Nach der Premiere

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Josef Knecht

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Nach der Premiere​
Als sich Guiseppe Verdi am Abend des 6. März 1853 mit hastigen Schritten auf dem Weg vom Teatro La Fenice zu seiner Wohnung befand war er in einem Zustand tiefster Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Der Regen klatschte ihm ins Gesicht, lief über seine Wangen und verfing sich in seinem Bart, als er durch die engen Gassen von Venedig lief. Mit wie viel Zuversicht, mit wie vielen Träumen war er in die Lagunenstadt gereist. Zwei grandiose Opern wurden im letzten Jahr von ihm aufgeführt. Das Lied des Herzogs von Mantua „La Donna é Mobile“ aus Rigoletto war populärer als der Gefangenenchor in Nabucco. Und Il Trovatore! Welche Kraft steckte in dieser Musik. Vor 3 Monaten erlebte er bei der Premiere in Rom seinen größten Triumph. Wie die Menschen ihn liebten. Und jetzt die Traviata. Er komponierte wie im Rausch ein Musikstück um das andere und er wusste, noch nie hatte er schönere, noch nie hatte er vollendetere Töne zu Papier gebracht. Doch in ein paar Stunden würden es die Tauben von Venedig aus allen Löchern pfeifen. Verdis neue Oper war durchgefallen. Sie wurde nicht nur ausgebuht, nein, sie wurde verlacht. Der Tod seiner Violetta als ein Komödienstück.
Der Weg zur Wohnung war kurz, so lief er nicht Gefahr, dass jemand ihn erkannte und ansprach. Als er angekommen war setzte er setzte er sich ans Klavier, klappte den Deckel hoch und fing an zu spielen. Ohne dass er überlegen musste fanden seine Finger die Tasten und sie spielten einen Teil der Ouvertüre. Für einige Augenblicke vergas er seine Sorgen und er versank ganz im Zauber seiner Musik. Plötzlich veränderte sich unter seinen Händen die Musik. Aus einem Inneren kamen andere, dramatischere, wenn auch nicht mehr so melodische Töne hervor. Es war, als würden sich seine Gefühle durch das Klavier ein Ventil suchen.
Nach einiger Zeit wurde ihm bewusst, dass er nicht mehr allein im Zimmer war. Guiseppina war zu ihm getreten. Sie hatte zuerst einige Minuten schweigend bei ihm gestanden und ihm dann die Hand auf die Schulter gelegt. Als Verdi die Berührung merkte stieß er die Hand seiner Geliebten weg. Verdi fuhr herum und blickte sie an. Sein Blick war entschlossen und abweisend zugleich.
„Ich will nicht mehr komponieren! Ich habe genug. Ein Publikum das meine Musik nicht zu schätzen weiß hat mich nicht verdient!“ Die Sätze kamen ruhig und gefasst aus seinem Mund, doch in Wirklichkeit war er aufs äußerste angespannt und erregt.
„Wegen einer Oper, die bei einer Premiere durchgefallen ist? Guiseppe, mach dich doch nicht lächerlich. Das geht vorbei und in einem Jahr denkt keiner mehr daran!“
Verdi drehte sich zum Klavier um und fing wieder an zu spielen. Diesmal das Trinklied aus dem ersten Akt.
„Du weißt wie viele Stunden ich an jedem dieser Musikstücke geschrieben habe. Ich liebe das Leben und ich liebe die Musik, doch die Ignoranz meines Publikums halte ich nicht aus.“
„Du denkst jetzt nur an das Ende der Oper und wie die Leute gelacht haben. Sie haben nicht über deine Musik gelacht. Oder wurdest du nicht nach dem ersten Akt vor den Vorhang gerufen? Falls du noch einen Funken Verstand in dir hast, dann überlege kurz einmal vernünftig, ob es vielleicht andere Gründe für das Scheitern der Traviata gibt!“ Guiseppinas Stimme hatte im letzten Satz an Intensität und Eindringlichkeit zugenommen. Verdi hörte auf zu spielen und drehte sich zu ihr um. Als er sie ansah musste er an ihre Interpretation der Abigail denken und wie hinreißend sie in der Rolle ausgesehen hatte.
„Guiseppina, ich weigere mich, die Schuld bei anderen zu suchen. Ich habe die Musik komponiert, ich habe das Orchester geleitet!“
„Und Mazari hat die Salvini verpflichtet.“
Ein ärgerliches Zucken zeigte sich in Verdis Gesicht.
„Ach Fanny Salvini-Donatelli, diese Tonne. Warum habe ich mich nur darauf eingelassen sie die Rolle der Violetta singen zu lassen? Hätte Brenna nicht so auf mich eingeredet, nie, nie hätte ich dem zugestimmt.“.
Verdi fuhr sich mit der rechten Hand über sein Gesicht, so als verscheuche er unwirsch einen Gedanken, der sich ihm aufdrängte
Guiseppina Strepponi ballte die Hände zur Faust und schloss sie wieder. Sie ging an den Schrank, holte zwei Gläser und eine Flasche Sekt. Sie stellte beides auf das Klavier und füllte die Gläser.
„Guiseppe, jetzt hör mir mal gut zu. Gut, diese Aufführung ist verpatzt, das macht kein Mensch der Welt mehr rückgängig. Denk doch nur mal an Lodovico Graziani! Selbst der taube Beethoven hätte dir gesagt, dass seine Stimme an diesem Abend klang wie eine rostige Harfe.“
Verdi schwieg. Seine Gesichtszüge entspannten sich, wurden nach und nach weicher. Nach etwa zwei bis drei Minuten hob er den Kopf. Eine Träne lief über sein bärtiges Gesicht. Plötzlich ging ein Ruck durch seine Gestalt. Er stand auf und ging zu seinem Schreibpult. Gleichzeitig zeigte seine Miene aber immer noch die alte Entschlossenheit.
Guiseppina hob ein Glas, wollte es an den Mund führen. Plötzlich stellte sie es zurück.
„Guiseppe, du hast in deinem Leben andere Rückschläge einstecken müssen. Was dir heute geschehen ist, ist im vergleich dazu harmlos.“
Für einen kurzen Augenblick, wie in einem Traum, der nur Sekunden dauerte und doch ein ganzes Lebens zu umfassen schien, sah er Virginia in ihrem weißen Kleidchen. Er sah die kleine, liebe Gestalt in ihrem Sarg liegen. Sein, Verdis Gesicht, vor Schmerz versteinert. Was hatte er nur getan, das ihm dieser liebe Mensch wieder genommen wurde. Kaum hatte er geglaubt, diesen Verlust zumindest ansatzweise verarbeitet zu haben, da starb sein Sohn Ilicio. Seine Frau, Margherita, immer schon anfällig gegen Krankheiten bekam eine Hirnhautentzündung und starb einige Wochen später. 3 Särge, die innerhalb von zwei Jahren aus seinem Haus getragen wurden.
Wie Schleusen, die sich plötzlich öffnen brachen Tränen aus Verdis Augen hervor. Er verhüllte sein Gesicht mit den Händen und weinte, wie er es seit 13 Jahren nicht mehr getan hatte.
Der ganze Abend, seine Aufregung und Enttäuschung erschien ihm plötzlich unwirklich, ja lächerlich.
Guiseppina stand dabei und begriff nicht, was los war, sie sah einfach nur zu. Es dauerte etwa eine viertel Stunde, da hatte Verdi sich beruhigt und nahm seine Guiseppina in den Arm.
Guiseppina ging zu ihm hin, nahm ihn in den Arm und hauchte ihm einen zärtlichen Kuss auf die Wange.
„Guiseppina“, sagte Verdi mit leiser, aber doch energischer Stimme, „diese Oper braucht einen würdevollen Rahmen und ausgezeichnete Sänger. Ich denke zum Beispiel an das Teatro San Bernedetto hier in Venedig, das wäre genau der richtige Ort dafür. Ich arbeite das Stück um, suche andere Sänger und vielleicht findet sich dann ein wohlwollendes Publikum.“
Verdis Blick war jetzt glasklar.
„Aber ich habe noch einen anderen Plan“, fuhr Verdi fort, „ich habe dir bisher nichts davon erzählt: Der Impresario der Pariser Oper hat bei mir angefragt, ob ich ein Stück für sein Opernhaus komponieren möchte. Ich werde dieses Angebot annehmen. Ich hoffe, dass du mich begleitest.“
Guiseppina hob ihr Glas und prostete Verdi zu. Beide leerten ihre Gläser in einem Zug.
 
M

Melusine

Gast
Hallo Josef,
an sich nicht mein Geschmack, aber du hast das gut hingekriegt, Gratulation!
Ich glaube, Geschichten wie diese lassen sich gut verkaufen. Hast du es schon mal versucht? (Falls du hier bloß eine ohnehin bereits publizierte Geschichte gepostet hast, vergiss das bitte.)
Bewerten kann ich's irgendwie nicht. Können: 8 oder so. Gefallen steht auf einem anderen Blatt. Wie gesagt, es ist nicht mein Geschmack.

LG Mel
 

Josef Knecht

Mitglied
Hallo Melusine,
vielen Dank für deinen freundlichen Kommentar. Diese Erzählung ist ganz neu, publiziert wurde sie von mir nicht, an so etwas hätte ich gar nicht gedacht. Ich liebe die Opern von Verdi und habe einfach mal versucht eine tatsächliche Begebenheit (La Traviata ist bei der Premiere tatsächlich auf die beschriebene Weise durchgefallen, auch die Sache mit Verdis Familie stimmt, auch seine Freunding, Guiseppina Strepponi hat es gegeben und Verdi hat sie kennengelernt, weil sie in seiner Oper Nabucco die Abigail sang, auch die Sänger in der Premiere von La Traviata stimmen)als Rahmen für eine fiktive Erzählung herzunehmen. Nebenbei habe ich die Internetrecherche geübt.
Liebe Grüße
Josef
 
H

HFleiss

Gast
Lieber Josef, mich interessiert Verdi schon, im Gegensatz zu Melusine, obwohl natürlich nicht so übermäßig, bin eben Mozart-Fan. Aber ich will nichts zur Musik, als vielmehr etwas zur Geschichte schreiben. Die Situation: Der authentische Verdi nach der Premiere einer durchgefallenen Oper. Kein Zweifel, die historischen Details, soweit erwähnt, stimmen. Verdi am Boden, Guiseppina richtet ihn auf, und am Ende findet er selbst zu sich. Kein dankbarer Plot für eine spannende Geschichte, vordergründig, weil eben nichts anderes passiert, als dass geredet wird. Dann würde ich aber eher schon Diffiziles über den Charakter Verdis wissen wollen als über die bekannten Tatsachen, die ich in jedem Opernführer nachlesen kann. Sowieso, die Rückblende zur Familie kommt mir ein wenig unmotiviert, unübergeleitet vor, so als ob: Man muss die Toten erwähnen, weil sie zum historischen Verdi gehören. Vielleicht hätte ihn Guiseppina in dieser Szene verführen sollen? Dann hättest du zumindest einen Plot gehabt, auch wenn er nicht ganz den historischen Tatsachen entsprochen hätte. Denn es passiert nichts weiter, als dass über die verpatzte Premiere geredet wird. Meiner Ansicht nach nicht genug Stoff für eine Erzählung. Aber die Geschichte ist sauber erzählt (wenn ich mir auch mitunter ein Komma mehr gewünscht hätte), man geht mit, ein paar kleine Stolperer.

Gruß
Hanna
 
M

Melusine

Gast
Ähm. Kleine Randbemerkung: Mich interessieren Anekdoten als Genre nicht übermäßig. Mit meinem Musikgeschmack hat das nicht das Geringste zu tun. Ob Mozart oder Verdi (oder Beethoven oder Händel oder ....) ist - bei mir jedenfalls - eine Frage der Stimmung.
Mel
(hört derzeit am liebsten die "Carmina Burana" von Orff :))
 

Josef Knecht

Mitglied
Hallo Hanna,
vielen Dank für deinen Kommentar und für deine Anregung. Die Idee gefällt mir die Geschichte noch ein wenig auszubauen und einen spannenden Plot daraus zu machen.
Wenn ich damit fertig bin, melde ich mich.
Liebe Grüße
Josef
 



 
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