Schock und Unglaube nach plötzlichen Todesfall

Mäck

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DER BEGINN EINES GROßEN ABENTEUERS

Am Abend des 27.Oktober 2013 saß ich mit meinem besten Kumpel Wayne in der Orange Bar. Viel war nicht los. Außer Betty, der das Lokal gehörte, und drei oder vier Fremden, die in ihre Biergläser starrten, war niemand zu sehen. Das trostlose Ende eines trostlosen Sonntags.

Ich war gerade dabei, mein viertes Bier zu bestellen, als Wayne, der austreten war, mir plötzlich auf die Schulter klopfte.

"Mäck, ich glaube, dein Lou Reed ist gestorben!"

"Was? Hör auf, so einen Müll zu reden, über sowas macht man keine Witze."

"Doch Mäck, ich befürchte, es ist wahr. Habs gerade im Radio gehört, als ich pissen war."

Ich schaute Wayne mit großen ungläubigen Augen an. Seine Miene blieb ernst. Keine Spur von Komik war zu erkennen. Er sagte die Wahrheit.

"Tut mir leid, Mäck. Ich weiß, er war dein Lieblingsmensch."

"WAR?"

Erste Anzeichen von Panik und Paranoia machten sich bei mir breit.

"Betty! Mach sofort den Flimmerkasten an! Irgendeinen Nachrichtensender! Beeil Dich!"

Es dauerte nicht lange, bis die widerwärtigsten 'Breaking News' eingeblendet wurden, die ich mir überhaupt vorstellen konnte: 'ROCKMUSIKER LOU REED (71) LAUT PRESSEBERICHT BEI NEW YORK VERSTORBEN!'

Bämmm!

"Wie kann man nur sowas behaupten?", keifte ich los. Da muß sich jemand einen üblen Scherz erlauben. Vielleicht war es Lou selbst, der die Welt nur ein bisschen schocken wollte. Das MUß eine Falschmeldung sein! Wenn es jemanden gibt, der nicht einfach so sterben darf, dann Lou. Mein Held! Für jedes seiner Worte, die er je ins Mikrofon bellte, wäre ich gestorben.

"Komm mit, Wayne!" Ich zerrte meinen besten Kumpel zur PC-Ecke und wir gingen online. Auf Lous Facebook-Seite versammelten sich bereits Hunderte von Trauernden, und solche, die nur so taten. RIP. hier, RIP. da - es war erbärmlich. Auch auf meiner Seite wurde bereits fleißig gepostet: 'Mäck, es tut mir soo leid!' 'Mäck, bleib stark!' Unglaubliche Wut stieg in mir auf. Wie leichtgläubig Menschen doch sein können. Nur wegen einer einzigen Pressemitteilung, die noch nicht mal aus New York, sondern aus London zu kommen schien, wird gleich so ein Wind gemacht. Kennen die Leute denn nicht Lous besonderen Humor?

"Du wirst sehen", phantasierte ich, "in ein paar Stunden wird er klarstellen, daß er sich bester Gesundheit erfreut."

"Das wünsche ich dir von ganzem Herzen, Mäck."

"Er ist das Rock And Roll Animal, Wayne, der stirbt nicht so einfach!"

"Ich hoffe, du hast recht."

"Wayne?", der Schock setzte langsam ein, "Du weißt, ich bin keine kleine Pussy, aber würdest du trotzdem heute Nacht bei mir bleiben?"

"Klaro, kein Thema. Du hast doch sicher auch noch was zum rauchen daheim?"

"Für dich immer."

"Ja cool."

"Weißt du, ich glaube es erst, wenn Lous bessere Hälfte sich zu der ganzen Sache äußert. Bis dahin ist es ganz einfach nicht wahr. Oh Wayne, ich könnte kotzen!"

"Ich bestell uns noch ein paar Bier. Und zwei Schnäpse."

"Gute Idee. Und morgen feier ich krank. Ich will niemanden sehen, schon gar nicht meine Kollegen. Warum ist keiner von denen abgekratzt?"

Tief im Inneren wußte ich, daß es stimmte.

Während Wayne zur Bar ging, spürte ich, wie meine schwarze Stricherseele langsam ausgesaugt wurde. Als würde nur noch meine menschliche Hülle hier vor dem alten PC sitzen, die Augen wie programmiert auf die Kommentare starrend, die sekündlich auf Lous Profil gepostet wurden.

"Was für miese Schleimer", dachte ich, während eine kleine Träne über mein Gesicht lief. "Das kümmert die doch einen Dreck, daß er nicht mehr lebt."


Wayne kam, mit Betty und den Getränken im Schlepptau, wieder zurück.

"Jetzt machen wir erstmal die Kurzen platt, Alter!"

Betty, ein erstaunlich hübsches Ding mit fetten Titten, setzte sich neben mich und fuhr über meine Schulter.

"Mein Schatz, ich kann mir vorstellen, wie du dich fühlst. Das muß ein großer Schock für dich sein."

"Schock? Bis jetzt ist nichts bestätigt. Die nächsten Stunden oder Tage werden zeigen, ob es eine Falschmeldung war oder nicht!"

Die nächsten Tage und Wochen blieb ich in meiner Bude. Ich kampierte auf meinem riesigen Bett, das von Büchern, Langspielplatten, CDs, meiner Schreibmaschine und meinem Laptop umzingelt war. Ich ernährte mich hauptsächlich von Rotwein, Tabletten und Speed. Wayne blieb die ganze Zeit über treu an meiner Seite, und Betty schaute ab und zu vorbei und sah nach dem Rechten. Wirklich erstaunt war ich von Wayne. Hätte nicht gedacht, daß dieser junge Kerl, der im Grunde nur ans Kiffen, Saufen und Zocken dachte, so eine aufopferungsvolle und aufmerksame Krankenschwester abgeben würde.

Kurz vor Weihnachten, als ich spät nachts eine Morphiumtablette runterwürgte, wich der große Schock, der fast einer Totenstarre gleichkam, und unbändige Trauer setzte ein. Der Schmerz saß tief.

"Lou Reed ist tot. Lou Reed ist tot! Lou! Reed! IST! TOT!!"

"Ach Mäck. Ich wußte ja, daß er dir viel bedeutet, aber daß es so schlimm werden würde..."

"Ja Wayne, es ist so schlimm. Hast du überhaupt eine Ahnung, welch Offenbarung es für mich als 14-jähriger auf dem Lande war, als ich zum ersten Mal die Debutplatte der Velvets hörte? Da war vorher nichts. Nur Leere und Einsamkeit. Der Himmel schien immer grau zu sein. Jeder Tag war grau. Mein ganzes Teenagerleben war grau. Ich fühlte mich verdammt alleine zwischen all diesen blöden Bauern, die offensichtlich noch nicht mal in der Lage waren, bis drei zu zählen. Bis Lou aus meinen Lautsprechern erklang. Das hat mich umgehauen und einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Diese Platte rockte."

"Die mit der Banane auf dem Cover?"

"Genau die. Anfangs verstand ich nur die Hälfte der Texte, aber das war egal. Lous Stimme ging direkt in mein Herz. Und da ist sie bis heute."

"Das war zweifelsohne der Anfang einer großen Liebe."

"Und der Beginn eines großen Abenteuers."

Wayne und ich hockten eng zusammen. Ob es an der Situation an sich lag, oder an den vielen Drogen, die wir fast wahllos konsumierten, weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall wurde ich plötzlich ziemlich geil, und Wayne holte seinen Schwanz raus. Ich lutschte ihm einen. Das hätte Lou gefallen, da war ich mir sicher.


Nachdem er in meinem Gesicht abspritzte, schien er sehr überrascht zu sein.

"Kann es sein, daß du mir gerade einen geblasen hast?"

"Ich schätze ja. Können wir gerne mal wiederholen."

"Nicht schlecht, nicht schlecht. Hätte niemals gedacht, daß ich mal einen Kerl an mich ranlassen würde."

"Und wie fandest du's?"

"Ja, passt schon", meinte mein neuer Kuschelfreund. "Schon verrückt. Wahrscheinlich wär das nicht passiert, wenn ich nicht die ganze Zeit bei dir geblieben wäre!"

Ich legte Lous erste Soloplatte auf. 'Die Kuschelplatte', wie ich sie immer nannte. Dann lagen Wayne und ich auf meinem Bett und hörten den Songs zu: Love Makes You Feel, Isle Of View, Ride Into The Sun... Ich erzählte ihm davon, wie ich von meinem ersten Geld als Auszubildender mir jeden Monat zwei oder drei Lou-Reed-Platten besorgte, damals in den 90ern. Wie sehr ich von einzelnen Meisterwerken wie Coney Island Baby und The Bells besonders angetan war, und wie ich einmal völlig von Speed und XTC zugedröhnt auf allen Vieren zu meiner Stereoanlage kroch, und Berlin bis zum Anschlag aufdrehte. Das war der ultimative Orgasmus für die Ohren. Rock and roll in 3D.

"Wayne? Dieser Kerl ist der TATSÄCHLICHE King Of Rock And Roll. Vergiß Elvis, der war nur drei Jahre cool. Aber Lou blieb es sein ganzes verdammtes Leben lang. Bis diese scheiß' Leber nicht mehr mitmachte. Es ist so hart."

Dann spielte ich Wayne Lulu vor, Lous letzte Platte.

"'I WOULD CUT MY LEGS AND TITS OFF...' Ist das nicht wunderschön?", wimmerte ich los. "Wenn ich gewußt hätte, wie schlimm es um ihn steht, hätte er doch meine Leber bekommen können... Ehrlich, Wayne, er hätte sie haben können!" Das meinte ich todernst.

Als Junior Dad, der letzte Song auf dem Doppelalbum, sich dem Ende zuneigte, meinte Wayne:

"Wäre es nicht genial, wenn wir uns jetzt wegbeamen könnten? Ganz weit weg?"

"Oh Alter, das wär's jetzt. Rauf zum Mars. Laß uns in einen Satelliten verwandeln und uns da raufschießen!"

"Cool. Ein Satellit der Liebe!"

Ich blickte tief in Waynes wunderschöne blaue Augen. Sah so aus, als würde die Geschichte mit ihm auch ein Beginn eines komplett neuen, großen Abenteuers werden. In diesem Moment hätte ich mir nichts schöneres vorstellen können.


(Weihnachten 2014)



Anmerkung: Dieser Text wird ein Beitrag einer Lou-Reed-Anthologie sein, die unter der Mitwirkung von Maureen Tucker (Schlagzeugerin der Velvet Underground) voraussichtlich im Sommer 2015 erscheinen wird.
 



 
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