Schöne Versagerin

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chrissieanne

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Elke war Bauarbeiter. Ungelernter Bauarbeiter. Ein ungelernter Bauarbeiter mit blonden Locken, üppigem Busen und jeder Menge Schutt auf der Seele. Ein hübsches Bild, dachte sie, während sie weiteratmete, und das Lächeln ging für einen Moment wie von selbst.
Atmen und lächeln. Lächeln und atmen. Mit jedem Ausatmen die Mundwinkel nach oben pumpen. Harte Arbeit auf der Baustelle Geselligkeit. Eingezwängt zwischen Profis, die Wörtergetöse wie Kies ausschütteten und locker lautes Gelächter hämmerten. Presslufthämmer, die betonharten Frohsinn auf glitschige Böden zwangen. Ab und zu kreischten Kreissägen Risse ins Gestein.

Abitreffen in Osnabrück. Die Klassenbeste und Klassenschönste zwischen ihren KlassenkameradInnen von vor hundert Jahren. Blondbusig schön, spritzig und klug - vom Schicksal geküsst. Mit dem bezauberndsten Lächeln der Menschheitsgeschichte. Geliebt von jedermann. Das war Elke. Und das ist Elke selbstverständlich noch immer.
Architektinnen und Ärzte, Psychologinnen und Anwälte und auch hier und da eine Hausfrau (selbstgewählt und glücklich) und ein Elektriker gruben nach uralten, verwitterten, scheinbar kostbaren Mauerstücken einer versunkenen Zeit, während gierige Flutlichtaugen kreisten, um die darüber gewachsenen Landschaften nach versteckten Abgründen abzutasten.
Der Schweiß lief ihr den Rücken hinunter, während sie wild blühende Wiesenplatten auf den Schlund ihres Kraters wuchtete. Atmen und reden und lächeln und atmen und lachen.
„Ach, Elke, du bist zu beneiden", seufzte Ingrid, ihre damalige Lernpartnerin, heute erfolgreiche Architektin, „unabhängig und frei wie ein Vogel. Keine nervtötenden Gören (zärtlicher Unterton), keinen eifersüchtigen Gatten, der über jeden Schritt und Tritt wacht (zwinkern und zwicken mit Uwe, damals auch mal (wie alle) mit Elke liiert). Und älter wirst du anscheinend auch nicht (leicht verbissenes Grinsen). Nicht wahr, sie hat sich überhaupt nicht verändert?"
Salven der Zustimmung schossen durchs Lokal - bitterer Rauch aus rotbemalten, wehmütig süffisanter aus stoppeligen Mündungen verlor sich im Nebel der feiernden Reife.
Elke drückte ihre Zigarette aus. Während sie sich die Nächste anzündete, brach ein Stück Wiese ein.

„Was machst du eigentlich? Wovon lebst du?"

Natürlich Moni, glückliche Hausfrau, ehemalige beste Freundin, deren Freund sie damals wegen Elke verlassen hatte, stellte die Angstfrage - Elke schaute auf die Uhr - kurz vor Mitternacht. Sie lachte laut auf, erschrak kurz - doch es passte. Eine abwehrende Geste mit dem Arm, ein Zwinkern - sie hatte noch eine Chance.

Elke nahm die Arbeit wieder auf. Stemmte Wortkeile in die Bruchstelle.
„Tjaaa. Das interessiert euch natürlich, gell? Ich schreib mal hier und da was. Nennt mich freie Autorin."
Atmen und Lächeln.
Sämtliche Flutlichter wurden auf höchste Stufe gestellt und auf sie gerichtet.
„Echt?" „Du schreibst? Ist ja irre." „Was schreibst du denn und wo? Hab noch nie was von dir gelesen. Oder benutzt du ein Pseudonym?" „War ja klar, Elke wird Schauspielerin, Moderatorin oder sowas. Hab ich immer gesagt." Alle redeten durcheinander. Die Reife verließ den Ort, um sich die Füße zu vertreten und Bewunderung,
Neid, Eifersucht und Begierde setzten sich an den Tisch. Jetzt waren wirklich wieder alle beisammen. Wie früher.
„Naja, hier und da mal eine Kolumne oder einen Artikel in einer Zeitung. Meist schreib ich Kurzgeschichten im Internet. Kommen ganz gut an."
Die Keile hielten nicht. Selbst Hausfrauen wußten heutzutage, was es heißt, Kurzgeschichten im Internet zu veröffenlichen.
„Ach so, hobbymäßig machst du das." Moni lächelte gütig. Die Reife kam zurück und verscheuchte alle, die ihren Platz eingenommen hatten.
„Auch", ackerte Elke verzweifelt „aber, wie gesagt, auch hier und da eine Kolumne...."
„Nenn doch mal eine Zeitung, in der du ab und zu schreibst", schlug Werner vor, Chefarzt einer Klinik in Heidelberg, damals ein schüchterner Mitschüler, der furchtbar verliebt in sie war.
„Nun", Elkes Atem wollte nicht mehr „ in der taz zum Beispiel, oder auch in der Brigitte....."
Monis Reife wollte gerade wieder gehen, zu stickig war es hier, die Flutlichter flackerten, doch dann überlegte sie es sich doch noch.
„Ist ja klasse. Da werd ich doch mal Olafs Rechner bemühen. Endlich mal ein triftiger Grund ( Moni schnitt eine Grimasse, Olaf grinste behäbig)- das interessiert mich sehr. Toll, dass du so kreativ bist. Ich könnte das nie."
Die Zustimmungssalven schossen wieder durch den Raum und trafen Elke da, wo sie es erwartet hatte.
Die Malocher des Frohsinns drückten Kitt auf den klaffenden Spalt und ließen sie drin liegen.
Ihre schöne, kluge Abifreundin mit dem bezauberndem Lächeln .

Elke fuhr mit dem letzten Zug nach Hause. Kraulte und fütterte die Katze, begrüßte die Einsamkeit, schminkte sich ab, sank in die Stille, setzte sich an den Rechner. Und schrieb.
 



 
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