Sheraton in Flammen

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habibi

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Sheraton in Flammen!

In der Arab News war die Anzeige auf zwei ganzen Seiten. „We cut the ribbon!“ In einer Woche sollte die große Eröffnung des ersten fünf Sterne Hotels in Saudi Arabien stattfinden. In einer gewaltigen Anstrengung, mit Tag- und Nachtschichten und mit dem Einsatz von unverhältnismäßig viel Geld war ein für ein Appartementhaus konzipierter 17 Stockwerke Hochbau in ein Hotel umgebaut worden. Das klingt eigentlich einfach, aber ganz so simpel war diese Aktion nicht. Die existierenden zwei Türme wurden verbunden und die Wohneinheiten entkernt und neu geteilt. Irgendwann, nach mehr als zwei Jahren Umbauarbeiten mit einheimischen Baufirmen, bekam der Eigner arge Bedenken, ob der Bau letztendlich auch sicher sein würde und nicht während des Umbaues kollabieren würde. Die Sheraton Organisation , die nur den Namen und den Betrieb stellte und die Bedingungen für des Bau festlegte, war nicht Eigentümer oder Besitzer des Bauwerkes. Sheraton war ohne Risikobeteiligung. Der Bauherr, ein früherer Geheimdienstchef, war mit seinem „geheimen“ Wissen über die Prinzen zu Geld gekommen und rechnete sich mit dem Namen Sheraton einen guten Gewinn mit den ausländischen Geschäftsreisenden aus. So war es zum Kauf des Appartementhauses und dem Umbau gekommen. Gerüchte machten den Umlauf, durch die Umbauten wäre das Bauwerk wesentlich schwerer geworden und sacke allmählich in den sandigen Boden. Vermesser wurden beauftragt, aber die Toleranzen in den Nivelliergeräten und die Ablesefehler konnten weder das Gegenteil noch die Annahme bestätigen. Ein deutsches Ingenieurbüro sollte die statische Sicherheit nachweisen, die Bestandsaufnahmen zogen sich hin und das Resultat waren umfangreiche Verstärkungen an Säulen und Wänden, die Fundamente waren ausreichend. Es bestand demnach eher eine Gefahr, dass der Bau zusammenkrachte und nicht, dass er in den Boden versank.
Nach den Sheraton Spezifikationen wurden Küchen und Einrichtungen eingebaut, die Klimaanlagen auf das 17. Stockwerk gehievt, wobei dazu ein Kran aus Zypern eingeschifft wurde. Eine deutsche Einrichtungsfirma erledigte den Innenausbau der Zimmer und der Lobby und eine griechische Sanitärfirma Wasser und Abwasser, Boiler und Kühlung. Mehr als 8oo Personen arbeiteten in dieser letzten Phase auf der Baustelle.
Freitag, Tag des Propheten, allgemeiner Ruhetag, auch bei Terminarbeiten unbedingt einzuhalten. Der Projektleiter, Hermann Leitner, war mit seiner Familie am Strand zum Schnorcheln und Surfen, als ein libanesischer Vorarbeiter an den Strand gerast kam und aufgeregt schnaufte:
„Das Sheraton brennt!“
Leitner fuhr zum Hotel wie in Trance. Blackout würde ein Politiker seinen Zustand bezeichnen. Das Hotel konnte nicht brennen. Beton brennt nicht! Alles ein Irrtum. Seine Gedanken kreisten im Irrationalen.
Am Hotel alles gesperrt. Aber über die Nebenstraße kam er in das Haus und mit seinen Lokalkenntnissen auch in das Hauptgebäude, in dem der Brand war. Die anwesenden Wächter und die im Bau nächtigenden Hilfsarbeiter wussten, wo der Brandherd war. In der Lobby im ersten Stock. Nichts zu sehen, nur der Widerschein eines Feuers durch die geschoßhohen Scheiben auf das gegenüberliegende Haus. Leitner stand im dritten Stock über der Straße, auf der die Feuerwehrfahrzeuge hintereinander aufgefahren waren. Unentschlossenheit, was zu tun sei. Die Tanklaster kamen vom Meer bereits mit dem Löschwasser angefahren, der Feuerwehrleiter war gezwungen eine Entscheidung zu treffen. Er schrie einen Befehl in Arabisch. Schläuche wurden ausgerollt und verbunden. Die Männer stellten sich wirksam für die zahlreichen Zuschauer in Positur. Dann wurde Druck auf die Leitungen gegeben und mit der Kraft des Wasserstrahles schossen die Feuerwehrleute die Scheiben im ersten Stock ein, hinter denen das Feuer vermutet wurde. Das führte nahezu zu einer Explosion. Die plötzliche Sauerstoffzufuhr brachte das Feuer erst richtig zum Brennen. Die Feuerwehr war verblüfft und erst ratlos. Dann zerschlugen die Brandbekämpfer die Verglasung des Erdgeschosses mit ihren Äxten und drangen in das Gebäude ein. Aber nicht bis zum Brandherd, nur einige Schritte wagten sie sich in das Innere und rannten sofort wieder hinaus um mehr materielle Hilfe anzufordern. Der Kamineffekt führte inzwischen dazu, dass der Brand sich über die Kabelschächte in die oberen Stockwerke ausdehnte. Da die Kabel Feuer gefangen hatten und auch die Deckenverkleidungen aus Kunststoff, beide sonderten Schwefelsäure bei ihrer Verbrennung ab, musste Leitner von seinem Beobachtungsposten weg. Er versuchte mit brendender Kehle den Feuerwehrleuten begreiflich zu machen, dass mit Löschschaum und nicht mit Wasser der Brand der Kunststoffteile zu bekämpfen sei. Er sah, wie ein Feuerwehrmann den Verschluss für den Foam an einem Speziallöschfahrzeug nicht öffnen konnte und letztlich seinen Schuh auszog und in Wut auf dem Verschluss herum hämmerte. Völlig resigniert ging Leitner auf den Vorhof und traf dort deutsche Handwerker, die die Innenverkleidungen und Schreinerarbeiten im Hotel gemacht hatten. Einige von ihnen weinten.
Über den beiden Türmen stand eine schwarze Wolke. Durch die beiden Treppenhäuser zog der Rauch mit unglaublicher Gewalt nach oben und schoss auf dem Flachdach durch die Aufzugshäuser wie aus einem Schornstein in den Himmel. Etwa dreißig Leute, die sich in den oberen Stockwerken zum Aufräumen und Saubermachen der Zimmer aufgehalten hatten, waren in Panik oder Neugierde auf das Dach geflüchtet und standen nun abgeschnitten dort. Sie winkten um Hilfe. Ein Begehen der Treppenhäuser war unmöglich, nicht nur wegen des Rauches, auch wegen der hohen Temperaturen. Und eine Evakuierung durch Hubschrauber war unmöglich, da per Gesetz ein Befliegen von Städten generell verboten war.
Um es kurz zu machen. Der Brand war nach fünf Stunden im Groben gelöscht. Die Personen vom Dach konnten nach weiteren drei Stunden geborgen werden, wobei der Beton in den unteren Etagen so heiß war, dass man sich Brandwunden bei der Berührung zuzog. Der Schaden durch das Salzwasser der Löscharbeiten überstieg den des Brandes. Die unteren Teile des Hotels, Eingang, Lobby, Restaurants und Büros waren völlig zerstört, die Bettenetagen durch den Rauch und die Hitze schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die armdicken Elektrokabel schmorten noch tagelang weiter und erst das völlige Entfernen dieser Installation beendete die Gefahr endgültig. Es war der größte zivile Brandschaden in der Geschichte Saudi Arabiens. Höhere Schäden gab es nur bei zwei Raffineriebränden. Das stellte sich aber erst einige Wochen später heraus.
Am folgenden Tag, die Spekulationen über die Ursache des Brandes schossen ins Kraut und auch über die Bekämpfung des Unglücks oder der Brandstiftung gingen die Meinungen weit auseinander. Jede Spekulation war erlaubt und jeder Besucher war ein Experte.
Der Chef der Firebrigade kam zur Brandstätte, mit großem Gefolge und wohl wissend um seine Wichtigkeit. Er wollte die Brandursache feststellen und tat dies mit eindeutiger Zielrichtung. Leitner war verantwortlich! Beim gemeinsamen Rundgang entdeckte er ein Starkstromkabel, das im Anbau, zweihundert Meter vom eigentlichen Brandgeschehen ohne Isolierung auf dem Betonboden lag. Triumphierend deutete er darauf. Mit einem schnalzenden Laut zog er die Luft durch die Nase, schnell hintereinander, mehrmals. Er entschied:
„Hier, dieses Kabel!“
Leitner entgegnete:
„Das ist ohne Strom!“
obwohl er sich dabei nicht sicher war. Er blickte zum pakistanischen Elektriker hin, um von dem Gewissheit zu erhalten, aber der schaute weg.
Der Feuerwehrchef forderte ihn auf:
„das glaube ich nicht!“
Leitner nahm das Kabel in die Hand, sicher, dass er es nicht spüren würde, hätte das Kabel Strom in den Drähten. Der Chef der Feuerbrigade war damit überzeugt und gab Leitner zum Abschied die Hand. Leitner wusste nicht, ob aus Hochachtung für seien Mut, als Anerkennung für seine Glaubwürdigkeit oder als Mitleid für so viel Blödheit.
Die Versicherungen hatten innerhalb der nächsten zwei Tage den Schaden grob geschätzt und an die Rückversicherungen gemeldet. Der Londoner Versicherungsmarkt reagierte umgehend und die Münchener Rück, einer der Hauptbetroffenen, einigte sich mit den anderen Beteiligten, umgehend eine gemischte Expertengruppe nach Jeddah zu entsenden. Diese traf bereits fünf Tage nach dem Brand ein, bestehend aus Brandsachverständigen von Scotland Yard, Deutscher Kriminalpolizei und der Niederländischen und Französischen Polizei. Sie nahmen umgehend ihre Arbeit auf und konnten bereits am folgenden Tag, dem Donnerstag, die Stelle definieren, an der der Brand entstanden war. Es war eine Ledersitzgruppe in der Lobby im ersten Stock, weitab von jeder elektrischen Leitung. Damit war Brandstiftung definiert. Stolz, ob dieser schnellen Lösung, präsentierten die vier Experten das Ergebnis dem Hoteleigner, der darum bat, dieses Ergebnis dem lokalen Experten, dem Chef der Feuerwehr, mitzuteilen. Der kam auch umgehend auf die Baustelle und ließ sich die Stelle zeigen und die Erklärungen vortragen. Die Reaktion verblüffte die europäischen Experten.
„Das kann nicht sein! Ich bin nach wie vor überzeugt, nein, ich bin sicher, dass es ein Kurzschluss war!“
Er nahm Leitner bei der Hand und fragte ihn:
„Was meinst Du? War es Brandstiftung oder ein Kurzschluss?“
Wie vom Feuerwehrmann erwartet antwortete Leitner
„ Wenn Sie, als Experte sagen, es war Kurzschluss, wie kann ich als Laie sagen, es war etwas anderes?!“
Der Feuerwehrexperte triumphierte in die Runde:
„Sehen Sie, auch er, der doch am Besten die Situation in diesem Hotel kennt, er sagt, dass es Kurzschluss war!“
Und er ergänzte:
„Prüfen Sie nochmals Ihre Untersuchungen, Sie werden sehen, sie kommen auf dasselbe Ergebnis!“
Damit wendete er sich zum Gehen, nahm Leitner zur Seite und meinte:
„Das ist doch völlig irre von diesen Leuten! Wenn ich mit denen übereinstimme, dass es Brandstiftung war, dann verlangt der Prinz, dass ich ihm den Brandstifter liefere. Dazu bin ich, wie auch diese Herren, nicht in der Lage. Bei Kurzschluss gibt es niemanden zu präsentieren, das ist Gottgewollt. Damit bleibt nur Kurzschluss! Sagen Sie das den Leuten!“
Die europäischen Experten waren keineswegs zu überzeugen. Recht bleibt Recht! Und es kam überhaupt nicht in Frage hier in irgendeiner Weise zu manipulieren. Sie wollten in ihr Hotel zurück und dort eine endgültige gemeinsame Formulierung erarbeiten. Am nächsten Arbeitstag, also am Samstag, wollten sie diesen Text dann offiziell vorlegen.
Bis der Schaden endgültig erhoben war konnten die Reparaturarbeiten und die Neubeschaffung nicht beginnen. Darum war der Freitag der „Trauerarbeit“ gewidmet. Jeder blieb zu Hause und erholte sich von den nervlichen Strapazen der vergangenen Woche. Auch Leitner, als am Nachmittag stürmisch an seiner Wohnung geklingelt wurde.
„Wieder Feuer im Sheraton!“
Was konnte dort noch brennen? Warum wieder an einem Freitag. Nun war es eindeutig! Leitner kam zum Hotel. Die Feuerwehr war schon da, diesmal sehr viel mehr routinierter. Der Chef begrüßte Leitner schon wie einen alten Bekannten und schien fast vergnügt zu sein. Auch die Polizeiexperten trafen ein. Die Saudis sprachen nur Arabisch, kein englisches Wort. Das fiel auf. Als Leitner zu den Experten gehen wollte hielt ihn der Feuerwehrchef zurück.
„Du gehörst nicht zu denen. Bleib weg!“
Leitner verstand dies nicht und fragte einen jemenitischen Vorarbeiter neben ihm, was denn los sei.
„Die Europäer haben das Feuer gelegt! Das sagt der Feuerwehrchef.“
Leitner konnte es nicht glauben und er suchte den Hoteleigner. Den Saudi hatte er ebenfalls vor dem Hotel gesehen. Der Brand war innerhalb einer halben Stunde gelöscht, der Schaden war begrenzt, es war in diesem Bereich bereits alles zerstört gewesen vom Brand, der eine Woche vorher hier gewütet hatte. Der Hotelbesitzer erklärte Leitner nun, was Sache war.
„Der Chef der Firebrigade ist der Meinung, die Experten wollten nicht wahrhaben, dass er Recht hatte mit seiner Behauptung, dass der erste Brand auf einen Kurzschluss zurück zu führen ist. Er kennt das Land und weiß, dass fast alle Brände in letzter Zeit wegen Kurzschluss entstanden sind. Aber die Experten wollten ihre Theorie, dass es Brandstiftung war, nun mit der neuerlichen Brandstiftung beweisen!“
Leitner war nicht sicher:
„Was bedeutet das?“
„Das bedeutet, dass die Europäer verhaftet werden und angeklagt, zumindest den zweiten Brand, heute, vorsätzlich gelegt zu haben!“ und nach einer Pause
„es sei denn, wir bringen sie rechtzeitig aus dem Land!“
Leitner sollte dies den Polizeiexperten mitteilen.
Die vier Brandspezialisten waren fassungslos. Sie protestierten und lamentierten, aber dann besannen sie sich auf ihre eigene Sicherheit und taktierten. Sie wollten die Versicherungen entsprechend informieren wenn sie erst aus dem Land wären. Das Mitglied von Scottland Yard hatte Tränen in den Augen und schwor, nie mehr einen Fuß in dieses Land zu setzen.
Die vier Brandprüfer wurden aufgefordert, innerhalb von 6 Stunden das Land zu verlassen. Sie sollten das als großes Entgegenkommen werten und als Zeichen der Großzügigkeit. Sie waren bereits nach drei Stunden auf dem ersten verfügbaren Flug.
Um die Sache noch zum Ende zu bringen:
Das Hotel wurde wiederhergestellt, die Kosten entsprechend mit befreundeten lokalen Unternehmen manipuliert und damit die Versicherungssumme voll in Anspruch genommen. Leitner, der maßgeblich an dieser Aktion beteiligt war, wurde von den Vertretern der Rückversicherung gewarnt, dass bei seiner Rückkehr in ein europäisches Land er umgehend verhaftet würde. Trotzdem war der Schaden durch die um ein halbes Jahr verzögerte Öffnung des Hotels wesentlich höher als die Versicherungssumme. Darum waren weder der Hoteleigner noch die Versicherung mit dem Ausgang zufrieden.
Leitner war der eigentliche Verlierer.
Wenn ein Saudi dies auch nicht so empfinden mag. Für einen Europäer sind die klimatischen Verhältnisse nicht gerade einladend, seinen Lebensabend in diesem Land zu verbringen!
 



 
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