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ninnicatania

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Sie war sehr schön. Jeden Tag. Immer dann, wenn diese alte Uhr, so alt, dass sie mir immer so vorkam als hätte sie alle Zeit dieser Welt, als hätte sie schon längst durchschaut, dass die Zeitmessung, die Unterteilung nach Jahren, Tagen, Stunden, Minuten nur eine menschliche fixe Idee, nicht existierend und doch allgegenwärtig ist. Also wenn ihre Zeiger am zweiten Strich zwischen der Fünf und der Zehn für eine lächerliche Zeitspanne von sechzig Sekunden stehenblieben, vergaß ich die Welt und...drehte mich nach ihr um. Sie war im Augenblick der Erscheinung der Höhepunkt meines Tages, meines Lebens. Unnahbar, erhaben schritt sie elegant den Bürgersteig entlang, schaute nach unten, als wolle sie sich vergewissern, dass die Steine, die sie gestern sah, immer noch auf sie warteten. So wie ich. Und wie gerne wäre ich ein Stein gewesen, der sich mitten in den Weg gestellt hätte, um von ihr angeschaut zu werden. Es hätte gereicht. Ihr Blick: Sprache, Dialog. Ihr Schritt: Berührung, Annäherung. LIEBE. Doch blieb ich Mensch. Schmerzvoll, tragisch, Mensch zu sein wenn man darauf verzichten möchte, wenn man alles andere zu sein sich wünscht, bloß nicht Mensch. Um das Denken abzustellen, weil quälend, weil liebend. Ja! Ich hätte gerne darauf verzichtet, denn...sie drehte sich nie nach mir um.​
 



 
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