Neuigkeiten aus Basdorf

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Von der Zechliner Straße bin ich mit der 6 bis zum Bahnhof Landsberger gefahren, am Anton-Saefkow-Platz vorbei, in der Schwimmhalle warf mich ein Lehrer mal aus pädagogischen Gründen vom Dreimeterbrett, nachdem er mich noch einen Meter höher gehoben hatte. Dann mit der S-Bahn Richtung Buch oder Bernau, egal, Hauptsache: Karow ausgestiegen, dort hab ich auf die Heidekrautbahn oder einen Doppelstockzug gewartet, der ziemlich genau eine halbe Stunde bis zum Bahnhof Basdorf brauchte. Das war jahrelang jeden Freitag das Programm, denn in Basdorf verbrachte ich das Wochenende bei meinen Großeltern, Großväterchen und Oma Trudchen.

In dem Haus in Basdorf habe ich nach „Sport aktuell“ im Garten Fußball gespielt, habe meinen Onkel beim Kaffee eine Million mal auf ein allgemeines „Guten Appetit“ „Danke Geizhals“ sagen hören, hatte Angst vor seinem Hund Tschornok, hab meine erste Zigarette auf dem Klo geraucht. Was meiner Oma nicht verborgen geblieben ist. Dreimal bekam ich Rückspiegel für mein Rad geschenkt, jedes Mal bin ich bei der ersten Fahrt gestürzt und habe Scherben draus gemacht. Ich erinnere mich an Wespenstiche in die Bauchgegend, Eissorten, die es in Berlin nicht gab und an Asco Cola, ein leckeres Getränk, stand kistenweise im Kohlenkeller. Oben, wo ich geschlafen und viel gelesen habe, war die Tapete ganz rau. Es gab eine Hollywoodschaukel (Adlershofschaukel, sollte man das sagen?), die im Sommer aufgebaut wurde und auf der ich Winnetous Tod beweinte. Immer durfte ich viel länger aufbleiben als zuhause, und habe Samstag abends Gruselfilme und Krimis gesehen, die mich überforderten, aber ungeheuer aufregend waren. Großväterchen legte sich dabei Patiencen, er blieb jede Nacht bis vier wach, stand um sieben auf und aß dann Cornflakes, die wir ihm in Massen schenkten, wenn es in Berlin mal welche gab. Was wir ihm auch schenkten: Karo-Zigaretten oder manchmal welche aus dem Westen.

Meine Oma hatte nie nach Basdorf gewollt, sie war Berlinerin, dort ging es ihr gut. Das wusste ich damals nicht. Sie musste ihre Arbeit aufgeben, weil sie sich dem Willen Großväterchens gebeugt hat und war zeitlebens unglücklich in diesem kleinen Ort, für den es objektiv keine glamourösere Beschreibung als „kleiner Ort“ geben kann. Sie kochte und legte Obst ein, malte mit dem Messer Karos auf die Teewurst und trug einen blauen Kittel. Sie machte alle glücklich, war dabei selbst schwer krank, aufgrund einiger misslungener Operationen, und litt sehr unter Basdorf und dem kleinen Leben in dem kleinen Haus in dem kleinen Ort. Eines Tages ist sie erstickt, im Krankenhaus Buch.

Kurz zuvor hatten sich meine Großeltern eine Katze gekauft, die wurde kurz nach Oma Trudchens Tod überfahren. Großväterchen holte sich noch eine Katze, eine orangefarbene. Er fand sie wenige Monate später mit durchschossenem Kopf hinter seinem Garten. Der Fernseher ging auch kaputt, ohne Vorankündigung. Es gab jetzt keinen Staatsratsvorsitzenden mehr, sondern einen Bundeskanzler. Mein Großvater war sehr hilflos, ich weiß noch, wie er mir voller Stolz zeigte, dass alles Geschirr sauber bleibt, wenn man immer die Teller von unten benutzt, so wird alles mal abgespült. Zu seinen Cornflakes nahm er immer einen Haufen Tabletten; eines Tages entschied er, darauf zu verzichten und starb an Weihnachten.

Mein Vater und sein Bruder verkauften das Haus, zu einem Spottpreis, aber es war auch ein Spotthaus, klein und mittlerweile äußerst baufällig. Ich war nie wieder an dem Haus, nur einmal in Basdorf zum Billardspielen, Mitte der 90er, als eine Skinheadclique den Ort unter Kontrolle hatte.
Was weiter passierte, habe ich nicht verfolgt, aber gestern erfuhr ich, dass das Haus meiner Großeltern kürzlich abgebrannt ist. Eine Frau hatte dort mit ihrer behinderten Tochter gewohnt, die Tochter ist verbrannt.
Auf Fotos sehe ich, dass mein Großvater früher sehr beleibt war; ich kenne ihn nur als hageren, hölzernen Mann, der viel rauchte und gerne Cognac trank.
 



 
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