Schlaflos

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julimaus

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Schlaflos

Es war vier Uhr früh. Widerstrebend hob sich Mueni von ihrem Lager und schlich fast geräuschlos aus dem Raum. Sie wollte die Kinder nicht wecken. Sie fühlte sich, als hätte sie sich gar nicht schlafen gelegt. Schon seit Jahren nicht mehr. Sie zog sich schnell an und erwärmte einen Behälter mit Wasser zum Waschen für die Kinder. Ihre Bewegungen waren trotz der Dunkelheit präzise, denn der morgendliche Ablauf war schon seit vielen Jahren immer derselbe.
Es war noch dunkel, als Mueni das Haus verließ. Ihre Schwiegertochter würde sich um die Kinder kümmern. Heute ging es ums Überleben.
Sie brauchte eine gute Dreiviertelstunde, bis sie die Haltestelle erreichte. Sara und Großmutter Gogo warteten bereits dort. Eine andere Freundin fehlte.
"Saela ist krank", berichtete Sara. "Sie hat Fieber, konnte nicht einmal aufstehen." Mueni und Gogo schwiegen. Beide waren sich bewusst, wie schlimm der Verdienstausfall die Freundin und ihre Kinder treffen würde. Beiden war es nicht fremd, denn auch sie waren auf sich allein angewiesen, waren von ihren Männern verlassen und mussten allein für den Unterhalt einer großen Familie sorgen. Um die Gesundheit Saelas machten sie sich keine Sorgen. Sie war stark, wie alle Frauen.
Um sechs kam der Bus in Nairobi an, eine weitere halbe Stunde brauchten die drei um zum Markt zu kommen.
"Das darf doch nicht wahr sein!", rief Sara aus. Mueni hatte erwartet, dass die Preise wieder steigen würden.
Sorgfältig wählte Mueni aus, kaufte heute nur das, was sie sofort wieder verkaufen konnte. Sie belud ihre Körbe mit Zwiebeln, Spinat, Karotten, Tomaten und süßem Pfeffer und wuchtete sie mühevoll mit Hilfe ihrer Freundinnen auf den Rücken.
Hier trennten sich die Wege der drei, jede hatte ihr Revier, wo sie verkaufte, keine sollte den anderen im Weg sein. Mueni verkaufte in "South C", einem wohlhabenden Vorort von Nairobi. Täglich lief sie stundenlang durch die Straßen, bot ihre Waren an, handelte, kämpfte um jede Münze, die sie ihren Kindern nach Hause bringen konnte. Der Straßenhandel war kein Beruf, es war nur das Überleben.
"Mama! Wir haben Tomaten und Kartoffeln. Wollen Sie welche haben?", tönte ihre kräftige Stimme zwischen den Häusern. Heute war ein guter Tag, die Waren gingen schnell weg, sie würde sich bald auf den Heimweg machen können.
Vielleicht hatte sie sich unbedacht dazu hinreißen lassen, zu lange mit einer Kundin zu plaudern, war unaufmerksam geworden. Vielleicht war es auch nur das Pech, das sie sein zehn Jahren, seit sie das heiratsfähige Alter erreicht hatte, verfolgte. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie eine Uniform, einen Polizisten.
Sie drehte sich von ihm weg und schlenderte betont ruhig die Straße hinunter. Ihr war schwindlig, wie immer ließ sich der Schlafmangel um diese Zeit bemerken, doch sie zwang sich weiterzugehen. Die Straße verschwamm vor ihren Augen. Sie hatte Angst.
Sie hörte den Mann rufen, tat, als hätte sie ihn nicht gehört. Wenn er sie ohne Handelslizenz erwischen würde, würde er ihr alles nehmen. Alle Ware, alles Geld, die Ersparnisse von einer Woche. Und daran, was passieren würde, wenn er sie vor Gericht bringen würde, wollte sie gar nicht denken.
Sie bog um die Ecke, hörte den Polizisten immer noch rufen, begann zu rennen. Er verfolgte sie, sie hörte es deutlich. Sie bog um eine weitere Ecke, hielt nicht an, bahnte sich ihren Weg durch die Vorstadt.
Sie fühlte sich zwar nicht sicher, doch sie musste ihn abgehängt haben. Sie ließ sich zitternd auf den Boden sinken, hatte Schwierigkeiten, ihren Atem zu beruhigen.
Es war zu spät um noch einmal loszugehen und die restlichen Waren zu verkaufen, doch so viel war es nicht mehr. Nicht so viel, dass die Kinder es nicht essen könnten.
Der Bus brachte sie nach Hause. Erschöpft stellte sie die Körbe ab und sehnte sich nur nach ihrem Bett. Doch es war erst halb sechs, sie hatte noch viel im Haushalt zu tun. Um halb acht bereitete sie das Essen für die Kinder vor, brachte sie ins Bett, kümmerte sich wieder um den Haushalt.
Erst um neun ließ sie sich auf ihr Lager sinken. Ihre Beine hätten sie keine Minute länger tragen können, ihr Kopf drohte zu platzen. Sie legte sich die Finger auf die Schläfen und schloss die Augen, übte mit den Fingerspitzen sanften Druck aus. Der Schmerz ließ nach. Nun würde sie einschlafen können und die Stunden würden unbemerkt an ihrem Körper vorbeigehen. Es würde ihre Müdigkeit nicht reduzieren. Doch sie war stark, wie alle Frauen. Morgen ging es wieder ums Überleben. Nicht das eigene, nur die Kinder zählten.
Sie hörte, wie eines der Kinder im Schlaf hustete. Die Angst kehrte zurück. Vor fünf Jahren hatte ihr ältester Sohn genau so zu husten begonnen. Er war zu schwach gewesen, zu ausgehungert, um der Krankheit lange trotzen zu können. Das Kind hatte sich schon lange beruhigt und atmete gleichmäßig beim Schlafen, als Mueni endlich, noch immer zitternd, Ruhe fand.

Es war vier Uhr früh und Mueni hatte das Gefühl, die ganze Nacht über schlaflos dagelegen zu haben.
 

soleil

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Hallo Julimaus,

Deine Geschichte ist sehr schön zu lesen. Sie beschreibt den harten Alltag der Frauen sprachlich klar und anschaulich.
Einige Kleinigkeiten sind mir aufgefallen, aber insgesamt hast Du das Thema sehr schön umgesetzt.

Hier die Anmerkungen:

...der morgendliche Ablauf war schon seit vielen Jahren immer der[red]selbe[/red].
...Beiden war es nicht fremd, denn auch sie waren auf sich allein angewiesen, waren von ihren Männern verlassen [blue]worden[/blue] und mussten allein für den Unterhalt einer großen Familie sorgen. Um die Gesundheit Saelas machten sie sich keine Sorgen. Sie war stark, wie alle Frauen [blue]hier[/blue].
Um sechs kam der Bus in Nairobi an, eine weitere halbe Stunde brauchten die [red]d[/red]rei um zum Markt zu kommen.
"Das darf doch nicht wahr sein!", rief Sara aus. Mueni hatte [blue]jedoch schon[/blue] erwartet, dass die Preise wieder steigen würden.
Sorgfältig wählte Mueni aus, kaufte heute nur das, [blue]wovon sie sicher wußte, dass sie es[/blue] [strike]was sie[/strike] sofort wieder verkaufen konnte. Sie belud ihre Körbe mit Zwiebeln, Spinat, ...
Der Straßenhandel war kein Beruf, [blue]es war nur das Überleben. - Mein Vorschlag: er diente nur dem Überleben.[/blue]
...das heiratsfähige Alter erreicht hatte, verfolgte.
Das Alter irritiert, denn oben hat sie schon eine Schwiegertochter und hier ist sie seit 10 Jahren im heiratsfähigen Alter. Das Alter solltest Du präzisieren oder erklären.


Viele Grüße
Soleil
 

julimaus

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Vielen Dank für deine Anmerkungen, sie haben mir geholfen. Mit dem Alter hast du recht, ich werde es noch ändern (oder weglassen....)

Juli
 



 
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