Mit links Denken

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Mit links denken
Carlos war vom Leben gekennzeichnet. Er wusste nicht mehr weiter, denn die Wut, die er in sich trug, über die nicht erfüllten Dinge seines Lebens, fraß ihn innerlich auf. Man hatte ihn schon öfters empfohlen, einen alten weisen Mann des Nachbardorfes, den man als „den Alten“ kannte, zu besuchen. Er hielt aber nichts davon. Aber da ihn die besten Psychologen und Psychiater des Landes auch nicht hatten helfen können, nahm er eines Tages die Empfehlung an, weil er wusste, lange würde er so nicht mehr weiter leben können.

„Herr, mein Name ist Carlos und komme gleich zur Sache. Ich glaube an den Mist hier nicht, aber ich habe das Gefühl, keine andere Wahl mehr zu haben. Ich laufe wütend durchs Leben und zerstöre alles um mich herum. Ich kann und will so nicht mehr weiter machen. Ich werde jetzt schon wütend, wenn ich nur darüber nachdenke, was ich aus meinem Leben gemacht habe.“
„Interessant“, sagt der Alte und wirkte auch nicht gereizt auf das rüde Einsteigen von Carlos. „Wirklich, alles macht sie wütend?“
„Ja, einfach die kleinste Kleinigkeit! Angefangen morgens, wenn ich mich in den Spiegel betrachte, und endet abends, wenn ich erneut in den Spiegel schaue, wieder Mal nichts aus meinem Leben gemacht zu haben.“
Der Alte überlegt kurz und sagte: „Das ist ein klarer Fall. Sie haben aufgehört mit links, zu denken.“
„Mit links zu denken?“, fragte er laut nach, und wirkte mehr als leicht wütend. „Wollen sie mich verarschen? Die Art von Therapie habe ich schon hinter mir, und die gefällt mir am wenigsten.“
„Das ist ernst gemeint. Mit links zu denken, ist da, wo die Welt einfach nur schön ist“, sagte der Alte mit ruhiger Stimme. „Auf dieser Seite der Welt, deines Gehirns gibt es einfach nur positives zu berichten. Diese Seite des Gehirns kennt nur die positiven Wörter und Gedanken des Lebens. Dort werden Träume wahr, sodass man dem Glück dort nah ist.
„Und wie komme ich dahin? Was kann ich machen, um das zu erreichen?“
„Sie müssen nur bei sich bleiben und mit links denken. Denn rechts wartet nur das Unheil, worin sie ja schon ein Spezialist sind. Dabei sollen sie jeden negativen Gedanken, Satz oder Wort, was sie benutzen, umwandeln ins positive. Ich gebe ihnen ein Beispiel. Ich bin traurig, kann man umwandeln in, ich habe die Fähigkeit mich zu spüren. Kommen sie bitte in einer Woche wieder, und berichten sie mir von der Welt des Links denken. Es hat mich schon lange niemand mehr besucht, der von dort kam.“
Sichtlich irritiert fragte Carlos nach, „Und das alles ohne Medikamente?“
„Ja, sie brauchen nur sich selbst und ein Wörterbuch, wo alle positiven Wörter stehen, wenn ihnen keins einfällt.“

Leicht verwirrt und mit einer leichten Wut ging Carlos vom Alten weg. Für ihn hatte es sich bewahrheitet, dass das alles nur schwachsinnig sei. Und doch kam er eine Woche später wieder.

Der Alte fragte Carlos, wie es ihm ergangen sei.
„Es war eine richtig gute Woche“, und strahlte den Alten an.
„Das freut mich für sie.“
„Ich weiß zwar nicht, was sie mit mir angestellt haben, aber es hat funktioniert! Das hier war anders, und glauben sie mir, ich war bei ganz vielen Ärztin.“
„Ich habe gar nichts gemacht.“
„Oh doch! Wissen sie, zuerst war ich verwirrt. Ich dachte sofort, mit ihnen stimmt etwas nicht. Mit links Denken? Ja klar, was für ein Blödsinn“, schüttelte den Kopf und grinste den Alten lieb dabei an. „Mir war klar, dass sie mich nicht ernst genommen hatten. Und schon nach wenigen Sekunden, nach dem ich ihr Haus verlassen hatte, hatte ich wie immer dieselbe Wut in mir. Ich weiß nicht, warum, vielleicht war es meine Verzweiflung oder dass ich nichts zu verlieren hatte, aber ich ging, ohne nachzudenken zum Buchhandel und besorgte mir ein Wörterbuch. Auf den Weg dorthin glaubte ich selbst nicht, was ich da tat, aber ich tat es. Kurze Zeit später saß ich mit meinem Wörterbuch auf einer Parkbank. Ich hielt es nicht aus und ging hin und her. Meine Wut würde größer, weil ich etwas tat, was ich nicht tun wollte. Das Wörterbuch war zu dick, um es gleich wieder zu zerreißen. Ich hätte auch jedes einzelne Blatt rausreißen können, das wäre nicht das erste Mal gewesen, aber ich tat es nicht. Und so kam immer öfters, der Satz, was sie mir auf den Weg gaben - mit links zu denken - in meinem Kopf. Ich muss es wohl so oft wiederholt haben, dass ich auf einmal meine linke Seite spürte ..."

„Und? Erzählen sie weiter.“

„Ich setzte mich hin und blätterte in meinem Wörterbuch. Und dachte mir, wie ich meine Wut umwandeln könnte. Also nahm ich mein erstes Gefühl, das ich hatte, als ich von ihnen wegging.“
Der alte Mann unterbrach ihn neugierig. „Fahren sie fort und erzählen mir, welches Gefühl der Alte bei ihnen ausgelöst hat“, und lächelte Carlos dabei an.

„Innerlich fühlte ich mich verloren. Ich brauchte nicht mal im Wörterbuch zu blättern um den Gegenpart, zu finden. - Sich finden -, aber wie? Ein paar Minuten später hatte ich meine Antwort. Indem ich mich von den Experten löse, die mir gesagt haben, was ich machen solle und stattdessen lerne auf mich, zu hören. Denn, wer sonst, kennt besser als ich mein Weg? Keiner. Mit dieser Erkenntnis spürte ich seit langen die Verantwortung über mein Leben. Die Verantwortung für mich zu tragen und niemand anders, ließ mich bei mir bleiben. Ich war so mit den Gedanken beschäftigt, dass ich in dem Moment alles um mich herum ausblenden konnte. Nach langer Zeit hatte ich das Gefühl, mal wieder etwas geschafft oder abgeschlossen zu haben. Ich lächelte, weil ich etwas anderes spürte, außer wütend zu sein. Aus den Lächeln wurde die Freude eines Kindes. Das Kind, was ich in mir vergessen hatte, zu besuchen und jetzt schien ich ihn sogar zu finden. Ich blickte plötzlich auf meine Kindheit, in dem meine Welt noch in Ordnung war. Eine Zeit, indem ich spielerisch mit dem Leben umging. Dieser Rückblick rief, auf irgendeine Weise, eine Leichtigkeit hervor. Es war ein magischer Moment. Ich lachte und konnte nicht aufhören, weil es mir gefiel, mit links zu denken. Die Freude war groß, dass ich verrückter Weise … mich auf meine nächste Wutattacke freute. Sie dauerte nicht lange, weil ich dachte, dass der alte Hundesohn tatsächlich recht hatte, mit dem links Denken. Und ich habe ungern unrecht. Auch dieses Gefühl gelang mir erneut, umzuwandeln. Im Laufe des Tages, ja sogar der Woche freute ich mich immer mehr auf meine nächsten unschönen Gefühle. Die Umwandlung wurde zu einer Art Spiel. Dabei musste ich aber feststellen, dass meine negativen Gefühle immer weniger wurden. Und so dachte ich, dass bevor ich darüber wütend werde, weil es in der Welt des links Denkens dieses Gefühl nicht existiert … wollen sie wissen, was ich beschlossen habe?“
„Sie werden es mir gleich sagen.“
„Ich habe mir gedacht, wieso auf die Wut warten, wenn ich immer mit links denken könnte.“

Der Alte und Carlos lachten zusammen einen langen Moment, vielleicht waren es auch viele Minuten. Danach erzählte Carlos weitere Geschichten, die ihm während der Woche passiert waren, so wie der Alte es sich gewünscht hatte, weil so wenige Menschen von dieser Welt berichten. Später verabschiedeten sie sich herzlich voneinander. Und Carlos kam ab und zu Mal vorbei, um den Alten von der Welt des links Denkens weiterhin zu berichten.

Und wer an das Wunder dieser Geschichte nicht glaubt, kann es selbst ausprobieren.
 



 
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