Hallo!
Angesichts deines jungen Alters (das Oxymoron lässt grüßen), finde ich das schon eine ordentliche Leistung! Vier Strophen, in denen nicht nur das abab-Reimschema durchgehalten ist, sondern auch der regelmäßige Wechsel männlicher und weiblicher Kadenzen bei den 4-Hebern. Die Reime sind nahezu sauber (Ausnahme: Horizont-Mond), wenn auch einfach gehalten. Von handwerklicher Seite also: Respekt!
Inhaltlich überzeugt mich der Text noch nicht. Bereits in S1 stolpere ich über die letzten beiden Verse, in denen es heißt:
Seelen werden nachts vermessen,
wie der Schein auf bleicher Haut.
Wessen Seelen? Die Seelen aller Menschen? Inwiefern sollten diese nachts vermessen werden? Du siehst, bereits zu Beginn wird der Leser mit einer Aussage konfrontiert, die so unpräzise ist, dass, zumindest ich, nicht wirklich was damit anfangen kann. Der Vergleich funktioniert in meinen Augen auch nicht so recht, denn inwiefern ist ein Schein vermessen? Soll an dieser Stelle auf ein "vermessenes" (i.S. v. gewagt) erotisches Bild abgezielt werden? Bleiche Haut klingt mir zu tot, blasse fände ich – wenn auch nicht erotischer – so doch vitaler.
Die S2 gefällt mir wesentlich besser, das wirkt zumindest sehr poetisch. Nur der letzte Vers ist mir wieder zu unkonkret – wer ist "wir"? Welche Träne und warum wird überhaupt geweint? In Hinblick auf die Narben der Welt könnte man versucht sein, das als plumpes Weltschmerzgedicht abzutun, doch ist es fast zu schade dafür.
S3 bleibt mir inhaltlich ein kleines Rätsel. Wenn ich eine Interpretation abliefern müsste, würde ich die Z1 derart deuten, dass ein lyrI Kummer, welcher Art auch immer, hat und Trost in der Natur (Kälte) sucht, also das Haus verlässt, um auf einem Spaziergang Kraft zu tanken und den Kopf freizubekommen. Doch gibt es wenige Anhaltspunkte, die diese Sichtweise untermauern würden. Die Kälte wird - wie in den Strophen zuvor Schein, Mond und Silber – personifiziert. Das nenne ich konsequent.
Doch habe ich wiederum Schwierigkeiten, den letzten Vers unterzubringen, der m. E. überhaupt nicht in das Gedicht passt. Den "Teppich" assoziiere ich sofort mit dem Gedicht
Ein alter Tibetteppich E. Lasker-Schülers und die "Asche" mit Celans
Todesfuge. Das will im Grunde nichts heißen, vielleicht geht es nur mir so, doch glaube ich, dass bestimmter Termini in ihrer Zusammenführung zu einem Bild zuweilen schon zu stark "besetzt" sind, um diesen Assoziationen beim Lesen aus dem Weg zu gehen. Insofern wirkt dieser Vers auf mich deplaziert.
Die letzte Strophe gefällt mir, sie scheint als Rückblick zu fungieren, denn bereits in S1 ist ja die Nacht angebrochen; somit dürfte kaum noch ein Horizont sichtbar gewesen sein. Auch hier stellt sich die Frage, wer sich da was erhoffte und warum diese Hoffnungen nun ausgerechnet in der Nacht zerbrachen. Nach "wehte" fehlt übrigens noch ein Komma, am Ende ein Punkt.
Gruß, a.