Rosa Eggenberg
Mitglied
Um halb elf Uhr vormittags gab ich im Brucknerhaus vorfreudig meinen Mantel ab, selbstredend nicht ohne dem Garderobier ein ordentliches Trinkgeld zu geben – was kostete schon die Welt?
Nach dem gewissenhaften Kartenabriss durch den Saalordner suchte ich meinen Platz auf, Parkett links, ganz innen. Letzte Reihe, damit mir niemand ins Kreuz treten konnte. Das war nämlich etliche Male vorgekommen, als ich noch in den teuren Reihen zu sitzen pflegte und die Person in meinem Rücken mit fortschreitender Ermüdung infolge langwieriger sinfonischer Dichtungen oder umfangreicher Klavierzyklen bequem die Beine hochlagern wollte. Aber nicht mit mir! Nicht mehr!
Heute stand das zweite Klavierkonzert op. 18 in c-Moll von Sergej Wassiljewitsch Rachmaninow am Programm, kurz auch „Rach 2“ genannt. Schostakovitschs Siebte danach würde mein Nervenkostüm umso gewaltiger zum Beben bringen.
Der Saal füllte sich mit festlich gekleideten Kulturkonsumenten, bald stand auch mein Sitznachbar fest, ein feister junger Mann mit blitzblauer Krawatte auf einem lila Hemd – auch eine Möglichkeit. Er lächelte dankbar als ich ihm den Weg frei gab, zwang sich an mir vorbei und pfropfte seinen fülligen Leib in den Nebensitz, der mir mit einem Mal wesentlich kleiner vorkam als mein eigener.
Mir blieben noch 15 Minuten Zeit ehe das Konzert begann, also begab ich mich ganz nach vorne zum Flügel. Es war ein schwarz glänzender Steinway, der aufgeklappt darauf harrte, zum Klingen gebracht zu werden. Ein Kribbeln erfüllte mich bei dem erhebenden Anblick. Ich folgte dem Halbrund der Bühne weiter und besah ehrfürchtig die leeren Plätze, die schon bald von den Musikern eingenommen werden würden. Ganz rechts warteten die Bässe wie überdimensionale, folgsame Hunde, von ihren Besitzern bis auf Weiteres dort abgelegt. In meiner Phantasie konnte ich sie sogar atmen sehen. Die Umrundung der heiligen Halle führte mich vorbei an immer mehrwerdenden Konzertgästen wieder zurück zu meinem Platz.
Die Hütte war heute ausverkauft!
Dann wurde es still im Saal. Die Musiker begannen von beiden Seiten her auf die Bühne zu strömen. Es war wenige Minuten vor 11 Uhr, ich konnte sehen, wie sie ihre Noten platzierten, die Instrumente positionierten und gleich darauf kam auch schon das „a“ von der Oboe. Die erste Geige übernahm es, bereits der Klang des sich stimmenden Orchesters entfachte die Vorfreude in mir zur vollen Flamme.
Auf einmal stand ich auf, trat auf den Gang und marschierte ganz ruhig direkt nach vorne auf den Flügel zu. Gleichzeitig betrat von links kommend der Pianist die Bühne, augenblicklich begann das aufmerksame Publikum zu klatschen. Man hatte sich schließlich heute hier versammelt, um einem Könner von absolutem Weltrang die Ehre zu geben. Ich ging ungerührt weiter vorwärts und erreichte zeitgleich mit dem Star den Steinway.
Was erdreistete ich mich? Was sollten denn die Leute denken?!
Am selben Punkt wie der Pianist stellte ich mich auf und nahm die Huldigung des Publikums entgegen. Nach dem Verebben des Applauses drehte ich mich zum Flügel, machte drei Schritte auf ihn zu und ließ mich auf das lederbepolsterte Pianistensitzmöbel nieder. Ich fühlte mich vollkommen an meinem rechtmäßigen Platz angekommen als mein Gesäß die Sitzfläche eindrückte, meine Füße die Pedale kontrollierten und meine Finger sacht die Tasten berührten, noch ohne sie anzuschlagen.
Wohlwollend drehte ich mich um, als der Dirigent erschien. Ihm zur Ehre erhob ich mich gemeinsam mit dem gesamten Orchester, schüttelte seine Hand, wartete stehend auf das Verklingen des Dirigenten-Applauses und nahm wieder Platz.
Der Einsatz gehörte mir, mir allein, denn das zweite Klavierkonzert von Rachmaninow wird vom Klavier solo eröffnet. Ich nickte dem obersten Befehlshaber zu, der mir durch leichtes Kopfnicken die Erlaubnis zum Start erteilte, und nach zwei tiefen Atemzügen, während denen meine Finger sich mühelos auf dem Anfangsakkord platziert hatten, bediente ich den Steinway mit einer Selbstverständlichkeit, die für einen Klavierneuling wie mich vollkommen unbegreiflich war.
Ich ließ das Stück aus einem tiefen Schlaf erwachen, aber rasch an Fahrt gewinnen, so als ob es erkannt hätte, dass es nicht länger ruhen durfte, dass es schon längst hätte losmarschieren sollen. Die Streicher halfen ihm auf die Beine und wogten auf einem samtigen Weg geradewegs hinein in eine Klangspirale, in der meine Töne voller Begeisterung und Anmut zu tanzen begannen. Das Vergnügen, mit dem ich jede Note platzierte, wurde vom Orchester allerliebst erwidert; jetzt spielten wir in völliger Eintracht, gleich darauf hatte ich gegen seine riesige Klangwand anzukämpfen, doch schließlich überließ es mir das weite Feld und webte einen feinen Klangteppich, über dem ich die Melodie schweben lassen durfte.
Einige Takte Pause. Ungläubig besah ich meine Hände, als mich mein Einsatz jäh wieder fort riss von jeglicher Verstandestätigkeit außerhalb von Rach 2. Ich gab mich der starken Strömung des ersten Satzes restlos hin, in diesem Moment existierte nichts Anderes mehr für mich.
Ganz fein modellierte ich die Pianopassage am Ende, ließ hohe, funkelnde Tonkristalle erstrahlen, immer mehr umgeben vom Klangespinst der Streicher, das mich wie heimlich einhüllte. Innen war ich, bald im Innersten des Klangkokons, aus dem ich schließlich mit viel Energie den wunderbaren Schmetterling des Schlusses befreien konnte.
Das Husten, Räuspern, Niesen und das Knarren der Sitze in der schwebenden Phase zwischen den Sätzen holte uns wieder in die Wirklichkeit zurück; all das gehörte für mich zum Erlebnis eines Konzertes ebenso dazu wie das Stimmen zu Beginn. Es war einkalkuliert und Teil des Gesamtpaketes, das man mit der Eintrittskarte erworben hatte. Von der Bühne aus klang es nur wenig anders, als ich es als Zuseherin gewohnt war.
Gut war es bisher verlaufen, sehr gut.
Erfüllt atmete ich ein und bettete Flöte und Klarinette auf wohlklingende Watte, während sie zärtlich die Melodie des zweiten Satzes zum Leben erweckten. Ich trat ein in das Zwiegespräch, übernahm die Weise zuerst fragend, dann fordernd, beschrieb sie dem ganzen Orchester, als ob ich sichergehen wollte, sie auch ganz und gar richtig wahrgenommen zu haben. Die Antwort kam in einer herrlichen Einheit. Das Orchester war zu einem großen Ganzen verschmolzen, der Klang weit mehr als aus der Summe aller Instrumente hervorgehen konnte.
Ja wirklich, es glich einem riesigen Vogelschwarm, der am Himmel immer neue Gestalten zauberte, Erscheinungen, die wie ganz eigene Lebewesen wirkten. Inmitten dieser Figuren ließ ich meine Klänge steigen, ließ sie wie eine fließende Säule im Raum stehen und vom Orchester umrunden.
Gleich einem wunderbar aufeinander eingestimmten, tanzenden Paar glitten wir schließlich in inniger Umarmung durch den Saal, um in einer Verbeugung vor einander zu einem ganz sachten, leisen Ende zu finden.
Und dann, im dritten Satz, nahm ich den Marsch mit allem gebotenen Nachdruck in Angriff – und mit dem erforderlichen Quäntchen an Schelmerei, das mir das Orchester schon vorgegeben hatte. Unnachgiebig bearbeitete ich die Tasten, ließ die Tonleiter sich wie ein wildes Pferd aufbäumen. Jetzt gab es keine Zartheit, jetzt gab es ein tobendes Unwetter, es gab den absoluten Kontrast zur molligen Lieblichkeit des zweiten Satzes, denn für alles gibt es eine Zeit. Ich wollte, dass sich das Publikum fürchtete. Es sollte schaudern, es sollte unwillkürlich zu marschieren beginnen, das Bild einer aufgebrachten, zum Äußersten entschlossenen Menge sollte für Angst und Schrecken sorgen! Anstandslos übernahm das Orchester meine Angriffslust, gemeinsam steigerten wir uns zum fulminanten Finale, meine Finger flogen über die Tasten um den Sog bis zum Unerträglichen zu verstärken, ein klingender Wirbelwind fegte durch den Saal. Ich genoss die letzten Wellen, die ich ins Klangmeer bringen konnte, dann ließ ich los. Das Klavier verstummte.
Das Orchester formte ohne mich den Schluss, der uns unsanft ins Hier und Jetzt ausspie. Es war noch viel zu früh für das Ende! Doch der letzte Ton war verhallt.
Das Publikum erwachte aus seiner Angststarre und brach in frenetischen Applaus aus, den ich wohlwollend mit meinem Dirigenten und Orchester teilte. Noch während fleißig geklatscht wurde begann ich, mich vom Klavier zu entfernen. Aber nicht etwa zum Bühnenausgang, von wo ich dann zum ersten, zweiten und dritten Mal wieder hervorkommen sollte, je nachdem wie lange die Menge brauchen würde, um sich zu beruhigen; nein, ich ging geradewegs auf die Zuhörerschaft zu, nach hinten in die letzte Reihe, Parkett links, ganz innen. An meinem Sitzplatz angekommen nahm ich sogleich meine Pflicht als Zuhörerin wahr und klatschte begeistert mit. Der dickliche Herr neben mir spendete ebenfalls berauscht Beifall, dann drehte er sich vergnügt und ein bisschen mitleidig zu mir und sprach: „Dass Sie jetzt so klatschen überrascht mich, wo Sie doch die ganze Zeit geschlafen haben!“
Er konnte ja nicht ahnen, dass sich kaum jemand so sehr wie ich die bevorstehende Pause verdient hatte.
Nach dem gewissenhaften Kartenabriss durch den Saalordner suchte ich meinen Platz auf, Parkett links, ganz innen. Letzte Reihe, damit mir niemand ins Kreuz treten konnte. Das war nämlich etliche Male vorgekommen, als ich noch in den teuren Reihen zu sitzen pflegte und die Person in meinem Rücken mit fortschreitender Ermüdung infolge langwieriger sinfonischer Dichtungen oder umfangreicher Klavierzyklen bequem die Beine hochlagern wollte. Aber nicht mit mir! Nicht mehr!
Heute stand das zweite Klavierkonzert op. 18 in c-Moll von Sergej Wassiljewitsch Rachmaninow am Programm, kurz auch „Rach 2“ genannt. Schostakovitschs Siebte danach würde mein Nervenkostüm umso gewaltiger zum Beben bringen.
Der Saal füllte sich mit festlich gekleideten Kulturkonsumenten, bald stand auch mein Sitznachbar fest, ein feister junger Mann mit blitzblauer Krawatte auf einem lila Hemd – auch eine Möglichkeit. Er lächelte dankbar als ich ihm den Weg frei gab, zwang sich an mir vorbei und pfropfte seinen fülligen Leib in den Nebensitz, der mir mit einem Mal wesentlich kleiner vorkam als mein eigener.
Mir blieben noch 15 Minuten Zeit ehe das Konzert begann, also begab ich mich ganz nach vorne zum Flügel. Es war ein schwarz glänzender Steinway, der aufgeklappt darauf harrte, zum Klingen gebracht zu werden. Ein Kribbeln erfüllte mich bei dem erhebenden Anblick. Ich folgte dem Halbrund der Bühne weiter und besah ehrfürchtig die leeren Plätze, die schon bald von den Musikern eingenommen werden würden. Ganz rechts warteten die Bässe wie überdimensionale, folgsame Hunde, von ihren Besitzern bis auf Weiteres dort abgelegt. In meiner Phantasie konnte ich sie sogar atmen sehen. Die Umrundung der heiligen Halle führte mich vorbei an immer mehrwerdenden Konzertgästen wieder zurück zu meinem Platz.
Die Hütte war heute ausverkauft!
Dann wurde es still im Saal. Die Musiker begannen von beiden Seiten her auf die Bühne zu strömen. Es war wenige Minuten vor 11 Uhr, ich konnte sehen, wie sie ihre Noten platzierten, die Instrumente positionierten und gleich darauf kam auch schon das „a“ von der Oboe. Die erste Geige übernahm es, bereits der Klang des sich stimmenden Orchesters entfachte die Vorfreude in mir zur vollen Flamme.
Auf einmal stand ich auf, trat auf den Gang und marschierte ganz ruhig direkt nach vorne auf den Flügel zu. Gleichzeitig betrat von links kommend der Pianist die Bühne, augenblicklich begann das aufmerksame Publikum zu klatschen. Man hatte sich schließlich heute hier versammelt, um einem Könner von absolutem Weltrang die Ehre zu geben. Ich ging ungerührt weiter vorwärts und erreichte zeitgleich mit dem Star den Steinway.
Was erdreistete ich mich? Was sollten denn die Leute denken?!
Am selben Punkt wie der Pianist stellte ich mich auf und nahm die Huldigung des Publikums entgegen. Nach dem Verebben des Applauses drehte ich mich zum Flügel, machte drei Schritte auf ihn zu und ließ mich auf das lederbepolsterte Pianistensitzmöbel nieder. Ich fühlte mich vollkommen an meinem rechtmäßigen Platz angekommen als mein Gesäß die Sitzfläche eindrückte, meine Füße die Pedale kontrollierten und meine Finger sacht die Tasten berührten, noch ohne sie anzuschlagen.
Wohlwollend drehte ich mich um, als der Dirigent erschien. Ihm zur Ehre erhob ich mich gemeinsam mit dem gesamten Orchester, schüttelte seine Hand, wartete stehend auf das Verklingen des Dirigenten-Applauses und nahm wieder Platz.
Der Einsatz gehörte mir, mir allein, denn das zweite Klavierkonzert von Rachmaninow wird vom Klavier solo eröffnet. Ich nickte dem obersten Befehlshaber zu, der mir durch leichtes Kopfnicken die Erlaubnis zum Start erteilte, und nach zwei tiefen Atemzügen, während denen meine Finger sich mühelos auf dem Anfangsakkord platziert hatten, bediente ich den Steinway mit einer Selbstverständlichkeit, die für einen Klavierneuling wie mich vollkommen unbegreiflich war.
Ich ließ das Stück aus einem tiefen Schlaf erwachen, aber rasch an Fahrt gewinnen, so als ob es erkannt hätte, dass es nicht länger ruhen durfte, dass es schon längst hätte losmarschieren sollen. Die Streicher halfen ihm auf die Beine und wogten auf einem samtigen Weg geradewegs hinein in eine Klangspirale, in der meine Töne voller Begeisterung und Anmut zu tanzen begannen. Das Vergnügen, mit dem ich jede Note platzierte, wurde vom Orchester allerliebst erwidert; jetzt spielten wir in völliger Eintracht, gleich darauf hatte ich gegen seine riesige Klangwand anzukämpfen, doch schließlich überließ es mir das weite Feld und webte einen feinen Klangteppich, über dem ich die Melodie schweben lassen durfte.
Einige Takte Pause. Ungläubig besah ich meine Hände, als mich mein Einsatz jäh wieder fort riss von jeglicher Verstandestätigkeit außerhalb von Rach 2. Ich gab mich der starken Strömung des ersten Satzes restlos hin, in diesem Moment existierte nichts Anderes mehr für mich.
Ganz fein modellierte ich die Pianopassage am Ende, ließ hohe, funkelnde Tonkristalle erstrahlen, immer mehr umgeben vom Klangespinst der Streicher, das mich wie heimlich einhüllte. Innen war ich, bald im Innersten des Klangkokons, aus dem ich schließlich mit viel Energie den wunderbaren Schmetterling des Schlusses befreien konnte.
Das Husten, Räuspern, Niesen und das Knarren der Sitze in der schwebenden Phase zwischen den Sätzen holte uns wieder in die Wirklichkeit zurück; all das gehörte für mich zum Erlebnis eines Konzertes ebenso dazu wie das Stimmen zu Beginn. Es war einkalkuliert und Teil des Gesamtpaketes, das man mit der Eintrittskarte erworben hatte. Von der Bühne aus klang es nur wenig anders, als ich es als Zuseherin gewohnt war.
Gut war es bisher verlaufen, sehr gut.
Erfüllt atmete ich ein und bettete Flöte und Klarinette auf wohlklingende Watte, während sie zärtlich die Melodie des zweiten Satzes zum Leben erweckten. Ich trat ein in das Zwiegespräch, übernahm die Weise zuerst fragend, dann fordernd, beschrieb sie dem ganzen Orchester, als ob ich sichergehen wollte, sie auch ganz und gar richtig wahrgenommen zu haben. Die Antwort kam in einer herrlichen Einheit. Das Orchester war zu einem großen Ganzen verschmolzen, der Klang weit mehr als aus der Summe aller Instrumente hervorgehen konnte.
Ja wirklich, es glich einem riesigen Vogelschwarm, der am Himmel immer neue Gestalten zauberte, Erscheinungen, die wie ganz eigene Lebewesen wirkten. Inmitten dieser Figuren ließ ich meine Klänge steigen, ließ sie wie eine fließende Säule im Raum stehen und vom Orchester umrunden.
Gleich einem wunderbar aufeinander eingestimmten, tanzenden Paar glitten wir schließlich in inniger Umarmung durch den Saal, um in einer Verbeugung vor einander zu einem ganz sachten, leisen Ende zu finden.
Und dann, im dritten Satz, nahm ich den Marsch mit allem gebotenen Nachdruck in Angriff – und mit dem erforderlichen Quäntchen an Schelmerei, das mir das Orchester schon vorgegeben hatte. Unnachgiebig bearbeitete ich die Tasten, ließ die Tonleiter sich wie ein wildes Pferd aufbäumen. Jetzt gab es keine Zartheit, jetzt gab es ein tobendes Unwetter, es gab den absoluten Kontrast zur molligen Lieblichkeit des zweiten Satzes, denn für alles gibt es eine Zeit. Ich wollte, dass sich das Publikum fürchtete. Es sollte schaudern, es sollte unwillkürlich zu marschieren beginnen, das Bild einer aufgebrachten, zum Äußersten entschlossenen Menge sollte für Angst und Schrecken sorgen! Anstandslos übernahm das Orchester meine Angriffslust, gemeinsam steigerten wir uns zum fulminanten Finale, meine Finger flogen über die Tasten um den Sog bis zum Unerträglichen zu verstärken, ein klingender Wirbelwind fegte durch den Saal. Ich genoss die letzten Wellen, die ich ins Klangmeer bringen konnte, dann ließ ich los. Das Klavier verstummte.
Das Orchester formte ohne mich den Schluss, der uns unsanft ins Hier und Jetzt ausspie. Es war noch viel zu früh für das Ende! Doch der letzte Ton war verhallt.
Das Publikum erwachte aus seiner Angststarre und brach in frenetischen Applaus aus, den ich wohlwollend mit meinem Dirigenten und Orchester teilte. Noch während fleißig geklatscht wurde begann ich, mich vom Klavier zu entfernen. Aber nicht etwa zum Bühnenausgang, von wo ich dann zum ersten, zweiten und dritten Mal wieder hervorkommen sollte, je nachdem wie lange die Menge brauchen würde, um sich zu beruhigen; nein, ich ging geradewegs auf die Zuhörerschaft zu, nach hinten in die letzte Reihe, Parkett links, ganz innen. An meinem Sitzplatz angekommen nahm ich sogleich meine Pflicht als Zuhörerin wahr und klatschte begeistert mit. Der dickliche Herr neben mir spendete ebenfalls berauscht Beifall, dann drehte er sich vergnügt und ein bisschen mitleidig zu mir und sprach: „Dass Sie jetzt so klatschen überrascht mich, wo Sie doch die ganze Zeit geschlafen haben!“
Er konnte ja nicht ahnen, dass sich kaum jemand so sehr wie ich die bevorstehende Pause verdient hatte.