Playing Baby Jane

Anonym

Gast
„... und manchmal, wenn ich auf Baby Jane spiele...“

„Auf wem?“ Das war nicht möglich. Er versuchte doch tatsächlich, den Dialog, den sie vor kurzem unerlaubterweise in seinen Papieren notiert gesehen hatte, mit ihr durchzuspielen. Vielleicht war es deshalb gewesen, dass sie mit genau demselben, überraschten, belustigten Ton nachgefragt hatte, vielleicht aber auch, weil er ihr Wesen ein wenig kannte und daher eben diesen natürlich kommenden Ton voraussagen konnte. Nun gut, sie würde das Theater mitspielen, auch wenn sie den genauen Wortlaut des Geschriebenen nicht mehr im Gedächtnis hatte.

„Baby Jane. Meine Gitarre.“, sagte er ohne besondere Betonung, fast gleichgültig, und wies hinter sich. Er beobachtete seine Gesprächspartnerin nicht einmal genau, wie sie es erwartet hätte. Sie schloss daraus, dass er sich auf seinen einstudierten Text konzentrieren müsse. Dabei wirkte er recht gelöst und locker, als er aufstand und erwiderte – erwiderte, denn sie hatte währenddessen bereits ohne viel nachzudenken gefragt, er nenne sie Baby Jane?

„Warum nicht. Der Name erinnert mich an eine frühere Geliebte.“ Dass sie nun wie vorgeschrieben ein Gesicht zog, ärgerte sie nun doppelt. Er möge von ihr nicht laufend in der dritten Person sprechen, da er es nunmehr zum zweiten Mal – diesmal nicht nur auf dem Papier - tat, war sie versucht zu sagen.

„Sie ist nämlich“, fuhr er fort und hängte sich die neue Baby Jane um, „genauso blau wie ihr Alter Ego.“ Das war die Passage gewesen, wo die Notizen für sie unverständlich geworden waren und sie das Blatt Papier zurücklegen musste, weil er in diesem Moment zurückgekommen war und nichts von ihren Stöbereien bemerken sollte. Daher auch hier die bereits im Vorhinein festgehaltene, verdutzt-distinguiert-kurzlachende Stellungnahme, die Gitarre sei doch rot, bitte. Und in der Tat war sie das.

Er blickte auf und lächelte typisch verschmitzt. „Sie ist auch nicht für jeden blau.“ Wiederum vernebelte sich ihr Verstand; sie sah sich auf seinem Schoß liegen, während er auf ihr spielte, ließ sich Medium sein für seine Gefühlsausbrüche und spürte, wie ein Meer sie durchfloss, worin er zu ertrinken begehrte...

„Blau...“, sagte er, „sie spielt aquamarine Töne. Tiefblau, weit und – ich hasse dieses abgenutzte, bolschewike Wort, aber es trifft zu – frei. Baby Jane breitet sich vor mir aus, während ich sie spiele und ich kann in ihre Tiefe hineinhechten.“

Er sah nicht auf, ließ seine Hand über den Gitarrenhals wenige Zentimeter weit gleiten. „Und manchmal, wenn ich auf Baby Jane spiele, dann werde ich ein bisschen in Trance versetzt und dadurch ein klein wenig hellsichtig. Dann spricht Baby Jane mit mir, und es wirkt so echt, dass ich mir den Dialog notieren möchte. Aber“, er machte eine wegwerfende Handbewegung, „so wirklich ist es mir noch nicht gelungen.“

Er spielte drei traurige Moll-Akkorde und summte dazu. Es klang tatsächlich ein wenig blau.
 



 
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