Schadensersatz!

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sabiko

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Schadensersatz von Mutter Natur?

Irgendwann muss ich mit Mutter Natur ein ernstes Wort reden! Darüber, warum sie meist nur uns Frauen so konzipiert hat, dass wir beim kleinsten Ups unseres Babys schon senkrecht im Bett stehen. Der Wecker zeigt 3:36 Uhr. Und die fiependen Geräusche, die unser Sohn im Nebenzimmer von sich gibt, lassen auf lebhafte Träume sowie eine 95%ige Wiedereinschlafwahrscheinlichkeit schließen.

Aus dem Fiepen wird Nöckern. Die Einschlafwahrscheinlichkeit sinkt auf 75%. Neben mir schnarcht mein Mann friedlich vor sich hin. Wahrscheinlich träumt er von der Weihnachtsgans, die er morgen brutzeln wird. Ich zwinge mich derweil, im Bett zu bleiben und nicht sofort zum Kind zu rennen. Um mich abzulenken, fange ich an zu dichten:

Schrille Nacht, schreiige Nacht,
alles schläft, eine wacht.
Und im Bettchen, wer sitzt denn da?
Der plärrende Knabe mit wuschligem Haar.
Schlaf, mein Kind, schlaf auch Du.
Mama, die möcht´ ihre Ruh.

Nicht schlecht, und so wahr! Wir schreiben den 23. Dezember. Und seit zwei Tagen, genauer gesagt, seitdem Mama und Papa Urlaub haben, hat unser Sohn entdeckt, dass er noch kein Geschenk für seine Eltern hat. Ebenso profan wie seine Eltern etwas im Internet zu bestellen, das war ihm scheinbar nicht gut genug. Da musste schon etwas besseres her. "Worüber haben sich meine Eltern das letzte Mal so gefreut? Wann war das noch? Ach ja, im Sommer. Zähne!" Also produziert er schnell auf einen Schwung die äußeren Schneidezähnchen, die im Unterkiefer noch fehlen, und schiebt dann die ersten Backenzähne an. "Wenn ich mich beeile, klappt es bestimmt bis zum ersten Weihnachtsfeiertag."

Falsch, mein Sohn, GANZ FALSCH! Zähne sind nur dann ein Weihnachtsgeschenk für Eltern, wenn sie vollkommen schmerzfrei, leise und am besten alle auf einmal erscheinen. Sonst nicht!

Zu dieser Erkenntnis ist unser Spatz sicherlich auch schon gekommen. Jedoch zu spät. Die kleinen Beißerchen hacken sich ihren Weg durch das Zahnfleisch frei und er kann nur noch brüllen. Genau das tut er jetzt. Einschlafwahrscheinlichkeit: 0,01%. Auf zur Nachtschicht!

Müde schnappt sich Mama ihr Bettzeug. Bevor sie hinter sich die Schlafzimmertür schließt, wirft sie einen kurzen, neidvollen Blick zurück auf das Ehebett. Da liegt der glückliche Gatte und seufzt. Gleichzeitig breitet er Arme und Beine krakengleich über das hinzugewonnene Territorium aus. Selbst wenn jetzt die 0,01% Einschlafwahrscheinlichkeit einträten, die Zähnchen dem geplagten Zahnfleisch eine Verschnaufpause einräumten und das Kind glücklich in einen Spontanschlaf verfiele: Mama könnte nicht mehr zurück. Die Tür, die ich jetzt schließe, ist auf einmal keine Tür mehr, um den Schlaf meines Mannes zu schützen. Sie ist eine Tür, die meinen Mann schützt. Und mich davor bewahrt, zur Meuchelmörderin zu werden!

Während ich mein Bettzeug auf der schon im Kinderzimmer bereit liegenden Gästematratze ausbreite und mich anschicke, mein Brülläffchen aus seinem Gitterbettchen zu befreien, stelle ich mir vor, wie ich meinen Göttergatten vierteile, am Schrank aufhänge und dann den Balkon hinunterschubse. Immerhin bewahren mich diese Gedanken davor, das kleine Schreimonster vierzuteilen, aufzuhängen und aus dem Fenster zu werfen, das jetzt um einige Oktaven höher schleunigst Handlung von Mama verlangt.

Ich ziehe unseren Fratz aus dem Bett und nehme ihn auf den Arm. 5 Sekunden Stille kehren ein, die er schnell nutzt, um sich an meinen Hals zu schmiegen. "Schnüff! Uff! Schnauf!" Aber auch ein noch so kleiner Mann möchte nicht gerne als Weichei gelten. "An Mama anschmiegen? Ha! Kann ja jeder. Aber ich, ich bin ein kleiner Mann! Und kleine Männer schreien!" Die Sirene beginnt von neuem. Und Mama tritt vor ihrem inneren Auge am Boden zerstört vor ihr inneres Gericht, vor das ich wegen nächtlicher Familienmord-Phantasien gestellt wurde, und flehe: "Herr Richter, ich hab doch schon meine Strafe. Drei Nächte Schlafentzug. Reicht das nicht?"

Wie kann ich hier eigentlich auf Gnade hoffen? Ich meine, Herr Richter, das sagt doch alles... Ein Mann! Wahrscheinlich liegt auch mein Phantasierichter nachts schnarchend im Bett, während sich die holde Gattin um die Kinder kümmert. Er wird nur sein deutlich höheres Gehalt und seine größeren Erfahrungen in Sachen Ehegattenmord genutzt haben, seiner Frau rechtzeitig einen teuren Therapeuten zu spendieren. Und der hat das arme Wesen dann mittels Hypnose dazu verdonnert, ihre Aggression statt am Gatten am Bügelbrett abzureagieren. Selbstverständlich erst NACH der Beruhigung von Ehegatten-Schlaf gefährdenden Schreiaktionen der lieben Kleinen.

Nein, hier kann ich kein Erbarmen erwarten. Statt weiterer Phantastereien gibt es daher homöopathische Zahnungskügelchen fürs Kind. Die nimmt es immer gerne, fast andächtig. Helfen tun sie allerdings nicht. Sobald die Dinger gelutscht sind, legt Sohnemännchen wieder los. Der Beißring, den Mama ihm alsdann reicht, ist natürlich klasse. Klasse, um ihn gegen die Wand zu werfen. Unser Sohn verlangt nach archaischeren Methoden: Bernsteinkettchen! Hat Mama nicht im Haus. Man hat ihr davon abgeraten. Kleine Kügelchen und brutales Kind sind keine gute Mischung. Was, wenn er es mitten in der Nacht schaffen würde, eins von den Bernsteinchen von der Kette zu knubbeln, es in den Mund zu stecken und zu schlucken, und es käme in den falschen Hals und das Kind liefe blau an und bekäme keinen Ton heraus und Mama schliefe und bekäme nichts mit. Nicht auszudenken! Mein Sohn, mein Herz, mein Ein und Alles!

Der Lütte hat keine Ahnung, was Mama auf einmal dazu bringt, ihm einen dicken, feuchten Kuss auf die Stirn zu patschen, aber "Hey, mit Männern macht man das nicht!" Zum Zahnungsgeschrei kommt Protestgeschrei dazu. Dagegen kenne ich allerdings ein Mittel.

Ich sehe zwar nicht aus wie Marilyn Monroe. Und so eine erotische Stimme habe ich auch nicht. Aber a) ist es dunkel, b) kann ich singen und c) kenne auch ich ein Mittel, zumindest kleine Männchen wie Butter an der Sonne schmelzen zu lassen: Mama beginnt, ihrem Sohn allerlei Kinderlieder vorzusummen. Das vom Männchen im Walde mit dem roten Umhang und der schwarzen Kappe hilft am besten.

Irgendwann habe ich das Söhnchen und mich in Trance gesungen. Aus dem Männchen im Walde wird ein Wald voller Männchen mit roten Mützen und schwarzen Fliegenpilzen. Oder so? Während sich die Viecher zu drehen beginnen und langsam vom Boden abheben, sinkt Mama mit dem ruhig atmenden Kind auf die Gästematratze und gibt sich halluzinatorischen Ideen hin: Könnte ich eigentlich Onkel Wipp und Tante Pampa auf Schadensersatz verklagen? Ich meine, wer ist denn Schuld an meinem Elend.

Wer wenn nicht diese beiden hat mir ständig suggeriert, dass ein Kind mein Leben als mittelerfolgreiche Angestellte um ein erhebliches bereichern würde. Tante Pampa ließ vor meinen Augen glückliche Kleinkinder durch das Wohnzimmer kriechen und noch glücklichere Babys in den Armen ihrer frisch frisierten, gut geschminkten, teuer gekleideten und überaus erholten Mama fröhlich quietschen. Das Quietschen wurde nur unterbrochen, wenn die lieben Kleinen mal eben den Mund aufmachen mussten, um die leckeren Gläschen und Breichen von Onkel Wipp zu schlucken. Und für den Fall, dass die beiden doch mal versagten, dann stopfte Wipps und Pampas Kumpel Muk den süßen Wesen schnell einen Schnuller in den Mund und die Ruhe war wieder hergestellt. "Hey, Du egozentrische Karrierefrau!", schienen ihre Werbespots mir zuzurufen: "Komm endlich von Deinem Egotripp runter und erkenne, dass Du Mitte Dreißig bist. Hab Nachwuchs! Wir sorgen für Dich. Alles ganz easy!"

Und ich blöde Kuh hab den dreien auch noch geglaubt! Wegwerfwindeln, frisch gekochtes Essen aus dem Glas, ergonomisch geformte Fläschchen. Mensch, da kann doch nichts schief gehen. Da muss ein Kind doch ruhig und glücklich werden. Und was, wenn nicht?

Was, wenn ich seit Monaten unter steigendem Schlafmangel leide und unter daraus resultierender Vergesslichkeit? Wie ist es mit meinen schwindenden Chancen auf eine Gehaltserhöhung, weil Mütter in Teilzeit nach öffentlicher Meinung geringer qualifizierte Tätigkeiten erledigen? Kann ich jemanden deswegen verklagen? Produkthaftung oder so? Wegen versprochener Eigenschaften der Ware, die sie nicht hält? Selbst unser Kreditkartenunternehmen hat in seiner Werbung nur glückliche Babys und freundliche Eltern gezeigt! Und mein bevorzugter Haushaltsgerätehersteller sagte mir eine steile Karriere als erfolgreiche Managerin voraus. Und wo bin ich gelandet. Vor Kälte und Müdigkeit frierend auf unserer schäbigen Gästematratze! Noch dazu mit strähnigem Haar, weil ich es seit Wochen nicht mehr zum Friseur geschafft habe.

Mein Sohn und seine Zähne erwachen aus ihrer Trance - die nächste Schreitirade steht vor der Tür und holt mich in die Realität zurück. Und mit den letzten Resten meines logischen Denkvermögens erkläre ich Mutter Natur für exkulpiert. Bei ihr hätte eine Schadensersatzklage auch wenig Sinn. Ich meine, wie würde sie mich bezahlen, sollte ich vor dem Bundesverfassungsgericht Recht erhalten. In Eicheln, Bucheckern oder Kieselsteinchen?

Nein, gleich nach den Feiertagen suche ich mir einen guten Anwalt. Am besten nehme ich mir den, der schuld daran ist, dass man in Mikrowellen keine Pudel mehr trocknen darf. Und wenn ich dereinst von den Zinsen des Schadensersatzes meinem Mann ein Segelboot, mir einen Jaguar mitsamt Chauffeur und unserem Söhnchen sein Taschengeld finanziere, prangt auf jedem Werbefoto mit grinsendem Baby ein Sternchen wie ein Muttermal in dessen linken Mundwinkel. Und unter dem Photo wird sich die Info finden:

* Auch bei funktionsgerechter Anwendung des abgebildeten Produktes können Nebenwirkungen von Kleinkindern körperlicher oder geistiger Art auf deren Erziehungsberechtigte nicht ausgeschlossen werden.
 
Gefällt mir, ich würde den Text aber ein bisserl kürzen. Man weiss ja relativ bald, wie sich die Mama befindet, und damit kommt nichts mehr Neues mehr.

Marius
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
herrlich!

aber die kälte im kinderzimmer würde ich abschaffen.
prüfe bitte noch mal, ob sich die zähne wirklich ihren weg haken, ich glaub, da fehlt n c. und hinunterschupse sollte ein b bekommen - der Schubs.
lg
 



 
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