Pali goes to Hell! (M)

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Pali

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Pali goes to Hell!

Eigentlich, so sollte man meinen, ist die Welt ja schon schlimm genug. Das tägliche Fernsehprogramm und die hohe Selbstmordrate zeigen nur zu gut, dass hier einiges schief läuft. Aber wer sich schon jetzt darauf freut, dass das ganze nach dem Tod endlich ein Ende hat, der täuscht ebenfalls.
Und wer kann das wohl besser bezeugen als Pali?
Die Geschichte von einem, der starb, nur um noch mehr angekotzt zu werden.


Es war einer dieser Tage, deren Unterhaltungswerte knapp unter einer Ausgabe "Musikantenstadl" liegen, gemixt mit einer Portion MTV-typischer Blödheit. Einer dieser Tage, an denen man nicht weiß, ob das prasselnde Geräusch, dass man ständig in den Ohren hat, von dem Regen herrührt, der ans Fenster prasselt, oder vielmehr das zentrale Nervensystem, das über das Rückgrad und diversen Körperöffnungen einen Fluchtversuch wagt, mit dem Wissen, dass es sich ohne fleischiges Anhängsel wahrscheinlich besser amüsieren könnte.
Es passiert mir nicht oft, dass ich nicht weiß, wie ich mich selber beschäftigen sollte, aber dieser Tag war anders.
Grau. Bewölkt. Kalt. Noch nicht einmal der Film „Der Nebel des Grauens“ hatte soviel Nebel zu bieten.
Und da ich nicht in der Stimmung war, mit mir selber eine philosophische Diskussion anzufangen (vermutlich auch deshalb, weil ich wahrscheinlich zu doof war und mich mit meiner Intelligenz überfordern würde ), entschloss ich mich nach einem herzzerreißenden Gähnen, meinen Nachbarn einen weiteren Gehörsturz zu gönnen, sprich: Ich schnappte mir meine Gitarre.
Ich streifte mir den schwarzen Ledergurt um, und achtete sorgfältig darauf, den bernsteinfarbenen Ahornkörper nicht gegen allerlei Kanten zu rammen, die sich hinterhältig auf ihn zu stürzen versuchten.
Ein Griff nach meinem Plektrum später spielte ich die ersten beiden Akkorde von "God Save The Queen".

Ich sehe mich selber eher als Gitarrist als Musiker. Das muss ich hier mal klarstellen, nur bevor sich jemand wundert, wieso es überhaupt zur der ganzen Geschichte kam.
Wäre ich ein Musiker, hätte ich auf das verfluchte Rumgehüpfe und das Headbangen verzichtet.
Aber nein; stattdessen erwischte mein Headstock die geöffnete Wasserflasche. Sie kippte um, vergoss die Flüssigkeit über meine blaue Plastik- Isomatte mit Meeresmotiv. Ich rutschte aus, knallte hin, die Gitarre immer noch um meine Schultern gespannt. Mit einem "Plopp" riss sich der Input aus meinem Instrument und knallte in die Wasserpfütze...in der ich immer noch lag. Ein kurzes "Britzel" war alles, was ich hörte, bevor sich Schwärze vor meinen Augen ausbreitete.

Als ich wieder aufwachte, drehte sich die Decke vor meinen Augen. Erst links, dann rechts, und dann mal wieder andersherum.
Fürchtend, ich wäre durch den Stromstoß in eine probiotische Joghurtkultur verwandelt worden, stand ich so schnell wie möglich auf.

Und sah meinen Körper noch am Boden liegen.

Dieser Anblick schüttete natürlich einen Haufen an Emotionen und Hormone in mein Hirn, und ließ mich existenzielle Fragen äußern. Allen voran natürlich:
"Verdammt! Ist meine Gitarre kaputt?!"
Ich war gerade drauf und dran, mir ernsthaft zu überlegen, ob ich nach Amerika gehen und die Herstellerfirma auf Todesgeld verklagen sollte, als ich plötzlich mit Erstaunen feststellen musste, dass sich die Wand neben mir mit einem geilen Soundeffekt in eine wabernde, transparente Masse verwandelte.
Ich fragte mich schon, ob endlich mal einer dieser Waffenspezialisten Grips bewiesen hatte und drauf und dran war, mit einer Geheimwaffe auf diesem Planeten Frühjahrsputz zu veranstalten.
Zu meiner Enttäuschung aber entpuppte sich die Wand als nichts anderes als eine Art Transportmittel für jemanden.

Für einen großen jemanden.


Mit grauer Haut.


Und Panzer.


Und Stacheln.


Und ein paar Hörnern.

Mit Grauen stand ich dieser Figur also gegenüber. Ich dachte mir, wenn ich schon am Sack bin, kann ich mich ja auch freundlich mit meinem Henker stellen, und begrüßte den Stachelfuzzie mit einem herzlichen:
"Herr Gott, wie siehst du denn aus? Ich dachte, die Farewell-Tour von KISS kommt nicht in die Stadt?"

"Ruhe, Sterblicher!", rief die Gestalt mit einer donnernden Stimme.
"Jaja, schon gut. Wer bist du, der Teufel? Kommst du, um mich entgültig zu töten?!"
"Muhuhuhuhahahahaaaaaa!!!"
Das Lachen des Dämonen hätte meinen Computermonitor zum Implodieren gebracht, hätten wir uns noch in meiner Heimatebene befunden. Leider war dem nicht so.
"Muhuhahahahaaaaaa...ah, Sorry, ich mach nur Scherze. Hi, ich bin Melvin, dein Führer."


Melvin war, so erklärte er mir, ein Führer für die Verstorbenen, um sie vor das Gericht zu führen, das über das weitere Schicksal der Seelen richten sollte.
Eigentlich wäre er nicht für mich zuständig gewesen, aber da mein eigentlicher Führer, eine laut Melvin "ziemlich lecker aussehende Brünette" durch einen Fehler in der Planung gerade verhindert war, hatte er sich bereit erklärt, mich zu übernehmen. Ich grummelte in mich hinein.
Jetzt hatte ich den endgültigen Beweis dafür, dass Beamte auf keiner Existenzebene zu was nutze waren.
„Aber warum brauchen Verstorbene einen Führer? Ich steige da irgendwie nicht so recht durch!“, fragte ich Melvin und hielt meine Arme in eine Position, die deutlich machte, dass ich tatsächlich keine Ahnung hatte.
„Na ja“, meinte Melvin, während zwei seiner Rückenstacheln anfingen, rhythmisch zu zucken, „eigentlich waren Leute -beziehungsweise Abstrakte wie ich – nicht im göttlichen Plan vorgesehen. Aber irgendwann wurde es Gott dann zuviel mit der Arbeit.“
„Aber das ist doch der Sinn der Sache, oder?“, sagte ich mit leichter Skepsis in der Stimme, „ich meine, Gott ist der Schöpfer, und hat sich die ganze Suppe selber eingebrockt.“
„Pah!“, machte darauf Melvin, „sei du mal 24 Stunden pro Tag seit 4,5 Milliarden Jahren dabei, Fragen der Toten zu beantworten, dann stellst du auch Hilfskräfte ein!“
„Heißt das, ihr die Führer sind dazu da, uns Frischverstorbenen die Fragen zu beantworten, für die wir selbst noch keine Antwort haben?“
„Du hast es erfasst. Also, hast du noch irgendwelche Fragen nach dem Sinn des Lebens? Deine letzte Chance, Junge!“
Ich überlegte. Gab es noch Fragen, deren Problematik mich nächtelang wach hielten?
„Nein, eigentlich nicht.“, antwortete ich schließlich.
„Du Glücklicher. Also, bist du dann bereit?“, fragte Melvin.
"Ja, klar."
Mit einem leichten Klopfen auf meine Schulter verwandelten wir beide uns in einen gleißenden Lichtblitz und verschwanden in den Wolken.


Harfenklänge verwöhnten meine Ohren, als ich in das unendliche Blau starrte, dass sich über den gesamten Horizont erstreckte. Die schiere Kraft der leuchtenden Farbe, vermischt mit dem zarten Weiß vorbeischwebender Federwölkchen verwandelte meinen Verstand in einen Badewannenabfluss. Durch einen Mangel an alternativen Möglichkeiten motiviert, beschloss ich, mich einfach rückwärts fallen zu lassen.
„Ach, ich bitte dich. Du wirst dich doch von dem kleinen bisschen Unendlichkeit nicht einschüchtern lassen, oder?“
Melvin streckte mir seine graue Pranke hin und unterstütze mich bei meinem recht dilettantischen Versuch, wieder auf die Beine zu kommen.
„Mel, wo sind wir?“, fragte ich meinen dämonisch aussehenden Vertrauten.
„Nun, die viele blaue Farbe über uns, das Anwesensein von weißen Wolken über und unter uns“, ich sah auf meine Füße und bemerkte hatte, dass der Boden aus einer festen, wolkenähnlichen Substanz bestand, „und die sanft im Hintergrund spielende Harfenmusik sollte dir doch eigentlich Hinweis genug sein, oder?“
„Wir sind im Himmel?“
„Ja, wir sind im Himmel.“, bestätigte Melvin meine Vermutung, und fuhr dann unter seinem Atem fort:
„Obwohl nicht genau da, wo ich es vermutet hätte.“
Es dauerte einige Augenblicke, bis diese Worte mein Gehirn erreicht hatten, das zu diesem Zeitpunkt noch mit der Analyse einer Wolke beschäftigt war, die Original Jüdische Matze anpries. Aber dafür war meine Reaktion um so heftiger.
„WAS?!“, rief ich ungläubig, fragend.
„Genau DAS frage ich mich auch schon die ganze Zeit. Eigentlich sollten wir direkt vor dem Tor zum Paradies ankommen.“
„Ahjaaaaa...und wo sind wir jetzt?“
Melvin studierte die Anordnung der Wolken.
„Irgendwo außerhalb, schätze ich. Wahrscheinlich einer der Vororte.“
„Moment mal, hab ich da richtig gehört? VORORTE?!“
„Oh, keine Panik, das ist nur ein Name. Es ist sind abgelegene Stellen außerhalb des Paradieses, an die sich manche der Seelen zurückziehen, um mal ganz für sich alleine zu sein. Das hier ist ein etwas...ruhigeres...Eckchen. Aber nichtsdestotrotz, ich bin mir sicher, dass wir auch hier bald auf einige ehemalige Leute treffen werden.“
„Ah. Gut. Das beruhigt mich ungemein. Wie weit haben wir’s, wenn ich fragen darf?“
„Na ja, nach irdischen Maßstäben wohl gute 4 Kilometer.“
Ich klatschte in die Hände.
„Let’s hit it.“
Ein Klauenschnippen seitens Mel später hielt ich einen Wanderstab in der Hand. Er war alt, und nur wenige Zentimeter kleiner als ich. Das Holz hatte schon eine seltsame, bläuliche Färbung angenommen.
„Und was wird das jetzt?“, fragte ich mit einem Blick auf mein neuestes persönliches Eigentum.
„Nun, ich dachte, wenn wir schon wandern müssen, dann können wir es auch mit ein wenig Stil tun.“, antwortete Melvin lapidar.
Ich betrachtete den Stab genau, und merkte schließlich an, dass dieser Versuch eindeutig fehlgeschlagen war, angesichts des ACME Moses Wanderstab 2000- Schriftzuges, den ich entdeckt hatte.


Also liefen wir los, in irgendeine Richtung, immer der Nase, beziehungsweise Hörnern nach.
Irgendwann wurde es mir dann zu öde, immer nur durch Schwaden weißen Wasserdampfes zu stiefeln, denn für gähnende Langweile im Zeichen der Ewigkeit hätte ich nicht erst sterben müssen.
Und da ich mich auch nicht dazu bewegen konnte, weiter die Verarbeitungsfehler in meinem Wanderstab zu zählen, wandte ich mich einfach an meinen Führer. Erstens lag mir jetzt tatsächlich eine Frage auf der Zunge, und zweitens brauchten meine Ohren auch mal wieder Abwechslung von der ewigen Harfenmusik.
„Sag mal, Melvin“, begann ich, „wieso sind wir eigentlich mitten in die Pampa transferiert worden? Ist das so was wie eine Art Prüfung?“
„Nun ja, eigentlich...“
„Ach komm schon, mir kannst du’s erzählen. Ist ja nicht so, als ob ich’s meinen Freunden weitererzählen könnte. Na ja, bis auf Daniel, aber dass der hier irgendwo rumhängt ist ziemlich unwahrscheinlich.“
„Nein, es ist keine Prüfung“, beantwortete Melvin meine Frage, „Soweit ich das letzte Memo richtig verstanden habe, kommt so was erst im nächsten Jahrtausend. Ich glaube eher, es hat was mit deiner Brünetten zu tun.“
„Fehler im Verwaltungsapparat?“
„So ist es.“
„Oh, verdammt.“, grummelte ich.
„Aber keine Sorge, Kleiner“, meinte Mel mit einem aufmunternden Klang in der Stimme, „das ist hier keine Standardprozedur. Es ist zur Zeit nur ein bisschen stressig hier, verstehst du? Gott hat viel um die Ohren.“
„Wieso, was ist denn passiert?“
Mit einem schabenden Geräusch kratzte sich Melvin an der Schläfe.
"Na ja, der Heilige Geist hat schon wieder 'nen Engel geschwängert, und Jesus macht andauernd mit Mohammed und seinen Kumpels die Nächte durch...ich hab gehört, Odin hat sich beschwert, weil er die Kerle zusammen mit Thor kiffend in Walhalla angetroffen hat. Außerdem ist Gotts Freundin mit Hermes durchgebracht, und die Berateretage war die letzten Tage darum bemüht, Griechenland zu retten. Du kannst dir denken, es ist hier gerade ein Riesenzoff."
Dazu konnte ich nicht mehr viel sagen. Mein Führer liefen also weiter stillschweigend dahin, wo wir hinmussten, bis schließlich, nach einer Weile...
„Mel?“
„Ja, Junge?“
„Was hat es eigentlich mit dieser Harfenmusik auf sich?“
Ein Stein fiel mir vom Herzen, als ich diesen Satz endlich von der Zunge hatte. Noch ein paar „Plings“ mehr, und man hätte meine auditiven Fähigkeiten zusammen mit meinem Vertrauen in meine Französischkenntnisse begraben können.
„Warum?“, fragte der Dämon mir entgegen, „Gefällt es dir nicht?“
„Doch, am Anfang schon, aber jetzt wird es doch eine Spur zu monoton.“
„Tja, was soll ich sagen? Gott liebt halt die Traditionen. Wir haben mal einen Testlauf mit Miles Davis-Platten gemacht, aber der Großteil der Neuankömmlinge hat einen Kulturschock erlitten und ist gestorben.“
„Wow“, staunte ich, „das wäre mal ein Problem für Theologen, Mediziner UND Psychologen.“
Melvin grinste. Ich glaube, er hatte mich mittlerweile ganz gern. Jedenfalls hatte er mir noch nicht angedroht, mich zu verprügeln, sollte ich nicht sofort ruhig sein. Ich hakte nach.
„Geht es denn nicht, dass mal was anderes läuft? Oder das ich vielleicht einen Discman kriege oder so was? Muss doch möglich sein, oder?“


Sekundenbruchteile später klammerte ich mich erschrocken an Melvins Arm fest, als sich neben mir mit einem „Puff“ eine schlanke, in verführerische Kleider gehüllte und mit verführerischen Kurven ausgestattete, blonde Frau materialisierte. Das sie auf ihrem Rücken ein paar imposante Flügel besaß, fiel da kaum auf.
„Hat mich jemand gerufen?“, fragte sie.

Ich ließ Mels Arm los und betrachtete die Dame von oben bis unten, dann von unten bis oben, dann verweilte ich einige Augenblicke in der Mitte und sah Charlies Engel dann endgültig ins Gesicht.
„Wer bist du? WAS bist du?“
„Ich glaube, diese beiden Dinger hier werden wohl erklären, was ich bin.“
Melvin beugte sich zu mir rüber.
„Sie meint ihre Flügel.“, flüsterte er in mein Ohr.
„Ich weiß, dass sie ihre Flügel meint!“, gab ich leise, aber bestimmt zurück.
Goldlöckchen hatte zum Glück nichts von unserem kleinen Privatgespräch mitgekriegt, sondern fuhr einfach mit ihrem Text fort.
„Und wer ich bin? Nun...“, sagte sie und breitete ihre Schwingen noch ein wenig imposanter aus, „ich bin Maria
„Woaaaahhh! Dann bist du also die Mutter von...“
Zwei imposante Flügel sackten in sich zusammen. Melvin schlug sich peinlich berührt mit der rechten Pranke auf die Stirn.
„Was? Was?! Hab ich was falsches gesagt?“
„Oh, nein, es ist nur so, dass mir JEDER, aber wirklich JEDER diese Frage stellt. NEIN, ich bin nicht die Mutter von Jesus. Ich kann ja auch nichts dafür, dass mich meine Eltern so genannt haben. Mann, ich kann dir sagen, wenn ich noch Kinder kriegen könnte, ich würde sie auf keinen Fall Maria nennen. Aber erklär das mal den Menschen da unten. Ich meine, nicht dass der Name nicht schön wäre, aber nach 2000 Jahren Katholizismus sollte man doch vielleicht mal wieder auf was neues kommen, was meinst du? Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?“
„Huh? Äh, ja klar. Du nicht Leihmutter Gottes. Kristallklar. Aber was bist du dann?“
Maria seufzte. „Ich“, erklärte sie, „bin eine Patronin der Musik. Ich inspiriere und beschütze Musiker...oder Leute, die so was werden wollen. Ich hab sogar ein paar mal dich übernommen.“
„Beispiele?“
It’s Only Ska - Der war von mir. Orchestra Pit – Der auch. Außerdem war ich für Anna, Ignorant Basics, Quick Stop und Some Time Has Passed verantwortlich.“
„Aber Some Time Has Passed war sauschlecht!”
“Hey, ich bin nur für die Inspiration verantwortlich, was du draus machst, ist dein Problem!”
Ihren Ärmel hochkrempelnd, sah sie auf ihre Uhr.
„Ach herrje“, gab sie genervt von sich, „jetzt hab ich ganz die Zeit vergessen. Und dabei hab ich noch eine Verabredung mit Scott Klopfenstein...“
Noch während sie ihren Satz beendete, kramte sie eine kleine, geschwungene und in mattem Silber glänzende Fernbedienung mit großen Gummiknöpfen hervor.
„Hier“, sagte Maria, und drückte mir das Ding in die Hand, „damit kannst du die Hintergrundmusik auf dich persönlich einstellen. Ich glaube, um die Songs zu erkennen, bräuchtest du keine Hilfe, aber falls es dir doch mal nicht einfallen sollte, schau einfach auf das Display, okay?“
„Ach, cool...aber wie funktioniert das? Die Hintergrundmusik verändern? Nur für mich?“
Maria grummelte irgendetwas, während sie sich eine Zigarette in den Mund steckte.
„Was weiß ich, ich bin Künstlerin, keine gottverdammte Mechanikerin!“
Mit diesen Worten – und einem weiteren „Puff!“ – verschwand mein schlecht gelaunter Schutzengel wieder.
„Du musst sie entschuldigen“, sagte Melvin, während er eine Hand auf meine Schulter legte und wieder anfing, mich dahin zu führen, wo ich hinsollte, „sie ist eigentlich ganz nett, aber sie hat gerade einen schweren Fall von PMS.“
Mit der Sicherheit, dass dieses Problem zu hoch für mich war, nahm ich die Fernbedienung in die Hand und drückte auf „Play“.
„Uhhhh“, gab ich von mir, als die Harfenklänge durch Trompeten und eine E-Gitarre ersetzt wurden, „The Cheapskates! Ihr Unsterblichen habt echt Geschmack!“


Die Wolkenschwaden waren bereits dünner geworden, als sich gleich mehrere meiner Körperteile meldeten.
„Ächz“, machten meine Beine, „Knurr“ mein Magen und „Lechz“ meine Zunge. Ich hatte gehofft, dass das Totendasein wenigstens den Vorteil haben würde, nicht mehr auf seine physischen Begrenzungen angewiesen zu sein und nicht mehr auf seine Grundbedürfnisse achten zu müssen.
„Meeheeeeelll...“, jammerte ich, „ich hab Durst. Ich hab Hunger. Meine Füße tun weh. Können wir nicht irgendwo Rast machen?“
„Kannst du wirklich nicht mehr?“, fragte mein Compadre besorgt. Ich schüttelte den Kopf.
Melvin stoppte seine Schritte und zog ein Mobiltelefon heraus. Ich weiß bis zum heutigen Tage nicht, wie er das gemacht hatte, und wo er versteckt hielt...und wenn ich ehrlich bin, will ich es auch gar nicht wissen.
„Was machst du da?“
Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was ein Führer in Form eines gehörnten, grauen Dämons im Himmel mit einem Handy anstellen konnte. Mir leuchtete ja noch nicht mal ein, was der Großteil der Handybesitzer auf der Erde mit ihren Telefonen anstellten.
„Ich verschick’ 'ne SMS.“
„Ah“, murmelte ich, kein Stück klüger als vor meiner Frage.
„An wen?“
„An eine alte Freundin. Normalerweise kriegt man so einen Service nur im Paradies, aber sie schuldet mir noch einen Gefallen. Sie wird eine Ausnahme machen.“
„Aha“
Richtig aufgeklärt kam ich mir dennoch nicht vor.
„Und senden...“
Ich musste schmunzeln, als ich sah, wie Melvin nach der Aussprache des Wortes „Senden“ die Zunge auf seine Oberlippe legte.
„Piep“, machte das Handy kurz darauf.
„Oh, ist was zurückgekommen?“, fragte ich neugierig.
Melvin antwortete darauf nicht, sondern zeigte mit seinem ...ich schätze mal, „Zeigefinger“ ist der beste Vergleich ...auf den Boden vor mir.
„Häh? Was ist da?“
Wieder war Stille die Antwort, die ich erhielt. Mit dieser Stille war es aber kurz darauf vorbei, als sich die Wolken vor mir auftaten wie eine Fahrstuhltür. Ich erkannte eine schwach beleuchtete, breite Treppe aus solidem Buchenholz. Ich hörte Menschen – oder menschenähnliche Kreaturen, hier konnte man ja nicht sicher sein – Lachen und sich unterhalten. Ich hörte, wie Gläser gegeneinander klirrten, wie sich bunte und weniger bunte Billardkugeln in einem Tango der Newtonschen Gesetze gegenseitig anstießen. Ich roch leichten Tabakrauch, brutzelndes Fett.
Alle meine Sinne verrieten mir, dass ich da vor dem Eingang einer Bar stand. Mitten im Himmel.
„Allright, Mel, was ist das?“
„Das, mein Freund, ist das Eve’s! Hier kannst du was trinken, was zu dir nehmen, und dich ein wenig ausruhen.“
„Ich bin immer noch ein wenig verwirrt. Na ja, nicht ganz so arg wie vorhin, mit den Vororten, und den Anzeigetafeln, und den schlechtgelaunten Engeln, aber einen gewissen Mangel an Erklärungen kann ich immer noch vorzeigen.“
„Mein Freund, du stehst hier gerade vor der ersten Bar, die jemals im Himmel eröffnet wurde. Sie hat im Laufe der Zeit ein bisschen Konkurrenz bekommen, aber dennoch ist das hier der beste Ort für die von dir gestellten Forderungen.“
Ich zögerte immer noch ein wenig.
„Na komm schon, ist doch nur 'ne Bar. Keine Angst, die Barkeeperin ist 'ne alte Freundin von mir, ihr werdet euch gut verstehen.“
Ich seufzte und stieg die Stufen herunter. Was hatte ich schon zu verlieren. Immerhin war ich schon tot, da war die Chance, von einem durchgeknallten Biker in eine Portion Gyros verwandelt zu werden, ziemlich gering.

So hoffte ich jedenfalls

Die Bar glich denen auf der Erde ziemlich stark, das einzigste, was mich irritierte war die Tatsache, dass ich weitaus leichter vorwärts kam als in der guten alten Kneipe um die Ecke. Erst ein Blick auf den Boden verriet mir, dass dieser Unterschied daherrührte, dass meine Schuhsohlen nicht an halbverdauten Essensresten und warmem Bier kleben blieben. Ich sah mich erst mal um. Eigentlich hatte ich ja erwartet, auf in weiße Gewänder gekleidete, harfenspielende und aus den Ohren leuchtende Hoschis zu sehen, die sich darüber unterhielten, wie begeistert sie von der gestrigen Ausgabe der Show „Plato und Hesse am Abend“ waren. Aber nein; stattdessen (und das ist nicht abwertend gemeint) befanden sich hier Männer und Frauen in gemütlichem, leicht verrauchtem, ein wenig unterbeleuchtetem Ambiente, in Lederjacken, Jeans, Hawaiihemden, Cordjacken und was sonst so unter die Kategorie „Klassisch, aber stylisch“ fiel. Einzig und allein der Fernseher in der Ecke irritierte mich, da er irgendein mir unbekanntes Spiel zeigte, und das ganze auch noch in einer Sprache kommentiert wurde, die ich nicht verstand.
„Hey, Sportsfreund, hier drüben!“, hörte ich Melvins Stimme aus der Geräuschkulisse heraus. Es zeigte sich, dass er bereits an der Theke saß und sich mit einer hübschen, schwarzhaarigen Frau unterhielt.
Wenn ich gewusst hätte, wie viele süße Schnecken es im Himmel gibt, wäre ich schon viel früher gestorben.
„Darf ich dir vorstellen, das ist Pali. Pali, das ist Eva.“
Um ein Haar hätte ich den Barhocker verfehlt. „Doch nicht etwa die...“, fing ich an. Anstatt etwas zu sagen, nickten die beiden nur.
„MACH SACHEN!“, rief ich, „ist nicht drin, oder?“
„Ist drin!“
Eva wischte meine Zweifel mit einem bezaubernden Lächeln hinfort.
„Die Mutter der Menschheit. Das gibt’s doch nicht. Dann bist du ja so was wie meine Ururururururururur...“
„Äh, lass das“, unterbrach mich Melvin und hob seinen Arm ein wenig an, „wenn du das durchziehen willst, dann kommen wir nie an, okay?“
Von der Vernunft dieser Argumente überzeugt, unterbrach ich meinen kleinen Ausflug in die Welt der Ahnenforschung.
Erst jetzt fiel mir eine kleine Ungereimtheit auf.
„Moment mal...“, sagte ich mit gedämpfter Stimme, „wie kommst du in den Himmel? Ich dachte, du wärst wegen der Sache mit der verbotenen Frucht aus dem Paradies verbannt worden? Oder ist das eine zu indiskrete Frage? Du brauchst sie nicht zu beantworten!“
„Ist schon gut, Pali“.
Mir fiel auf, welchen herrlichen Kontrast Evas weiße Zähne mit ihrer leicht gebräunten Hat und ihren tiefen, braunen Augen ergab.
„Ewwww, hör auf, du wirst dich doch wohl nicht in die erste Frau verknallen, oder?“, beschwerte sich die Stimme in meinem Kopf, „erstens ist das total unangebracht, und zweitens hast du keine Ahnung davon, was dieser Adam für ein Brocken sein könnte!“
Evas Worte rissen mich aus meinem kleinen Disput mit mir selbst.
„Also, nach meinem Tod bin ich erst mal, so wie du, vor das göttliche Gericht gekommen. Gott hat erst mal eine Riesenszene gemacht. Blabla, meine eigene Tochter, blabla, Erbsünde, und so weiter und so fort. Also, eigentlich genau das, was ich schon kannte. Aber dann hat Gott Mitleid gekriegt. Immerhin...das erste Kind kann man ja nicht so einfach verstoßen, oder?“
„Mo-moment mal...das erste Kind? DU warst der erste Mensch?“
„Ja, schon.“, gab Eva mit einem Schulterzucken zurück.
„Aber in der Bibel steht doch, Adam wäre der erste Mensch gewesen, und du wärst aus seiner Rippe entstanden!“
„Pfff“, meinte Eva spöttisch, und pustete eine ihrer schwarzen Strähnen aus dem Gesicht, „die Bibel. Willst du mal die Autorenbehausung sehen? Melvin, zeig sie ihm.“
Mel griff mit der linken Hand in die Luft, streckte einen Finger aus und zog ihn in einer imaginären Linie nach unten, als wollte er etwas aufreißen. Wie ich kurz darauf bemerkte, war ihm dies auch gelungen.
Jedenfalls prangte mitten in der Bar ein kleiner Spalt im Raum-Zeit-Kontinuum. Die Star Trek- Autoren hätten wohl ihre Seele für so eine Idee verkauft.
Ich beugte mich ein wenig nach vorne, um mehr zu erkennen. Ein Raum war zu sehen, unaufgeräumt, mit leeren Pizzaschachteln fein unordentlich auf Schreibtischen und Fußboden verteilt. Ich sah mehrere Schreibmaschinen, Notizblöcke, Stifte und Computer, deren Tastaturen schon eine gelbliche Färbung angenommen hatten. Es sah fast so aus wie bei mir zuhause.
Rauchschwaden hingen in der Luft.
„Was ist das?“
„Psst“, machte Eva, „hör genau hin.“
Ich spannte die Lauscher auf. Noch bevor ein Protagonist diese kleine Kammerbühne betrat, hörte ich sie schon.
„Ey, kennst du schon den? Was ist eine Blondine in einem Bottich voller Salzsäure? Na? Na? EIN GELÖSTES PROBLEM!“
Ich rollte mit den Augen. Nichts gegen Chauvinisten, aber wenigstens gute Witze sollte man auf Lager haben.
Noch bevor ich die beiden Kerle, die gerade die Bildfläche betraten, richtig beäugen konnte, schloss Mel den Riss auch schon mit einem Fingerschnippen.
„Und so geht das den ganzen Tag. Du solltest die mal nach Feierabend erleben.“, seufzte meine Ururur...urgroßmutter
und stütze sich auf der Theke ab.
Dieser kleine Ausflug in die Welt vor Alice Schwarzer hatte mich aber immer noch nicht ganz überzeugt. So sehr mir die arme Eva auch leid tat, eine Frage musste gestellt werden. Eine Frage, die da lautete:
„Aber ich dachte, Gott hätte den Menschen nach seinem Vorbild geschaffen?“
„Hat er auch“, sagten Mel und Eve im Duett.
„Heißt das etwa, Gott ist eine Frau?!“
„Japp.“, sagte Eva.
Ich musste unweigerlich an die Sache mit den Körperfunktionen denken. Was, wenn Gott eine richtig heiße Schnalle war und ich einen Marterpfahl bauen würde?
Ich konnte mir die Konsequenzen gar nicht ausmalen. Nicht, weil ich sie mir nicht vorstellen konnte (darin bin ich recht gut), sondern weil es plötzlich „Klick“ in meinem Gehirn machte.
„Wartet mal...nur für die Akte...also Gott ist eine Frau, sehe ich das richtig?“
„Japp“, machte Eva.
„Und Mel, du hast vorhin gesagt, Gotts Freundin sei mit Zeus durchgebrannt?“
„Japp.“
„Oh.“, sagte ich.
„OH!“, fuhr ich fort.
Eva grinste und schenkte mir ein wenig Ambrosia ein.

Ambrosia schmeckt süß, fast wie Honig. Eigentlich eher wie ein guter, alter Whiskey, nur mit weniger rauchigem Geschmack und weniger leicht brennendem Gefühl hinterher im Rachen. Und das beste: Es machte nicht betrunken.
Drei große Gläser, einen Hot Dog, ein Gang aufs Klo und einer weiteren halben Stunde faul auf dem Hintern sitzen war ich endlich bereit, meine Reise fortzusetzen.
„Auf Mel, gehen wir. Ich will endlich Alfred Hitchcock treffen!“, sagte ich und schwang mich von meiner Sitzgelegenheit.
„Na, da hat aber einer Tatendrang“, grinste Eva.
„Klar!“, lächelte ich und zog Melvin an seiner Pranke aus der Bar – er hatte kaum richtig Zeit, auf Wiedersehen zu sagen. Was soll’s, dachte ich mir, die sehen sich wahrscheinlich oft genug.

Nach unserer kleinen regenerativen Pause ging die Wanderung viel lockerer vom Stapel.
Mel und ich tauschten einige Witze aus, unterhielten uns über hübsche Mädels, respektive Dämoninnen (Mel selbst hatte ein Auge auf hübsche Luftnixe geworfen) und – im wahrsten Sinne des Wortes – Gott und die Welt.
„Und sie hat WIRKLICH Aphrodite angemacht?“
„Und wenn ich’s dir doch sage! Das war nach der Sache mit Ares, als sich Hephaistos von ihr scheiden hat lassen.“
„Kein Ehebruch?“, hakte ich nach.
„Kein Ehebruch. Sie hatten ein paar Rendezvous, aber es ist nichts ernstes draus geworden. Gott sagte, sie sei ihr zu launisch.“
„Oh, da ist sie nicht allein auf der Welt...im Himmel...ach, du weißt, was ich meine.“
Melvin lachte herzhaft. Sein chitingepanzerter Bauch bebte. Plötzlich verstummte er und drehte seinen Kopf herum wie ein Löwe auf der Jagd.
„Was? Was ist los?“
„Wir sind da.“, sagte Mel und schob eine dicke Nebelwand zur Seite.
Ich stieß mal wieder ein „Wow“ aus.


Bei näherer Betrachtung fiel mir als erstes auf, dass die Schlange zu dem goldenen Tor länger war als die Schlange bei Aldi, wenn es wieder einen neuen PC im Angebot gab.
"Meine Fresse, Mel, was ist passiert, was hab' ich verpasst? Der Elfte September, Teil 2?!", fragte ich, während wir uns hinten anstellten.
"Oh, nein, der ist erst für nächstes Jahr geplant", sagte mein Führer und verpasste aufgrund seines streng nach vorne gerichteten Blickes meinen Gesichtsausdruck, der irgendwo zwischen einer Darmspiegelung und einem Ganzkörperorgasmus lag.
"Na ja," meinte ich und schmunzelte, "die Schlange der Leute, die mich umbringen wollen, ist kürzer."
"Umbringen wollten, Kleiner. Vergangenheitsform. Du bist schon tot, vergessen?"
"Ey, gib mir halt 'n bisschen Zeit, ich sterb' halt nicht so oft, ja?"
"Schon okay. Und übrigens, dieses Gedränge ist nicht repräsentativ. Wie schon gesagt, Gott hat viel um die Ohren.“
Darauf fiel mir keine Antwort ein. So standen wir beide uns die Beine in den Bauch und warteten, bis ich an der Reihe war. Ich schlug einmal vor, man könnte wenigstens Sessel, Kaffee und ein paar Zeitschriften aufstellen, aber das einzige, was mir diese Äußerung einbrachte, war ein böser Blick von dem Führer, der sich das Mädchen vor mir geschnappt hatte. Er eindeutig afrikanischer Herkunft und hatte eine Art Toga an.
Melvin flüsterte mir zu, ich sollte besser nicht Kritik am Himmel üben, die Apostel würden das nicht gerne hören, schließlich seien die meisten für ihren Glauben umgekommen. Ich nahm dies nickend zur Kenntnis und konzentrierte mich auf den in eine enge Jeans verpackten Hintern der Braut vor mir.


Nach einer endlosen Warterei und einigen weiteren düsteren Blicken (habe ich schon mal erwähnt, dass ich meine Klappe einfach nicht halten kann?) standen Mel und ich endlich vor dem großen, goldenen Tor.
Neben dem Tor war ein riesiges Pult aufgebaut.
Gerade wollte ich Melvin fragen, ob man mit diesem ganzen überdimensionierten Kram irgendwas kompensieren wollte, aber da trat auch schon jemand an das Pult.
Ich konnte nicht genau erkennen, wer es war. Sein Gesicht schien von innen heraus zu strahlen, er trug Sandalen, und ein weißes Gewand. Ich kniff meine Augen zusammen.
Dann erinnerte ich mich daran, dass ich ja noch meine Sonnenbrille in der Hemdtasche hatte.
Ich streifte mir die Gläser über die Augen und konnte nun endlich erkennen, wem ich da gegenüberstand - einem Kerl mit Dreitagebart, Ringen unter den Augen und einer Frisur, mit der ich aus dem Schulunterricht geflogen wäre.
"Hallo, ich bin Petrus!", sagte die Gestalt.
"Grüß Gott, Petrus!", grüßte ich ihn zurück.
Dummerweise war ich der einzige, der das lustig fand, jedenfalls lachte sonst keiner.
Nachdem ich mich endlich wieder gefangen hat, fuhr Petrus fort.
"Weißt du, wieso du hier bist", fragte er mich.
"Mhhh...", grübelte ich, "weil ich gestorben bin?"
"Ähhh...ohhh...tja..."
Ich hatte Petrus aus dem Konzept gebracht. Das muss mir mal einer nachmachen.
"Was ist, hab ich was falsches gesagt?"
"Äh, nein, nein", sagte Petrus, "...es ist nur, du bist der erste, der das geantwortet hat. Ansonsten heißt es immer, 'Weil ich dem Herrn treu war', oder 'Weil ich ein redliches Leben geführt habe'. Tut gut, mal jemanden zu treffen, der ausnahmsweise kein Speichellecker ist."
Ich grinste.
"Aaaaaallsooo...", sprach Pete weiter, und wuchtete mit einem "Uff" ein mächtig schwer aussehendes Buch auf das Pult, "...dann wollen wir doch mal sehen, was du so alles angestellt hast..."
Er blätterte in seinem Wälzer herum. Seine Augen wanderten die Zeilen entlang.
"Du warst nett zu alten Leuten, hast nie gestohlen. Du hast deine Eltern geliebt und respektiert, hast nie jemanden von dir aus gehasst, hast mal für eine Nonnengruppe die Straße gefegt, kaum gelogen oder betrogen, du hattest keinen Sex vor der Ehe..."
'Leicht, wenn man noch nie Sex hatte', dachte ich mir, verkniff mir aber den Kommentar.
"...du hast Selbstbefriedigung betrieben, sehr oft sogar. Aber hey, guck nicht so erschrocken, wenn du wüsstest, was manche Bischöfe da unten so alles anstellen, holla...oh, du hast geflucht!...ziemlich häufig!"
"Ach was, wirklich?"
Petrus blätterte ein paar Seiten weiter.
"Ja, wirklicht. Allein das Register deiner Worte nimmt 15 Seiten in Anspruch, und das ohne die Kombinationen, die du dir ausgedacht hast!"
"Was soll ich sagen, ich hab nun mal 'ne sehr bildreiche Sprache...", murmelte ich ein wenig peinlich berührt.
"Aaahhh, mach dir deshalb keine Sorgen", winkte Petrus ab, "ich lass dir das durchgehen, weil du den Nonnen geholfen hast."
Ich klatschte freudig in die Hände.
"Gut, dann noch eine letzte Frage: Hast du während deiner Lebzeiten an Gott geglaubt?"
"Ähhh, eigentlich nicht."
Freude dahin. Noch während Pete "Nächster!" rief, öffnete sich unter meinen Füßen eine Falltür, und ich befand mich auf dem Weg ins Untergeschoss.


Meine Landung war hart. Sehr hart.
Ich brauchte einige Minuten, bis ich bereit war, aufzustehen, aber bereits jetzt merkte ich, dass - wer immer auch für diesen beschissenen Ort verantwortlich war –man mal die Heizung reparieren sollte. Hier war es wärmer als in einem schwarzen Smart, der an einem heißen Sommertag auf dem Weg nach Italien mittags im Stau stecken bleibt.
Die Luft roch nach meinem letzten Versuch, ein Mädchen mit einem selbstgekochtem Essen zu verführen, und wäre die Luft noch ein bisschen stickiger gewesen, hätte ich mir meinen Weg mit einer Kettensäge erkämpfen müssen. Von der Anordnung der pechschwarzen Felsspitzen im Feng Shui-Stil will ich gar nicht erst anfangen.
Wenn sie wenigstens gute Musik gehabt hätten, aber nein; alles, was hier gespielt wurde war eine Endlosschleife aus Volksmusik, vermischt mit der neuesten Bravohits.
Endlich hatte ich genügend Kraft gesammelt, um mich von dem steinigen Felsboden abzudrücken.
Ich stand auf und sah in eine Fresse, die selbst das Gesicht meiner Geschichtslehrerin um Längen schlagen würde.
Hörner. Fangzähne. Rote Haut. Ein schwarzer Ziegenbart. Hufe statt Füßen. Einen blutverschmierten Dreizack in den Klauen. Ich wusste sofort, wem ich da gegenüber stand.
"Oh verdammt", keuchte ich, "...ENRIQUE IGLESIAS!"


"WAS?!"
Die Stimme der Gestalt dröhnte noch mehr als Melvins, als er sich seinen kleinen Scherz mit mir erlaubte.
"BIST DU VERRÜCKT, STERBLICHER? ICH BIN DER TEUFEL!"
"Jaja, schon gut!", brüllte ich zurück, "du brauchst trotzdem keine Show zu veranstalten. Uh, schaut her, ich bin der Teufel, was für 'ne Glanzleistung. 60% aller Gothicanhänger sagen von sich selber, sie wären der Antichrist, was macht dich so besonders?!"
Ich wusste, dass ich verloren war. Also, was war noch zu verlieren?
"ICH BIN DER PRINZ DER FINSTERNIS!"
"Nein, der Prinz der Finsternis ist Ozzy Osborne. DU bist 'n Ziegenbock mit schlechtem Atem."
Ich warf ihm einen Kaugummi zu und kriegte das Ding gleich wieder an die Stirn.
"WAS ERLAUBST DU DIR, STERBLICHER? ICH BIN DER HERRSCHER DES BÖSEN, DER KÖNIG DER DUNKELHEIT, DER PHARAO DES SCHRECKENS, DER..."
"...blablahblah, ich hab's kapiert, du bist der Teufel, und jetzt mal Auszeit, ja, oder ich sorg dafür, dass du auch noch als der King der Laberbacken bekannt wirst!"
"BIST DU WOHL RUHIG?!"
Diesmal verursachte seine Stimme eine kleine Bö, die mein Hemd flattern ließ.
"VERFLUCHT, DREH MAL DEN BASS RAUS, DU MILCHSCHAUMSCHLÜRFER!“, schrie ich zurück.
Heißer Dampf entwich den Nasenlöchern meines Gegenübers.
"PASS AUF, WAS DU SAGT, LA..."
"Eh, entschuldige, kannst du mich Pali nennen? Alle nennen mich so, und ich hör schon gar nicht mehr auf meinen richtigen Namen...", unterbrach ich ihn. Kleine Steinstücke spritzen hoch, als Luzifer seinen Dreizack in den Boden rammte.
"ACHTE AUF DEINE WORTE, ICH KANN DEINEN AUFENTHALT HIER ZUR HÖLLE MACHEN!"
Peinliche Stille breitete sich zwischen uns aus.
5 Sekunden...10 Sekunden...15 Sekunden...20 Sekunden.
"Ach, das war 'n Witz?"
"JA, HERRGOTTNOCHMAL!", rief der dunkle Fürst und stapfte mit den Hufen auf.
"Oh, Sorry. War nicht gut. Sag mal, hast du keine Autoren hier unten?!
"Also, eigentlich...DAS GEHT DICH GAR NICHTS AN!"
"Aha. Aber mal so als kleiner Tipp unter zwei Nachwuchskomikern, ab und an mal seine Gags gegenlesen zu lassen schadet wirklich nicht. Ich selber zum Beispiel...“
Ich ließ meinen Unterkiefer wieder hochklappen, als ein paar kleine Flämmchen anfingen, meine Schlaghosen aufzufressen.
"NUN REICHT ES ABER! MEIN GEDULDSFADEN REISST GLEICH! NOCH EIN WENIG MEHR, UND ICH WERDE VERANLASSEN, DASS DU DICH BEI JEDEM SCHRITT SELBER UMBRINGEN WILLST!"
Ich musste mich beherrschen, nicht laut loszulachen.
Der Teufel verzog eine Augenbraue.
"WAS IST SO WITZIG?!"
"Na ja, ich meine nur...abgedrehtes Heizsystem, schlechte Musik, und dann soll ich mir auch noch wünsche, mich bei jedem Schritt umzubringen? Weißt du, wonach das klingt?"
"NACH WAS?!"
"Das klingt irgendwie nach meiner Schule."
"AAAAAAARGHHHH!!!"
Peperonigestank und Reste von Anwälten kamen mir entgegen, als der Fürst der Finsternis wieder damit fortfuhr, herumzubrüllen.
"DAS REICHT, NOCH EIN WORT, UND ICH WERDE MIR AUS DEINEN EINGEWEIDEN EINE TISCHTUCH HÄKELN!"
"Wort."
"UUUAAAAGHHH! NOCH EIN PIEP, UND ICH WERDE DICH AN DEINER ZUNGE AN EINEN LASTER KETTEN!"
"Piep."
"DAS REICHT! DAD WAR ES! ICH WERDE...ICH WERDE...ICH WERDE..."
Der Teufel brach zusammen und weinte.
"Verdammt, ich kann es nicht tun! Warum sind alle immer so gemein zu mir? Ich kann doch nichts dafür, dass ich damals beim Pokern verloren habe und seitdem den Herrscher der Hölle mimen muss!"
"Och, ist ja schon gut...", murmelte ich tröstend, "sieh's mal so, du hast jede Menge Anhänger. Und die meisten von diesen Metalhead sind ganz cool drauf. Wenn du vielleicht nicht andauernd alle Leute foltern würdest, könntest du vielleicht sogar 'n ganz cooles Image aufbauen."
Der Teufel schniefte.
"Mei...meinst du wirklich?"
"Ja, klar. Du könntest zum Beispiel damit anfangen, diesen ganzen Boy-und Girlgroups klarzumachen, dass sie keiner mag. DAS wird nämlich von meinesgleichen als böse Musik angesehen."
"O-okay..."
Ihm liefen ein paar Tränen hinunter. Ich reichte ihm ein Taschentuch.
"So...", murmelte ich aufmunternd, "dann sollten wir uns mal nach 'nem Zimmer für mich umsehen, meinst du nicht?"
"Wei-weißt du was?!"
Der Belzebub sah mich mit seinen großen Welpenaugen an.
"Ich, ich glaube, du brauchst noch gar nicht zu sterben. Ich sende dich wieder zurück."
Noch bevor ich ihm danken konnte, fiel ich wieder in Ohnmacht.


Als ich wieder aufwachte, lag ich wieder in meinem Zimmer. Diesmal glücklicherweise ohne den "linksdrehende Milchsäure“ - Effekt. Auch waren meine Klamotten nicht nass. Ich sah auf die Uhr. Es waren gerade mal zwei Minuten seit meinem Unfall vergangen.
Alles, was auf mein kleines Abenteuer hinwies, war die leere Plastikwasserflasche, die ich umgestoßen hatte.
Nachdem ich testete, ob auch meine Gitarre wieder zurückgeschickt wurde (ja, wurde sie), entschloss ich mich, etwas für die Umwelt zu tun, und die Flasche in den Recyclingcontainer zu werfen, der sich hinter dem Haus befand.
Ich lief die Treppen runter, öffnete die Tür zum Hof und gleich danach den Deckel des Containers und entsorgte, was zu entsorgen war.
"Mhhh, der Tag war gar nicht so langweilig", dachte ich mir, als ich den Deckel wieder schloss.
Ich erschrak fürchterlich, als ich beim Umdrehen eine dunkelhäutigen Frau sah, die - in einem knappen Top und engen Hosen gekleidet - einige Meter von mir entfernt stand.
"Wer bist du?", fragte ich, mir ein Herz fassend.
"Ich bin Kendra. Ich wurde vom Rat als Nachwuchsjägerin gesandt, als diese von deinem Tod erfuhren. Ahm, warum bist du nicht tot?"

Als mein "ARGH!" bis zu Petrus vorgedrungen war, verlor dieser vor Schreck seine Zigarette.
 

Bibi

Mitglied
super

Hey,
ich habe mich beim Durchlesen köstlich amüsiert.
Du hast einen wunderbar derben Humor, den Du den ganzen Text über durch hältst ;)
Am meisten habe ich an der Stelle geschmunzelt, wo Pali tot ist und sich erst mal Gedanken darüber macht, ob seine Gitarre noch heil ist – voll aus dem Leben gegriffen ;)
Nur merkwürdig, dass Du auf MTV rumhackst, da doch deren Publikum, durchaus auch zur Zielgruppe Deines Werkes gezählt werden könnte. Andererseits muss auch jeder Kritik vertragen können und wer den Text ernst nimmt hat schon verloren …
 

Pali

Mitglied
Ursprünglich veröffentlicht von Michael Schmidt
Ich fand es zum Teil ein wenig zu flapsig, weniger wäre da mehr gewesen. Auf gut Deutsch : Etwas weniger überzeichnen würde mir besser gefallen.
Oh, da komme ich jetzt in Schwierigkeiten...die Story war ursprünglich nur halb so kurz, aber alle Betaleser haben mehr verlangt...:D

@Bibi
Das mit dem Zielpublikum ist so eine Sache...ich sag's mal so, ich mag kein MTV, demnach...;)
Aber Danke für die positive Resonanz! :)
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Als ich anfing, den Text zu lesen dachte ich: Wieder so einer, der sich in Ekel-Horror suhlt. Der flotte Stil und die durchaus dichte Szene (also ohne viel unwesentliches Füll-Beschreibsel) ließ mich aber dabei bleiben. Und das war gut so.
Nicht wegen der „Rede in Versalien“ und der Fettdrucke im Höllen-Kapitel – die haben in der erzählenden Prosa als Informations-Mittel (hier als Information, dass der Typ extrem laut spricht) nichts zu suchen.
Auch nicht wegen des etwas abrupten Schlusses, an dem noch schnell eine Figur eingeführt wird, die aber nicht mehr wirklich plastisch wird, und in dem ich das „Argh“ (also den Unmut) des Helden nicht recht verstehe: Er schien doch – alles in allem – eine recht unterhaltsame Zeit gehabt zu haben.
Mir gefällt der Text seiner Fantasie wegen und der (bis auf die blass bleibende Kendra am Schluss) sehr lebendigen Figuren wegen.

Was ich inhaltlich intressant finde, ist, dass der Held auf der Zwischenstation im Himmel ziemlich unsicher wirkte, er dem (zumindest muss er das ja erstmal voraussetzen) Bösen gegenüber aber ziemlich schnell die Oberhand behält – mit derselben Schnoddrigkeit wie "oben" übrigens. Soll das heißen, dass der am besten fährt, dem „alles egal“ ist…?
 

Pali

Mitglied
@Jon
1. Wegen "Pali vs. Belzebub"

Es ist halt so, dass sich der "Held" mit solchen Leuten schon mehr Erfahrung gesammelt hat als gegen das absolut Gute (wie er jedenfalls zuerst annahm). Außerdem ist Pali ein Kerl, der - wenn er angepisst ist - ziemlich ungemütlich sein kann. Stell du dir mal vor, du wärst vier Kilometer durch die Ewigkeit gewandert und würdest kurz vorm Ziel scheitern...dann wäre deine erste Reaktion wohl auch Wut und Trotz. Und der Teufel hat eben das Pech, genau in diesem Moment Pali dumm zu kommen...kommt vielleicht nicht so gut raus...

2. Wegen Kendra
Die Figur hab ich extra noch blass bleiben lassen, weil "Pali goes to Hell" keine Einzelstory ist, sondern ein Teil einer "Pali-Reihe"...und damit dem Leser Lust auf eine Fortsetzung machen soll.



...ich hab das Gefühl, ich red mich hier ziemlich oft raus...:rolleyes: ;) :D
 

majissa

Mitglied
Mit deiner abgefahrenen Story hast du genau meinen Humor getroffen, Pali. Was den herrlichen, trockenen Humor angeht, beweist du beachtliches Durchhaltevermögen. Nicht einen Augenblick lang wurde mir fad. Die Charaktere setzt du gekonnt in Szene und hauchst ihnen mit witzigen Dialogen Leben ein. Hier wirkt nichts verkrampft. Der gesamte Text liest sich angenehm, die äußere Form ist der bewegten Handlung geschickt angepasst. Mich persönlich störte der Fettdruck überhaupt nicht, weil er in die Höllenszene passt. Wie sonst soll die donnernde Stimme des Höllenfürsten hervorgehoben werden? Ich wüßte da spontan keine Alternative. Kritikpunkt neben ein paar Tippfehlern, die ich hier jedoch nicht aufzählen werde, ist, daß die Geschichte überhaupt zu Ende ging. ;) So bekenne ich mich fortan zum Paliismus und warte gespannt auf die Fortsetzung.

Liebe Grüße
Majissa
 

Pali

Mitglied
Yes! Fans! Cool! Schaut mal im Humor-Forum rein, da gibt's auch 'ne kleine Pali-Story, die auf Kommentare wartet...;)
 
Hi Pali,
schönes, witziges Schriftstück - ich mache gleich mal die unsichtbare E-Guitarre: wauwauwau!
Erinnert mich aber verdammt an diesen Film mit K.Reeves. Blablas Reise durch die Zeit(ehm, ich glaube, es war der zweite Teil). Davon mal abgesehen, schöne Einfälle. Kann allerdings nicht sagen, daß mir diese Himmel-Hölle-Verarsche gefällt. Wird auf die Zeit langweilig - so wie der Film mit K.Reeves.
Trotzdem, für den Stil: Daumen hoch!

Gruss Marcus
 



 
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