Nudeln machen glücklich... und satt!

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Erwin Grab

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Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen!“ – sagt uns das Sprichwort.
Oder: „Wer den Schaden hat, spottet jeder Beschreibung?“
Zumindest sollte er Geld bekommen. Aber das spottet oft wirklich jeder Beschreibung.


Nudeln machen glücklich... und satt!

Vorbemerkungen

Dem geneigten Leser, sofern er eine Tageszeitung abonniert hat, sind diverse Schadenersatzprozesse hinreichend bekannt. Vornehmlich amerikanische Gerichte sprechen irgend wie Geschädigten teilweise horrende Summen zu, mit denen die so Bedachten manchmal mehr Schaden anrichten als manche Politiker. So wurde ein Tabakkonzern in erster Instanz zu einer Zahlung von 26 Milliarden Dollar verurteilt, weil eine Raucherin Gesundheitsschäden davongetragen hatte. Eine weitere Instanz kürzte dann auf die läppische Summe von ca. 40 Millionen Dollar. Ein anderes Gericht sprach einer Frau, die sich mit dem bei McDonald gekauften Kaffee die Schenkel verbrüht hatte (selbige Dame hatte den Pappbecher beim Autofahren zwischen die Schenkel geklemmt, und niemand hatte ihr ausdrücklich gesagt, dass der Kaffee heiß sei) immerhin eine Million US-Dollar zu. Eine (fast) amüsante Variante war ein Urteil gegen eine Fluggesellschaft, die 100.000 DM an eine leicht übergewichtige Frau zahlen musste. Ihr Hinterteil hatte sich auf der defekten Toilette im Flugzeug festgesaugt. Sie konnte nur befreit werden, nachdem der Co-Pilot seine Hand zwischen Toilettenbrille und Gesäß besagter Dame steckte, worauf der Unterdruck zischend entweichen konnte. Angeblich soll dieser Co-Pilot dabei anzüglich gegrinst haben, worin sich die Klägerin besonders gedemütigt sah. Fast eine Sensation war es hingegen, als ein amerikanisches Gericht dem Verlangen auf Zahlung größerer Beträge widersprach. Eine Hausfrau entdeckte in ihrem Vorgarten ein Wespennest, das sie verständlicherweise dort störte. Folglich nahm sie ihren Staubsauger, und saugte die stechenden Quälgeister einfach ein. Diese waren jetzt zwar in der Staubsaugertüte eingesperrt, summten aber fröhlich weiter. Die Klägerin erreichte den Exitus der Insekten, indem sie den Schlauch einer Camping-Gasflasche einfach in die Staubsaugeröffnung steckte und kurz aufdrehte. Die Wespen verschieden ausnahmslos. Stunden später schaltete sie den Staubsauger ein, um mit diesem ihr hübsches Haus zu reinigen. Die endgültige Reinigung übernahm nach der Explosion dann die örtliche Feuerwehr.

Zugegeben: In der Bedienungsanleitung war nicht vor solchen Handlungen gewarnt worden, wie auch ein Hersteller von Mikrowellenherden den Hinweis versäumt hatte, dass sich solche Geräte nicht zum Trocknen von nassen Katzen eignen, sondern dieselben mehr oder weniger explodieren und den Innenraum verschmutzen. Inzwischen gibt es für viele Hersteller diverser Produkte nur zwei Möglichkeiten, sich gegen solche Angriffe zu schützen: Entweder sie verfassen Bedienungsanleitungen mit soviel roten Warnhinweisen, dass sie eher einem Blutbad gleichen, oder sie haben einen guten Anwalt. Besser ist Beides.

Mit diesen und anderen Präzedenzfällen gewappnet, sprach Lieselotte Scheunsle, beheimatet im schwäbischen Teil dieser Republik bei einem Anwalt ihrer Wahl vor, und bat um juristische Beratung. Immerhin hatte sie ihre Rechtschutzversicherung pünktlich bezahlt, und wollte jetzt die versprochenen Leistungen einholen. Verständlicherweise hatte sie den ihrer Ansicht nach besten Advokaten ausgewählt, indem sie im Branchenverzeichnis die Kanzlei mit dem dicksten Rand um den Eintrag gewählt hatte, und bestand auf einem Gespräch mit dem Chef des Hauses. Den angebotenen Kaffee nahm sie dankbar entgegen und bediente sich auch ausgiebig an der bereitgestellten Knabberschale. Zu erwähnen wäre noch, dass Lieselotte Scheunsle mit 94 kg bei 164 cm Körpergröße auf den flüchtigen Betrachter leicht übergewichtig wirkte. Und genau da lag auch ihr Problem, das sie von einem deutschen Gericht gelöst sehen wollte. Sie verlangte Schadenersatz und Wiederherstellung ihrer ehemals gertenschlanken Figur, die sie mittels verschiedener Fotos aus ihrer Schulzeit belegen konnte.

Nachdem der Chef der Kanzlei ihr glaubhaft versichern konnte, dass er als Verkehrs-Spezialist nicht der richtige Ansprechpartner war, gab sie sich mit dem Sozius zufrieden, der nach der Vorstellung erst einmal ihre Rechtsschutz-Versicherung überprüfte, sich dann aber sofort leutselig und mitleidsvoll Lieselottes Problemen widmete. Eigentlich war es nur eines: Sie war zu dick. Aber, so argumenterte sie, nicht weil sie zuviel äße, sondern weil sie auf die verbrecherische, reißerische und volksverdummende Werbung einer Nudelfabrik hereingefallen wäre. Diese hätte sie mit falschen Versprechungen zum Kauf und Verzehr der gemeingefährlichen Teigprodukte verleitet, ohne auf die für sie ungemein schädlichen Folgen aufmerksam zu machen (Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie....usw.).
"Aber Millionen Menschen essen täglich Nudeln und sind damit sehr zufrieden!" - argumentierte ihr Anwalt.
"Und die Italiener leben fast ausschließlich davon. Abgesehen von ein paar leckeren Soßen. Meine Kinder schreien täglich nach Miraculi, weil sie da weniger kauen müssen. Wieso sollen Nudeln gesundheitsschädlich sein?"
"Habe ich ja nicht gesagt. Auch nicht, dass sie nicht lecker sind. Im Gegenteil. Aber diese Schmarotzer haben behauptet..." - Lieselotte kramte eine ausgerissene Zeitungsseite aus ihrer Handtasche, auf der ganzseitig und vierfarbig eine Werbung der betreffenden Nudelfirma abgedruckt war –
"...Nudeln machen glücklich. Jeder Mensch will glücklich sein. Erst recht, wenn er auf einen Säufer und Tunichtgut hereingefallen ist, mit dem er außer vier Kindern nichts gemein hat. Jeder Mensch hat das Recht auf ein bisschen Glück. Ich auch. Und diese Teigpanscher haben mir versprochen, dass ich mit ihren Nudeln glücklich würde. Aber nichts davon hat gestimmt. Erstens schmecken Nudeln nur, wenn noch irgend etwas dabei ist, zum Beispiel ein Kalbsragout mit viel Sauce, und zweitens machen sie dick!"
"Aber, dann müssen Sie ja Unmengen davon gegessen haben. Denn jeden Tag ein paar Nudeln machen doch nicht so dick.... Verzeihung, so war das nicht gemeint."
"Habe ich ja auch. Denn nachdem sich kein Glücksgefühl eingestellt hat, habe ich eben mehr davon gegessen. Manchmal sogar ohne was dabei. Höchstens noch einen Pudding. Und jetzt bin ich immer noch unglücklich und außerdem dick. Und das sollen die mir bezahlen. Und außerdem eine Kur. Und Schmerzensgeld. Mindestens eine halbe Million."
"Aber jedes Kind weiß doch, dass man unweigerlich zunimmt, wenn man von irgend etwas zu viel isst. Wie soll ich da eine Klage begründen? Der Richter wird uns auslachen, wenn es überhaupt zu einer Verhandlung kommt!"
"Sie sind doch der Anwalt. Sie können das, hat Ihr Chef gesagt. Und meine Versicherung zahlt alles, hat der Vertreter gesagt. In Amerika hat einer fünf Millionen für entgangenes Liebesglück bekommen, nur weil ihm einer seinen Schniepel angekratzt hatte."
"Schniepel angekratzt?"
"Ja! Bei einem Verkehrsunfall. Danach konnte er nicht mehr!"
"Aber wir sind nicht in Amerika. Hier bei uns sind die Gerichte etwas bodenständiger. Aber warten Sie mal. Vielleicht können wir eine Verbindung zu einem amerikanischen Unternehmen herstellen. Dann könnten wir in USA klagen. Wäre auf alle Fälle eine lustige Schlagzeile."
"Hören Sie! Ich will keine Schlagzeile, ich will meine alte Figur zurück und Schmerzensgeld. Trampeln Sie nicht auf meinem Lebensglück herum! Und außerdem müssen die das auf ihre Packungen schreiben!"
"Was schreiben?"
"Das man zunimmt, wenn man davon zu viel isst, natürlich!"
"Ich glaube, ich muss das erst einmal in Ruhe überdenken. Geben Sie mir ein paar Tage Zeit. Vielleicht gibt es schon Präzedenzfälle in dieser Art. Glaube ich zwar nicht, aber man kann ja nie wissen!"
Die konstituierende Sitzung zum bevorstehenden Nudelprozess wurde beendet, und Lieselotte Scheunsle von der Sekretärin hinausbegleitet.

Drei Tage später wurde in der Eiernudel AG eine Krisensitzung einberufen, weil dort das erste Schreiben von Lieselottes Anwalt eingegangen war. Hierin forderte er einen Schadenersatz von 500.000 Euro für fälschlich versprochenes Lebensglück, außerdem die Übernahme der Kosten für eine Fastenkur in einem namhaften Schweizer Sanatorium und die Änderung des Werbetextes dahingehend, dass Nudeln nicht nur glücklich, sondern auch dick machen würden. Dieser Warnhinweis solle zukünftig auch auf allen Packungen aufgedruckt sein. Nach der ersten Belustigung wurde das Gespräch, an dem auch der Justitiar des Unternehmens teilnahm mit dem angemessenen Ernst geführt, denn immerhin ging es um eine halbe Million. Äußerungen wie: "Hat man je so etwas gehört!" - "Die spinnt, die Lieselotte!" oder auch: "Wäre eine gute Werbung, so ein Prozess!" wurden vom Geschäftsführer mit finsterer Miene verurteilt.
"Wir sind ein bedeutendes Unternehmen der Nahrungsmittel-Industrie und müssen uns unserer Verantwortung gegenüber der Volksgesundheit bewusst sein. Wenn wir sagen, dass unsere Nudeln glücklich machen, dann müssen wir das auch beweisen können. Nicht auszudenken, wenn das die Kühnast erfährt. Ich warte auf Vorschläge!"
"Nehmen wir doch Jan Ullrich, den Radfahrer. Der stopft bei der Tour de France jeden Tag Unmengen von Nudeln in sich rein und ist gertenschlank!"
"Aber glücklich wirkt er nicht, wenn er vor zwei Tellern Spaghetti sitzt, die er in sich reinschlingen muss!"
"Aber wenn er auf dem Treppchen steht, dann schon!"
"In letzter Zeit stand er aber mehr vor dem Kadi!"
"Weil er keine Nudeln mehr isst!"

Das Gespräch rutschte auf ein gefährlich tiefes Niveau ab, weil immer noch keiner die Ernsthaftigkeit der Angelegenheit in ihrem ganzen Ausmaß sehen konnte.
"Wenn wir schon über Jan Ullrich reden, sollte wir die Sache vielleicht von der sportlichen Seite anpacken."
"Wie meinen Sie das ?"
"Nun, Angriff ist die beste Verteidigung. Wir müssen Leute suchen, die uns eidesstattlich versichern, dass unsere Nudeln glücklich machen."
Ein Leuchten ging über das Gesicht des Werbechefs.
"Ich hätte da eine Idee. Geben Sie mir drei Tage Zeit, damit ich das ausarbeiten kann!"
Im Vertrauen auf den Geistesblitz des kreativen Mitarbeiters wurde die Sitzung vertagt, nachdem der Hausanwalt auf die Antwortfristen hingewiesen hatte.

Zum festgesetzten Termin erwartete das Führungsgremium der Eier-Nudel AG gespannt die Entwürfe. Der Lagerverwalter fehlte, denn er hatte vorsorglich gekündigt, weil er durch den bevorstehenden Niedergang nicht mit hinunter gerissen werden wollte.
"Meine Herren, wir wollten das ja von der sportlichen Seite angehen. Wir haben behauptet, dass Nudeln glücklich machen, und das müssen wir beweisen. Ich schlage als Antwort auf das Klagebegehren folgende Werbekampagne vor!"
Auf sein Zeichen hin enthüllte eine hübsche Assistentin nacheinander mehrere Poster.
Auf dem ersten waren glücklich pickende Hühner zu sehen, die Eierlieferanten für die Teigprodukte. Danach mähte ein glücklich dreinblickender Bauer mit der Sense den Weizen, ein fröhlich lachender mehlbestaubter Müller wühlte sich durch goldenes Korn, und man sah förmlich den Scherz auf den Lippen der adrett gekleideten Packerinnen, die die fertigen Nudelpakete liebevoll in bereitstehenden Kartons verstauten.
"Nicht schlecht! Ein bisschen viel Glück vielleicht, aber nicht schlecht." - urteilte der Firmenchef.
"Aber irgend etwas fehlt da noch!"
"Genau! - meldete sich der Firmenanwalt.
"Wir können doch eine bevorstehende Klage nicht mit einer Werbekampagne beantworten. Da ehaupten wir ja genau das, was die Klageseite bemängelt!"
"Da fehlt noch der glückliche Endverbraucher!" - warf der Vertriebsleiter ein.
Der Werbechef bedachte ihn mit einem dankbaren Lächeln.
"Genau richtig. Und das ist mein Joker!"
Auf sein Kopfnicken hin wurde das letzte Blatt enthüllt. Es zeigte eine rundliche Frau mittleren Alters mit dicken roten Backen, die ausgesprochen glücklich auf ihre Nudeln essenden Kinder blickte, deren zufrieden lächelnden Münder mit Tomatensauce verschmiert waren.
"Sehr schön! Aber was ist mit der Scheunsle?"
"Das ist doch die Scheunsle. Die Maskenbildner haben ewig gebraucht, aber es hat geklappt!"
"Wie haben wir das zu verstehen?"
"Nun, ich habe besagte Dame besucht, und ihr samt ihren vier Gören einen Werbevertrag angeboten. 20.000 pro Fotoserie. Auftritte in diversen Talkshows nicht eingerechnet. Vorausgesetzt, dass sie kein Gramm abnimmt."
"Und sie war einverstanden?"
"Sie sitzt im Vorzimmer und wartet auf ihren ersten Scheck!"
 

rolarola

Mitglied
Hallo Erwin!


Spannend und lustig bis zum Schluss! Hat mir gut gefallen.
Erinnert mich an die Sache mit dem We, das wieder ein Vau sein wollte... ;)

LG,

rolarola
 

aboreas

Mitglied
Hallo Erwin Grab.

Eine amüsante, gut entwickelte Geschichte mit einem für mich überraschenden, gleichwohl gelungenen Ausgang.

Im Verhalten der genudelten Weiblichkeit steckt viel verdammte Wirklichkeit. Auch wenn man es verallgemeinert: Für den Genuss fühlt man sich in aller Regel selbst verantwortlich, für die Folgen eher nicht. Das stimmt so nicht selten sogar von Staats wegen...

Echt satirisch!

Gruß: aboreas
 



 
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