Rattenkönig2

3,00 Stern(e) 1 Stimme
Und hier noch so ein uraltes Fragment aus dem Rattenkönig. Ist teilweise ganz gut gelungen, denke ich. Aber ich bin ja eh parteiisch.


Es beginnt mit einem Lied, ganz ähnlich diesem hier:


DER RATTENKUNIC

„ÛF DÎNE GEBEINE SPÎLE ICH MÎN LIET
VON EINER BLUT´GEN HOCHGEZÎT
EINE JUNCFROUWE SOLL MÎN ZEICHEN TRAGEN
SEHS MAGERE WOLVES ZÎHEN MÎNEN WAGEN
DIU SEHSE ENHABENT HERZE NÎHT

ÛF DER GEBEINE SPÎLE ICH MÎN LIET,
ÛF DER GEBEINE SPÎLE ICH MÎN LIET“





„Weißt du, ich will nicht immer ein Hund sein“, zischte der lang aufgeschossene Hagere. Seine Finger waren so lang und dürr wie Spinnenbeine.
Er hatte sie zu Fäusten geballt, krümmte sich und wie ein Wolf reckte er sich aus dieser duckmäuserischen Haltung empor und gab ein widerliches Geheul von sich.
Der Andere, den der Hunger so aufgefressen hatte, dass man sich jede Ader und jede Faser unter der schimmligweißen Haut bewegen sah, hockte wie ein Frosch auf dem Boden und zog einen schweren Säbel nach sich.
Scheppernd kroch er auf allen Vieren voran.
Wie Tiere hasteten sie von einer Häuserwand zur nächsten und zogen ihre zerrissene Kleidung teils wie schwarze Schleppen hinter sich her. Wie gepeitschte Hunde hüpften und heulten sie, als sie auf ihren zerschundenen und klumpigen Füssen in eine Gasse humpelten, die das Feuer gerade erst zurück gelassen hatte.
Die Steine knisterten von der sengenden Hitze und im Rinnstein kochten die fauligen Abwässer.
„Heiß! Franz, heiß!“
Hüpfend und heulend stürzten sie sich auf einen stinkenden Haufen verkohlter Leichen, hockten sich wie Hähne auf diesen Mist und fingerten darin herum, bis sie einzelne Stiefel und Schuhe zu fassen bekamen. Mit den Händen schöpften sie gekochtes Fleisch aus dem abgehackten Schuhwerk und schnüffelten daran. Während sie wie spielende Kinder verschworen die Köpfe zusammensteckten und zwischen den gespreizten, angewinkelten Beinen das tranige Fett und den grauenvollen Rest anhäuften, streiften sie sich die Stiefel und Schuhe über und steckten die Köpfe noch geheimnisvoller zusammen.
„Gut! Jenne, gut“, raunten sie sich zu.
Und: „Gut! Heinrich, sehr gut.“; so als hätten sie viele Namen oder keinen und längst vergessen, wie sie wirklich hießen.
Ab und zu reckten sie die knochigen Köpfe empor und lugten verstohlen die verrauchte Gasse hinauf und hinab; aus den Fenstern und Türen der kahl da stehenden Giebelhäuser schoss kochender Dampf, wie in der Küche eines allmächtigen Fürsten.

Als läge den Dingen, den Bäumen und Steinen ein schreckliches, düsteres Geheimnis inne, das nur die Sonne mit ihren göttlichen Strahlen zu besänftigen und zu verbergen vermochte, erhoben sich nun, im Dahinschwinden von Licht und Himmelsblau, die Kreaturen eben jenes düsteren Mysteriums. Als wären sie immer da und schliefen nur versteckt, feige und den Schatten und das Dunkel suchend.
Mit der Wärme der Sonne schwand auch das beschwörende Licht über den Dingen. Als würde aller Materie die Farbe, der Glanz, ja das Leben selbst entzogen, wich alles Schöne von Augenblick zu Augenblick wie eine Flüssigkeit heraus und schwand und schwand…

… ein Mädchen war durch ein Feuer, das rasend schnell gekommen und wieder verschwunden war, mit beiden Händen an einen hölzernen Stützbalken geschweißt worden. Von ihren Schultern säuselte ein Schnee von weißer Asche, während sich das schwarze Kleid tief in die Haut eingebrannt hatte.
Da stand sie, wie eine Puppe, mit der blutigen Stirn gegen das Holz gelehnt, als spüre sie keinen Schmerz - nicht die Haut, die einem brüchigen, schwarzen Lavaplateau glich, in dem man durch zierliche Spalten und Risse das Blut des noch nicht erloschenen Vulkans sprudeln sah.
Ihre Hände waren ganz still und die schwarzen Blasen auf den Handrücken waren so groß wie kleine Äpfel.
Alles Haar war ihr von einem kochenden Dampfstoß davon geweht worden und dabei summte das Mädchen und träumte, phantasierte sich ganz in ihr Innerstes hinein und ließ, nicht mit den Händen, schon von dem kurzen Leben los.
Und trotzdem sprach etwas zu ihr, etwas das ganz fern war und nicht von ewigem Schlaf und süßer Stille säuselte, als gäbe es da noch etwas Schlimmeres, etwas Schreckenerregendes, vor dem sie sich in Acht nehmen müsse, weil Tod und Teufel noch nicht genug an ihr vollbracht hatten.
Ein Schlingern und Schlurfen und freundlich-gieriges Geflüster rissen sie aus ihrem Todesschlaf.
„Schau! Heinz, schau, ein schönes Mädchen!“
Wie ein Echo drang eine zweite, ebenso liebevolle Stimme in ihr Ohr: „Ein schönes Mädchen, Karl.“
Durch den Nebel ihrer denaturierten Augen schlingerten ihr zwei graue Gestalten entgegen.
„Schau nur, sie läuft nicht weg.“
„Sie bleibt da, sie bleibt da!“
„Warum läuft sie nicht weg, Joseph?“
„Warum läuft sie nicht weg, Heinrich?“
Ein kehliger, angsterfüllter Laut entfuhr dem Mädchen aus den verbrannten Lungen. Sie begann an ihren Händen zu reißen. Sie waren so fest mit dem schwarzen Holz verklebt.
Ihr war, als würde sie ersticken. Sie rang nach Luft, die keinen frischen Atem mehr geben wollte.
„Was tut sie?“
„WAS TUT SIE DA?“
Das Mädchen kam mit einem Mal und mit einem unheimlich schrecklichen Geräusch von dem Holzbalken los.
„SIE SOLL DAS NICHT TUN!“, kreischte eine Stimme und das ungleiche KLACK-KLOCK unterschiedlicher Schuhwerke kam auf sie zu.
Eine dürre, kalte Hand streifte sie an der Schulter, während sie wie im Traum davon stürzte, so als fiele sie über ihre eigenen, steifen Beine, die nach links und rechts einknickten.
Ihre Zunge gurgelte wie ein betrunkener Tänzer in ihrem Mund und sie schrie, schrie, schrie …

… an einer schwarzen Kutsche waren vier schmutzige Rösser, festgezurrt und die Mäuler an dem eisernen Geschirr geifernd, in sengender Hitze eingegangen. Eines war wie im Sprung erstarrt. Zwei Tiere hatten sich losgerissen und im Todeskampf bis auf die Gasse hinausgeschleppt, wo sie nun für immer friedlich ruhten. Die Tiere sahen aus, als wären sie durch das Feuer miteinander verwachsen, als hätten sich ihre Bäuche aufgetan und selbst die Eingeweide so ineinander verschlungen, dass Blut und alle Magen- und Körpersäfte wie in einem einzigen Kreislauf zirkulierten. Selbst die langen Hälse waren ihnen bis hinauf zu den Schädeln zusammengebacken, so dass die Köpfe wie auf zusammengebundenen Stangen steckten.
„Albrecht? Hast du sie gesehen,
Albrecht?“
Das KLACK-KLOCK der Schuhe und das Schleifen des schweren Säbels auf dem Pflasterstein hielten inne.
Wie ein schwarzer Engel, nur der Flügel beraubt, hockte das vom Feuer verstümmelte Mädchen hinter einem Mauervorsprung. Wohin sollte sie jetzt und hier noch fliehen?
`Sende mir einen Engel´, dachte sie und streckte die zerbrochenen Hände erwartungsvoll nach ihm aus. Und tatsächlich stand da keine zwei Meter von ihr entfernt eine gekrümmte Bronzestatue in einer Wandnische. Der Engel mit den Zügen eines Kindes, war von der Hitze des Feuers traurig vorn über gesunken und die zum Gebet gefalteten Hände waren zu einem einzigen Metallklumpen verschmolzen. Auf den Wangen klebten noch die langsam erkaltenden Bronzefädchen, die ihm wie Tränen zu den schiefen Mundwinkeln getropft waren. Seine Flügel lagen in Trümmern.

„Komm mit mir“, flüsterte ihr der Engel zu und etwas oder jemand erhob sich aus der Schattenwelt ihrer Milchglasigen Augen.
Dieses Etwas reichte ihr von Oben herab die Hand.
„Du bist so schön“, flüsterte er,
während ihm die Ratten aus den Ärmeln quollen.
„Wer bist du?“, fragte das Mädchen.
„Ein König“, antwortete er und nahm sie bei den verkohlten Händen und hob sie auf. Liebevoll legte er ihr die Hand in den Nacken; das kitzelte, als ein großes, weibliches Tier über seinen Unterarm auf ihre Schulter kroch.
 
Servus!

Nun gut...

Dein Stil ist, wie immer, ziemlich gelungen. Mir gefällt deine bunte, bildhafte Sprache.

Nur mit dem Ende dieser Geschichte, hab ich so mein Problem - ich hab da das Verlangen, noch mehr zu erfahren!

Wurde dieses Feuer eigentlich von einer Atombombe verursacht, spielt die Geschichte in einer nahen Zukunft?

Wie gesagt, deine Sprache ist sehr schön, atmosphärisch! Und aus diesem Thema ließe sich bestimmt sogar ein Roman machen. Ist das dein Plan?

Nunja, ist wahrscheinlich der Plan von den meisten hier! Denke ich...

Sprachlich hättest du bestimmt das Zeug dazu! Und diese Geschichte ist gut! Nur: Man kann halt wie meistens noch mehr herausholen.

Aber wenn es sich dabei, wie du sagst um ein altes Textfragment handelt, würde mich interessieren, wie alt es denn eigentlich ist? Und wieviel du noch verändert hast, vor der Veröffentlichung...

Jedenfalls, muss ich sagen: Diese Rattenköniggeschichte hat was - du musst es uns nur noch zeigen ;)

Mfg

Markus
 
Hi!

Und was ich nicht verstehe ist, dass wenn ich jemanden bewerte, dass die angezeigte Bewertung immer schlechter ist als die ursprünglich von mir vergebene!

Warum ist das so?

Ich habe dir 6,5 gegeben und anzeigen tuts - naja...

Grüße
 
Hi Markus,
also erstmal, auch hier danke für das Lob der Sprache. Ich denke, vor sechs Jahren war schon ganz gut erkennbar, wohin ich mich im Stil entwickeln würde, aber ich hatte eben schon immer Probleme bei der Handlung und mit den Ausschmückungen, aber auch das wird sich mit der Zeit ändern.

Was deine Bewertungen angeht, stell dir vor, das Bewertungs-system glaubt, dass du prinzipiell subjektiv bewertest. Also wenn du alle texte schlecht bewertest, nimmt es an, du bist ein Miesepeter und erhöht deine Punktzahl. Wenn du aber immer sehr gut bewertest, denkt es, du bist ein Schleimer und senkt deine Bewertungszahl. Natürlich weiß das System nicht, dass man nicht alle Texte bewertet. Ich z.B. bewerte nur Texte, die mir ansatzweise gefallen und solche, die so schlecht sind, dass Position bezogen werden muss, aber das kommt so gut wie nie vor.
Du siehst, auch das Bewertungs-system ist subjektiv, da es annimmt, ich würde alle Texte bewerten.

Um den von dir gewünschten Quotienten zu erreichen, wäre es jedenfalls notwendig alle, ich meine wirklich alle schlechten Texte zu lesen und alle mit schlechten Noten zu bewerten, dann wären die wenigen guten Bewertungen, die du abgibst auch von der Qualität, wie du sie dir vielleicht wünschst.

Für mich jedenfalls ist das nichts. Ich muss nicht einem Freizeitautor, der hier nur mal so seinen Text einstellt und vielleicht auf ein paar Leser hofft, den Arsch mit schlechten Bewertungen vollblasen, bloß damit meine Bewertung gut aussieht. Ich werde weiterhin so bewerten, wie ich es immer gehalten habe - gute Texte werden bewertet und schlechte ignoriert - weil ich sie eh meistens nicht zu ende lese.

So, jetzt kannst du dich fragen, wie du es selbst händeln willst. Meine Meinung ist, der Autor weiß, dass ich ihm eine neun gegeben habe. Das reicht eigentlich. Wenn bei meiner Bewertung unterm Strich nur eine 7,5 rauskommt, dann ist das eben so. Sind doch eh alles nur Zahlen. Und Zahlen sind bekanntlich relative Entitäten.

Und damit Gott zum Gruß,
Marcus
 
Servus!

Aha!!!

Wenigstens kenn ich mich jetzt mit dem Bewerten aus!

Das System denkt also ich bin ein Schleimer!

Macht nichts...

Ich und jene die ich lese und bewerte, wissen ja, dass dies nicht so ist.

Noch mal zu deinem Text: Sechs Jahre ist der also alt - noch von deinen Anfängen, oder!

Weil du sagst, mit den Ausschmückungen tust du dir schwer.

Ich finde einige deiner Ideen schon ziemlich gut und denke, wenn du diesen Rattenkönigpfad weiter verfolgst, könnte noch was drauß werden. Verglichen mit dem meisten Zeugs hier ist es vom Grundgedanken her schon in Ordnung. Auch, und das muss ich auch noch einmal erwähnen, ist dein Schreibstil sehr gut.

Aber du bist ohnehin schon dabei was damit anzufangen, oder?


Postapokalyptische Grüße

Markus
 
Okay!!!

Ich glaube mein Geschwafel, was diesen Text anbelangt, erübrigt sich wohl, habe gerade einen Blick auf dein Profil geworfen.

Trotzdem und gerade deswegen!

Alles Gute weiterhin


MFG

Markus
 



 
Oben Unten