Rotrock

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Nina K

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Rotrock



Im Nachhinein denke ich oft, es hätte auch ein ganz normaler Abend werden können. Ich versuche, den Moment zu ergründen, ab dem die Dinge nicht mehr den gewohnten Bahnen folgten, oder wenigstens aber den Zeitpunkt, ab dem es endgültig außer Kontrolle geriet. Ein unmögliches Unterfangen will mir scheinen.

Als wir rannten und meine Brust vor Erschöpfung schon schmerzte, versuchte ich noch, Dir zu folgen. Verloren habe ich Dich dennoch plötzlich im Nebel des anbrechenden Tages. Gefunden hattest Du mich zuvor bei Anbruch der Abenddämmerung.

Rotrock nanntest Du sie neckend und hast ihr ein Efeublatt in die Haare gesteckt. Das Erröten ihrer Wangen hat mich verzaubert.

Du wirst es nicht verstehen, aber alleingelassen versagten mir die Beine, knickten weg und ich stürzte auf weichen Waldboden. Mit dem Duft des welk-modrigen Laubes erwachten die Bilder des Abends. Ich habe lange dort gelegen. Dann ging ich langsam zurück, den ganzen langen Weg, den wir gerannt waren.

Um den Hals trug sie ein schmales schwarzes Samtband zur weißen Bluse. Liebesband nanntest Du es und sie errötete wieder.

Unterwegs fand ich die Stelle, an der Du gestürzt bist. Es war übrigens nur ein Ast, der Dich zu Fall brachte. Wie anders bei Tageslicht die Welt doch scheint. Vielleicht ging ich darum zurück, von der Hoffnung getrieben, es sei nicht geschehen?

In der Geisterbahn hast Du ihr einen sanften Kuss auf die Stirn gegeben. Du sagtest, es sei ein väterlicher und sie lächelte.

Es war schon Mittag, als ich an der verfallenen Mühle ankam. Hitze staute sich zwischenzeitlich unerträglich am Boden, gleißendes Sonnenlicht zeichnete die Mauerrisse nach. Ein paar Strahlen krochen durch den türlosen Einlass, als wollten sie den grün schillernden Fliegen den Weg weisen.

Zärtlich legtest Du ihr Deine Jacke um, als sie auf dem Waldweg fror und versprachst, für sie Feuer zu machen. Ihr Blick hing an Deinen Lippen und sie griff Deinen Arm.

Ich habe mich noch ein wenig im Schatten der Bäume gehalten, das Eintreten hinauszögernd. Du hättest hier stehen sollen, nicht ich. Und doch stand ich dort allein.

Du hast sie sanft unter das schützende Dach gezogen, als der Regen einsetzte, obwohl sie sich nun plötzlich wehrte. Schnell glitt Deine Hand um ihren Körper und zog sie an Dich; stumm folgten meine Augen. Dein Kuss traf ihren Nacken und sie schrie.

In der Tür stehend, roch ich sie wieder. Im Dämmerlicht der Mühle lag sie vor mir, Blut im zerzausten Haar. Ich habe versucht, ihre Haare zu ordnen, als mich blicklos ihre Augen trafen. Dich meinte sie, nicht mich, der fürsorglich ihren Kopf in seinen Schoß bettete. Wir beide wissen das. Tröstend habe ich ihr leise erzählt, dass die rote Bluse so viel besser zu dem roten Rock passt als die weiße und ihr Gesicht gestreichelt.

Sie kamen am frühen Abend, trugen sie fort und nahmen mich mit. Wenn Du noch da gewesen wärst, hättest Du mir und ihnen erklären können, was Dich trieb, ihren Hals zu durchstechen.

Ich schaue auf meine Hände: Es hätte ein ganz normaler Abend werden können, nun nennt man mich Mörder.
 

Rainer

Mitglied
hallo nina k,

auch auf die gefahr hin mich als dümmling zu outen...
ich kapiere den text einfach nicht.
weil ich nicht dahinterkomme, wer die dritte person ist; ist es überhaupt eine person?
schizo habe ich eine weile gedacht, aber das funzt nicht richtig...
... bitte erkläre es mir (und vielleicht auch den anderen lesern, die, was ich gern glaube, schlauer als ich sind, oder nicht fragen wollen/können/dürfen)

viele grüße

rainer

achja, der text, die worte und bilder gefallen mir; deswegen frage ich nach dem sinn, nicht weil ich die geschichte blöd finde.
 

Nina K

Mitglied
Hallo Rainer,

es ist schon etwas schwierig mit dieser Geschichte, das gebe ich zu...

Schizo trifft es ein wenig, wenn vielleicht auch nicht ganz. Dieser Mörder versucht sich zurück zu erinnern, kann sich jedoch mit seiner Tat ganz und gar nicht identifizieren. Der Abend erscheint ihm, als habe ein Dritter gehandelt und nicht er selbst. Er geht ihn im Versuch, das Geschehene zu verstehen oder nachzuvollziehen also durch, spricht dabei von seiner mordlustigen Person als "ihm".

"Als wir rannten", so scheint es ihm, war der eigentliche Mörder, also sein eigener böser Wille/Geist, noch bei ihm. Er wusste noch, was und warum es geschah. Dann aber verliess ihn seine Mordlust wie ein Rausch und ab dem Moment steht er fassungslos und verständnislos sich selbst gegenüber. So dachte ich es mir. Er fühlt sich verlassen, wie von einem bösen Geist. Daher resultiert auch sein Unrechtsbewustsein. Er selbst fühlt sich dieser Tat weder fähig noch schuldig. Das, was über ihn kam, ist vorbei und fort...

Also sei mir nicht gram, dass ich ein wenig Verwirrspiel getrieben habe. Es war lediglich ein Versuch meinerseits. ;)

Lieben Gruß
Nina
 

Zarathustra

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Servus Nina K.

mir hat deine Geschichte gut gefallen. Obwohl der Scenenschnitt schon anstrengend ist.

Aber so ist es dir gelungen die Distanz die der Mörder zur Tat hat aufzudecken.

Ich habe mich in dieser Geschichte erkannt. Als Täter! Wie oft schiebt man die Tat, das was man gemacht hat von sich weg, relativiert alles.

Eine schöne Seelen(Lese)-Lupe hast du da geschrieben.

l.G. Hans
 

Rainer

Mitglied
hallo nina k (und natürlich auch zarathustra),

dass es um ein derartiges betrachten von aussen geht habe ich nicht erkannt; aber das liegt eher an mir als am text :).

die quintessenz von zarathustra gefällt mir ausgezeichnet; genau, es war immer jemand anderes, ich habe keine schuld.

danke + viele grüße

rainer
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
nun,

vielleicht könntest du das verwirrspiel auflösen, indem du namen verwendest. da der täter und der "unschuldige" dieselbe person sind, könnten sie so leichter identifiziert werden.
ich hatte große schwierigkeiten mit dem text, bevor ich diese diskussion las.
lg
 

Nina K

Mitglied
Hallo flammarion,

nein, Namen würden der Geschichte nicht gut tun (ich verwende fast nie welche...) - eher müsste ich an meinem Stil arbeiten. :)
Trotzdem Danke für den Vorschlag und lieben Gruß
Nina
 



 
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