Nachts im Kaufhaus

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Lisa König

Mitglied
Nachts im Kaufhaus – in der Schreibwarenabteilung

von Lisa König


Mandy Schultz zieht ihren Kittel aus, atmet schwer durch und schlüpft in ihre Pumps. Bei der Arbeit trägt sie immer schön bequeme Schuhe. Trotzdem sie erst 23 Jahre jung ist, würde sie es nicht den ganzen Tag in Hackenschuhen aushalten. Schließlich arbeitet sie in einem Kaufhaus und hat nicht die Möglichkeit – außer in ihren Pausen – sich hinzusetzen. Momentan ist besonders viel los. Gerade sind Sommerferien und die Einschulungen stehen auch vor der Tür. Außerdem steht das Kaufhaus auch mitten in der City und wird natürlichen von Touristen stark frequentiert. Für die Angestellten ist das prima – es wird nie langweilig, man lernt auch mal nette Menschen kennen und kann außerdem noch seine Fremdsprachenkenntnisse auffrischen.
Unsere Mandy ist bereits mit den Gedanken weit weg. Heute Abend trifft sie sich mit ihrer besten Freundin Anna zum „Erfahrungsaustausch“ – wie sie immer so schön zu sagen pflegten. Klingt irgendwie interessanter als Weiberklatsch. Schließlich handelt es sich ja hierbei um eine gewisse Aufarbeitung der Geschehnisse der vergangenen Woche. Jedenfalls freuen sich die beiden Mädchen schon sehr darauf. Es gibt ja so viele Neuigkeiten auszutauschen – z. B. wer mit wem und wann! - wichtige Dinge eben, die keinen Aufschub dulden.
Sie wirft noch einen letzten Blick in den Spiegel, stellt zufrieden fest, dass alles in Ordnung ist und geht dann lächelnd zum Aufzug.
Auf der Straße angekommen genießt sie den Sonnenschein, von dem sie den ganzen Tag über nichts mitbekam.

Im Kaufhaus werden die letzten Vorbereitungen zur Schließung vorgenommen. Soeben ertönte die vorletzte Durchsage mit dem Hinweis, die Kunden mögen sich bitte den Ausgängen nähern, damit das Haus geschlossen werden kann.
Eine Stunde später gehen die Wachmänner auf Kontrollgänge. Allmählich geht in allen Bereichen das Licht aus. Nur eine kleine Notbeleuchtung befindet sich in jeder Abteilung.

Während sich alle Mitarbeiter – bis auf den Wachschutz – in den wohlverdienten Feierabend begeben, beginnt in den verschiedenen Fachbereichen erst einmal das Nachtleben. Es ist nicht etwa so, dass alles schön geordnet in den Regalen liegen bleibt – nein – jetzt erst entwickeln alle Waren und Gegenstände ihr Eigenleben. So auch an diesem Abend.

Wir befinden uns in der Schreibwarenabteilung.

Heute ist ein ganz besonderer Tag, denn der Kugelschreiber feiert heute seinen 65. Geburtstag. Damals erfand ihn ein Herr namens Laslo Biro aus Ungarn. Als Redakteur einer kleinen Lokalzeitung grübelte er schon lange darüber nach, wie man das Schreiben per Hand revolutionieren konnte. Jeder belächelte ihn. Schließlich gelang es ihm doch ein Schreibgerät mit Tinte und einer Kugel zu basteln. Gemeinsam mit der Industrie wurde der erste Kugelschreiber produziert und bis heute immer weiter entwickelt. Der Erste, der 1950 in Deutschland verkauft wurde, kostete 20,00 DM.
Sämtliche Kugelschreiber der Abteilung befinden sich natürlich in ausgelassener Stimmung. Extra für dieses Jubiläum haben sie einen flotten Formationstanz einstudiert. Mit viel Hallo werden die „Tänzer“ begrüßt. In den Regalen kommt nun Bewegung auf. Es wird geschunkelt, gelacht und mitgesungen. Nach dem Tanz bringen die Schreibwarenutensilien den Kugelschreibern noch ein Geburtstagsständchen. Anschließend sitzen sie noch alle gemütlich zusammen. Wie das so bei Partys üblich, bilden sich einige Grüppchen.

Die Bleistifte sitzen etwas abseits vom Geschehen und stecken die Köpfe zusammen.
Genau an der Stelle, an der sie heute in den Morgenstunden aufhörten zu tuscheln, geht es jetzt weiter. Im Mittelpunkt stehen die Neuankömmlinge unter den Radiergummis. „Völlig neues Material!“ – meint einer der Stifte. „Scheinbar sind die ganz schön überheblich. Reden nur unter sich und würdigen uns keines Blickes“ tönt ein Bleistift, der bereits schon längere Zeit im Regal liegt. Da mischt sich eine Federtasche aus dem Regal darüber ein: „Finde ich gar nicht. Denn die Zwei da mit dem Silberstreifen scheinen ganz neugierig zu sein. Ständig schauen sie zu uns und reden leise miteinander. Bestimmt malen sie sich aus, wie es sich wohl in uns Taschen liegt. Aber bei mir läuft da nichts so schnell. Schließlich muss erst noch bewiesen werden, ob die wirklich etwas taugen. Wir sollten morgen mal Achtgeben, wenn unsere kleinen Kunden die ausprobieren.“ „Du kannst das überhaupt nicht beeinflussen, wen du mal beherbergen wirst. Die Kleinen ganz allein bestimmen das. Am Ende kannst du froh sein, wenn keine Patrone in dir ausläuft.“ – raunte da ein Textmarker. Plötzlich wird es im Eckregal etwas lauter. Jeder weiß, das sind wieder die Schreibhefte, die sich um ihre Liegeplätze streiten. Jedes Heft behauptet die schönste Farbe auf seinem Deckel zu haben und demzufolge will jedes in der ersten Reihe liegen. Hinzu kommt noch, das eines bereits ein Eselsohr hat. Völlig aufgelöst jammert es vor sich hin, dass es bestimmt nicht gekauft würde. Ein dicker Ordner versucht zu trösten. „Hört mal her Hefte – lasst mal das kleine hier mit dem Knick in die erste Reihe, dann kann Mandy morgen früh gleich einen Sonderpreis anbringen. Sollst mal sehen – abends wirst du bereits auf dem Schreibtisch eines kleinen Mädchens oder Jungen liegen. „Meinst du wirklich?“ fragt das geplagte Heft zweifelnd. Der dicke Ordner nickte kräftig und sprach beruhigend: „Ganz gewiss – das kannst du mir ruhig glauben.“ Die anderen Hefte rücken wortlos ein wenig und bereits etwas freundlicher gestimmt, legt sich das Heft mit dem Eselsohr in die erste Reihe. Kurze Zeit darauf schlief es friedlich ein und träumte scheinbar etwas sehr schönes, denn ein wohliges Lächeln überzog sein Gesicht.
Allmählich zog in der Schreibwarenabteilung wieder Ruhe ein. Es machte den Eindruck, als würden alle Anderen auch plötzlich schlafen. Es war schließlich auch ein anstrengender Tag. Die Party ist also beendet und alle finden, das war ein schöner Tag. Auf den nächsten Tag freute sich bestimmt Jeder – besonders das kleine Schreibheft.
Niemand schien den aufkommenden Lärm aus der nahe gelegenen Spielzeugabteilung zu hören.
Davon mehr dann in der nächsten Kurzgeschichte.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
herzlich

willkommen auf der leselupe.
deine nette kindergeschichte finde ich gut geeignet für ein "Gute Nacht Geschichten" buch.
der schlusssatz ist ja wohl ein versprechen, dass weitere nette geschichten folgen werden, auf die ich schon gespannt bin.
lg
 

FrankK

Mitglied
Hallo Lisa
Willkommen auf der Leselupe.

Eine nettes Märchen hast du da abgeliefert. Kindergeschichte, locker und ohne viele Schnörkel geschrieben, ich denke mal, ab vier oder fünf Jahren leicht zu verstehen.
Konnte ich gut lesen, hatte dabei die ganze Zeit so ein komisches „Grinsen“ im Gesicht. Irgendwie fühlt ich mich wieder deutlich jünger, bei solch einem Text.
Wobei sich mir auch die Frage stellte, ob „Fantasy und Märchen“ die richtige Umgebung für diesen Text darstellt ...
Die Einleitung macht uns mit der Umgebung vertraut, den Abschnitt mit der Erzählung, was Mandy nach Feierabend macht ist eigentlich für die gesamte Geschichte belanglos. Ich hatte mich die ganze erste Hälfte gefragt: „Worauf läuft das eigentlich hinaus? Wo will sie mich hinführen?“
Schließlich beginnen doch „alle“ Märchen mit „Es war einmal ... ein großes Kaufhaus ...“. :)
„Nachts im Kaufhaus“, ein alter Traum, eine Nacht mal in einem Kaufhaus verbringen. Ich glaube, fast jeder hatte mal solche Träume.
Plötzlich erzählst du uns vom geheimnisvollen „Leben“ der Dinge, die zum Verkauf anstehen.
Und das auch noch auf eine fast zärtliche Art, Liebevoll überrumpelt mit der Traumwelt kleiner Kinder. Ja, ich muß zugeben, auch ich habe mir früher eingebildet, alle Dinge führen Nachts ein geheimes Eigenleben.
Es war schön, wieder daran erinnert zu werden. Dafür ein dickes Danke. :) :)

Zwei winzige Ausrutscher sind mir aufgefallen:
Außerdem steht das Kaufhaus auch mitten in der City und wird natürlichen von Touristen stark frequentiert.
„... und wird natürlich von ...“

Ein dicker Ordner versucht zu trösten. „Hört mal her Hefte – lasst mal das kleine hier mit dem Knick in die erste Reihe, dann kann Mandy morgen früh gleich einen Sonderpreis anbringen. Sollst mal sehen – abends wirst du bereits auf dem Schreibtisch eines kleinen Mädchens oder Jungen liegen. „Meinst du wirklich?“ fragt das geplagte Heft zweifelnd.
Hinter „liegen.“ fehlt ein Anführungszeichen.

Ein Ausdrucks-Problem:
Es war schließlich auch ein anstrengender Tag. Die Party ist also beendet und alle finden, das war ein schöner Tag. Auf den nächsten Tag freute sich bestimmt Jeder – besonders das kleine Schreibheft.
Ein paar „Tage“ zu dicht hintereinander.


Viele Liebe Grüße

Frank
 
F

Franziska Franke

Gast
hat mir auch gut gefallen, würde aber nicht "trotzdem" sondern "obwohl" sie erst 28 Jahre alt ist sagen
 

Lisa König

Mitglied
Nachts im Kaufhaus – in der Schreibwarenabteilung

von Lisa König


Mandy Schultz zieht ihren Kittel aus, atmet schwer durch und schlüpft in ihre Pumps. Bei der Arbeit trägt sie immer schön bequeme Schuhe. Obwohl sie erst 23 Jahre jung ist, würde sie es nicht den ganzen Tag in Hackenschuhen aushalten. Schließlich arbeitet sie in einem Kaufhaus und hat nicht die Möglichkeit – außer in ihren Pausen – sich hinzusetzen. Momentan ist besonders viel los. Gerade sind Sommerferien und die Einschulungen stehen auch vor der Tür. Außerdem steht das Kaufhaus auch mitten in der City und wird natürlichen von Touristen stark frequentiert. Für die Angestellten ist das prima – es wird nie langweilig, man lernt auch mal nette Menschen kennen und kann außerdem noch seine Fremdsprachenkenntnisse auffrischen.
Unsere Mandy ist bereits mit den Gedanken weit weg. Heute Abend trifft sie sich mit ihrer besten Freundin Anna zum „Erfahrungsaustausch“ – wie sie immer so schön zu sagen pflegten. Klingt irgendwie interessanter als Weiberklatsch. Schließlich handelt es sich ja hierbei um eine gewisse Aufarbeitung der Geschehnisse der vergangenen Woche. Jedenfalls freuen sich die beiden Mädchen schon sehr darauf. Es gibt ja so viele Neuigkeiten auszutauschen – z. B. wer mit wem und wann! - wichtige Dinge eben, die keinen Aufschub dulden.
Sie wirft noch einen letzten Blick in den Spiegel, stellt zufrieden fest, dass alles in Ordnung ist und geht dann lächelnd zum Aufzug.
Auf der Straße angekommen genießt sie den Sonnenschein, von dem sie den ganzen Tag über nichts mitbekam.

Im Kaufhaus werden die letzten Vorbereitungen zur Schließung vorgenommen. Soeben ertönte die vorletzte Durchsage mit dem Hinweis, die Kunden mögen sich bitte den Ausgängen nähern, damit das Haus geschlossen werden kann.
Eine Stunde später gehen die Wachmänner auf Kontrollgänge. Allmählich geht in allen Bereichen das Licht aus. Nur eine kleine Notbeleuchtung befindet sich in jeder Abteilung.

Während sich alle Mitarbeiter – bis auf den Wachschutz – in den wohlverdienten Feierabend begeben, beginnt in den verschiedenen Fachbereichen erst einmal das Nachtleben. Es ist nicht etwa so, dass alles schön geordnet in den Regalen liegen bleibt – nein – jetzt erst entwickeln alle Waren und Gegenstände ihr Eigenleben. So auch an diesem Abend.

Wir befinden uns in der Schreibwarenabteilung.

Heute ist ein ganz besonderer Tag, denn der Kugelschreiber feiert heute seinen 65. Geburtstag. Damals erfand ihn ein Herr namens Laslo Biro aus Ungarn. Als Redakteur einer kleinen Lokalzeitung grübelte er schon lange darüber nach, wie man das Schreiben per Hand revolutionieren konnte. Jeder belächelte ihn. Schließlich gelang es ihm doch ein Schreibgerät mit Tinte und einer Kugel zu basteln. Gemeinsam mit der Industrie wurde der erste Kugelschreiber produziert und bis heute immer weiter entwickelt. Der Erste, der 1950 in Deutschland verkauft wurde, kostete 20,00 DM.
Sämtliche Kugelschreiber der Abteilung befinden sich natürlich in ausgelassener Stimmung. Extra für dieses Jubiläum haben sie einen flotten Formationstanz einstudiert. Mit viel Hallo werden die „Tänzer“ begrüßt. In den Regalen kommt nun Bewegung auf. Es wird geschunkelt, gelacht und mitgesungen. Nach dem Tanz bringen die Schreibwarenutensilien den Kugelschreibern noch ein Geburtstagsständchen. Anschließend sitzen sie noch alle gemütlich zusammen. Wie das so bei Partys üblich, bilden sich einige Grüppchen.

Die Bleistifte sitzen etwas abseits vom Geschehen und stecken die Köpfe zusammen.
Genau an der Stelle, an der sie heute in den Morgenstunden aufhörten zu tuscheln, geht es jetzt weiter. Im Mittelpunkt stehen die Neuankömmlinge unter den Radiergummis. „Völlig neues Material!“ – meint einer der Stifte. „Scheinbar sind die ganz schön überheblich. Reden nur unter sich und würdigen uns keines Blickes“ tönt ein Bleistift, der bereits schon längere Zeit im Regal liegt. Da mischt sich eine Federtasche aus dem Regal darüber ein: „Finde ich gar nicht. Denn die Zwei da mit dem Silberstreifen scheinen ganz neugierig zu sein. Ständig schauen sie zu uns und reden leise miteinander. Bestimmt malen sie sich aus, wie es sich wohl in uns Taschen liegt. Aber bei mir läuft da nichts so schnell. Schließlich muss erst noch bewiesen werden, ob die wirklich etwas taugen. Wir sollten morgen mal Achtgeben, wenn unsere kleinen Kunden die ausprobieren.“ „Du kannst das überhaupt nicht beeinflussen, wen du mal beherbergen wirst. Die Kleinen ganz allein bestimmen das. Am Ende kannst du froh sein, wenn keine Patrone in dir ausläuft.“ – raunte da ein Textmarker. Plötzlich wird es im Eckregal etwas lauter. Jeder weiß, das sind wieder die Schreibhefte, die sich um ihre Liegeplätze streiten. Jedes Heft behauptet die schönste Farbe auf seinem Deckel zu haben und demzufolge will jedes in der ersten Reihe liegen. Hinzu kommt noch, das eines bereits ein Eselsohr hat. Völlig aufgelöst jammert es vor sich hin, dass es bestimmt nicht gekauft würde. Ein dicker Ordner versucht zu trösten. „Hört mal her Hefte – lasst mal das kleine hier mit dem Knick in die erste Reihe, dann kann Mandy morgen früh gleich einen Sonderpreis anbringen. Sollst mal sehen – abends wirst du bereits auf dem Schreibtisch eines kleinen Mädchens oder Jungen liegen." „Meinst du wirklich?“ fragt das geplagte Heft zweifelnd. Der dicke Ordner nickte kräftig und sprach beruhigend: „Ganz gewiss – das kannst du mir ruhig glauben.“ Die anderen Hefte rücken wortlos ein wenig und bereits etwas freundlicher gestimmt, legt sich das Heft mit dem Eselsohr in die erste Reihe. Kurze Zeit darauf schlief es friedlich ein und träumte scheinbar etwas sehr schönes, denn ein wohliges Lächeln überzog sein Gesicht.
Allmählich zog in der Schreibwarenabteilung wieder Ruhe ein. Es machte den Eindruck, als würden alle Anderen auch plötzlich schlafen. Es war schließlich auch eine lange Nacht. Die Party ist also beendet und alle finden, das war ein schöner Tag. Auf den Nächsten freut sich bestimmt Jeder – besonders das kleine Schreibheft.
Niemand schien den aufkommenden Lärm aus der nahe gelegenen Spielzeugabteilung zu hören.
Davon mehr dann in der nächsten Kurzgeschichte.
 

Lisa König

Mitglied
Nachts im Kaufhaus – in der Schreibwarenabteilung

von Lisa König


Mandy Schultz zieht ihren Kittel aus, atmet schwer durch und schlüpft in ihre Pumps. Bei der Arbeit trägt sie immer schön bequeme Schuhe. Obwohl sie erst 23 Jahre jung ist, würde sie es nicht den ganzen Tag in Hackenschuhen aushalten. Schließlich arbeitet sie in einem Kaufhaus und hat nicht die Möglichkeit – außer in ihren Pausen – sich hinzusetzen. Momentan ist besonders viel los. Gerade sind Sommerferien und die Einschulungen stehen auch vor der Tür. Außerdem steht das Kaufhaus auch mitten in der City und wird natürlich von Touristen stark frequentiert. Für die Angestellten ist das prima – es wird nie langweilig, man lernt auch mal nette Menschen kennen und kann außerdem noch seine Fremdsprachenkenntnisse auffrischen.
Unsere Mandy ist bereits mit den Gedanken weit weg. Heute Abend trifft sie sich mit ihrer besten Freundin Anna zum „Erfahrungsaustausch“ – wie sie immer so schön zu sagen pflegten. Klingt irgendwie interessanter als Weiberklatsch. Schließlich handelt es sich ja hierbei um eine gewisse Aufarbeitung der Geschehnisse der vergangenen Woche. Jedenfalls freuen sich die beiden Mädchen schon sehr darauf. Es gibt ja so viele Neuigkeiten auszutauschen – z. B. wer mit wem und wann! - wichtige Dinge eben, die keinen Aufschub dulden.
Sie wirft noch einen letzten Blick in den Spiegel, stellt zufrieden fest, dass alles in Ordnung ist und geht dann lächelnd zum Aufzug.
Auf der Straße angekommen genießt sie den Sonnenschein, von dem sie den ganzen Tag über nichts mitbekam.

Im Kaufhaus werden die letzten Vorbereitungen zur Schließung vorgenommen. Soeben ertönte die vorletzte Durchsage mit dem Hinweis, die Kunden mögen sich bitte den Ausgängen nähern, damit das Haus geschlossen werden kann.
Eine Stunde später gehen die Wachmänner auf Kontrollgänge. Allmählich geht in allen Bereichen das Licht aus. Nur eine kleine Notbeleuchtung befindet sich in jeder Abteilung.

Während sich alle Mitarbeiter – bis auf den Wachschutz – in den wohlverdienten Feierabend begeben, beginnt in den verschiedenen Fachbereichen erst einmal das Nachtleben. Es ist nicht etwa so, dass alles schön geordnet in den Regalen liegen bleibt – nein – jetzt erst entwickeln alle Waren und Gegenstände ihr Eigenleben. So auch an diesem Abend.

Wir befinden uns in der Schreibwarenabteilung.

Heute ist ein ganz besonderer Tag, denn der Kugelschreiber feiert heute seinen 65. Geburtstag. Damals erfand ihn ein Herr namens Laslo Biro aus Ungarn. Als Redakteur einer kleinen Lokalzeitung grübelte er schon lange darüber nach, wie man das Schreiben per Hand revolutionieren konnte. Jeder belächelte ihn. Schließlich gelang es ihm doch ein Schreibgerät mit Tinte und einer Kugel zu basteln. Gemeinsam mit der Industrie wurde der erste Kugelschreiber produziert und bis heute immer weiter entwickelt. Der Erste, der 1950 in Deutschland verkauft wurde, kostete 20,00 DM.
Sämtliche Kugelschreiber der Abteilung befinden sich natürlich in ausgelassener Stimmung. Extra für dieses Jubiläum haben sie einen flotten Formationstanz einstudiert. Mit viel Hallo werden die „Tänzer“ begrüßt. In den Regalen kommt nun Bewegung auf. Es wird geschunkelt, gelacht und mitgesungen. Nach dem Tanz bringen die Schreibwarenutensilien den Kugelschreibern noch ein Geburtstagsständchen. Anschließend sitzen sie noch alle gemütlich zusammen. Wie das so bei Partys üblich, bilden sich einige Grüppchen.

Die Bleistifte sitzen etwas abseits vom Geschehen und stecken die Köpfe zusammen.
Genau an der Stelle, an der sie heute in den Morgenstunden aufhörten zu tuscheln, geht es jetzt weiter. Im Mittelpunkt stehen die Neuankömmlinge unter den Radiergummis. „Völlig neues Material!“ – meint einer der Stifte. „Scheinbar sind die ganz schön überheblich. Reden nur unter sich und würdigen uns keines Blickes“ tönt ein Bleistift, der bereits schon längere Zeit im Regal liegt. Da mischt sich eine Federtasche aus dem Regal darüber ein: „Finde ich gar nicht. Denn die Zwei da mit dem Silberstreifen scheinen ganz neugierig zu sein. Ständig schauen sie zu uns und reden leise miteinander. Bestimmt malen sie sich aus, wie es sich wohl in uns Taschen liegt. Aber bei mir läuft da nichts so schnell. Schließlich muss erst noch bewiesen werden, ob die wirklich etwas taugen. Wir sollten morgen mal Achtgeben, wenn unsere kleinen Kunden die ausprobieren.“ „Du kannst das überhaupt nicht beeinflussen, wen du mal beherbergen wirst. Die Kleinen ganz allein bestimmen das. Am Ende kannst du froh sein, wenn keine Patrone in dir ausläuft.“ – raunte da ein Textmarker. Plötzlich wird es im Eckregal etwas lauter. Jeder weiß, das sind wieder die Schreibhefte, die sich um ihre Liegeplätze streiten. Jedes Heft behauptet die schönste Farbe auf seinem Deckel zu haben und demzufolge will jedes in der ersten Reihe liegen. Hinzu kommt noch, das eines bereits ein Eselsohr hat. Völlig aufgelöst jammert es vor sich hin, dass es bestimmt nicht gekauft würde. Ein dicker Ordner versucht zu trösten. „Hört mal her Hefte – lasst mal das kleine hier mit dem Knick in die erste Reihe, dann kann Mandy morgen früh gleich einen Sonderpreis anbringen. Sollst mal sehen – abends wirst du bereits auf dem Schreibtisch eines kleinen Mädchens oder Jungen liegen." „Meinst du wirklich?“ fragt das geplagte Heft zweifelnd. Der dicke Ordner nickte kräftig und sprach beruhigend: „Ganz gewiss – das kannst du mir ruhig glauben.“ Die anderen Hefte rücken wortlos ein wenig und bereits etwas freundlicher gestimmt, legt sich das Heft mit dem Eselsohr in die erste Reihe. Kurze Zeit darauf schlief es friedlich ein und träumte scheinbar etwas sehr schönes, denn ein wohliges Lächeln überzog sein Gesicht.
Allmählich zog in der Schreibwarenabteilung wieder Ruhe ein. Es machte den Eindruck, als würden alle Anderen auch plötzlich schlafen. Es war schließlich auch eine lange Nacht. Die Party ist also beendet und alle finden, das war ein schöner Tag. Auf den Nächsten freut sich bestimmt Jeder – besonders das kleine Schreibheft.
Niemand schien den aufkommenden Lärm aus der nahe gelegenen Spielzeugabteilung zu hören.
Davon mehr dann in der nächsten Kurzgeschichte.
 



 
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