Scham und Erfolg

Du sollst dich schämen


Mit 44 in die erste Wohnung, für die er sich nicht schämen muss, mit 44! Die Freude, mit der er gerechnet hat, bleibt komplett aus. Stattdessen: kalte Wut, gegen die er jetzt ankämpft, die er unter Kontrolle halten muss, um nicht auszurasten. Er darf die bodentiefen Fenster nicht einwerfen, das ihn verhöhnende King-Size Bett nicht zerlegen und die verkehrsroten Küchenschränke nicht aus ihren Verankerungen reißen. 20 Jahre Kampf, und das hier ist jetzt also die Belohnung, die das Universum für ihn bereithält.

Taro Brock sieht nicht das Ergebnis seiner Mühen, sondern die Mühen, die nötig waren, um sich genügend Geld zurücklegen zu können für das hier, die wirklich völlig okaye 90-Quadratmeter-Wohnung in München, nicht beste Wohnlage, aber gute Wohnlage. Man darf nicht aufgeben, man muss kämpfen, sich bemühen und anstrengen, das sagt er sich seit 20 Jahren, braver Taro, alles scheiße, aber niemand kann behaupten, er lasse sich unterkriegen. Die Frauen, die er will, kriegt er nicht, die Jobs, die er will, kriegt er nicht, die Menschen, deren Nähe er sucht, ignorieren ihn. Er achtet darauf, nicht fett zu werden, was bei seiner genetischen Veranlagung eine immerwährende Aufgabe ist, er löst sie halbwegs gut bis richtig gut, was aber nichts daran ändert, dass sein Gesicht Lichtjahre davon entfernt ist, schön zu sein, er ist nicht hässlich, aber es ist noch nie passiert und wird nie passieren, dass eine Frau sich spontan in ihn verliebt oder auf den ersten Blick Gefallen an ihm findet. Kein Goodwill, niemals, jeden kleinen Minischeiß muss Brock sich erkämpfen. Sein größter Erfolg ever ist diese Wohnung hier, zu 70 Prozent eigenfinanziert, ein Kraftakt sondergleichen.

Du gehst einen Schritt, danach den nächsten, was folgt, ist der nächste Schritt. Nach der ersten Nacht in der neuen Wohnung kommt der ersten Morgen, selber Ort, neuer Blick. Taro Brock geht vom Schlafzimmer ins Bad, er widmet dem Parkett unter seinen nackten Füßen die größte Aufmerksamkeit, zu der er fähig ist, und immerhin das funktioniert dann doch ganz gut, das Parkett aus Dingsbumsholz, das irgendwo gewachsen ist, das irgendjemand abgeholzt hat, verarbeitet, verkauft, verlegt, ist sein Besitz. Er steht am Ende einer langen Kette, und er steht da als Sieger. Dinge, die in seinen Besitz übergehen. Noch so viele Möbel, die er sich kaufen kann, vielleicht ein Bild für die Wand und ein Liegestuhl für den kleinen, feinen Balkon, den Brock lieben lernen will.
 
A

aligaga

Gast
Hallo @Jürgen, willkommen im Haifischbecken der LeLu. @Ali wünscht dir einen schönen, gewinnbringenden Aufenthalt!

Diese "Scham und Erfolg"-Nummer ist natürlich keine Erzählung, sondern eine Situationsbeschreibung, eine Impression, nur ein Stück Kurzprosa.

Man könnte sie einer Erzählung oder einer Novelle voranstellen, wenn man das zum Teil grausliche Deutsch besserte (Mit 44 in die erste Wohnung; komplett ausbleiben; ausrasten; King-Size; verkehrsrot; okaye etc. etc.). Gossensprache kann man ja verwenden, sie sollte dann aber nicht auktorial, sondern gezielt eingesetzt werden, etwa um einen Typen zu charakterisieren.

Heiter

aligaga
 
Du sollst dich schämen


Mit 44 die erste Wohnung, für die er sich nicht schämen muss, mit 44! Die Freude, mit der er gerechnet hat, bleibt komplett aus. Stattdessen: kalte Wut, gegen die er jetzt ankämpft, die er unter Kontrolle halten muss, um nicht auszurasten. Er darf die bodentiefen Fenster nicht einwerfen, das ihn verhöhnende King-Size Bett nicht zerlegen und die verkehrsroten Küchenschränke nicht aus ihren Verankerungen reißen. 20 Jahre Kampf, und das hier ist jetzt also die Belohnung, die das Universum für ihn bereithält.

Taro Brock sieht nicht das Ergebnis seiner Mühen, sondern die Mühen, die nötig waren, um sich genügend Geld zurücklegen zu können für das hier, die wirklich völlig okaye 90-Quadratmeter-Wohnung in München, nicht beste Wohnlage, aber gute Wohnlage. Man darf nicht aufgeben, man muss kämpfen, sich bemühen und anstrengen, das sagt er sich seit 20 Jahren, braver Taro, alles scheiße, aber niemand kann behaupten, er lasse sich unterkriegen. Die Frauen, die er will, kriegt er nicht, die Jobs, die er will, kriegt er nicht, die Menschen, deren Nähe er sucht, ignorieren ihn. Er achtet darauf, nicht fett zu werden, was bei seiner genetischen Veranlagung eine immerwährende Aufgabe ist, er löst sie halbwegs gut bis richtig gut, was aber nichts daran ändert, dass sein Gesicht Lichtjahre davon entfernt ist, schön zu sein, er ist nicht hässlich, aber es ist noch nie passiert und wird nie passieren, dass eine Frau sich spontan in ihn verliebt oder auf den ersten Blick Gefallen an ihm findet. Kein Goodwill, niemals, jeden kleinen Minischeiß muss Brock sich erkämpfen. Sein größter Erfolg ever ist diese Wohnung hier, zu 70 Prozent eigenfinanziert, ein Kraftakt sondergleichen.

Du gehst einen Schritt, danach den nächsten, was folgt, ist der nächste Schritt. Nach der ersten Nacht in der neuen Wohnung kommt der ersten Morgen, selber Ort, neuer Blick. Taro Brock geht vom Schlafzimmer ins Bad, er widmet dem Parkett unter seinen nackten Füßen die größte Aufmerksamkeit, zu der er fähig ist, und immerhin das funktioniert dann doch ganz gut, das Parkett aus Dingsbumsholz, das irgendwo gewachsen ist, das irgendjemand abgeholzt hat, verarbeitet, verkauft, verlegt, ist sein Besitz. Er steht am Ende einer langen Kette, und er steht da als Sieger. Dinge, die in seinen Besitz übergehen. Noch so viele Möbel, die er sich kaufen kann, vielleicht ein Bild für die Wand und ein Liegestuhl für den kleinen, feinen Balkon, den Brock lieben lernen will.
 
Du sollst dich schämen


Mit 44 die erste Wohnung, für die er sich nicht schämen muss, mit 44! Die Freude, mit der er gerechnet hat, bleibt komplett aus. Stattdessen: kalte Wut, gegen die er jetzt ankämpft, die er unter Kontrolle halten muss, um nicht auszurasten. Er darf die bodentiefen Fenster nicht einwerfen, das ihn verhöhnende King-Size Bett nicht zerlegen und die verkehrsroten Küchenschränke nicht aus ihren Verankerungen reißen. 20 Jahre Kampf, und das hier ist jetzt also die Belohnung, die das Universum für ihn bereithält.

Taro Brock sieht nicht das Ergebnis seiner Mühen, sondern die Mühen, die nötig waren, um sich genügend Geld zurücklegen zu können für das hier, die wirklich völlig okaye 90-Quadratmeter-Wohnung in München, nicht beste Wohnlage, aber gute Wohnlage. Man darf nicht aufgeben, man muss kämpfen, sich bemühen und anstrengen, das sagt er sich seit 20 Jahren, braver Taro, alles scheiße, aber niemand kann behaupten, er lasse sich unterkriegen. Die Frauen, die er will, kriegt er nicht, die Jobs, die er will, kriegt er nicht, die Menschen, deren Nähe er sucht, ignorieren ihn. Er achtet darauf, nicht fett zu werden, was bei seiner genetischen Veranlagung eine immerwährende Aufgabe ist, er löst sie halbwegs gut bis richtig gut, was aber nichts daran ändert, dass sein Gesicht Lichtjahre davon entfernt ist, schön zu sein, er ist nicht hässlich, aber es ist noch nie passiert und wird nie passieren, dass eine Frau sich spontan in ihn verliebt oder auf den ersten Blick Gefallen an ihm findet. Kein Goodwill, niemals, jeden kleinen Minischeiß muss Brock sich erkämpfen. Sein größter Erfolg ever ist diese Wohnung hier, zu 70 Prozent eigenfinanziert, ein Kraftakt sondergleichen.

Du gehst einen Schritt, danach den nächsten, was folgt, ist der nächste Schritt. Nach der ersten Nacht in der neuen Wohnung kommt der ersten Morgen, selber Ort, neuer Blick. Taro Brock geht vom Schlafzimmer ins Bad, er widmet dem Parkett unter seinen nackten Füßen die größte Aufmerksamkeit, zu der er fähig ist, und immerhin das funktioniert dann doch ganz gut, das Parkett aus Dingsbumsholz, das irgendwo gewachsen ist, das irgendjemand abgeholzt hat, verarbeitet, verkauft, verlegt, ist sein Besitz. Er steht am Ende einer langen Kette, und er steht da als Sieger. Dinge, die in seinen Besitz übergehen. Noch so viele Möbel, die er sich kaufen kann, vielleicht ein Bild für die Wand und ein Liegestuhl für den kleinen, feinen Balkon, den Brock lieben lernen will.
 

Galaxius

Mitglied
Was will uns derf Autor damit sagen?
Es ist also jemandem gelungen, eine Wohnung zu finden, sie einzurichten und darin zu wohnen.
Toll.
In China hat jemand einen Sack Reis gefüllt und in die Ecke gestellt.
Jetzt ist er umgefallen. Der Reis-Sack.
Auch Toll.
 



 
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