Mein Ärger mit dem lieben Gott

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H

HFleiss

Gast
Mein Ärger mit dem lieben Gott

Großmutter war weich. Nicht nur hatte sie ein weibliches, weiches Gemüt, auch ihr ganzer Körper war weich, mollig, trotz der Nachkriegszeit, in der sie in der Familie am meisten aufs Essen verzichtete. Die Familie ging vor, der Großvater und die Kinder. Großvater war der Ernährer, die Kinder sollten nicht leiden unter den Irrtümern der Erwachsenen, sie waren unpolitisch, und jeden Tag ausreichend zu essen zu haben, das war Politik.

Großmutter war fromm. Sonntagvormittags ging sie in die Kirche. Großvater, der stolz darauf war, dass ihn die Pfaffen nicht herumgekriegt hatten, ließ sie gehen. Einzige Bedingung: Pünktlich um eins hatte das Essen auf dem Tisch zu stehen. Manchmal nahm mich Großmutter mit in die Kirche. Ich beobachtete sie, wie sie sang, den Blick aufs Gesangsbuch geheftet, ab und zu aber schaute sie auf, und mir schien es, als fragte sie stumm den Pastor, ob es ihm so recht sei. Vielleicht ging sie überhaupt nur in die Kirche, weil sie gern sang und sie bei Großvater nichts zu singen hatte. Sie hatte eine hohe, schon etwas brüchige Altfrauenstimme, ich könnte nicht sagen, ob es Sopran oder Mezzosopran war. Vielleicht aber auch ging sie in die Kirche, weil sie dann zwei Stunden des Tages Ruhe vor dem Großvater hatte. Sie sprach nicht darüber. Aber von Gott sprach sie oft. Jeden dritten Satz beschloss sie mit: „Mein Gott!“, „Ogottogott!“, „Da schlage doch der Herrgott mang!“, „Jesusmaria!“

Großmutter brachte mir Kindergebete bei. Meiner Mutter gefiel das nicht, denn ihr Mann, den ich noch nicht kannte, weil er in Kriegsgefangenschaft war, er war dort in Russland atheistischer Kommunist geworden, würde mir die Gebete schon austreiben, und zwar handgreiflich. Hin und hergerissen zwischen Großmutter und Mutter, verleugnete ich Gott, wenn sich meine Mutter bei mir erkundigte, welchen Blödsinn mir Oma heute wieder mal beigebracht hatte, und fragte mich Großmutter nach den Gebeten ab, faltete ich die Hände, legte los, und Großmutter war zufrieden: „Ach, Kind, wenn bloß nicht wieder Krieg ist. Bete schön, du willst doch auch keinen Krieg?“ Nein, natürlich wollte ich keinen Krieg. Also hieß es beten, mindestens vorm Einschlafen, heimlich, damit meine Mutter mein Murmeln nicht mitbekam. Manchmal, wenn die ganze große Familie in Großvaters Stube um den Tisch versammelt war und Onkel Gustav und Großvater sich wegen der Politik in die Haare kriegten, sah ich Großmutters Lippen sich lautlos bewegen. Sie betete um Frieden, nicht nur um den Weltfrieden, sondern vor allem um den Frieden in der Familie.

Als ich dann in die Schule kam, war Schluss mit den heimlichen Gebeten. Denn der Mann meiner Mutter, sie sagte mir, es sei mein Vater, war aus dem Krieg heimgekehrt. Trotzdem, es war Gewohnheit geworden, vor dem Einschlafen zu beten. Einmal bekam mein Vater mein Murmeln mit. „Was murmelst du denn da?“ Erschrocken hielt ich inne. Ich hatte noch nicht gelernt, Erwachsene, ohne zu erröten, zu beschwindeln. Wahrheitsgemäß stammelte ich also, dass ich ein Gutenachtgebet gebetet hatte. An diesem Abend begann der Krieg zwischen meinem Vater und meinem Großvater. Von der Auseinandersetzung bekam ich Einzelheiten nicht mit, aber sie wurde sehr laut und mit Schimpfwörtern geführt. Unsere Wohnung lag über der meiner Großeltern, und das Geschrei drang durch die Dielen bis zu uns hoch. Am nächsten Morgen hielt mir mein Vater eine Standpauke: „Wenn ich dich noch einmal bei denen da unten erwische, setzt es was! Merk dir das!“ Ich merkte es mir und machte ein paar Wochen lang einen Bogen um die Wohnungstür meiner Großeltern.

In der Schule durfte ich nicht am Religionsunterricht teilnehmen. Der Pfarrer, ich war die einzige Heidin in der Klasse und wurde deshalb auf den Hof geschickt während der Religionsunterrichts, nahm mich ins Gebet: „Du bist doch getauft. Willst du keine Konfirmation?“ Ich wusste nicht, was Konfirmation war, wollte es aber auch nicht wissen, denn dieses Wissen konnte unter Umständen, wenn mein Vater davon erfuhr, ziemlich weh tun. Aber auf dem Hof wurde es mit jedem Tag kälter, der Winter nahm keine Rücksicht auf mich Heidin, und mein Mantel war dünn. Eines Tages, es war Schnee gefallen, blieb ich zum Religionsunterricht in der Klasse. Der Pfarrer begrüßte mich wie die verlorene Tochter, und ich machte mich bei ihm beliebt, als ich auf seine Frage, wer ein Tier kenne, das kein Fell habe, mich meldete und lostrompetete: „Das Schwein!“ Er nahm mit der Klasse gerade die Geschichte von Adam und Eva durch, und natürlich meinte er nicht das Schwein. Aber er strich mir über die Haare, und ich liebte ihn, wie man mit sieben Jahren einen Lehrer, der immer lächelte und sanft zu uns Kindern sprach, nur lieben konnte.

Das Verbot, meine nichtexistierenden Großeltern zu meiden, umging ich. Beim erstenmal mit klopfendem Herzen, später hatte ich mich daran gewöhnt, das Verbotene ganz offen zu tun. Immer aber wünschte ich mir, ihre Klingel würde leiser klingeln. Das Haus war sehr alt, sehr brüchig und sehr hellhörig. Einmal fragte mich Großmutter, wie es mir in der Schule gefalle. „Ganz gut. Herr Neumann gefällt mir, in Religion bin ich fast die Beste in der Klasse.“ Großmutter erschrak. „Aber das darfst du nie deinem Vater erzählen!“ „Nee, bestimmt nicht. Nur dir erzähle ich es. Ich hab ein Schloss vor den Lippen, sieh mal.“ Sie umarmte mich.

Großmutter hatte kein Schloss vor den Lippen. Von ihr erfuhr es meine Mutter und von meiner Mutter mein Vater: Die Göre musste den Religionsunterricht mitmachen! Am nächsten Morgen begleitete er mich zur Schule und steuerte das Direktorzimmer an. Fräulein von Rosenberg, die Klassenlehrerin, fehlte in der ersten Stunde, und eine fremde Frau, auch eine Lehrerin, las uns ein Märchen vor. Ich dachte mir gleich, dass das Durcheinander an diesem Morgen mit meinem Vater zusammenhing.

Abends musste ich ihm versprechen, mit Ehrenwort, nie mehr, wirklich nie mehr am Religionsunterricht teilzunehmen. „Aber ihr Mantel ist doch so dünn“, wagte meine Mutter einzuwerfen. „Ich organisier ihr einen anderen. Und richtige Stiefel, die Holzdinger – da wäre ich auch in der warmen Klasse geblieben!“

Seit dieser Zeit konnte mich Fräulein von Rosenberg nicht mehr leiden, obwohl ich die Beste im Lesen war. Sie nahm mich nicht mehr dran, wenn ich mich meldete, und sprach mich nur mit Nachnamen an. Einmal gab sie mir sogar einen Katzenkopf. Es war ungerecht, ich hatte nicht radiert, sondern mit einem Ölstift gemalt. Empört übertrieb ich am Abendbrottisch meine Leiden in der Klasse, ließ auch den Katzenkopf nicht aus. Diesmal kam meine Mutter mit zur Schule und verschwand im Direktorzimmer. Danach war Fräulein von Rosenberg nicht mehr unfreundlich. Aber streng, sehr streng. Nur mit mir.

Und all der Ärger nur wegen der Religion. Der liebe Gott konnte mir gestohlen bleiben, wirklich.

(2006)
 
M

MichaelKuss

Gast
Heuchler

Liebe Hanna,
der liebe Gott konnte dir gestohlen bleiben. Bei mir war es gleich die ganze Kirche und alle Heuchler dazu. Folgende Geschichte brachte bei mir die Erleuchtung:

Am Ende und unmittelbar nach dem Krieg war es auf Grund der Ernährungsschwierigkeiten für viele Menschen - auch für meine Mutter und mich Knirps - notwendig, aus der ausgebombten Stadt hinaus aufs Land zu den Bauern zu pilgern und dort Zigarettenkippen oder Rest-Nägel gegen ein paar Kartoffel, Eier oder sonst irgend etwas Essbares zu "fuggeln", also einzutauschen bzw. zu erbetteln. In einem bayrischen Dorf, in dessen Bauernstuben das Hakenkreuz koexistent und friedlich neben dem Jesuskreuz hing, schaffte es meine Mutter, das Herz einer Bäuerin zu erweichen; wir durften uns an den Sonntagsküchentisch mit dampfendem Essen setzen. Mir war schlecht vor Hunger und meine Augen wurden immer größer. Mein Teller war schon vollgeschöpft, da wurden wir zum Beten aufgefordert. Meine Mutter kannte den Gebetstext so wenig wie ich, aber sie machte wenigstens ein paar imaginäre Fingerbewegungen, die einigermaßen nach Glaubensbekenntnis aussahen. Immerhin ging es um unsere erste warme Mahlzeit seit Tagen. Als die Bäuerin aber sah, dass ich weder den Text kannte, noch die geringsten Anstalten machte, mit Hände falten oder Augen verdrehen wenigstens rein äußerlich den dankbaren Christen zu mimen, wurde uns das Essen vor der Nase wieder weggenommen, wir wurden in den Stall verfrachtet und bekamen dort - zwischen den Kühen sitzend - je eine Pellkartoffel mit Salz. Das allerdings dann ohne Gebet und ohne Heuchelei.
 

Inu

Mitglied
Liebe Hanna


ich habe fast gar nichts zu meckern. Nur ein paar Kleinigkeiten könntest du vielleicht verbessern.

Mein Ärger mit dem lieben Gott

Großmutter war weich. Nicht nur hatte sie ein weibliches, weiches Gemüt, auch ihr ganzer Körper war weich, mollig, trotz der Nachkriegszeit, in der sie in der Familie am meisten aufs Essen verzichtete. Die Familie ging vor, der Großvater und die Kinder. Großvater war der Ernährer[blue].[/blue] [blue]D[/blue]ie Kinder sollten nicht leiden unter den Irrtümern der Erwachsenen, sie waren unpolitisch, und jeden Tag ausreichend zu essen zu haben, das war Politik.

Großmutter war fromm. Sonntagvormittags ging sie in die Kirche. Großvater, der stolz darauf war, dass ihn die Pfaffen nicht herumgekriegt hatten, ließ sie gehen. Einzige Bedingung: Pünktlich um eins hatte das Essen auf dem Tisch zu stehen. Manchmal nahm mich Großmutter mit in die Kirche. Ich beobachtete sie, wie sie sang, den Blick aufs Gesangsbuch geheftet[blue]. A[/blue]b und zu [strike]aber[/strike] schaute sie auf, und mir schien es, als fragte sie stumm den Pastor, ob es ihm so recht sei. Vielleicht ging sie überhaupt nur in die Kirche, weil sie gern sang und sie bei Großvater nichts zu singen hatte. Sie hatte eine hohe, schon etwas brüchige Altfrauenstimme, ich könnte nicht sagen, ob es Sopran oder Mezzosopran war. Vielleicht aber auch ging sie in die Kirche, weil sie dann zwei Stunden des Tages Ruhe vor dem Großvater hatte. Sie sprach nicht darüber. Aber von Gott sprach sie oft. Jeden dritten Satz beschloss sie mit: „Mein Gott!“, „Ogottogott!“, „Da schlage doch der Herrgott mang!“, „Jesusmaria!“

Großmutter brachte mir Kindergebete bei. Meiner Mutter gefiel das nicht, denn ihr Mann, den ich noch nicht kannte, weil er in Kriegsgefangenschaft war [blue]- [/blue]er war dort in Russland atheistischer Kommunist geworden [blue]- [/blue] würde mir die Gebete schon austreiben, und zwar handgreiflich. Hin[blue]-[/blue] und hergerissen zwischen Großmutter und Mutter, verleugnete ich Gott, wenn sich meine Mutter bei mir erkundigte, welchen Blödsinn mir Oma heute wieder mal beigebracht hatte [blue].[/blue][strike]und [/strike][blue]F[/blue]ragte mich Großmutter nach den Gebeten ab, faltete ich die Hände, legte los, und Großmutter war zufrieden: „Ach, Kind, wenn bloß nicht wieder Krieg ist. Bete schön, du willst doch auch keinen Krieg?“ Nein, natürlich wollte ich keinen Krieg. Also hieß es beten, mindestens vorm Einschlafen, heimlich, damit meine Mutter mein Murmeln nicht mitbekam. Manchmal, wenn die ganze große Familie in Großvaters Stube um den Tisch versammelt war und Onkel Gustav und Großvater sich wegen der Politik in die Haare kriegten, sah ich Großmutters Lippen sich lautlos bewegen. Sie betete um Frieden, nicht nur um den Weltfrieden, sondern vor allem um den Frieden in der Familie.

Als ich dann in die Schule kam, war Schluss mit den heimlichen Gebeten. Denn der Mann meiner Mutter [blue]- [/blue]sie sagte mir, es sei mein Vater [blue]-[/blue] war aus dem Krieg heimgekehrt. Trotzdem, es war Gewohnheit geworden, vor dem Einschlafen zu beten. Einmal bekam mein Vater mein Murmeln mit. „Was murmelst du denn da?“ Erschrocken hielt ich inne. Ich hatte noch nicht gelernt, Erwachsene, [strike]ohne zu erröten,[/strike] zu beschwindeln [blue]ohne zu erröten.[/blue] Wahrheitsgemäß stammelte ich also, dass ich ein Gutenachtgebet gebetet hatte. An diesem Abend begann der Krieg zwischen meinem Vater und meinem Großvater. Von der Auseinandersetzung bekam ich Einzelheiten nicht mit, aber sie wurde sehr laut und mit Schimpfwörtern geführt. Unsere Wohnung lag über der meiner Großeltern, und das Geschrei drang durch die Dielen bis zu uns hoch. Am nächsten Morgen hielt mir mein Vater eine Standpauke: „Wenn ich dich noch einmal bei denen da unten erwische, setzt es was! Merk dir das!“ Ich merkte es mir und machte ein paar Wochen lang einen Bogen um die Wohnungstür meiner Großeltern.

In der Schule durfte ich nicht am Religionsunterricht teilnehmen. Der Pfarrer - ich war die einzige Heidin in der Klasse und wurde deshalb auf den Hof geschickt während der Religionsunterrichts [blue]-[/blue] nahm mich ins Gebet: „Du bist doch getauft. Willst du keine Konfirmation?“ Ich wusste nicht, was Konfirmation war, wollte es aber auch nicht wissen, denn dieses Wissen konnte unter Umständen, wenn mein Vater davon erfuhr, ziemlich weh tun. Aber auf dem Hof wurde es mit jedem Tag kälter, der Winter nahm keine Rücksicht auf mich Heidin, und mein Mantel war dünn. Eines Tages, es war Schnee gefallen, blieb ich zum Religionsunterricht in der Klasse. Der Pfarrer begrüßte mich wie die verlorene Tochter, und ich machte mich bei ihm beliebt, als ich auf seine Frage, wer ein Tier kenne, das kein Fell habe, mich meldete und lostrompetete: „Das Schwein!“ Er nahm mit der Klasse gerade die Geschichte von Adam und Eva durch, und natürlich meinte er nicht das Schwein. Aber er strich mir über die Haare, und ich liebte ihn, wie man mit sieben Jahren einen Lehrer, der immer lächelte und sanft zu uns Kindern sprach, nur lieben konnte.

Das Verbot, meine nichtexistierenden Großeltern zu meiden, umging ich. Beim erstenmal mit klopfendem Herzen, später hatte ich mich daran gewöhnt, das Verbotene ganz offen zu tun. Immer aber wünschte ich mir, ihre Klingel würde leiser klingeln. Das Haus war sehr alt, sehr brüchig und sehr hellhörig. Einmal fragte mich Großmutter, wie es mir in der Schule gefalle. „Ganz gut. Herr Neumann gefällt mir, in Religion bin ich fast die Beste in der Klasse.“ Großmutter erschrak. „Aber das darfst du nie deinem Vater erzählen!“ „Nee, bestimmt nicht. Nur dir erzähle ich es. Ich hab ein Schloss vor den Lippen, sieh mal.“ Sie umarmte mich.

Großmutter hatte kein Schloss vor den Lippen. Von ihr erfuhr es meine Mutter und von meiner Mutter mein Vater: [strike]Die Göre musste den Religionsunterricht mitmachen![/strike] [blue]Die Göre hatte den Religionsunterricht mitgemacht![/blue]Am nächsten Morgen begleitete er mich zur Schule und steuerte das Direktorzimmer an. Fräulein von Rosenberg, die Klassenlehrerin, fehlte in der ersten Stunde, und eine fremde Frau, auch eine Lehrerin, las uns ein Märchen vor. Ich dachte mir gleich, dass das Durcheinander an diesem Morgen mit meinem Vater zusammenhing.

Abends musste ich ihm versprechen, mit Ehrenwort, nie mehr, wirklich nie mehr am Religionsunterricht teilzunehmen. „Aber ihr Mantel ist doch so dünn“, wagte meine Mutter einzuwerfen. „Ich organisier ihr einen anderen. Und richtige Stiefel, die Holzdinger – da wäre ich auch in der warmen Klasse geblieben!“

Seit dieser Zeit konnte mich Fräulein von Rosenberg nicht mehr leiden, obwohl ich die Beste im Lesen war. Sie nahm mich nicht mehr dran, wenn ich mich meldete, und sprach mich nur mit Nachnamen an. Einmal gab sie mir sogar einen Katzenkopf. Es war ungerecht, ich hatte nicht radiert, sondern mit einem Ölstift gemalt. Empört übertrieb ich am Abendbrottisch meine Leiden in der Klasse, ließ auch den Katzenkopf nicht aus. Diesmal kam meine Mutter mit zur Schule und verschwand im Direktorzimmer. Danach war Fräulein von Rosenberg nicht mehr unfreundlich. Aber streng, sehr streng. Nur mit mir.

Und all der Ärger nur wegen der Religion. Der liebe Gott konnte mir gestohlen bleiben, wirklich.

Eine nette Kindheitsgeschichte. Mir gefällt Deine Art des Erzählens. Und zwischen den Zeilen ist auch versteckter Humor.

Manchmal habe ich auch Bindestriche - eingefügt, man sieht sie nicht, obwohl ich sie blau markiert habe!

Liebe Grüße
Inu
 
H

HFleiss

Gast
Tja, Michael, die meisten Wege führen nach Rom. Wie alt warst du, als euch das passiert war? Erstaunlich, dass du die Ursache beim Beten gesucht hattest und nicht bei dem kämpferischen Frömmlertum der Bäuerin. Mir sind zum Glück viele unliebsame Erfahrungen mit der Kirche erspart geblieben, aber manchmal bedaure ich, dass ich so wenig Beziehung zur Bibel habe, obwohl ich sie gelesen habe, eigentlich immer wieder mal lese. Naja, das scheint der einzige Nachteil meines Heidentums zu sein. Auf der anderen Seite bin ich natürlich froh, dass ich gelernt habe, die Welt mit eigenem, unverstelltem Blick zu sehen, und das scheint mir in der heutigen Welt etwas von bleibendem Wert zu sein.
Obwohl ich natürlich respektiere, wenn Menschen die Erklärung der Welt im Glauben suchen. Es kommt eben auf das Ergebnis an, nicht wahr?

Gruß
Hanna
 
H

HFleiss

Gast
Inu, Inu, du hast ja schon wieder den ganzen Text durchgearbeitet, ist er das eigentlich wert, dass du dir so viel Mühe damit machst. Hab meinen allerbesten Dank, ich erröte. Ja, du hast recht, man könnte es an einigen Stellen anders schreiben, berücksichtige ich bei der Überarbeitung. Das einzige, womit ich nicht ganz einverstanden bin, ist der Satz mit der Göre. Es war 1947 in Westberlin (das ja so noch nicht hieß) Usus, dass man am Religionsunterricht teilnahm (das will vor allem die evangelische Kirche heute wieder einführen, guckeda). Hier waren alle Evangelen, und nur Katholiken waren eigentlich ausgeschlossen. Mein Fall war ein wirklicher Sonderfall: eine Schülerin ohne Religion! Ich verstand damals natürlich überhaupt nicht die Bedeutung, im Gegenteil, mir hatte der Religionsunterricht sogar Spaß gemacht - so viele schöne Märchen und der Religionslehrer so freundlich. Es ging damals so weit, dass ich in der Schule der bunte Hund war. Darum muss der Satz wirklich heißen: Sie m u s s t e den Religionsunterricht mitmachen. Denn auf anderes haben meine Eltern zu dieser Zeit überhaupt nicht kommen können: dass ich freiwillig wegen der Kälte fromm wurde.

Gruß
Hanna
 
M

MichaelKuss

Gast
Der Glaube und der Hunger

Hallo Hanna, zu deiner Frage:
Ich war zwischen Vier und Sechs; im Winter lud mich meine tapfere Mutter (die mit schier unendlichem Optimismus und Lebenskraft die Zeiten meisterte) auf einen Schlitten, im Sommer auf einen kleinen Handwagen und dann ging es aus Frankfurt/Main heraus für viele Kilometer ins Bayrische. Wenn wir mitunter mit etwas Erfolg zurück kamen, lauerten uns an der Stadtgrenze oder an der hessisch-bayrischen Landesgrenze die Polizisten auf und beschlagnahmten unsere paar Erfolge wegen "Beteiligung am Schwarzmarkt". Dann hatten WIR nichts mehr zu essen, aber wenigstens mussten die Familien der Polizisten nicht mehr hungern. Aber das hatte dann nichts mehr mit der glaubenstreuen Bäuerin zu tun, sondern war schon wieder eine andere Geschichte.
Michael, mit Grüßen aus einer vergessenen Zeit.
 
H

HFleiss

Gast
Habe ich mir gleich gedacht, dass dir das in Bayern passiert ist und nicht zum Beispiel in einer Großstadt.

Ja, davon hatte ich gehört, dass man Hamstergut beschlagnahmte. Aber ehrlich, ich kann mich an keine mir bekannte Familie erinnern, die nicht hamstern gefahren ist. Ohne die Hamsterei hätte Berlin zumindest die Jahre 46 und 47 wohl nicht überlebt. Ich kann mich zum Beispiel an einen großen Sack Tomaten erinnern. Leider zerquetscht(aber sie hielten sich längere Zeit), weil meine Mutter mit dem Sack auf dem Rücken in dem vollen Zug so gegen die anderen Leute gepresst worden war, dass sie nur noch Ketschup nach Hause brachte. Und jedesmal, wenn sie mit meinem Opa auf Tour ging (manchmal bis nach Mecklenburg), hatte ich noch ein Märchenbuch vermisst. Die Bauern haben alles genommen, Geld hatte ja keinen Wert mehr. Die Leute berichteten dann, die Bauern hätten ihre guten Stuben mit drei Lagen Teppichen gepflastert - gegen eine Handvoll Mohrrüben oder Kartoffeln. Aber dass ihr auch Bußfertigkeit und Gottesfürchtigkeit beweisen musstet, das ist schon eine wirkliche Gemeinheit. Aber so waren sie, die Bauern.

Gruß
Hanna
 

Inu

Mitglied
Hallo Hanna

[blue]die Göre musste den Religionsunterricht mitmachen.[/blue]

Ich hatte diese Bemerkung als Ausspruch des wütenden Vaters gelesen, dem das gar nicht passte. Deshalb: Die Göre hat den Religionsunterricht mitgemacht ... so in dem Sinn : "das schlägt aber jetzt echt dem Fass den Boden aus, dass sie mir das angetan hat, wo ich doch so dagegen war."

ist ja nicht schlimm. Ich meinte halt nur ... :)

Liebe Grüße
Inu
 



 
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