und sie sich gerade das zunutze gemacht hat, kann jemand, der so denkt wie sie, vielleicht eher etwas ausrichten!“

So wurde Lena schließlich für etwa zwei Stunden mit Friederike allein gelassen. Die anderen bekamen gar nicht wirklich mit, was genau sie mit Friederike besprach, aber als sie den Verhörraum verließ, lag ein zufriedenes Grinsen auf ihrem Gesicht.
„Ich hab‘ den Stützpunkt!“, sagte sie nur.
Sie zeigte ihn Nora auf der Karte, worauf diese sofort mit einer Spezial-Einheit aufbrach.
„Ich sollte mitkommen!“, sagte Sarah, ihnen hinterherblickend.
„Warum das denn?“, fragte Lena erstaunt.
„Ich weiß nicht!“, sagte Sarah, „ich will helfen! Ich will nicht hier rumsitzen und alles verpassen! Wer weiß, ob sie nicht auf meine Hilfe angewiesen sind?“
„Das wage ich zu bezweifeln“, sagte Lena seufzend, „aber meinetwegen, tu was du nicht lassen kannst!“
Sarah grinste und machte sich auf den Weg.


Als Rosi gerade nach Hause gehen wollte, stand plötzlich eine vermummte Gestalt auf ihrem Weg.
„Dunkler Meister“, rief sie aus, „Ihr habt mich fast zu Tode erschreckt! Was macht Ihr um diese Uhrzeit hier?“
„Ich habe neue Informationen erhalten“, antwortete der Dunkle Meister in seiner so typischen unheimlichen Stimme, die unnatürlich und verzerrt klang, „sie haben herausgefunden, wo wir uns aufhalten! Sie sind auf dem Weg hierher!“
„Was können wir tun?“, fragte Rosi angstvoll.
„Nicht viel“, gab der Dunkle Meister zurück, „das Beste, was ihr tun könnt, ist Operation Zukunft sofort in die Tat umzusetzen!“
„Jetzt?“, fragte Rosi entsetzt.
„Es gibt keine andere Möglichkeit!“, sagte der Dunkle Meister.
„Aber Meister“, sagte Rosi mit zitternder Stimme, „bedenkt die späte Uhrzeit, wir… wir sind darauf nicht vorbereitet!“
„Wenn ich sagte“, antwortete der Dunkle Meister, „dass es das sei, was ihr tun könnt, so meinte ich damit eigentlich, es ist ein Befehl! Ihr werdet es tun!“
-„Aber…“
-„Ihr werdet doch wohl hoffentlich nicht meinen Befehl in Frage stellen, oder Lady Rosina?“
-„Nein, Meister, natürlich nicht!“
-„Tut es! Jetzt!“
-„Sehr wohl, Dunkler Meister!“
Und so funkte Rosi ihre Männer an, die sich eigentlich schon auf dem Heimweg befanden und instruierte sie, sofort Operation Zukunft in die Tat umzusetzen. Also bereiteten sie sich auf den Weg nach Berlin vor.
Doch schon kurz nachdem sie ihren Zufluchtsort verlassen hatten, stellte sich ihnen die Polizei in den Weg. Leider hatte diese die Situation falsch eingeschätzt und die RFD war extrem in Überzahl.
„Hört auf!“, rief Nora durch ein Megaphon, „stellt euch freiwillig oder wir sind gezwungen, das Feuer zu eröffnen!“
„Eher sterben wir“, rief Rosi, „als dass wir uns den Schergen der Demokratie unterwerfen!“
Sie gab den RFD-Mitgliedern ein Zeichen und diese preschten auf einmal auf die überrumpelten Polizisten zu, die damit nicht gerechnet hatten: Zwar eröffneten sie reflexartig das Feuer und viele RFD-Mitglieder sanken getroffen nieder. Doch waren Letztere, wie gesagt, in Überzahl, so dass es ihnen gelang, einen Großteil der Polizisten zu Boden zu werfen. Von den RFD-Mitgliedern besaßen auch manche Gewehre und Pistolen, doch waren die Polizisten stark geschützt, außerdem wollte die RFD diese stärkeren Geschütze wohl für ihr eigentliches Vorhaben aufsparen. So verwendeten sie hauptsächlich ihre Füße als ‚Waffen‘ und traten unbarmherzig auf die am Boden Liegenden ein, manche der RFD-ler hatten auch Baseballschläger oder Eisenstangen, mit denen sie sich anschickten, die Helme der Polizisten zu zerschlagen. Auch Nora lag am Boden und bemühte sich verzweifelt, aufzustehen und gleichzeitig die Schläge und Tritte der RFD-ler möglichst abzuwehren.
In diesem Moment ertönte von hinten der ‚Imperial March‘ aus einer Art Ghetto Blaster. Rosi und einige der anderen drehten sich erstaunt um und sahen, wie eine große Gruppe Storm Trooper mit Darth Vader an der Spitze schnellen Schritts auf sie zumarschiert kam. Darth Vader trug den Ghetto Blaster, den er aber jetzt ablegte und schon preschten er und die Storm Trooper, bewaffnet mit Brettern, Stangen und anderem vor.
Nun hätten Sarah und die Nerds vermutlich kaum eine Chance gegen die RFD gehabt, doch waren diese durch sie kurzzeitig abgelenkt, was Nora und ihrer Truppe erlaubte, wieder die Oberhand zu gewinnen: Sie schafften es, eine große Menge der RFD-ler von hinten K.O. zu knüppeln. Da hatten auch Sarah und die anderen sie schon erreicht und halfen, so gut sie konnten. In dem Gewühle bemerkte niemand, dass Rosi gerade versuchte, heimlich davonzukriechen. Niemand außer Sarah. Sie sprang hin und da sie ihre andere Bewaffnung verloren hatte, hielt sie Rosi das Laserschwert gegen die Kehle. Natürlich hätte sie mit diesem vermutlich nicht viel ausrichten können, daher war das eher eine symbolische Geste, die sagte: ‚Denk nicht, dass ich nicht wenigstens versuche, dich aufzuhalten‘. Zum Glück funktionierte es, zumal Rosi anscheinend durch das Darth-Vader-Kostüm sehr irritiert wenn nicht gar eingeschüchtert war. Sarah zog die Maske aus: „Denk nicht mal im Traum dran, Schlampe!“ Sie grinste. Einen Spruch dieser Art hatte sie schon immer mal ablassen wollen!

In der Zwischenzeit hatte Nora Verstärkung angefordert, die auch kurz darauf mit Blaulicht ankam und der RFD schließlich den Rest gab (sofern das überhaupt noch nötig war): Rosi und die anderen Überlebenden wurden in Handschellen abgeführt. Nora blickte sich um und ihr Blick traf Sarahs. „Danke“ sagte Nora nur und lächelte. Da kamen Kathi und Peter an, ihre Helme abnehmend.
„Puh“, sagte Kathi, „hätte nie gedacht, dass ich sowas mal in der Realität machen würde! Ist schon was anderes als in den Filmen! Naja, wenigstens hab‘ ich mir nicht wörtlich in die Hose gemacht, wie Peter!“
„Hab ich gar nicht!“, rief Peter entsetzt aus, obwohl er reichlich blass um die Nase aussah.
„Wie auch immer“, sagte Sarah grinsend, „jedenfalls danke Leute!“
„Für dich immer gern, Sarah!“, mischte sich Sven in das Gespräch ein.


Man schubste Rosi unsanft in eine kleine Zelle und schloss hinter ihr ab. Das war eine bittere Niederlage, doch der Dunkle Meister würde sie befreien, davon war Rosi überzeugt. Keine Miene verziehend hockte sie sich auf den kalten Gefängnisboden, um abzuwarten. Plötzlich stand jemand über ihr. Doch es war nicht der Dunkle Meister. Es war ein etwa dreißigjähriger Mann mit langen Haaren und Bart, in T-Shirt, zerrissener Jeans und abgelatschten Turnschuhen. Die Art wie er sie ansah, beunruhigte Rosi. In der linken Hand hielt er eine Metallstange.
„Weißt du, wer ich bin?“, fragte er. Sie antwortete nicht.
„Ich bin Anna Eberts Bruder! Du hast meine Schwester getötet! Du warst es nicht selbst, aber Du bist verantwortlich! Was soll ich jetzt mit dir machen, hm?“ Er packte sie am Kragen und zog sie hoch. Sie leistete keinen Widerstand, obwohl die manische Art, in der er sie anstierte, ihr unwillkürlich einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Ganz frei von menschlichen Regungen war auch Rosi nicht, aber sie tat ihr Bestes, sie zu unterdrücken.
„Du kannst mich umbringen!“, sagte sie dann, „aber den Geist der RFD wirst du nicht zerstören! Nicht solange der Dunkle Meister noch lebt!“
„Der Dunkle Meister!“, sagte Tom spöttisch, „Euer Hirngespinst!“
„Er ist kein Hirngespinst“, sagte Rosi, „es gibt ihn und er wird grausame Rache üben an allen, die sich ihm in den Weg stellen!“
„Grausame Rache“, Tom wurde laut, „grausame Rache, ja? Das ist es was Du willst?“ Er tat die Metallstange in die rechte Hand und packte mit der linken dann wieder Rosi am Kragen.
„Tom“, schrie Nora von draußen. „Lass mich rein, schnell!“, sagte sie dann zum Wachmann, der aufgeregt den richtigen Schlüssel suchte.
„Sie war das einzige Stück Familie, das ich noch hatte und ihr miesen Schweine habt sie einfach weggepustet! Einfach ausgelöscht, einfach so! Und da erzählst du mir was von der ‚grausamen Rache‘ Eures bekackten ‚Dunklen Meisters‘! Wenn hier jemand Grund hat, grausame Rache zu üben, dann bin ich es ja wohl, findest du nicht auch, Rosina? Was ist das überhaupt für’n bescheuerter Name, deine Eltern waren offensichtlich geisteskrank. Kein Wunder auch, wenn ich mir dich so angucke! Du miese, widerliche…“ Er hob die Metallstange noch ein bisschen höher und zielte direkt auf Rosis Kopf, während er sie sich mit der anderen Hand in die richtige Position hielt.
„Tom!“ Nora hatte ihn an der Schulter gepackt. Tom hielt inne. „Tom“, fuhr Nora fort, „Anna hätte das nicht gewollt!“
-„Anna ist nicht mehr da!“
-„Aber ich bin noch da!“
Tom senkte seinen Arm: Nora war noch da. Warum interessierte ihn das? Er wusste es nicht genau. Doch ein Funke Hoffnung kam aus dieser Gewissheit, der ihn zurückhielt.
„Ich denke, du bist bestraft genug!“, sagte er zu Rosi. Dann ließ er sich von Nora hinausgeleiten.
„Es tut mir Leid, Nora!“, sagte er, „fasst wäre ich zu etwas geworden, was…“
„Ist schon gut, Tom!“, sagte sie, ihm sanft die Schulter tätschelnd, „entscheidend ist, dass es nicht passiert ist! Lass uns auch dabei bleiben, ja?“


Sarah konnte noch gar nicht glauben, dass Bundeskanzlerin Gesine Schmidt sie hatte sehen wollen.
„Naja“, sagte Lena, „in Anbetracht der Tatsache, dass du eine gewaltsame Machtergreifung der RFD verhindert hast, ist das schon OK! Es tut mir übrigens Leid, dass ich dir das ausreden wollte“, fügte sie hinzu.
„Jetzt findest Du Star Wars nicht mehr so doof, oder?“, fragte Sarah.
„Das hab‘ ich nicht gesagt“, stellte Lena klar. Sarah verzog säuerlich den Mund.
„Junge Dame“, hob die Kanzlerin, umringt von ihren Bodyguards, an, „ich und die gesamte Bundesregierung stehen tief in Ihrer Schuld! Wenn es irgendwas gibt, was wir für sie tun können…“
„Naja“, sagte Sarah und schielte zu Lena rüber, „ein Stipendium wäre nicht schlecht, damit ich meinen grauenhaften Job kündigen und mich auf mein Studium konzentrieren kann!“ Lena lächelte.
„Kann ich veranlassen!“, sagte Schmidt.


"Er war nun nicht mehr Anakin Skywalker, er wurde Darth Vader! [...] Ich habe Dir also, von einem gewissen Standpunkt aus, die Wahrheit gesagt!"
- Star Wars
 

John

Mitglied
Hallo. Sorry, aus Zeitgründen antworte ich jetzt erst. Also zunächst mal danke für den Kommentar. Kurz gesagt muss man wohl schließen: Idee nicht schlecht, Ausführung ist verbesserungswürdig. Ehrlich gesagt hatte ich schon bis zu einem gewissen Grad vermutet, dass man zu diesem Schluss kommen müsse. Ich werde ggf. mich hier nochmal dransetzen und es überarbeiten aber für den Moment mal nicht. Ich muss dazu auch sagen, dass mit in diesem speziellen Fall die Story-Idee an sich eh wichtiger war und die "Umsetzung" zweitrangig. Aber wenn das dazu führt, dass es nicht rüberkommt, ist das nicht unbedingt die beste Herangehensweise. Mal sehen...
Hilfreich wäre natürlich ein Beispiel, welches Du nicht(!) zu teenie-mäßig (so ganz genau weiß ich auch nicht, was Du damit meinst, hab aber so ein bisschen 'ne Ahnung...), sondern "reifer" vorkommt. Darauf könnte man dann z.B. aufbauen...

Bis bald

John
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Hallo John,

bevor ich mich noch weitere Jahre an der Analsyse des Gesamttextes aufhalte, hier mal der Teil, den ich geschafft hae. Es ist wirklich nicht so einfach Beispiel zu nennen, oft geht es ja auch um Gesamteindrücke, also um die Einbettung der Sätze. Ich nenne es mal lieber „ungeübt“ statt „teeniehaft“ …

Ich versuch es mal:

Zufrieden blickte Rosi, eine rundliche Frau im Dirndl (ein „feistes bayrisches Madl“, wie man in der Gegend, aus der sie kam, wohl sagen würde) auf ihre bewaffneten Männer (und Frauen – es waren jedoch überwiegend Männer) in ihrer schwarzen Kleidung und ihren Springerstiefeln, wie sie sich da auf jener Waldlichtung versammelt hatten und ihren Befehl erwarteten.
Der erste Klammerausdruck klingt geübt, nach „leicht ironischem Abstand herstellen“.
Der zweiter Klammerausdruck klingt ungeübt: Eher wie eine Berichtsnotiz als wie erzählt.
Die Häufung von „ihre“ (mit unterschiedlicher Bedeutung zumal!) wirkt sehr ungeübt.
Ungeübte würden allerdings nicht „wie sie sich da so versammelt hatten“ schreiben oder das Ganze mit „Zufrieden blicket“ anfangen, sie würden eher „Rosi blickte zufrieden“ am Anfang schreiben.

„Der Dunkle Meister hat uns klare Anweisungen gegeben!“, rief sie, in ihrem starken südbayrischen Akzent, ihren wartenden Gesichtern zu.
Geübte würden nicht so schachteln und eher „rief sie mit xy Akzent“ schreiben.
„Wartende Gesichter“ ist so stark ungeübt (im Versuch, bildhaft zu sein, kräftig daneben gegriffen) , dass ich das dann doch wieder als teeniehaft bezeichnen würde.

‚Der Dunkle Meister‘ war der geheime Anführer der RFD und Rosi war die einzige, die Zugang zu ihm hatte. Oft traf sie sich mit ihm und bekam dann direkt von ihm die Befehle, welche sie an ihre Männer weitergab. Rosi behauptete, ‚Der Dunkle Meister‘ sei eine Art übernatürliche dämonische Macht, welche sich nur ihr allein zeigen würde. So richtig glauben konnte das von ihren Männern in Wirklichkeit niemand –manche zweifelten sogar heimlich an, dass er überhaupt existierte- doch traute sich niemand, zu widersprechen.
Solche Infos über den Hintergrund sind manchmal nötig, hier ist es eine typische Ansage, wie es (nicht nur) Anfängern passiert.
Sehr ungeübt: Die Dopplung der Aussage in „So richtig glauben konnte das von ihren Männern in Wirklichkeit niemand“.

„Es geht um Anna Ebert!“, sagte Rosi.
Ein erwartungsvolles Raunen ging durch ihre Reihen: Anna Ebert war eine junge idealistische Politikerin, welche für alles stand, was die RFD ablehnte: Frieden, Gerechtigkeit, Toleranz...
„Werden wir uns endlich ihrer entledigen?“, rief Karl.
„Ja!“, sagte Rosi, „und ich habe auch schon meinen Agenten in der Innenstadt darauf angesetzt!“
Das wirkt geübt, vor allem, weil es die gesprochene Rede nicht aufgesetzt wirkt. Ein riesiges Pfund, mit dem du wuchern kannst, und das mir den Eindruck vermittelt, dass du „Figuren gut kannst“. Ein Eindruck, der im ganzen Text bestehen blieb.


Für einen kurzen Moment schwiegen sie einfach nur und starrten mit feuchten Augen ins Leere. Dann brach ein Jubel aus, wie Rosi ihn noch nie gekannt hatte: Endlich war es so weit. Wie lange hatten die Mitglieder …
Diese „einfach nur“ finde ich massenhaft bei Schreibanfängern, oft unpassender als hier, zugegeben, aber auch hier ist das eine leere Floskel – was nicht leer wäre, wäre, wie sie schweigen (ergriffen? erstaunt? überrascht?).
Interessanterweise spricht das „und starrten mit feuchte Augen in die Leere“ für einen geübteren Schreiber, der weiß, dass „zeigen“ wichtig ist, und dafür ganz wenige Worte für einen ganz spezifischen Ausdruck der Blicke findet.



Darth Vaders Handy klingelte. Er blieb stehen und begann, aufgeregt in seinen Taschen herumzukramen. Als er schließlich das Handy (ein weißes Samsung) zu fassen gekriegt hatte, wollte er es sich ans Ohr halten, bloß um dann festzustellen, dass das ja mit der Maske auf gar nicht ging. Also zog er sie aus und zum Vorschein kam das ansehnliche Gesicht einer jungen Frau, circa Mitte zwanzig, deren lange, blonde Haare nun zu beiden Seiten unter der Maske hervorfielen. Ihr Gesicht war breit, etwas pausbäckig, mit dem Hauch eines Lächelns, das eine gewisse innere Ruhe und Zufriedenheit vermuten ließ.
Der erste Satz ist richtig cool.
Fehler bei „bloß um dann festzustellen“. Anfänger nutzen diese Formulierung gern und oft in genau dieser falschen Weise.

„Hallo?“, sagte sie, „Ja, Schatz! Ja! Aber Schatz, ich hatte dir doch gesagt, dass ich mich heute noch mit den Nerds treffe! Ja! Wir sehen uns doch später! Tschüß!“ Sie machte ein Kussgeräusch, legte auf, steckte das Handy wieder ein und pfriemelte ihre Haare wieder umständlich unter die Darth-Vader-Maske.
Hier klingen Rede und Rhythmus nach einem routinierten Schreiber.

Nach einiger Zeit hatte sie eine enge Gasse mit einer Reihe Cafés, Dönerläden und Miethäusern erreicht. Unten vor der Tür eines dieser Miethäuser stand bereits ein Mann im C3PO-Kostüm und war offensichtlich dabei, SMS zu schreiben. Als er unseren ‚Darth Vader‘ sah, rief er sofort: „Lord Vader, Euer Besuch ehrt uns! Welch unerwartetes Vergnügen!“
Das „nach einiger Zeit erreichte sie“ ergibt insofern wenig Sinn, als sie zwar die Maske wieder aufgesetzt hat, aber nicht wieder losgegangen ist. Sehr geübt wäre, ein echtes Bewegungsverb zu nutzen.
Die Mischung der Kategorien ist nicht gut: Bei Mietshaus ist das Haus gemeint, die Cafés und Dönerläden sind keine gleichwertigen Objekte (also Einzelgebäude).
Das „unten“ ist überflüssig, er kann – aus der aktuellen Sicht heraus – nicht „oben“ vor der Tür stehen.
„Unser Darth Vader“ ist ungeübtes Herstellen von Lockerheit – es gibt vorher nichts, was auf diesen Erzähltonfall hindeutet.

„Sparen Sie sich die Floskeln“, sagte ‚Darth Vader‘, „Ich bin hier um dafür zu sorgen, dass der Bau dieses neuen Todessterns wie geplant abgeschlossen wird!“
„Alles klar, Sarah!“, lachte C3PO, „Viel Spaß!“ Sarah grüßte ‚huldvoll‘ und betrat die bereits offene Tür, sich fragend, wer genau ‚C3PO‘ eigentlich war (sie konnte ihn ja nicht erkennen; er kannte sie offensichtlich, aber sie konnte die Stimme nicht identifizieren und beschloss, es auch gar nicht weiter zu versuchen).
Konstrast hier: Das „huldvolle grüßen“ zeigt eindeutig auf Sprach-Geübtheit, das „sie konnte es ja nicht sehen“ hätte auch ein Anfänger schreiben können (von den Klammern mal abgesehen).

Ich denke, das zeigt ungefähr die Richtung für ungeübt. Wahrscheinlich ist dir das einfach deshalb unterlaufen, weil du den Text eher entworfen als ausformuliert hast. Du hast einfach nicht jeden Satz auf die Goldwaage gelegt …
 

John

Mitglied
Hallo, OK, da bedanke ich mich nochmal! Manche der Dinge, die Du kritisierst, waren mir selbst gar nicht aufgefallen. Aber ich sehe das Ganze hier eh so als "work in progress", deswegen ist es gut, immer dazu zu lernen!

Das mit den "wartenden Gesichtern" hatte ich als (eine gewisse Form von) Ironie verstanden in diesem Zusammenhang. Denn es geht hier nicht um kleine Kinder (bei denen man sowas sonst vielleicht eher schreiben würde), sondern um Kriminelle der verachtenswürdigsten Art. D.h., um genau zu sein, war mir aufgefallen, dass das eine "teeniehafte" Formulierung sei, was ich aber eben gerade deshalb absichtlich so gelassen habe.

Egal, auf jeden Fall nochmal vielen Dank und bis bald mal!

John
 



 
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