Real Life

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para_dalis

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Die Inkassoziege

Was hat man sich darunter vorzustellen? Ein akkurat im schwarzen Anzug gekleidetes ältliches verknöchertes Fräulein? Genau so fühle ich mich, sobald ich mit meiner Mappe bewaffnet in meinen Kleinwagen steige.
Es ist fünf Uhr morgens, normalerweise könnte ich mich auf die andere Seite drehen und weiter schlafen. Meine Träume zu Ende träumen. Schließlich laufen mir die Schuldner nicht weg. Es ist kaum sicher, dass sie ihre Zahlungsvereinbarungen einhalten. Monatsanfang war vor sieben Tagen und die Schuldner haben das erhaltene Geld erfahrungsgemäß restlos ausgegeben.
Eine feuchte, nasse Hundenase erinnert mich daran, dass die täglichen zehn Kilometer gelaufen werden müssen. Wie bin ich eigentlich auf die Idee gekommen mir diesen Riesenhund anzuschaffen? Aber gut, schließlich sollte man ja stets an seine Gesundheit denken. Besonders wenn mein Hund und ich die Abgase der LKWs röchelnd inhalieren. Der Hund niest, mir tränen die Augen.
Egal.
Nach mehreren Kilometern ist der Hund kaputt und weigert sich mich den Berg hinauszuziehen. Somit habe auch ich Schwierigkeiten das gewählte Tempo beizubehalten und da wir beide eindeutig nicht mehr die Jüngsten sind, gestatte ich uns also an der Anhöhe eine Pause. Die restlichen zu bewältigenden Kilometer ziehen sich endlos und als wir endlich zuhause ankommen verschwindet der Hund in seine Kiste und schläft weiter. Ich jedoch kämpfe mit meinem inneren Schweinehund. Soll ich in Ruhe frühstücken oder noch 40 min Körperertüchtigung ranhängen? Wird Cellulite meine makellose Haut bedecken, wenn ich diese Quälerei heute ausfallen lasse? Meine Eitelkeit siegt.Dennoch frage ich mich beim Foltern und Verrenken meiner Gliedmaßen, wozu dies alles, denn sobald ich mein Kostüm anhabe und die langen, rotschimmernden Haare zur Omafriseur getarnt sind, sieht man eh nicht meine Figur, wirke ich ziemlich geschlechtslos. Wahrscheinlich dient es zur inneren Befriedigung, anders kann ich es mir nicht erklären. Zumindest in meiner Fantasie könnte ich ja in eine Situation gelangen, in der ich mein Kostüm ablegen muss, meine Halterlosen und viel Fleisch zum Vorschein kommen und ein Mann mit rauen, zärtlichen Händen behutsam über meine Beine aufwärts streicht...
Schluß mit Träumen, die 40 min sind vorbei, der Kaffee ist fertig, schnell noch duschen.
Zum Frühstück nehme ich natürlich wieder zwei Körnerschnitten, was auch sonst, der Kühlschrank ist leer und der Arbeits-Kleiderschrank voll.
Schwarze Kostüme.
Graue Kostüme.
Silberblaue Kostüme.
Blusen und Shirts in allen Farben und Formen.
Wie ist meine Stimmung am heutigen Tage, frage ich mich. Vielleicht sollte ich meinen Schuldnern eine Freude bereiten und Farbe ins Leben bringen? Wie wäre es mit Violett oder Rosa? Nein.Wie immer greife ich zu klarem, kalten Weiß und strengen Schwarz. Nur die halterlosen Strümpfe in meinen Pumps geben mir ein wenig heimliche Lust...
In Gedanken jedoch ziemlich nüchtern bin bereits wieder bei den bedauernswerten Individuen, die am Existenzminimum leben- und dennoch dem Größenwahn verfallen sind, den schuldhaften und nichtschuldhaften Alkoholikern, der kaufsüchtigen Hanni, die ständig Markenklamotten für ihre Tochter Clarissa anbringt, da sie das Einzigste ist, was ihr nach der Scheidung blieb.
Ich mache mich auf den Weg zur ewig schwangeren Amelie, den Frauen schlagenden Männern und der Männer schlagenden Frauen.Der Weg führt mich bei C. vorbei und ich beschließe kurzerhand einen Besuch abzustatten. Die Gärtnerei an der Mauer hat bereits geöffnet und mit den üblichen drei gelben Rosen laufe ich zu ihm.
Doch ich bleibe nicht lange, nur soviel ich ertrage. Die Pumps voller Schlamm, die Augen voll Tränen gehe ich wieder zum Auto. Und ich versteh es auch nach diesen zehn Jahren nicht, wieso mein damaliger Freund 23 -jährig auf dem Weg zu mir tödlich verunglücken konnte.
Doch der Tag geht weiter. Hanni und Amelie und alle Anderen warten auf die Inkassoziege, die knallhart das Beste den Schuldnern nimmt, was diese haben, nämlich ihr Geld.
Die keine Ausreden gelten lässt und von der die Schuldner nicht ahnen, dass auch sie froh ist, wenn sie abends ihre Pumps von den geschwollenen Füßen streift und die Gedanken des Tages aus ihrem Kopf verschwinden.
(c)Heike Hultsch 2001
 

itsme

Mitglied
......

Der Leser findet sich zurecht in deinen Verrichtungen und Gedanken an diesem Morgen; ein Morgen, der exemplarisch zu sein scheint. Ich mag deinen Schreibstil, nur ... ich hatte eine Kurzgeschichte erwartet und fand einen Tagebuch Eintrag (!?).

Grüßlinge
itsme
 

para_dalis

Mitglied
Lieber Manfred, danke! ;o)
Wir haben wahrscheinlich unterschiedliche Auffassungen zum Thema Tagebuch.
Tagebucheinträge findet man auf meiner Homepage unter "Pulsschläge". Und da geht es gedanklich so manches Mal restlos durcheinander. Unsortiert, einfach von einem Gedankensprung zum anderen hüpfend...
ja, fast nie ausformuliert und meist für den Leser unverständlich.
Gruß
Heike.
;o)
 



 
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