Niederlage

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Anonym

Gast
Eingeschüchtert und weinend saß er in der Ecke. Sie hatten wieder auf ihn eingeprügelt. Äußerlich war alles in Ordnung, nicht einmal die Brille war gesprungen. Die eigentlichen Risse gingen viel tiefer. Die anderen konnten es sich erlauben. Sie wurden für ihre Leistungen immer belohnt. Sie waren „Jemand“. Er war „Nichts“. Sie verstanden ihn nicht und was sie nicht verstanden, mussten sie „kaputt machen“. Aber wie sollten sie es anders wissen? Ihre Hemden waren blau. Oder rot. Oder schwarz. Es konnte nicht sein, dass jemand etwas anderes als sie trug. So verstanden sie nicht, wenn ein Hemd violett war. Diese Farbe gab es nicht, weil sie nie daran gedacht hatten. Violett konnte nur falsches blau oder falsches rot sein. Und dann war es rot oder blau und sie meinten es gut und zerrissen das falsche Hemd und verlangten, dass das Hemd das nächste Mal so zu sein hatte wie ihre eigenen. Sie wussten nicht, ob ihre Hemden hässlich waren, es interessierte sie auch nicht. Die Hemden waren richtig, nur das zählte.
Er hat hart gearbeitet um dort zu sein, wo er nun angekommen war. Und es war ihm egal, wenn sie seine Farben nicht kannten und ihm das Hemd zerrissen. Er wusste damit umzugehen. Er wusste wieder aufzustehen. Und er fand Andere, die seine Farben mochten und ihm dabei halfen, neue, schönere Farben zu finden. Leute, die ihm sagten, wenn etwas schlecht aussah, aber auch wenn es gut war. Leute, die immer die Farbe erkannten, die er trug.
Doch je weiter er ging, desto weiter weg waren die Leute, die ihn verstanden. Und bald war er wieder allein. Und sie kamen wieder. In rot. In blau. Und sie zerrissen sein Hemd und sorgten dafür, dass er am Boden blieb.
Was war von ihm übrig? Er hatte erkannt, dass er „Nichts“ war. Er glaubte ihnen. Er begann auch zu glauben, dass seine Farben nicht richtig waren. Und dann versuchte er nicht einmal mehr aufzustehen.
Am nächsten Tag hatte er ein rotes Hemd an. Und dieses Hemd färbte sein Herz und seinen Verstand ebenfalls rot. Er hatte aufgegeben. Ein Jemand in einem roten Hemd kam auf ihn zu: „Ein gutes Rot“, sagte dieser verständnisvoll und schenkte ihm ein Lächeln. ‚Ein gutes Rot’ dachte er und für einen kurzen Moment dachte er violett. Aber das war nun endlich vorüber.
 



 
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