Ruhe im Wasserglas

1
Eine Frau saß in der Straßenbahn, blondes langes Haar in den Fingern und eine Schere, die die kleinen brüchigen Spitzen einzeln zu erfassen versuchte; die Finger machten es der Schere schwer, denn sie zitterten. Dabei strahlte sie eine solche Ruhe und Nüchternheit aus, als stünden nur die Hände unter einer unsichtbaren Droge, oder als führte sie eine andere ungeschickte Macht. Immer wieder griffen die zitternden Hände nach ein oder zwei Haaren, die dann von der Schere in eine andere Form gebracht wurden, eigenartig willkürlich ohne erkennbares Muster. Die Augen waren klar, der Blick fest und der Körper nüchtern. Nichts ließ erkennen, weshalb die Frau ? sie hieß Martine ? sich selbst so traktierte; ein Lustspiel ohne Vergnügen!
Bevor Martine ausstieg, führten die zitternden Hände die Schere in einen Schutzumschlag. Er wirkte abgegriffen, nicht jüngst gekauft, sondern älter. Man hätte dieses Lustspiel besser verstanden, wenn es sich um eine neue gerade erst gekaufte Schere gehandelt hätte, denn dann befällt auch den noch so Erwachsenen eine Spielerlaune oder eine Probierlust, dieser kindliche Eifer des Neuen und Unbekannten! Das Lustspiel mit der Schere gehörte auf eine fremde Weise zu dieser Frau, deren Hände beständig weiterzitterten. Sie stieg in der Wohngegend aus, die für die Gutverdienenden vorbehalten ist; es gab einen Park, die lauten Hauptstraßen führten woanders lang und die Häuser waren von hoher Wohnqualität, sie hatten schöne Erker eingefasst! Jeder wollte lieber hier wohnen als dort, wo die Penner unter den Brückenpfeilern und in den Häusereingängen lagen. Es lag wie jedes bessere Wohnviertel ausserhalb der Stadt, aber eben noch so zentral, dass man schnell zu Fuss im Zentrum sein konnte. Die Spielplätze wurden besonders sorgfältig gepflegt, und im Stadtpark gab es sogar den berühmten Wasserspielplatz; drei kleine Becken füllten sich im Sommer mit Wasser, worüber Holzhängebrücken gespannt waren, die Becken waren mit einer bachähnlichen Rinne verbunden und dort lagen Steine drin. Ringsherum um den Platz gab es schattige und sonnige Wiesenplätze mit Bänken für die Eltern. Ein Tierpark lag ebenfalls in der Nähe, die Tiergeräusche belästigten jedoch nicht mehr die Anwohner.
2
In der Bahn saß eine weitere Frau, zierlich, unscheinbar und klein mit einem kleinen Gefährt und einem Rucksack; sie stieg noch nicht aus, diesmal nicht. Der Trolley war vollgepackt; der Inhalt blieb unsichtbar, oben luckten ein paar Zettel hervor, und ein Buch. Der Rucksack sah aus, als wollte er bersten, aber er ertrug seinen Inhalt. Die Frau nahm ihre Umgebung nicht war, ihre Augen waren in das Buch in ihrer Hand geheftet. Ein Roman. Unbedeutend sein Inhalt, er diente der Unterhaltung. Ihr Weg war nicht lang, sie hätte ihn zu Fuß geschafft, aber das Gepäck bewältigte sie kaum noch. Dieses viele Schleppen machte ihr den Rücken schon seit Jahren krum, aber sie brauchte diese Sachen, alle. Jedes Ding hatte seinen Wert, selbst wenn der Raum in der Wohnung fehlte, jedes Ding zu gebrauchen. Andere Wohnungen waren unter der Last der Dinge schon mal zusammengebrochen, hat man gehört; aber es sammelt sich eben an. So viel, dass es die Struktur des Hauses gefährden könnte, hatte sie nicht in ihrer Wohnung zusammen getragen, und so lange sie noch Trampelpfade aufrecht erhalten konnte, war es nicht ganz so schlimm, wie bei den wirklich krankhaften Messies. Sie brauchte die Dinge, nur die Wohnung war zu klein; eines Tages würde sie ein so grosses Haus haben, dass sie alles nutzen konnte. Alle ihre Schätze konnte sie dann verwenden. Wenn sie ein so grosses Haus hätte, dann wüsste sie vielleicht auch, was sie alles wirklich bräuchte, aber wie sollte sie das jetzt wissen, da sie es noch nicht ausprobieren konnte? Woher sollte sie wissen, ob sie das siebte oder war es das achte Salatbesteck nicht doch bräuchte? Nun, sie konnte zwar niemanden bewirten, denn zum Kochen fehlte einfach der Platz in der Küche, dennoch beherbergten die Schränke für ca. 20 Personen Essgeschirr und Besteck. So nutze sie die Mengen eben, indem sie einen Teller gebrauchte und stehen ließ, weil sie auch kein Platz zum Spülen hatte. Sie sammelte die Teller und Tassen und manchmal auch den Hausmüll, weil die Wege verstellt waren; eines fand zum anderen. In den Regalen lagen hin und wieder auch mal leere Fünfminutenterinenschalen, manchmal auch eine vergessene Bananenschale, die ungelegen gegessen worden war. Es fehlte an Licht in ihrer Wohnung, es war so dunkel. Da standen die Regale vor den Fenstern, mit Türmen aus Kartons und Kisten davor, mit sauberer und dreckiger Wäsche dazwischen. Stossweise lag hier und da Altpapier, die Zeitungen mussten noch gelesen und noch gesichtet werden, auf jeden Fall gehörten sie aufgehoben. Vollgestopft war die Wohnung, sie barg viele Schätze, Sammlerstücke, Dinge von Seltenheitswert, nur keinen Platz zum Leben, zum Atmen.
Klara hatte schon lange verstanden, daß die Wohnung ihr den Atem nahm, sie schrieb darüber Gedichte und Geschichten von Seltenheitswert, doch konnte sie nicht aufhören, zerbrochene CD´s aus dem Müll zu ziehen, bewundernd im Dämmerlicht der Laterne zu wenden und zu drehen und dann in ihre Wohnung zu tragen. Die Geschichten beschrieben den Sumpf der Trägheit, den Kampf um die Luft auf den Trampelpfaden; sie beschrieben die Angst vor dem abgedrehten Strom und sie erzählten von der Flucht vor der Behausung, die keine Zuflucht mehr war. Wie ein Wanderer ohne Ziel lebte sie mal ein paar Tage hier, mal ein paar Tage bei einem anderen Freund, mal suchte sie die Mauern eines öffentlichen Gebäudes, dann wieder eine Brücke im Freien und nannte es Freiheit. Die Weite des Himmels und die Klarheit der Sterne konnte sie genießen wie der König der Fischer. Ihre Geschichten erzählten von der Gefahr, als Penner zu leben.
Und sie wollte immer für die Gesellschaft nützlich sein.
3
Martine ging jedes mal durch den Park, nicht nur, weil er eine Abkürzung war, sondern weil er sie erinnerte. An ihre Geschichte, an ihre Kindheit in diesem Viertel und in diesem Park, bevor die Holzhängebrücke über die Becken führte, die ehemals auch nicht da waren, sondern nur Bäume und Büsche. Zu ihrer Zeit gab es noch keine Parkanlage und keinen Parkwege, die von Parkwärtern sauber gehalten wurden, es hatte nur Bäume und Büsche gegeben und den Tierpark. Der Park bildete immer die letzte Hürde vor der Verstellung eines offenen Gesprächs, vor der Realität des Austausches von Neuigkeiten die Nichtigkeiten gleichen, weil der Mut zur Wahrheit fehlt, die letzte Hürde vor dem Tabu aller Tabus.
Ihre Eltern wohnten direkt hinter diesem Park, der auch erst seit einigen Jahren Stadtpark genannt wurde. Ihre Eltern arbeiteten beide, seit Jahren, auch in ihrer Kindheit. Nach Aussagen vieler Menschen konnte sie auf ihre Eltern und deren Taten nur Stolz sein. Ihre Mutter hatte während ihrer Kindheit eine Ausbildung begonnen und sich nicht nur tapfer geschlagen, sie hat in ihrem Arbeitsfeld Ruhm errungen. ?Und das bei so einem Kind!? pflegten die Leute zu sagen, wenn die Mutter ihre Geschichte erzählte. Ihr Vater war ein ausgebildeter Akademiker, aber er rühmte sich damit, daß er seine Frau in allem unterstützt hatte und das er bedeutsame Menschen kennengelernt hatte. Wissenschaftlich schwieg er schon lange; alle warteten auf seine nächste bahnbrechende Abhandlung. Martine konnte doch wirklich stolz sein auf eine solche Fassade. Ihre Hände zitterten schon lange. Angefangen hatte es, als sie sich zu beherrschen lernte, das Zittern war sozusagen die Ruine ihrer Vulkanausbrüche. Die Verhaltenstherapie hatte ihr bis zu diesem Zittern hin geholfen. Das Zittern war für sie zu einem Mahnmal geworden, es erinnerte sie daran, daß sie noch ein Gespräch führen mußte, aber sie hielt es gern für einen irreparablen kleinen Tick!
Jeden Monat gab es diese Besuche und sie wünschte sich, es gäbe Geschwister, die diesen monatlichen Pflichtbesuch übernehmen könnten. Es gab so ziemlich jedesmal die gleichen Fragen: Wann sie denn ihren Freund mal mitbringen wolle; ob sie beruflich mit sich immer noch nicht im klaren sei; ob sie auch daran dächte, daß sie älter werde und daß sie nicht ewig warten könne, als Frau. Eigentlich wußten ihre Eltern, daß sie niemals nur ein Kind zu Welt bringen wollte, daß sie ihren beruflichen Weg schon lange eingeschlagen hatte, der Erfolg jedoch ausblieb; und sie wußten vor allem, daß sie diese Fragen haßte. Mit der Zeit waren die Fragen auch indirekter und suggestiver geworden; die Vorwürfe waren indirekter und überhaupt paßte sich alles mehr und mehr der Struktur des Tabus an! Martine fragte manchmal mutig, ob sie denn nun nicht oft genug zu ihr komme, um einen dieser zahlreichen indirekten Appelle der Mutter aufzudecken. ?Ich habe das nicht gesagt, daß hast du jetzt nur so verstanden.?, kam es zur Antwort. Indirekte Forderungen, Anschuldigungen und Vorwürfe kann man nicht zerschlagen, die offensichtliche Absicht der Äußerung wird verleugnet und Kommunikation versagt und entsagt sich; das Schweigen bleibt wie eine beredete Silhouette zurück.
4
Klara versuchte eine Beziehung zu einem Mann in einer anderen Wohnung; in ihrer war nicht für eine Person ausreichend Platz vorhanden. Die andere Wohnung war der Raum, in dem sie atmen konnte, und sie beneidete ihren Freund, weil er es so leicht hatte. Er mußte nicht über Kartons hinweg steigen, um seine Wäsche auf einem Bein stehend in der Badewanne notdürftig auszuwaschen, weil der Weg zur Waschmaschine verbaut war. Sie war froh, daß sie keine Wäsche in der Maschine vergessen hatte; zumindest roch nichts danach. Er wusch ihr anfangs aus Liebe eine Maschine Wäsche mit, vor allem dann, wenn ein besonderer Anlaß saubere Wäsche verlangte. In ihrer Wohnung hielt er es nicht aus, er konnte sich nicht orientieren. Kein Ruhepunkt fand sein Auge und ständig mußte er nach Licht suchen. Er hatte sie sehen wollen; sie wollte das nicht, niemand sollte sie sehen. Sie wollte nicht, daß er sie besuchte, aber er verlangte es sehr. Er wollte sie verstehen, besser kennen lernen und verstehen: ?Ich will die Wohnung sehen, ganz gleich, wie schlimm, aber ich will sie sehen, damit ich dich sehen kann!? Er konnte nicht glauben, was sie von ihrer Wohnung behauptete; er hielt es nur für eine Ausrede, dazu einer sehr phantastischen. Als er gesehen hatte, wie die Frau sich ihren Lebensraum nahm, sah er, daß sie ernstlich krank war, hilfsbedürftig. Und so kam es, daß er jemand fand, der seiner Hilfe so offensichtlich bedurfte, wie kaum ein anderer Mensch. Sie fühlte sich ernst genommen, und er schritt zur Tat. Anfangs versuchte er nur auf sie redend einzuwirken, dann nahm er die blauen Säcke und versuchte eine Schneise in den Müllurwald zu schlagen, aber sie wucherte schneller zu, als er sie schlagen konnte. Er bestellte Container und arbeitete die Nacht durch, damit endlich ein kleiner Erfolg sichtbar wurde. Zusammengekauert und weinend saß sie in einer frei gewordenen Ecke und sah, wie er ihr Herz blutend schlug, sie wimmerte und bat ihn flehend aufzuhören. Er verstand nicht.
Sie versprach ihm immer wieder, sie werde sich bessern, ganz bestimmt. Er wollte mit ihr zusammenleben. Doch wie zusammen leben, wenn sie dann nicht einmal in einer Wohnung leben könnten? Sie solle sich zusammenreißen und den Müll liegenlassen. Sie mußte mitnehmen, ihn, auf ihrer Sammelroute.
Er ging mit und kommentierte, er erklärte ihr, was sie tat, was das für die Beziehung bedeute und was es für die Wohnung bedeute. Sie war einem Nervenzusammenbruch nahe. Sie nahm dann selten etwas mit, ließ eigentlich alles liegen, und er war zufrieden. Und trotzdem wucherte der Müll wieder dort, wo er zuvor alles geräumt hatte. Wie sollte er dagegen ankämpfen?
Bekannte wurden belogen, man erfand Geschichten, was Klara auch gut konnte; ihr kam es wie ein Mißbrauch an ihren Figuren vor, doch wem sollte sie davon auch erzählen, wie es wirklich war.
Er setzte sie unter Druck, weil er mit ihr zusammensein wollte und dafür wäre es notwendig, daß sie von ihrem Trieb Abstand nähme. Sie verlor in Diskussionen an Boden. Er warf ihr vor, daß ihre Liebe nicht stark genug sei, wenn sie sich so schnell wieder von ihrer Sammelei mitreißen ließe. Sie müsse an ihre Liebe glauben. Und zuletzt stellte er sie vor die Wahl, entweder er oder der Müll. Und sie gab sich solche Mühe, sie versuchte es mit allem, was sie nur wußte.
Er wohnte im besseren Wohnviertel, in einer kleinen 2 ½ Zimmerwohnung mit Blick vom Südbalkon auf den Stadtpark, eine saubere Junggesellenwohnung.
5
Martine war eine Ende zwanzigjährige, der Verblühung nahenden Schönheit, die allerdings unterkühlt und hart wirkte. Hart ist sie vor langer Zeit geworden, der Charme ist ihr als Kind bereits abhanden gekommen. Manche Bilder erinnern noch daran, aber sie wirken grotesk und unnatürlich auf jene, die sie kennen. In der Pubertät lehnte auch sie sich gegen die andere Generation auf, sie kämpfte immer nur gegen die Mutter und wußte es doch nicht. Dann dachte sie, wie toll doch ihre Eltern sein und zu letzt konnte sie eine jede Brille für kurze Zeit abnehmen und sehen. Verblüffend für ihre Eltern war die Genesung ihrer Kurzsicht. Schön war sie, begehrenswert auch ohne Charme, und sie war öffentlich für alle, grenzenlos gemacht. Sie verdiente gut, besser als ihr akademischer Vater und ihre ausgebildete Mutter. Wissen hatte sie erlangen müssen, und somit war sie sogar ein gebildeter Pornostar. Ihr Wunsch war die Schauspielerei, ihr Handikap die eigene Härte. Daß sie in zehn Jahren ebenso verbraucht sein könnte auch ohne Drogen oder Alkohol, war ihr bewußt. Deswegen hatte sie ein hartes Schönheitsprogramm, welches sogar Kaiserin Sissi imponiert hätte. Die Schere gemahnte sie daran, daß sie es einhalten mußte, sonst würde sie sich ihre Haare abschneiden müssen, immer ein Stückchen, immer etwas mehr, bis zur Glatze nötigenfalls.
Manchmal war der Weg durch den Park kürzer, manchmal länger, sie wunderte sich ebenso sehr, wie Kafkas A, der nach B wollte. Er schien endlos. Und mühselig. Sie wußte, sie würde in die verrauchte Wohnung kommen, eine viel zu große und trotzdem verrauchte Wohnung; der Kaffee würde aufgesetzt, in einer Kaffeemaschine, die nur Wasser sah, um damit einen Kaffee aufzubrühen, aber niemals, um sie zu reinigen; es würde keinen Kuchen geben und man würde so einfach sitzen, Stunden um Stunden sitzen und über irgendwelche Dinge reden, die eigentlich nicht wirklich wichtig sind; man würde sich auf den neusten Stand bringen und auf dem laufenden halten. Irgendwann gegen sechs Uhr würde die Mutter dann aufstehen und ihre erste Flasche Bier öffnen, denn wer vor sechs abends trinkt ist ein Trinker, und die schlimmsten Trinker sind die, die bereits vormittags ein Glas Wein trinken. Sie hatte abends eben Lust auf eine Flasche Bier und auf einem Bein kann man nicht stehen und im Laufe eines gemütlichen Abends kommen eben ein paar Flaschen zusammen. Ihr Mann holte die Flaschen hoch; und er trug Mutter auch ins Bett, wenn sie nicht mehr laufen konnte. So zeigte die Mutter ihre Freude darüber, daß Martine sie besucht. Martine saß nach jedem Abendessen dann wehrlos den Geschützen ihrer Mutter ausgeliefert am Tisch; der Vater arbeitete noch. Die Mutter versetzte oft den ersten Schlag mit einer Kusine, ein harmloser Vergleich hätte man doch meinen können. Wie erfolgreich sie in ihrem Beruf ist und das sich alle in der Verwandtschaft freuen würden. Sie könne nie sagen, womit Martine ihr Geld verdiente. Oh, sie sei Stolz darauf, daß ihre Tochter eine solche Schönheit geworden sei und offensichtlich schöner als alle anderen in der Familie, aber sie könne eben nicht sagen. ?Es ist peinlich! Eine Bordsteinschwalbe mit solcher Bildung!? Sie sei kein, versetzte sie. ?Letztlich ist es dasselbe. Du weißt es auch! Und ich verstehe nicht, wieso du das tust. Wieso tust du das mir und deinem Vater an?? Eine Erwiderung mußte nun möglichst verzweifelt klingen, sonst wäre die Mutter nicht zufrieden. ?Aber was versprichst du dir denn davon, Martine? Du kannst das doch nicht ewig machen!? Wie sollte sie auch ihrer Mutter erklären, daß sie ihren Weg gehen müsse, und das eine Chance von ihren körperlichen Fähigkeiten abhing. ?Ach, Kind!?, damit war das Thema vorerst abgeschlossen, manchmal leitete die Mutter aber auch hiervon mühelos zur Frage nach einem Mann fürs Leben über, denn wie sollte sie den bei diesem Broterwerb finden; welcher Mann wollte sie noch, wenn er erfuhr, mit wievielen er sie möglicherweise teilen müßte. Martine erklärte, sie stünde nicht so sehr auf Männer, die seien ihr eigentlich gleichgültig, aber dies drang nicht in das Bewußtsein der Mutter. Als nächstes mit steigendem Pegel griff die Mutter auf die Geschichte der Familie zurück, daß tat immer weh und verfehlte nie die Wirkung, denn hier mußte Martine oft geschehen lassen und konnte nichts entgegensetzen. Es waren die Geschichten der Mutter, die für Martine alle anders aussahen, alle eine andere Wirkung und andere Spuren hinterlassen hatten als was die Mutter dachte und wofür sie sich auch nicht interessierte. Diese stumpfe Teilnahme an der Erzählung der Mutter, deren angebliche Ehrlichkeit nur verletzend wirkte, blieb unbeachtet. Die Geschichte des leiblichen Vaters, der im Suff gegen einen Baum geprallt und daran gestorben war; die Geschichte, daß ihr Bruder abgetrieben wurde, weil schon sie so ein anstrengendes Kind für die junge Mutter war; die Geschichte, daß sie nur übergangsweise drei Jahre bei der verhaßten Oma leben mußte und daß sie ja nicht ahnen konnte, daß sich der Opa auch an ihr vergeht; die Geschichte, daß man alles versuchte hätte, sie als Kind glücklich zu machen, aber daß ihre Traurigkeit unerreichbar für die Mutter war; die Geschichte, daß sie besser ein Junge geworden wäre, und das sie deswegen Martine hieß; die Geschichte, daß sie am besten auch schon das erste Kind abgetrieben hätten, nur leider viel zu naiv war; und die Geschichte, daß alles anders wurde, als sie ihren jetzigen Mann kennen und lieben lernte. Es gab auch Geschichten, die lustig waren, aber diese Geschichten hörte Martine immer wieder; stumpf saß sie da und konnte nicht handeln, sie versuchte die Mutter manchmal zu lenken, abzulenken, aber manchmal war das Bedürfnis ihrer Mutter, diese Geschichten zu erzählen, so stark, daß Martine hören mußte, was sie nicht hören wollte. Zu gehen, wäre ihr nicht in den Sinn gekommen.
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Klara übte an vielen Abenden in seiner Wohnung Haushaltsführung; denn wenn sie das nicht lernte, würden sie niemals zusammenziehen können. Das leuchtete Klara ein, und sie wollte es so gerne lernen, so gerne verstehen. Und er zeigte ihr, was alles dazu gehörte, vom Bügeln seiner Hemden und Unterwäsche bis hin zum richtigen Stapeln der Wäsche im Kleiderschrank, vom richtigen Spülen und Abtrocknen seines Geschirrs bis hin zum Wischen des Hausflures für alle, gratis. Und Klara war doch sehr dankbar, denn sie lernte, wie man seinen Haushalt organisierte, wie seine Sachen geordnet gehörten und welchen Sinn es machte, daß man Putzlappen in der Maschine wusch, sie bügelte und in seinem Schrank ordentlich gefaltet stapelte. Zwei mal in der Woche erhielt sie Haushaltsunterricht von ihm, mit der Zeit wurde die anfallende Arbeit größer und seine Anwesenheit zu den Stunden seltener, da er ihre Selbständigkeit testete. Dafür hatte Klara auch Verständnis. Oft gab es auch danach noch ein Essen, was er zubereitete ? er konnte verflixt gut kochen ?, und noch etwas seltener wurde sie auch mit Sex belohnt. Sie war dankbar und meinte, es gut getroffen zu haben, wo er doch so viel Geduld mit ihr bewies. Allerdings lehnte er eine Selbsthilfegruppe ab, er meine, daß solche Vereine keinen Sinn machten.
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Zu der Zeit, als Martine und Klara sich begegneten, war Klaras Psyche schon äußerst labil, wie ein Schattenriß im Wind fehlte nur noch eine kleine Verletzung, um ihren Willen gänzlich zu töten. Er wußte das. Es war nicht seine Absicht gewesen, er wollte ihr wirklich helfen, aber die Verflechtung der Bindung hatte diese machtvolle Wendung genommen und er fühlte sich verantwortlich für sie. Das machte ihn zum einen wütend, weil er sich dieser Verantwortung nicht zu entwinden wußte, und er fühlte sich zum anderen auch bedrängt; er suchte einen Ausweg. Er wollte ihr weiterhin helfen, so gut er konnte, aber dafür müßte sie ihm jede Freiheit einräumen, die er dafür bräuchte. Natürlich stünde er ihr immer bei, sie könne sich auf ihn verlassen. Aber er könne nicht anders. In jedem Mann stecke ein Wolf, ein Werwolf oder ein Steppenwolf; in jedem Falle stecke in jedem Mann ein Wolf. Tränen des Leid und des Verständnis rollten in Klaras Gesicht und nahmen ihr die Sicht, blind nickte sie; die Verletzung leckte das Kellerkind in ihr, aber die Wunde wollte nicht heilen. Er kenne keine andere Frau, aber vielleicht würde es passieren, es sei immer so gewesen, früher oder später. Aber deswegen müsse man doch die Bindung nicht aufgeben. Sie nickte blind. Vielleicht sei es nur der Reiz des Neuen, der ihn triebe; nichts schlimmes, nichts, was sie wirklich bedrohen könnte. Sie nickte blind. Erleichterung, weil dieses heikle Thema nun endgültig geklärt sei. Sie räumte die Teller ab, ihr Teller war noch fast voll, obwohl das Essen so gut war. Sie ließ Wasser zum Spülen eine, sehr heißes Wasser, damit sich das Fett besser löst, hatte er ihr beigebracht. Die Wohnungstür klappte auf und zu, er wolle noch kurz spazieren gehen, sie müsse aber nicht auf ihn warten. Zurück in ihre Wohnung, allein in dem Müll und mit der Angst, daß er jagen ginge. Sie spülte das Geschirr, sie trocknete es ab, alles langsam. Dann räumte sie es weg und blieb. Sie blieb im Dunkeln auf dem Zweisitzer sitzen, die Autolampen warfen bewegliche Bilder an die Wand, es erinnerte an die Bilder, die durch ein Feuer an der Höhlenwand verzerrt sichtbar wurden. Sie dachte nicht, nickte ab und zu blind und wartete.
Lachen im Flur. Ein Schlüssel im Schloß und dann brannte Licht in den Augen Klaras. ?Du bist hier geblieben? Oh mein Gott!? Tuscheln, die Tür schließt sich, Absätze im Flur. ?Alles wird gut; alles wird gut, ich verspreche es!?, er streichelte ihren Kopf und wiegte sie wie ein kleines Kind. Sie weinte stumm und tränenlos. ?Es war nur eine Bekannte, nicht mehr! Alles wird gut, beruhige dich doch!? In dieser Nacht gab es zur Belohnung Sex ? und er mochte den Sex mit ihr, denn sie konnte ihm scheinbar alle Wünsche erfüllen.
Nach dem Akt stand sie nackt in seinem ordentlichen frisch gewischten Badezimmer und schüttete sich Wasser ins Gesicht. ?Willst du noch nach Hause?? rief er aus dem Schlafzimmer. ?Ich könnte dich bringen, wenn du möchtest, es ist so spät geworden!? Sie schwieg, sie wußte, daß er sie wegbringen wollte, weil er seine Ruhe haben wollte. Einmal hat er ihr erzählt, daß er eigentlich am liebsten allein aufwacht, nicht neben jemandem. Selten schlief sie in seiner Wohnung, dann auch schon auf dem Zweisitzer. Sie wohnte zu Fuß ungefähr eine halbe Stunde von ihm entfernt; sie ging gerne zu Fuß. ?Was ist nun?? Die Stimme kam vom Balkon, er rauchte. Sie ging zu ihm, er hatte die Arme vor der behaarten Brust verschränkt und stand schräg weg gedreht da; sie stellte sich auf Zehenspitzen und gab ihm ein Kuss auf die Wange. Sie werde wiederkommen, aber sie ginge lieber zu Fuß. Ob er wohl anrufen würde, oder so wie immer? ?Daran hat sich doch gar nichts geändert!?, entgegnete er. Hastig drückte er die Zigarette mit der Fußspitze aus und kickte sie vom Balkon durch eine Ritze. ?Es ist kalt!?
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Und klar; sie würde durch den Park gehen, langsam und ruhig, allein. Nachts gehörten die Straßen meist ihr allein. Sie hörte Schritte hinter sich, schnelle Schritte. Meistens sind die schnellen Schritte die von Frauen, kurze schnelle leise Schritte.
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Sie dachte, sie sei allein, niemand mehr, der durch den Park gehen würde, um diese Uhrzeit, die Finger zitterten weiter. Sie wollte schnell nach hause, Tränen liefen ihr wie so oft über die Wangen, wenn sie von ihrer Mutter kam; Wut, Trauer und Haß lagen darin. Nur schnell weg. Aber das auch noch eine andere Frau hier durch den Park laufen könnte, so ruhig und fast selbstvergessen.
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Nicht umdrehen, einfach weitergehen, einfach weitergehen.
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Die Frauen sahen sich an, als sie Schulter an Schulter gingen, beide unterschiedliche Gedanken; Martine sah, daß auch die andere Angst hatte, und Klara erkannte, daß es tatsächlich eine Frau gewesen war. In dieser Nacht lächelten beide zum ersten Mal, sie grüßten sich höflich und gingen weiter; schweigend zusammen, so unterschiedlich. Schulter an Schulter in einer Nacht im Park, daraus erwächst noch keine Freundschaft. Der fruchtbare Boden jedoch, der wurde in dieser Nacht gelegt.
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Nach einigen Wochen hatten beide den Vorfall vergessen, denn andere Probleme standen massiver in ihren Leben zu lösen aus. ?Klara, kannst du bitte ? ich möchte heute kochen, etwas besonderes und ich erwarte Besuch. Es ist eine Frau aus der Showbranche. Ich erhoffe mir da eine berufliche Veränderung, und ich möchte dich bitten, daß du bleibst, aber nur als meine Freundin. Ich meine, bitte keine offensichtlichen Zärtlichkeiten und so. Ich muß noch mal los deswegen, du kommst doch klar damit, oder?? Blindes Nicken. ?Bügel eben mein Jackett und die Hose und das Hemd noch, hab ´s schon hingelegt!? Sie hatte sogar eine Schürze mit ihrem Namen eingestickt von ihm geschenkt bekommen, und die stand ihr gut, wenn sie mit dem Staubwedel die Spinnweben aus den Ecken kehrte. Sie fühlte, daß dies nun die Frau sein würde, die öfter kommen würde, sie fühlte, daß diese Frau bleiben würde, wenn sie selbst abends ging. Aber es war nur ein Gefühl, eines ohne Worte, eines von denen, die unangreifbar und auch ungreifbar waren. Und was sollte sie auch tun?
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Sie wußte nicht genau, was sie erwartete, ein Rendezvous mit einem Mann in seiner Wohnung, und er hatte eine Freundin mit eingeladen, damit sie nicht dachte, er wolle nur das eine. Was wollte er denn sonst? Schließlich hat er sie als den Pornostar gekürt und sie eingeladen. Was wollte sie sonst, wenn nicht mit ihm ins Bett, ohne Kamera und nur zum Vergnügen. Sie mochte Machos, sie mochte Männer, die sie zu nehmen wußten, weshalb also diesen Umstand? Aber vielleicht war es auch nur die Vorbereitung auf einen Dreier, dagegen hatte sie auch nichts, wenn die Frau okay war. Was gab es schon, womit sie noch nicht beruflich konfrontiert gewesen wäre? SM machte sie nicht, aber als es aufkam, da hatte sie es ausprobiert; sich beruflich daran versucht, aber es war nichts für sie. Männer mochten ihren Beruf ohnedies nur, wenn sie sich nicht in sie verliebten, und sie hatte sich angewöhnt, Gefühle nicht zu investieren, nicht in Männer. Der gleiche Weg wie zu den Eltern verbreitete in ihr eine eigenartige Stimmung. Als sie an der elterlichen Wohnung vorbeiging, sah sie kurz zu den ordentlichen Gardinen hinauf und fühlte sich befreit, als sie zum nächsten Haus abbog.
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Klara öffnete die Wohnungstür, dachte, es müsse er sein, der seinen Schlüssel nicht suchen wollte. Martine kam die Stufen hoch. Sie standen sich schweigend gegenüber, erkannten sich. Unbewußt richtete sich Klara auf, ihre Schultern arbeiteten sich mühsam hoch und sie gewann an Größe. Martine lächelte, Klara ließ sie mit einer freundlichen Geste herein und fragte sich, wie er es wohl geschafft haben mochte, eine solche Frau für sich zu begeistern. Martines Hände zitterten, Klara sah es. Klara hatte die Schürze noch an, Martine musterte sie. Das Schweigen dehnte sich aus, erfüllte den Raum in einer Leichtigkeit, die beide sich zurücklehnen ließen. Klara war beruhigt, wenn es so kommen mußte, dann doch mit einer Frau wie Martine. Martine dachte an den Film ?Die Farbe Lila? und lächelte wieder. Klara legte die Schürze ab und setzte Kaffee auf. Langsam begannen sie ein Gespräch darüber, daß sie sich vor einiger Zeit im Park begegnet seien, nachts. Unverfänglich erzählte Martine von ihren Eltern, die in der Nähe wohnten. Wieder blieb Schweigen nach den Sätzen. Dann fragte sie plötzlich, ob sie besser gehen solle. Die Tränen haben doch ihm gegolten, sie liebte ihn doch, augenscheinlich. Sie wolle sich nicht zwischen sie drängen. Er ist ein Macho, das habe sie schon gesehen, aber sie wolle Klara nicht verletzen. Frauen sollten zusammenhalten, zumindest Frauen. Klara weinte lautlos. Sie hatte mit dieser Offenheit und mit diesem Verständnis nicht gerechnet. Sie sah Martine ins Gesicht, sah sie an und schüttelte den Kopf. Sich selbst verstand sie nicht, aber sie wollte, daß Martine bleibt, weil es Martine war. Für einen Moment war es ihr gleichgültig, daß er mit ihr schlafen würde; für diesen Moment war es gleichgültig, daß sie sich mißbraucht fühlte. Martine mißbrauchte sie nicht, Martine sah in ihr einen Menschen, den man wie einen Menschen behandelte. Klaras geschundene Seele verlangte danach. Wenn Martine es gekonnt hätte, hätte sie Klara in die Arme geschlossen und getröstet, aber sie konnte körperlich keine Gefühle zeigen. Was sie von diesem Mann wolle, fragte Klara Martine. Sie könne doch jeden haben, sie sei so schön. Sie wolle ihn nur begrenzt, nur sexuell; Machos faszinierte sie einfach. Mehr nicht, sie kann mit Männern nicht leben; Frauen sind es wert, Männer nicht. Klara wollte zum Bügeleisen greifen, aber es war ihr dann doch zu peinlich; sie konnte es unter Martines Augen nicht.
?Hast Du meine Freundin schon kennen gelernt, sie putzt auch für mich!? Klara starrte ihn an, wie ein Wunder, sie konnte nicht glaube, was er da gesagt hatte.
?Mit Kochen bin ich noch nicht ganz fertig, vielleicht könnt ihr Euch schon etwas austauschen, ich verschwinde in der Küche!? Beide Frauen lachten heimlich in sich hinein und dachten an ihr Gespräch zurück, welches sie mit diesem fremden paar Ohren nicht mehr aufnehmen konnten. Sie sahen sich an und schwiegen. Das Schweigen erfüllte friedlich den Raum, bis der Mann in den Raum brach und verkündete, was es zu essen gab. Verwundert sah er sich um, denn er glaubte gestört zu haben, beide Frauen lächelten und zum ersten mal kam ihm die Idee, daß er vielleicht Klara befreien könnte, wenn sie sich sexuell freimachte. Ja, Martine war eine Frau, die mit Frauen arbeitete, ihr dürfte es doch nur ein Vergnügen sein mit beiden. Und so würde er sie nicht so sehr verletzen. Sein männliches Ego fühlte sich beflügelt und er pfiff leise, als er den knusprigen Hahn zerstückte.
Klara griff nach einer naheliegenden zitternden Hand Martines, Martine bedeckte die Hände mit der noch freien zweiten Hand und suchte Klaras Blick, der zurückkam; die Hände von Martine hörte auf zu zittern. Martine lächelte sanft und daran erinnerte sich Klara immer wieder; als der Koch auftischte, wurde sie härter. Der Wein geöffnet, der Gaumen geschürzt fragte Martine direkt, was nun geschehen werde? Dabei sah sie Klara aufmunternd in die Augen. Klara sah Martine in die Augen und entdeckte dort viel Zuneigung; er war nicht wichtig, so schien es. Er sah Klara an und wartete. Verunsichert fragte er:? Was kann ich denn erwarten? Kann ich etwas erwarten!? Klara entschuldigte sich und ging zur Toilette. Sie saß entblößt auf der Brille. Reiz, Neugier und Abscheu und Widerwille, Lust und Freude mischten sich zu einem Chaos und wurden einfach kein Bild. Gehen und Bleiben wechselten so schnell, daß die Beine doch still standen. Und was war danach? Was bliebe, wenn sie ginge? Ein Tag der Entscheidung, der zweite Tag, und wieder mit Martine. Das konnte kein Zufall sein. Was konnte sie tun? Tränen liefen über die Schminke, verwischten alles! Was blieb? Eine Befreiung!
Martine saß dem Mann gegenüber, für den sich wie für so viele nie der Verlust einer Frauenfreundschaft lohnen würde. Ihr Beruf brachte es mit sich, daß sie Männer verachtete, weil sie so leichte Beute waren, aber sie verachtete sie auch gerne. Spaß machte ihr manchmal, wenn es länger dauerte, bis sie zur Beute wurden, aber das war selten, meistens wurden sie schneller zur Beute, als sie es wünschte. Sie lebte von Männern, vor der Kamera und im privaten Bereich. Von diesem Mann war nichts zu holen, nichts, was ihm gehörte. Ihr war kalt geworden, seit Klara das Zimmer verlassen hatte. Sie überlegte, was nun zu tun galt. Der Mann erzählte von sich und hörte sich wohl selbst schon ausreichend dabei zu, sie blickte zur Uhr und fragte sich, wo Klara bliebe.
Klara hatte ihre wenigen Dinge, die sie bei ihm immer so liegen gelassen hatte, damit sie wieder kommen konnte ohne ihr Gesicht zu verlieren, in eine Tasche geräumt, nahm noch die befleckte Schürze und ein nach Schweiß riechendes T?Shirt als Andenken mit, überlegte kurz, ob sie noch eine Nachricht auf sein Bett legen sollte, aber ließ es dann, denn jedes Wort war eines zuviel. Schnell zog sie sich ihre Schuhe wieder an, schlüpfte in den warmen Mantel und schulterte die einzige Tasche, die sie diesmal bei sich trug. Klara öffnete langsam und deutlich die Wohnzimmertür, schritt schnell und sicher mit einer ihr entgegen gestreckten Hand zu Martine. Martine griff die Hand erlöst von ihren Fragen und stand sofort auf. Klara zog sie mit sich aus der sauberen Wohnung.
?Was denkst du dir denn nun schon wieder, Klara? Was soll das? Martine, willst du nicht bleiben?? Er lief in den Flur und brüllte Klara hinterher: ?Was hast du ihr denn nur erzählt? Du kleine Schlampe mußt ständig Geschichten erfinden! Verrückt bist du! Komm bloß nicht wieder!? Klara durchbohrte ihn ein letztes mal mit einem Blick aus Mitleid und Abscheu; sie wunderte sich selbst, wieso sie geblieben war, so lange. ?Martine, du darfst ihr nicht alles glauben. Ich kann dir das sicher erklären! ... Ach du bist genauso verrückt wie sie. Und kochen durfte ich auch noch für euch. Ihr seid beide völlig durchgeknallt!?
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Was kann man erklären? Was sollte man lieber nicht mit Erklärungen überfrachten? Keine Erklärung der Welt hätte er weder verstanden noch geglaubt, und geändert hätte es nichts, auch nicht sein Weltverständnis. Gesagt war alles.
Martine und Klara gingen Schulter an Schulter durch den Park und kreuz und quer durch die ganze Stadt in der Nacht, irgendwo tranken sie einen Kaffee und irgendwo frühstückten sie am Morgen danach. Sie sprachen selten miteinander, die Sätze wurden lange gewogen. Es war ein zarter Anfang und dieser trug schon so viel gemeinsam. Klara hielt die Hand von Martine, damit sie nicht mehr zitterte und Martine legte ihr immer wieder eine Hand ins Kreuz, damit Klara sich aufrichten lernte. Zart und vorsichtig wie der beginnende Frühling.
 
Ähm ... ich möchte mich direkt entschuldigen, dass ich die nicht gänzlich durchkorrigiert habe und doch nach den ersten Absätzen belassen hatte, wie sie nach altem Rechtschreiberecht geschrieben worden war.
Verzeiht mir bitte, aber momentan bin ich zu Müde das zu korrigieren.

Ich weiss auch, dass die Geschichte sehr lang geworden ist, vielleicht liest sie doch der ein oder andere zu Ende. Über ein Statement, wie sie aufgenommen, verstanden, wahrgenommen, empfunden o.ä.m. wird, würde ich mich sehr freuen!

viel Spass
Scarlett
 

cornelisven

Mitglied
Liebe Scarlett,

Ich habe deine Geschichte bis zum End geschafft und ohne Mühe.
Der Titel deckt m.E . nicht den Inhalt.

Vorab: „lugen“ statt „ lucken“ und: Augen in ein Buch heften? Besser vielleicht an?

Der zweite Abschnitt hat m.E. die meiste Dynamik. Es fesselt zu lesen wie die Frau mit ihre Sachen kämpft. Die Neurose wurde gut dargelegt. Die weitere einleitende Abschnitte kabbeln vor sich hin. Am Ende jedoch diese flitzende Bilder M-K-M-K.... und zwar kein überraschendes Ende aber plausibel.
Gut gelungene, in sich konsistente Geschichte.

Dirk
 
Hallo Dirk,

danke für deine Worte ... zuerst muss ich sagen, der Titel, ja der past wirklich nicht, aber der war sofort da u ich konnte ihn nicht ändern, hab es schon versucht, immer wieder neu gewogen, aber das ist geblieben...hab es mal wieder versucht, als ich den Text hier hineinstellte... ERFOLGLOS... Irgendwie muss der Titel richtig sein (bin vielleicht verrückt) ...

Hmm ... sicher sind auch noch andere Fehler drin! leider... danke dafür schon mal.

Was meinst du damit, dass die Abschnitte vor sich hin kabbeln ... sind sie zu langatmig, oder fehlt ihnen Substanz ...???
Nur ein Wort dazu... dies ist die dritte Geschichte einer Novelle, die als Hommage an Musils "Drei Frauen" gedacht ist... auch in seinem Stil u ich kann sagen, dafür hat's ncoh einiges an Dynamik ... finde ich... aber das sollte trotzdem gleich sein, denn die Geschichte sollte auch für sich interessant sein!

Vielleicht noch ne kleine Anmerkung zum Aufbau, die Frauen sprechen nie direkt miteinander ... immer werden sie vom (ich denke es ist ein personaler) Erzähler indirekt wiedergegeben ... während der Mann immer direkt spricht... also die Dynamik von Schweigen und Sprechen von Ohnamcht u macht sollte damit auch zum Ausdruck kommen ... Schweigen als Sprache des Opfers oder so ähnlich, worin aber auch eine Stärke liegen kann, wie das Ende ja dann zeigt ... oder so ähnlich vielleicht!

Nochmals danke u schön, dass das Durchhalten nicht so mühevoll war! :)

liebe Grüsse
Scarlett
 



 
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