Sonntagsspaziergang

Stella

Mitglied
Sonntagsspaziergang

Der alte Mann geht seinen Weg
vorbei an der alten Erle
lange sieht er sie an
Wie schön sind nur ihre Äste
ihre Blätter
wie machtvoll ihr Stamm

Wie hoch sie nur ist
viel zu hoch

Zu Hause, wo ist das
nicht da wo er wohnt
Er ist einfach gegangen
ohne zu sagen wohin

Er ist noch nicht weit gelaufen
doch die Beine tun schon weh
Er ist alt
er ist krank
er ist allein

Nur kurz ruhen
bis zum Wald ist nicht weit

Er geht weiter
es ist kalt, obwohl die Sonne scheint
wo sind die ganzen Spaziergänger
er sieht niemand
keiner sieht ihn

Ach hätte ihn doch jemand getroffen
hätte nur jemand geahnt
hätte er nicht den passenden Baum gefunden
dann wäre der alte Mann heute noch da
 

roland

Mitglied
Grüß Dich Stella,
Dein Text stellt beeindruckend dar, wie Leben auch enden kann, mit dem Gedanken, daß es nicht unbedingt so sein mußte. Die Trauer über die Lücke im Leben, die nicht wieder zu schließen ist, die von nun an dazugehört. Das alles zur Jahreszeit der beginnenden Kälte, man sieht/riecht regelrecht die unwirtliche Landschaft, die Einsamkeit, man fröstelt...
Ich spüre die traurigen Gedanken aus Deinem Text: Unter anderen Bedingungen wäre der Mann nicht gestorben. Ich verstehe und teile diesen Wunsch nach Leben, auch nach Gleichbleiben unseres Umfeldes. Auch ich fürchte Abschiede und die Schmerzen, die sie bringen.
Dennoch wage ich den Gedanken hinzuzufügen, ob der alte Mann nicht auch froh gewesen sein kann. Darüber, daß ihn keiner gestört hat, daß es ihm endlich gelungen ist, seinen Zwängen zu entkommen...
Bei aller Eingebundenheit ins Leben, das würde ich mir mal wünschen, als alter Mensch den Schlußpunkt noch selber setzen zu können und nicht darauf warten zu müssen, bis die Uhr meiner Vorfahren auch für mich abgelaufen ist (die tickte ziemlich lang)... Aber was weiß ich schon, wie es mir dann gehen wird?
lG Roland

PS: Einen Gedanken hatte ich: In meinem Sprachkreis wäre es mehr ungewöhnlich, „trotz dass die Sonne scheint“ zu sagen. Eher höre ich ein „obwohl“. Dabei bin ich aber nicht sicher, ob nicht jemand noch einen anderen Ausdruck findet. Das als Anregung zu dieser Zeile.
 

Stella

Mitglied
Hi Roland,

vielen Dank für deine nette Zuschrift.
Ja, man sagt oft, dass es vielleicht nicht schlecht wäre den Zeitpunkt seines Ablebens eines Tages selber bestimmen zu können. Vor allem wenn man alt und krank ist.
Aber wie Du auch sagtest, jeder hinterlässt einfach eine Lücke.

Dein Vorschlag mit dem "obwohl" übernehme ich gerne!

Liebe Grüße

Stella
 



 
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