Mein Leben in BERLIN

4,40 Stern(e) 17 Bewertungen

Lio

Mitglied
Mein Leben in BERLIN

„Und…was machst du so?“

„Das war´s“, dachte ich und überlegte, ob ich einfach aufstehen und gehen sollte. „Und was machst du so?“ Das war die dämlichste Frage, die man überhaupt stellen konnte. Als ob es eine Bedeutung hätte, was ich so mache.

„Zahnarzt!“ antwortete ich aufs geratewohl, obwohl ich mir danach am liebsten auf die Zunge gebissen hätte. Zahnarzt und arbeitsloser Sozialpädagoge. Das nahm sich nicht viel. Obwohl ich zurzeit ja eigentlich Spätshopverkäufer war.

„Zahnarzt!“, rief sie und lachte. „Darauf wäre ich bei dir ja nie gekommen!“ Ihr Gesicht hatte etwas eulenhaftes, riesengroße Augen und eine ganz kleine, spitze Nase. Außerdem war alles kräftig eingepudert, ganz leicht konnte man Aknenarben unter der Puderschicht erkennen. Ihre schmalen Lippen zeigten auch eher nach unten als nach oben. Wie sie so lachte und herumschrie. Ich fand, das passte irgendwie nicht zu ihr.

„Und, wie ist das so als Zahnarzt!“, rief sie, wobei sie „Zahnarzt“ mit Absicht so aussprach, als sei es etwas ganz besonders tolles.

„Naja, wie soll das schon sein, alles hassen dich!“, sagte ich, weil mir nichts Besseres einfiel. Ich ärgerte mich. Alles hatte so gut angefangen, wir waren beide irgendwie zur gleichen Zeit an der gleichen Stelle der Bar gestanden und hatten auf unsere Bestellung gewartet. Ich hatte irgendeinen blöden Witz gemacht, von wegen der Barkeeper habe den Mauerfall wohl verschlafen, oder etwas anderes geistloses, woraufhin sie laut aufgelacht hatte. Da war ich schon ziemlich erstaunt gewesen. Dann hatten wir eine Weile über dies und das geredet, aber nicht über den üblichen Quatsch und sie war neben mir stehen geblieben, mit den zwei Rotweingläsern in der Hand, bis ihre Freundin zu uns gekommen war und sich ärgerlich nach ihrem Getränk erkundigt hatte. Da war sie natürlich mitgegangen und hatte mich alleine zurückgelassen. Aber irgendwann war sie wieder zu mir gekommen.

Wir hatten uns noch eine Weile unterhalten. Sie hatte mir erzählt, dass sie als Flugbegleiterin arbeite und ich hatte ihr gesagt, dass ich mir das bei ihr gut vorstellen könne. Dann hatte sie ihre dämliche Frage gestellt. „Und was machst du so?“ Ich trank mein Bier noch aus. Dann ging ich nach Hause.

#​

Es war natürlich Zufall, dass sie ein paar Wochen später bei mir im Spätshop stand. Mit einem Cabernet Sauvignon in der Hand und mich dabei gar nicht verächtlich, sondern eher erstaunt anguckte. Was ich denn hier mache, fragte sie mich. Jetzt hatte sie kein Puder im Gesicht und man sah die Aknenarben ganz deutlich auf den Backen. Außerdem sprach sie ganz leise, fast enttäuscht und sah mit ihren beiden riesigen Eulenaugen sehr zerbrechlich aus.

Aber ich traute mich nicht zuzugeben, dass ich sie angelogen hatte. Deshalb erzählte ich ihr, dass mein alter Kumpel Notstand gehabt hätte und ich in seinem Kiosk eingesprungen wäre. Sie schrieb dann noch ihre Nummer auf eine Serviette, die ich in den Müll warf, weil ich sie ja sowieso schon angelogen hatte und das mit ihr deshalb keine Zukunft hatte.

Und dann stand sie ein paar Wochen wieder bei mir im Kiosk und stellte mich zur Rede, warum ich mich nicht bei ihr gemeldet hätte. Ich sagte ihr, dass ich ihre Nummer verloren hätte, aber sie glaubte mir nicht und brach beinah in Weinen aus. Da wurde mir schon ein bisschen heiß, weil es wirklich so aussah, als läge ihr irgendetwas an mir. Also fragte ich sie noch einmal nach ihrer Nummer und versprach ihr hoch und heilig anzurufen, was ich dann auch tat und mich mit ihr verabredete.

Wir trafen uns nachmittags in irgendeinem Kaffee und jetzt hatte sie wieder das Puder im Gesicht, obwohl es noch hell war. Ich fand, dass das seltsam aussah, wo sie doch so ein hübsches Gesicht hatte, mit den großen Augen, die so schön strahlen konnten, aber jetzt so matt aussahen. Wir redeten eigentlich gar nicht so viel, berührten uns aber manchmal mit den Knien unter dem Tisch. Da hatte ich das erste Mal seit langer Zeit wieder so richtig starkes Herzklopfen.

Dann gingen wir zu ihr in die Wohnung, wo sie eine Bong auspackte, was mich überraschte, weil das gar nicht so sehr zu ihr passte, fand ich zumindest. Sie machte sie an und ich rauchte ein bisschen mit, aber hauptsächlich rauchte sie. Und dann zeigte sie mir ihren Unterarm und sagte, dass das erst vier Monate her sei, dass sie versucht habe sich die Pulsadern aufzuschneiden, aber dass sie jetzt zur Therapie gehe und es ihr schon viel besser ginge. Als sie high war, sagte sie noch, dass ich es gern mit ihr treiben könne, falls ich Lust dazu hätte. Das brachte mich aus der Fassung und ich stand auf, um zu gehen. Aber dann fing sie an zu weinen und sagte, dass ich sie jetzt doch nicht alleine lassen könne, weil sie fühle, dass bald wieder ihre Depression anfange. Also setzte ich mich wieder neben sie, woraufhin sie mich umarmte und ich eine Gänsehaut bekam, weil mich doch schon so lange niemand mehr umarmt hatte.
 
B

bluefin

Gast
großes, kleines kino, @lio! genau hingesehen und cool aufgeschrieben: nicht bloß geknipst, sondern wirklich fotografiert.

kleiner tipp am rande: den ersten teil solltest du am ende vielleicht ein bisschen anders gliedern, dann käme der leser besser mit dem zeiteneinschub zurecht. villeicht so:
„Naja, wie soll das schon sein, alles hassen dich!“, sagte ich, weil mir nichts Besseres einfiel. Ich ärgerte mich. Alles hatte so gut angefangen, wir waren beide irgendwie zur gleichen Zeit an der gleichen Stelle der Bar gestanden und hatten auf unsere Bestellung gewartet. Ich hatte irgendeinen blöden Witz gemacht, von wegen der Barkeeper habe den Mauerfall wohl verschlafen, oder etwas anderes geistloses, woraufhin sie laut aufgelacht hatte. Da war ich schon ziemlich erstaunt gewesen. Dann hatten wir eine Weile über dies und das geredet, aber nicht über den üblichen Quatsch und sie war neben mir stehen geblieben, mit den zwei Rotweingläsern in der Hand, bis ihre Freundin zu uns gekommen war und sich ärgerlich nach ihrem Getränk erkundigt hatte. Da war sie natürlich mitgegangen und hatte mich alleine zurückgelassen.

[strike]Aber[/strike] irgendwann war sie wieder zu mir gekommen [blue]und[/blue] Wir hatten uns noch eine Weile unterhalten. Sie hatte mir erzählt, dass sie als Flugbegleiterin arbeite und ich hatte ihr gesagt, dass ich mir das bei ihr gut vorstellen könne. Dann hatte sie ihre dämliche Frage gestellt. „Und was machst du so?“

Ich trank mein Bier noch aus. Dann ging ich nach Hause.
liebe grüße aus münchen

bluefin
 

steyrer

Mitglied
Hübsche Geschichte, auch wenn der Schluss nach meinem Geschmack ein schauerliches Menetekel ist. Übrigens: Es heißt nicht [red]Kaffee[/red], sondern [blue]Café [/blue]oder [blue]Kaffeehaus[/blue].

Schöne Grüße

steyrer
 
B

bluefin

Gast
mein lieber @steyrer, was an diesem schluss ein "menetekel" sein sollte, weißt nur du. es wird doch nur (noch einmal) zum ausdruck gebracht, dass das lyrich ebenso hilflos und alleingelassen ist wie die protagonistin.

wahrscheinlich weißt du nicht, dass man eine gänsehaut auch dann kriegen kann, wenn man ebengerade nicht friert. und dass sie auch in allen anderen fällen etwas schrecklich gewöhnliches ist.

vor der abqualifikation der texte dritter solltest du diese vielleicht ein wenig reflektieren. wenn @lios hübsche berliner depressionen deiner meinung nach zwar "etwas hätten, dass aus ihnen aber mehr herauszuholen wäre", dann frag ich dich: was denn? dass man in café geht statt ins kaffee?

verwunderte grüße aus münchen

bluefin
 

Lio

Mitglied
Mein Leben in BERLIN

„Und…was machst du so?“

„Das war´s“, dachte ich und überlegte, ob ich einfach aufstehen und gehen sollte. „Und was machst du so?“ Das war die dämlichste Frage, die man überhaupt stellen konnte. Als ob es eine Bedeutung hätte, was ich so mache.

„Zahnarzt!“ antwortete ich aufs geratewohl, obwohl ich mir danach am liebsten auf die Zunge gebissen hätte. Zahnarzt und arbeitsloser Sozialpädagoge. Das nahm sich nicht viel. Obwohl ich zurzeit ja eigentlich Spätshopverkäufer war.

„Zahnarzt!“, rief sie und lachte. „Darauf wäre ich bei dir ja nie gekommen!“ Ihr Gesicht hatte etwas eulenhaftes, riesengroße Augen und eine ganz kleine, spitze Nase. Außerdem war alles kräftig eingepudert, ganz leicht konnte man Aknenarben unter der Puderschicht erkennen. Ihre schmalen Lippen zeigten auch eher nach unten als nach oben. Wie sie so lachte und herumschrie. Ich fand, das passte irgendwie nicht zu ihr.

„Und, wie ist das so als Zahnarzt!“, rief sie, wobei sie „Zahnarzt“ mit Absicht so aussprach, als sei es etwas ganz besonders tolles.

„Naja, wie soll das schon sein, alle hassen dich!“, sagte ich, weil mir nichts Besseres einfiel. Ich ärgerte mich. Alles hatte so gut angefangen, wir waren beide irgendwie zur gleichen Zeit an der gleichen Stelle der Bar gestanden und hatten auf unsere Bestellung gewartet. Ich hatte irgendeinen blöden Witz gemacht, von wegen der Barkeeper habe den Mauerfall wohl verschlafen, oder etwas anderes geistloses, woraufhin sie laut aufgelacht hatte. Da war ich schon ziemlich erstaunt gewesen. Dann hatten wir eine Weile über dies und das geredet, aber nicht über den üblichen Quatsch und sie war neben mir stehen geblieben, mit den zwei Rotweingläsern in der Hand, bis ihre Freundin zu uns gekommen war und sich ärgerlich nach ihrem Getränk erkundigt hatte. Da war sie natürlich mitgegangen und hatte mich alleine zurückgelassen.

Irgendwann war sie wieder zu mir gekommen und wir hatten uns noch eine Weile unterhalten. Sie hatte mir erzählt, dass sie als Flugbegleiterin arbeite und ich hatte ihr gesagt, dass ich mir das bei ihr gut vorstellen könne. Dann hatte sie ihre dämliche Frage gestellt. „Und was machst du so?“ Ich trank mein Bier noch aus. Dann ging ich nach Hause.

#​

Es war natürlich Zufall, dass sie ein paar Wochen später bei mir im Spätshop stand. Mit einem Cabernet Sauvignon in der Hand und mich dabei gar nicht verächtlich, sondern eher erstaunt anguckte. Was ich denn hier mache, fragte sie mich. Jetzt hatte sie kein Puder im Gesicht und man sah die Aknenarben ganz deutlich auf den Backen. Außerdem sprach sie ganz leise, fast enttäuscht und sah mit ihren beiden riesigen Eulenaugen sehr zerbrechlich aus.

Aber ich traute mich nicht zuzugeben, dass ich sie angelogen hatte. Deshalb erzählte ich ihr, dass mein alter Kumpel Notstand gehabt hätte und ich in seinem Kiosk eingesprungen wäre. Sie schrieb dann noch ihre Nummer auf eine Serviette, die ich in den Müll warf, weil ich sie ja sowieso schon angelogen hatte und das mit ihr deshalb keine Zukunft hatte.

Und dann stand sie ein paar Wochen wieder bei mir im Kiosk und stellte mich zur Rede, warum ich mich nicht bei ihr gemeldet hätte. Ich sagte ihr, dass ich ihre Nummer verloren hätte, aber sie glaubte mir nicht und brach beinah in Weinen aus. Da wurde mir schon ein bisschen heiß, weil es wirklich so aussah, als läge ihr irgendetwas an mir. Also fragte ich sie noch einmal nach ihrer Nummer und versprach ihr hoch und heilig anzurufen, was ich dann auch tat und mich mit ihr verabredete.

Wir trafen uns nachmittags in irgendeinem Café und jetzt hatte sie wieder das Puder im Gesicht, obwohl es noch hell war. Ich fand, dass das seltsam aussah, wo sie doch so ein hübsches Gesicht hatte, mit den großen Augen, die so schön strahlen konnten, aber jetzt so matt aussahen. Wir redeten eigentlich gar nicht so viel, berührten uns aber manchmal mit den Knien unter dem Tisch. Da hatte ich das erste Mal seit langer Zeit wieder so richtig starkes Herzklopfen.

Dann gingen wir zu ihr in die Wohnung, wo sie eine Bong auspackte, was mich überraschte, weil das gar nicht so sehr zu ihr passte, fand ich zumindest. Sie machte sie an und ich rauchte ein bisschen mit, aber hauptsächlich rauchte sie. Und dann zeigte sie mir ihren Unterarm und sagte, dass das erst vier Monate her sei, dass sie versucht habe sich die Pulsadern aufzuschneiden, aber dass sie jetzt zur Therapie gehe und es ihr schon viel besser ginge. Als sie high war, sagte sie noch, dass ich es gern mit ihr treiben könne, falls ich Lust dazu hätte. Das brachte mich aus der Fassung und ich stand auf, um zu gehen. Aber dann fing sie an zu weinen und sagte, dass ich sie jetzt doch nicht alleine lassen könne, weil sie fühle, dass bald wieder ihre Depression anfange. Also setzte ich mich wieder neben sie, woraufhin sie mich umarmte und ich eine Gänsehaut bekam, weil mich doch schon so lange niemand mehr umarmt hatte.
 

Lio

Mitglied
Moin Bluefin, Gernot und Steyrer.

Erst einmal vielen Dank für eurer Lob und eure Kritik. Die Fehler habe ich, soweit sie mir schlüssig erschienen, verbessert.

Was du an dem Ende für ein "schauerliches Menetekel" hälst, hab´ ich auch nicht ganz verstanden steyrer. Vielleicht kannst du dem Wunsch Bluefins nachkommen und es wirklich noch einmal ein bißchen ausführen.

Noch einen schönen Sommertag (der gerade erst begonnen hat)!

Lio
 

Retep

Mitglied
Morgen Lio,

deine Geschichte hat mir sehr gefallen. Du zeigst die beiden Personen so, dass ich mich in ihre Einsamkeit einfühlen und mitfühlen konnte.
Wie du das Gesicht der Protagonistin beschreibst, je nach Situation verändert, halte ich für sehr gekonnt.
Die Sprache passt zum Text, relativ einfach, nicht mit Metaphern überladen.

Kleine Anmerkungen:

- Das nahm sich nicht viel. (Diese Wendung kenne ich nicht)
- etwas ganz besonders tolles. (Tolles?)
- alles hassen dich (alle)
- wir waren (hatten) beide irgendwie zur gleichen Zeit an der gleichen Stelle der Bar gestanden
- etwas anderes geistloses (Geistloses)

Also setzte ich mich wieder neben sie, woraufhin sie mich umarmte und ich eine Gänsehaut bekam, weil mich doch schon so lange niemand mehr umarmt hatte.
- diesen Schlusssatz finde ich sehr gelungen

Habe deinen Text sehr gerne gelesen.

Gruß

Retep

P.S.: Den Titel würde ich ändern.
 
S

suzah

Gast
hallo lio,
ich finde den text gut.
die kleinen fehlerchen hast du ja bereits ausgebessert. was steyrer als "menetekel" empfindet, würde ich auch gern wissen.

werde gern wieder einen text von dir lesen.
liebe grüße aus berlin von suzah
 

steyrer

Mitglied
Hallo @bluefin!

Gut, ich hätte es von Anfang an ausführlicher begründen sollen (mea culpa). Du schreibst:

... es wird doch nur (noch einmal) zum ausdruck gebracht, dass das lyrich ebenso hilflos und alleingelassen ist wie die protagonistin.

Na und? Das ist doch offensichtlich. Nona sagt man dazu in Österreich.

aber dann kommt's dick:

wahrscheinlich weißt du nicht, dass man eine gänsehaut auch dann kriegen kann, wenn man ebengerade nicht friert. und dass sie auch in allen anderen fällen etwas schrecklich gewöhnliches ist.

Sorry, aber das ist unter aller Kanone.

Schöne Grüße

steyrer
 

steyrer

Mitglied
Hallo @Lio!

bluefin schreibt:

großes, kleines kino, @lio! genau hingesehen und cool aufgeschrieben: nicht bloß geknipst, sondern wirklich fotografiert.


So ist es. Die Story ist ja wirklich glaubwürdig und in sich plausibel. Aber meine Einschätzug des Endes als "Menetekel" (unheildrohendes Zeichen, laut Duden) bezieht sich darauf, dass der Icherzähler die Frau abschätzig behandelt, aber diese ihn weiterhin verfolgt und am Ende sogar mit einer indirekten Selbstmorddrohung nötigt. Da kann nichts Gutes rauskommen.

Liebe Grüße

steyrer
 
B

bluefin

Gast
das österreichische "nonaa", für mich im wesentlichen ein grunzlaut der verständnislosigkeit, lieber @steyrer, ist durchaus unangebracht bei einer geschichte, die so leis daherkommen will wie diese hier und in der die protagonisten so empfindlich sind, dass es ihnen sogar die haut rührt.

hier getös à la "conan der barbar" zu erwarten, zeigt, dass der eigentliche inhalt der erzählung gar nicht erkannt wurde: nix "nonaa"!

was ein menetekel ist, wissen wir alle, auch ohne den duden zu bemühen - der schluss, bei dem das scheue lyrich von einer flüchtigen berührung allein gänsehaut bekommt, ist keins, sondern zeigt uns vielmehr die einsamkeit, die das lyrich mit dem mädchen verbindet. worin du geringschätzung erkennen kannst, wenn es der schlichten aufforderung, mit einem mädchen zu schlafen, nicht folgen kann, vor den umständen zu fliehen versucht und es dann (wahrscheinlich) doch nicht schafft, weißt nur du. hier werden keine selbstmorde angedroht, sondern wunden gezeigt.

ich erkenne bei aller traurigkeit der schilderung ein winziges quäntchen trost in der story.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 

Lio

Mitglied
Mein Leben in BERLIN

„Und…was machst du so?“

„Das war´s“, dachte ich und überlegte, ob ich einfach aufstehen und gehen sollte. „Und was machst du so?“ Das war die dämlichste Frage, die man überhaupt stellen konnte. Als ob es eine Bedeutung hätte, was ich so mache.

„Zahnarzt!“ antwortete ich aufs geratewohl, obwohl ich mir danach am liebsten auf die Zunge gebissen hätte. Zahnarzt und arbeitsloser Sozialpädagoge. Das klang doch beides ähnlich bescheuert. Obwohl ich zurzeit ja eigentlich Spätshopverkäufer war.

„Zahnarzt!“, rief sie und lachte. „Darauf wäre ich bei dir ja nie gekommen!“ Ihr Gesicht hatte etwas eulenhaftes, riesengroße Augen und eine ganz kleine, spitze Nase. Außerdem war alles kräftig eingepudert, ganz leicht konnte man Aknenarben unter der Puderschicht erkennen. Ihre schmalen Lippen zeigten auch eher nach unten als nach oben. Wie sie so lachte und herumschrie. Ich fand, das passte irgendwie nicht zu ihr.

„Und, wie ist das so als Zahnarzt!“, rief sie, wobei sie „Zahnarzt“ mit Absicht so aussprach, als sei es etwas ganz besonders Tolles.

„Naja, wie soll das schon sein, alle hassen dich!“, sagte ich, weil mir nichts Besseres einfiel. Ich ärgerte mich. Alles hatte so gut angefangen, wir hatten beide irgendwie zur gleichen Zeit an der gleichen Stelle der Bar gestanden und hatten auf unsere Bestellung gewartet. Ich hatte irgendeinen blöden Witz gemacht, von wegen der Barkeeper habe den Mauerfall wohl verschlafen, oder etwas anderes Geistloses, woraufhin sie laut aufgelacht hatte. Da war ich schon ziemlich erstaunt gewesen. Dann hatten wir eine Weile über dies und das geredet, aber nicht über den üblichen Quatsch und sie war neben mir stehen geblieben, mit den zwei Rotweingläsern in der Hand, bis ihre Freundin zu uns gekommen war und sich ärgerlich nach ihrem Getränk erkundigt hatte. Da war sie natürlich mitgegangen und hatte mich alleine zurückgelassen.

Irgendwann war sie wieder zu mir gekommen und wir hatten uns noch eine Weile unterhalten. Sie hatte mir erzählt, dass sie als Flugbegleiterin arbeite und ich hatte ihr gesagt, dass ich mir das bei ihr gut vorstellen könne. Dann hatte sie ihre dämliche Frage gestellt. „Und was machst du so?“ Ich trank mein Bier noch aus. Dann ging ich nach Hause.

#​

Es war natürlich Zufall, dass sie ein paar Wochen später bei mir im Spätshop stand. Mit einem Cabernet Sauvignon in der Hand und mich dabei gar nicht verächtlich, sondern eher erstaunt anguckte. Was ich denn hier mache, fragte sie mich. Jetzt hatte sie kein Puder im Gesicht und man sah die Aknenarben ganz deutlich auf den Backen. Außerdem sprach sie ganz leise, fast enttäuscht und sah mit ihren beiden riesigen Eulenaugen sehr zerbrechlich aus.

Aber ich traute mich nicht zuzugeben, dass ich sie angelogen hatte. Deshalb erzählte ich ihr, dass mein alter Kumpel Notstand gehabt hätte und ich in seinem Kiosk eingesprungen wäre. Sie schrieb dann noch ihre Nummer auf eine Serviette, die ich in den Müll warf, weil ich sie ja sowieso schon angelogen hatte und das mit ihr deshalb keine Zukunft hatte.

Und dann stand sie ein paar Wochen wieder bei mir im Kiosk und stellte mich zur Rede, warum ich mich nicht bei ihr gemeldet hätte. Ich sagte ihr, dass ich ihre Nummer verloren hätte, aber sie glaubte mir nicht und brach beinah in Weinen aus. Da wurde mir schon ein bisschen heiß, weil es wirklich so aussah, als läge ihr irgendetwas an mir. Also fragte ich sie noch einmal nach ihrer Nummer und versprach ihr hoch und heilig anzurufen, was ich dann auch tat und mich mit ihr verabredete.

Wir trafen uns nachmittags in irgendeinem Café und jetzt hatte sie wieder das Puder im Gesicht, obwohl es noch hell war. Ich fand, dass das seltsam aussah, wo sie doch so ein hübsches Gesicht hatte, mit den großen Augen, die so schön strahlen konnten, aber jetzt so matt aussahen. Wir redeten eigentlich gar nicht so viel, berührten uns aber manchmal mit den Knien unter dem Tisch. Da hatte ich das erste Mal seit langer Zeit wieder so richtig starkes Herzklopfen.

Dann gingen wir zu ihr in die Wohnung, wo sie eine Bong auspackte, was mich überraschte, weil das gar nicht so sehr zu ihr passte, fand ich zumindest. Sie machte sie an und ich rauchte ein bisschen mit, aber hauptsächlich rauchte sie. Und dann zeigte sie mir ihren Unterarm und sagte, dass das erst vier Monate her sei, dass sie versucht habe sich die Pulsadern aufzuschneiden, aber dass sie jetzt zur Therapie gehe und es ihr schon viel besser ginge. Als sie high war, sagte sie noch, dass ich es gern mit ihr treiben könne, falls ich Lust dazu hätte. Das brachte mich aus der Fassung und ich stand auf, um zu gehen. Aber dann fing sie an zu weinen und sagte, dass ich sie jetzt doch nicht alleine lassen könne, weil sie fühle, dass bald wieder ihre Depression anfange. Also setzte ich mich wieder neben sie, woraufhin sie mich umarmte und ich eine Gänsehaut bekam, weil mich doch schon so lange niemand mehr umarmt hatte.
 

Lio

Mitglied
Hi Retep,

danke für deine Kritik. Hat mich wirklich sehr gefreut. Dein Tadel ist berechtigt. "Das nahm sich nicht viel", ist wohl Umgangssprache. Ich habe es sicherheitshalber auch geändert.

Hi Suzah,

auch über deine Wertung habe ich mich gefreut. Dass jemand sogar sagt, dass er noch mehr von jemanden lesen will. Das ist schon toll!

Zur Diskussion über das Menetekel:

Ich will nicht damit beginnen, die Geschichte aufzulösen. Jeder versteht sie so wie er sie eben versteht.
Ich glaube, das Menetekel ist hier auch gar nicht der springende Punkt. Worum es Bluefin wohl hauptsächlich geht ist, dass dein Kommentar, steyrer, nicht ganz so respektvoll ausgefallen ist, wie es hier im Forum sonst üblich ist. Ich finde diesen respektvollen Tonfall sollten wir uns auch auf jeden Fall bewahren. Darüber freue ich mich jedes Mal, wenn ich die (Lese)lupe in die Hand nehme.

Noch einen schönen Abend!

Lio
 

steyrer

Mitglied
Hallo @Lio!

Ich wollte dich nicht verletzen oder beleidigen. Wenn meine Postings allerdings so aufgefasst wurden, tut es mir Leid und ich werde in Zukunft vorsichtiger sein.

Liebe Grüße
steyrer
 
B

bluefin

Gast
ob kommentare immer nur liebenswürdig ausfallen müssen, lieber @lio, kann dahinstehen. entscheidend ist wohl auch, ob sie zutreffen.

"nonaa" ist, wie ich bereits sagte, ein beliebter rülpser dort, wo nichts ausgesagt, sondern nur herabgewürdigt werden will. dafür ist dieser text eindeutig zu schade. wer da "nonaa" sagt, geht nicht spazieren in deinem "berlin" und schaut sich nicht die bilder an, die da drin hängen, sondern trampelt mit dem nagelschuh durch, ohne etwas zu erkennen.

ich glaube nicht, dass es darauf ankommt, sich in einem literaturforum zu "mögen". es genügt, glaube ich, wenn man sich bzw. die fähigkeiten der anderen respektiert und sie nicht verreisst, sondern kritisiert. da kann's schon mal vorkommen, dass man sich nicht einigt - coole mädelz und jungs stecken das weg.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 

steyrer

Mitglied
@bluefin

Auch zu Dir: Ich wollte niemanden beleidigen, wenn es aber trotzdem so angekommen ist, dann tut es mir Leid und soll nicht wieder vorkommen. Aber eines will ich noch klarstellen: Das Nonawort bezieht sich nicht auf @Lios Text, sondern war eine Reaktion auf Deine Erklärungen. Im österreichischen Wörterbuch (39. Aufl. S. 417) steht: "no na (ugs., sal.): was sonst? selbstverständlich!". Es gibt aber auch Angebote im Netz (Online Österreich Wörterbuch). Es ist keine gerülpste Beleidigung wie du glaubst, sondern lediglich zwanglose Umgangssprache. Jargon wenn du möchtest.

Da es aber sowieso nicht mehr um die Sache geht, höre ich mit dieser Diskussion jetzt auf und schließe mit einem Wort Kurt Tucholskys:

Denn wie sprechen Menschen mit Menschen? Aneineinder vorbei.

Ich möchte noch ergänzen: Gnadenlos aneinander vorbei.

Viele liebe Grüße, nichts für ungut und auf ein gutes Auskommen:
steyrer
 
B

bluefin

Gast
eine der ganz schicken sachen dieses forums ist der umstand, dass (woferne nicht gelöscht) alles nachlesbar bleibt, mein lieber @steyrer. es hieß in deinem posting vom 18.08, 17:14 wörtlich:
... es wird doch nur (noch einmal) zum ausdruck gebracht, dass das lyrich ebenso hilflos und alleingelassen ist wie die protagonistin.

Na und? Das ist doch offensichtlich. Nona sagt man dazu in Österreich.
das abfällige "nona" bezog sich demnach keinswegs auf meine notiz per se, sondern auf den gegenstand der debatte: @lios text, insbesondere den schluss.

tipp: auch die eigenen postings sorgfältig lesen, bevor du dich ins getümmel mit dem walfisch stürzt. und dann einen möglichst kräftigen vorleger* benutzen, sonst wird's nix mit der waljagd.

liebe grüße aus münchen

bluefin

*da du ein google-fan zu sein scheinst: versuch doch mal, rauszukriegen, was das ist. falls du nicht fündig werden solltest - bei fortgesetztem interesse helf ich dir gerne!
 



 
Oben Unten