Am Montag passte mein Schlüssel plötzlich nicht mehr in das Schloss meiner Eingangstüre. Ich ging rund ums Haus zur hinteren Terrasse, wo ich in einem Blumentopf einen Ersatzschlüssel für Notfälle deponiert hatte. Sorgfältig wickelte ich ihn aus seiner Verpackung und begab mich wieder zur Eingangstüre. Das Schloss ließ sich damit zum Glück anstandslos öffnen.
Mir fiel ein, dass ich in der Nacht zuvor geträumt hatte, ich wäre am Bahnhof vor einem Zug gestanden, dessen Türen beim Aufenthalt in der Station verschlossen geblieben waren. Ich konnte nicht einsteigen. Der Zug war schließlich ohne mich abgefahren. Nach dem aufwachen hatte ich dem Traum aber keine besondere Bedeutung beigemessen.
Ich richtete alles für den Besuch einer früheren Kollegin bei mir her, die ich lange nicht mehr gesehen hatte, stellte Getränke und Kekse bereit. Auf ihr Kommen freute ich mich. Seit ich von meinem alten Wohnort in eine andere Stadt gezogen war, war mein gesellschaftliches Leben fast zum Erliegen gekommen. Da ich nun meine Arbeit von zu Hause aus über das Internet erledigte, fiel das kollegiale Umfeld wie in früheren Zeiten weg. Neue Freunde zu finden war nicht so einfach, wie ich mir vorgestellt hatte, obwohl ich mich immer wieder bemühte. Aber weder im Französisch-Sprachkurs noch beim Selbstverteidigungstraining in den letzten Wochen hatten sich weitere Kontakte ergeben. Eine Teilnehmerin des Sprachkurses hatte mich zwar in ihre Freundesliste bei Facebook aufgenommen, aber sie wohnte in einem weiter entfernten Ort und außer dem Erlernen der fremden Sprache hatte uns auch nichts wirklich verbunden.
Als es an der Tür klopfte, schrak ich zusammen, das passierte mir in letzter Zeit immer häufiger, dass ich bei unerwarteten Geräuschen regelrecht zusammenfuhr. Als würde etwas Bedrohliches in meinen kleinen beschaulichen Kosmos und in meine Stille einbrechen.
Es war meine Wohnungsnachbarin, deren Katzen ich manchmal bei ihrer Abwesenheit betreute. Ob ich ihr vielleicht mit etwas Zucker aushelfen könne. Ich hatte keinen Zucker in meinem Vorratsschrank, da ich meinen Kaffee schwarz und bitter genoss und auch sonst beim kochen keinen Zucker benötigte. Zum Backen bot ich ihr Honig an, den sie gerne annahm.
Dann fiel mir aber ein, dass mein Besuch vielleicht doch lieber den Tee oder Kaffee gezuckert trinken würde, also suchte ich und fand schließlich in einer Dose zwei Stück verpackten Würfelzucker, die ich mir irgendwann einmal beim Kaffeetrinken im Speisewagen während einer Bahnfahrt mitgenommen hatte. Es wäre mir peinlich gewesen, als Gastgeberin keinen Zucker anzubieten können.
Beate kam pünktlich um Vier, umarmte mich (eher flüchtig, wie mir schien), Küsschen rechts, Küsschen links. „Wir haben uns ja lange nicht gesehen!“
Sie nahm keinen Zucker zum Kaffee, auch die gekauften Kekse rührte sie nicht an.
Sie begann gleich zu erzählen, breitete die letzten Ereignisse in ihrem Leben in allen Höhen und Tiefen vor mir aus. Vor allem die Tiefen und ihre Beziehungsdramen schilderte sie ausführlich und lange und ich fühlte mich bemüßigt, Verständnis und Mitgefühl zu zeigen und auch immer wieder nachzuhaken und nachzufragen.
Plötzlich meinte sie, ach Gott, es ist schon so spät geworden, mir ist die Zeit so schnell vergangen. „Jetzt weiß ich eigentlich gar nicht, was bei dir so los war, seit wir uns zuletzt gesehen haben?“ Aber bevor ich noch zum antworten kam, stand sie auf und verabschiedete sich schnell wieder mit Küsschen rechts und Küsschen links. „Schade, dass du jetzt so weit weg wohnst, aber vielleicht schaffe ich ja wieder einmal einen Besuch!“
Ich stellte die Kaffeetassen in den Geschirrspüler, mein Kopf dröhnte etwas von ihrem zum Großteil hastigen und lauten Reden. Mich hatte sie kaum zu Wort kommen lassen. Das war mir aber nicht neu. Wenn ich früher versucht hatte Beate von mir und meinem Leben zu erzählen, hatte ich an ihren Antworten gemerkt hatte, dass sie mir gar nicht richtig zugehört hatte. Sie war schon immer so verstrickt in ihr eigenes Geschehen gewesen.
In meiner Mailbox fand ich später nur zwei berufliche Mails aber kein privates Schreiben. Ich überlegte ob ich jemanden anrufen könnte, ging die Kontaktliste am Handy durch, aber in letzter Zeit hatte ich immer öfter den Eindruck gehabt, mit meinem Anruf gerade im falschen Moment bei den Angerufenen zu landen. Sie waren immer in Zeitnot, schwer beschäftigt, reagierten manchmal sogar genervt, ich entschuldigte mich dann und beendete das Gespräch schnell wieder.
Ich hatte Hunger (auch das Bedürfnis nach Essen schien mir in letzter Zeit immer mehr zuzunehmen), einen fast leeren Kühlschrank und wollte auch hinaus und „unter die Leute gehen“. Gerne wäre ich in ein Restaurant gegangen um mich an einen gedeckten Tisch zu setzen und bedienen zu lassen. Ich hatte es anfangs als ich hergezogen war, ein paar mal versucht, war mir aber zunehmend komisch vorgekommen. Außer zur Mittagszeit, wo aus umliegenden Büros und Geschäften die Leute in ihrer Pause auch manchmal allein zum essen kamen und ich dann nicht so auffiel, fühlte ich mich in den Restaurants ohne Begleitung beim Essen nicht wohl. Entweder wurde ich neugierig beobachtet oder hatte sogar den Eindruck, man würde mich mitleidig ansehen. Es blieben zwar die Imbisstuben und Fast-Food-Restaurants, da konnte man zu jeder Zeit und auch alleine hingehen, aber das war nicht gerade das Essvergnügen, das ich gerne gehabt hätte, da kochte ich mir lieber selbst.
Im Supermarkt war die junge Frau an der Kasse freundlich wie immer und sagte zu jedem Kunden: „Auf Wiedersehen und einen schönen Tag noch!“ und auch wenn ich wusste, dass es eine angelernte und verordnete Strategie für die Angestellten dieser Supermarktkette war, freute ich mich jedes Mal und nahm es ganz persönlich. Diesmal antwortete ich der Kassierin, als ich meine Kreditkarte in das Lesegerät schob, es würde bestimmt noch ein schöner Tag werden, weil der Regen aufgehört hatte, aber sie starrte nur auf das Display des Kartenlesegerätes, zog dann den Kassabon heraus, den sie mir wortlos reichte und wandte sich schon dem nächsten Kunden zu.
Ich rief dann doch eine Bekannte von früher an, weil mir so nach reden war, und sagte: „Beate war heute bei mir zu Besuch!“
„Ach, hat sie noch immer die gleichen alten Beziehungsprobleme? Immer noch nichts gelernt?“ Wir sprachen eine Weile über Beate, dann mussten wir das Gespräch abrupt beenden, weil sie einen anderen Anruf bekam, - „ich ruf dich zurück, aber heute geht es sich nicht mehr aus! Ein andermal.“
Ich hätte gerne von mir erzählt, von meinem neuen Leben hier in der Kleinstadt, aber dafür war keine Zeit mehr geblieben.
Später am Abend ging ich die diversen Foren, bei denen ich als Benutzer registriert war, im Internet durch. Einer hatte in einem Technikforum meine Anfrage wegen eines Problems mit dem digitalen Fernsehempfang beantwortet, im Bergsteiger-Forum bekam ich positive Reaktionen auf den Bilderbericht meiner letzten Weitwanderung. In einem anderen Reiseforum lief eine hitzige Debatte, die einer dieser Besserwisser angezettelt hatte. Nutzlose Diskussionen, die immer wieder von einer bestimmten Art von Usern verursacht wurden, da drehte sich dann alles nur mehr im Kreis.
Wer hinter den Forennutzern steckte war schwer zu beurteilen. Es waren anonyme Teilnehmer mit einem Nicknamen, der aber meist nicht viel aussagte oder Rückschlüsse auf die jeweilige Person ziehen ließ. Manchmal fand ich erst später heraus, ob sie männlich oder weiblich waren.
Es gab zwar abseits der öffentlichen Beiträge, die für alle sichtbar waren, auch hier manchmal private Nachrichten über das Forenportal, aber zu wirklichen Kontakten führten sie kaum.
Mitten im Lesen fiel mein Internetempfang aus. Ich kontrollierte mein Modem, startete den Computer neu, aber bekam immer die Meldung, dass keine Verbindung zum Server bestünde.
Das für mich zuständige Technikteam meines Betreibers würde ich erst am nächsten Tag erreichen können. Plötzlich fühlte ich mich von draußen abgeschnitten und ausgeschlossen.
Ich machte mir eine Flasche Rotwein auf und schaltete den Fernseher ein. Vielleicht lief irgendwo eine Live-Übertragung.
Mir fiel ein, dass ich in der Nacht zuvor geträumt hatte, ich wäre am Bahnhof vor einem Zug gestanden, dessen Türen beim Aufenthalt in der Station verschlossen geblieben waren. Ich konnte nicht einsteigen. Der Zug war schließlich ohne mich abgefahren. Nach dem aufwachen hatte ich dem Traum aber keine besondere Bedeutung beigemessen.
Ich richtete alles für den Besuch einer früheren Kollegin bei mir her, die ich lange nicht mehr gesehen hatte, stellte Getränke und Kekse bereit. Auf ihr Kommen freute ich mich. Seit ich von meinem alten Wohnort in eine andere Stadt gezogen war, war mein gesellschaftliches Leben fast zum Erliegen gekommen. Da ich nun meine Arbeit von zu Hause aus über das Internet erledigte, fiel das kollegiale Umfeld wie in früheren Zeiten weg. Neue Freunde zu finden war nicht so einfach, wie ich mir vorgestellt hatte, obwohl ich mich immer wieder bemühte. Aber weder im Französisch-Sprachkurs noch beim Selbstverteidigungstraining in den letzten Wochen hatten sich weitere Kontakte ergeben. Eine Teilnehmerin des Sprachkurses hatte mich zwar in ihre Freundesliste bei Facebook aufgenommen, aber sie wohnte in einem weiter entfernten Ort und außer dem Erlernen der fremden Sprache hatte uns auch nichts wirklich verbunden.
Als es an der Tür klopfte, schrak ich zusammen, das passierte mir in letzter Zeit immer häufiger, dass ich bei unerwarteten Geräuschen regelrecht zusammenfuhr. Als würde etwas Bedrohliches in meinen kleinen beschaulichen Kosmos und in meine Stille einbrechen.
Es war meine Wohnungsnachbarin, deren Katzen ich manchmal bei ihrer Abwesenheit betreute. Ob ich ihr vielleicht mit etwas Zucker aushelfen könne. Ich hatte keinen Zucker in meinem Vorratsschrank, da ich meinen Kaffee schwarz und bitter genoss und auch sonst beim kochen keinen Zucker benötigte. Zum Backen bot ich ihr Honig an, den sie gerne annahm.
Dann fiel mir aber ein, dass mein Besuch vielleicht doch lieber den Tee oder Kaffee gezuckert trinken würde, also suchte ich und fand schließlich in einer Dose zwei Stück verpackten Würfelzucker, die ich mir irgendwann einmal beim Kaffeetrinken im Speisewagen während einer Bahnfahrt mitgenommen hatte. Es wäre mir peinlich gewesen, als Gastgeberin keinen Zucker anzubieten können.
Beate kam pünktlich um Vier, umarmte mich (eher flüchtig, wie mir schien), Küsschen rechts, Küsschen links. „Wir haben uns ja lange nicht gesehen!“
Sie nahm keinen Zucker zum Kaffee, auch die gekauften Kekse rührte sie nicht an.
Sie begann gleich zu erzählen, breitete die letzten Ereignisse in ihrem Leben in allen Höhen und Tiefen vor mir aus. Vor allem die Tiefen und ihre Beziehungsdramen schilderte sie ausführlich und lange und ich fühlte mich bemüßigt, Verständnis und Mitgefühl zu zeigen und auch immer wieder nachzuhaken und nachzufragen.
Plötzlich meinte sie, ach Gott, es ist schon so spät geworden, mir ist die Zeit so schnell vergangen. „Jetzt weiß ich eigentlich gar nicht, was bei dir so los war, seit wir uns zuletzt gesehen haben?“ Aber bevor ich noch zum antworten kam, stand sie auf und verabschiedete sich schnell wieder mit Küsschen rechts und Küsschen links. „Schade, dass du jetzt so weit weg wohnst, aber vielleicht schaffe ich ja wieder einmal einen Besuch!“
Ich stellte die Kaffeetassen in den Geschirrspüler, mein Kopf dröhnte etwas von ihrem zum Großteil hastigen und lauten Reden. Mich hatte sie kaum zu Wort kommen lassen. Das war mir aber nicht neu. Wenn ich früher versucht hatte Beate von mir und meinem Leben zu erzählen, hatte ich an ihren Antworten gemerkt hatte, dass sie mir gar nicht richtig zugehört hatte. Sie war schon immer so verstrickt in ihr eigenes Geschehen gewesen.
In meiner Mailbox fand ich später nur zwei berufliche Mails aber kein privates Schreiben. Ich überlegte ob ich jemanden anrufen könnte, ging die Kontaktliste am Handy durch, aber in letzter Zeit hatte ich immer öfter den Eindruck gehabt, mit meinem Anruf gerade im falschen Moment bei den Angerufenen zu landen. Sie waren immer in Zeitnot, schwer beschäftigt, reagierten manchmal sogar genervt, ich entschuldigte mich dann und beendete das Gespräch schnell wieder.
Ich hatte Hunger (auch das Bedürfnis nach Essen schien mir in letzter Zeit immer mehr zuzunehmen), einen fast leeren Kühlschrank und wollte auch hinaus und „unter die Leute gehen“. Gerne wäre ich in ein Restaurant gegangen um mich an einen gedeckten Tisch zu setzen und bedienen zu lassen. Ich hatte es anfangs als ich hergezogen war, ein paar mal versucht, war mir aber zunehmend komisch vorgekommen. Außer zur Mittagszeit, wo aus umliegenden Büros und Geschäften die Leute in ihrer Pause auch manchmal allein zum essen kamen und ich dann nicht so auffiel, fühlte ich mich in den Restaurants ohne Begleitung beim Essen nicht wohl. Entweder wurde ich neugierig beobachtet oder hatte sogar den Eindruck, man würde mich mitleidig ansehen. Es blieben zwar die Imbisstuben und Fast-Food-Restaurants, da konnte man zu jeder Zeit und auch alleine hingehen, aber das war nicht gerade das Essvergnügen, das ich gerne gehabt hätte, da kochte ich mir lieber selbst.
Im Supermarkt war die junge Frau an der Kasse freundlich wie immer und sagte zu jedem Kunden: „Auf Wiedersehen und einen schönen Tag noch!“ und auch wenn ich wusste, dass es eine angelernte und verordnete Strategie für die Angestellten dieser Supermarktkette war, freute ich mich jedes Mal und nahm es ganz persönlich. Diesmal antwortete ich der Kassierin, als ich meine Kreditkarte in das Lesegerät schob, es würde bestimmt noch ein schöner Tag werden, weil der Regen aufgehört hatte, aber sie starrte nur auf das Display des Kartenlesegerätes, zog dann den Kassabon heraus, den sie mir wortlos reichte und wandte sich schon dem nächsten Kunden zu.
Ich rief dann doch eine Bekannte von früher an, weil mir so nach reden war, und sagte: „Beate war heute bei mir zu Besuch!“
„Ach, hat sie noch immer die gleichen alten Beziehungsprobleme? Immer noch nichts gelernt?“ Wir sprachen eine Weile über Beate, dann mussten wir das Gespräch abrupt beenden, weil sie einen anderen Anruf bekam, - „ich ruf dich zurück, aber heute geht es sich nicht mehr aus! Ein andermal.“
Ich hätte gerne von mir erzählt, von meinem neuen Leben hier in der Kleinstadt, aber dafür war keine Zeit mehr geblieben.
Später am Abend ging ich die diversen Foren, bei denen ich als Benutzer registriert war, im Internet durch. Einer hatte in einem Technikforum meine Anfrage wegen eines Problems mit dem digitalen Fernsehempfang beantwortet, im Bergsteiger-Forum bekam ich positive Reaktionen auf den Bilderbericht meiner letzten Weitwanderung. In einem anderen Reiseforum lief eine hitzige Debatte, die einer dieser Besserwisser angezettelt hatte. Nutzlose Diskussionen, die immer wieder von einer bestimmten Art von Usern verursacht wurden, da drehte sich dann alles nur mehr im Kreis.
Wer hinter den Forennutzern steckte war schwer zu beurteilen. Es waren anonyme Teilnehmer mit einem Nicknamen, der aber meist nicht viel aussagte oder Rückschlüsse auf die jeweilige Person ziehen ließ. Manchmal fand ich erst später heraus, ob sie männlich oder weiblich waren.
Es gab zwar abseits der öffentlichen Beiträge, die für alle sichtbar waren, auch hier manchmal private Nachrichten über das Forenportal, aber zu wirklichen Kontakten führten sie kaum.
Mitten im Lesen fiel mein Internetempfang aus. Ich kontrollierte mein Modem, startete den Computer neu, aber bekam immer die Meldung, dass keine Verbindung zum Server bestünde.
Das für mich zuständige Technikteam meines Betreibers würde ich erst am nächsten Tag erreichen können. Plötzlich fühlte ich mich von draußen abgeschnitten und ausgeschlossen.
Ich machte mir eine Flasche Rotwein auf und schaltete den Fernseher ein. Vielleicht lief irgendwo eine Live-Übertragung.