Mozart

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Ann-Britt

Mitglied
Mozart

Er rückte die Partitur auf dem Notenständer zurecht, das war ein Ritual, und darauf mochte er nicht verzichten, niemals, als ob es davon abhinge, wie überaus präzise die Einsätze der Musiker erfolgen würden. Er konnte nicht anders, bevor er den Dirigentenstab in die Hand nahm, musste die Partitur neu ausgerichtet sein. So wie jetzt. Er nahm das Holz in die rechte Hand, seine Finger umschlossen den Stab, bevor sie sich auf die Oberfläche des Materials einstimmten und die in langen Jahren ausgeklügelte Haltung einnahmen. Nur so konnte die Aufführung gelingen, den kleinen Finger abgespreizt und den Daumen genau gegenüber dem Mittelfinger. Das gehörte auch dazu, die Hand zu beobachten, die wie im Traum in die richtige Haltung fand. Noch rasch ein Blick auf die Noten, Haffner-Sinfonie, Mozart. Eigentlich brauchte er die Noten nicht, er hatte sowieso meistens die Augen geschlossen, solange er den Taktstock schwang, führte oder pointiert in die Luft stach. Atemlose Stille, kein Stühlerücken, kein Husten.
Jetzt! Er griff noch einmal zum Notenständer, dann holte er aus und gab routiniert den Einsatz. Dabei runzelte er die Stirn. Eine der beiden Flöten war nicht ganz genau gestimmt und die Pauke war nicht laut genug. Es gab Verbesserungspotential, aber insgesamt war er zufrieden. Er genoss die Musik, Mozart war das größte für ihn und eine Aufführung sinfonischer Komposition sowieso. Der erste Satz näherte sich dem Ende, schade, aber es gab ja noch mehr. Doch wie immer hatte er das Gefühl, dass alles gut war, wenn der Anfang stimmte. Nun ja, es konnte passieren, dass ein Musiker zwischendurch schwächelte, aber dann fiel das meistens nur dem absoluten Kenner auf und ein fulminanter Schluss riss wieder alles raus.
Überhaupt musste man von sich überzeugt sein und Begeisterung zeigen, dann war der Rest ein Klacks. Er wirbelte den Dirigentenstab durch die Luft, ein gelungener Auftakt des zweiten Satzes. Dann das Menuett. Es passierte, was nicht passieren durfte, ein Klingeln störte das Schluchzen der Violen. Ein Handy! Er zuckte zusammen, der Dirigentenstab flog in Richtung erste Geige. Noch schmerzlich berührt von diesem Sakrileg erkannte er, was da erklang: es war Bachs 1. Brandenburgisches Konzert, folglich sein eigenes Handy. Er angelte es aus seiner Hosentasche und warf einen Blick aufs Display. Die Nummer gehörte seiner Vermieterin, und was sie sagte, ließ ihn zusammenbrechen: „Ich habe Ihnen hundertmal gesagt, dass Sie den CD-Player leiser stellen, wenn Sie unbedingt sone schwere Musik hören müssen!“
 
U

USch

Gast
Hallo Ann-Britt,
sehr differenziert beschriebene Szenerie und dann das witzige Ende.
Weiter so.
LG USch
 

Vagant

Mitglied
hallo ann-britt,

eine nette kleine textidee.
im mittelteil schlittert die erzählstimme vermehrt ins umgangssprachliche.

ein musiker 'schwächelt', man reißt es am schluss allerdings wieder raus, und der rest ist ein 'klaks'.

war dies so von dir beabsichtigt?

lg vagant.
 

Ann-Britt

Mitglied
Hallo vagant,
der vorgebliche Dirigent ist ja keiner und darum fällt er gegen Ende aus der Rolle...

aber vielen Dank für deinen Beitrag!

MFG
Annette
 



 
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