Spiel mir das Lied vom Leben

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Anonym

Gast
Spiel mir das Lied vom Leben

Es hatte an ihr gelegen. Das wußte sie. Sie war jung damals gewesen und in einen Sog unwiderstehlicher Lebensgier geraten. Dann tauchte er auf. Er war Mathematiker, was sie sofort zum Wegrennen hätte veranlassen sollen, denn wenn ihr eines widerstrebte, war es diese streng rationale Sichtweise der Welt. Aber er hatte sie bestürmt, von Anfang an. Und wenn sie beide in Decken gehüllt am Ufer des Sees saßen, er lachend über ihre Weltsicht, die er für naiv und emotional überladen hielt, wurde sie mitunter wütend. Sie stellte sich ihm entgegen mit allem, was ihr mitgegeben worden war. Und letztlich auch mit den Waffen einer Frau. Doch er hatte ihren Widerstand nur fortgewischt, wie man irgendwelche Formeln von der Tafel löscht. Weshalb sie ihn aber vor allem liebte, das waren seine Verrücktheiten, die ihn mitunter wie einen kleinen Jungen erschienen ließen.
Dann eines Tages stand er in ihrer Tür wie ein gebrochener alter Mann. Sie war entsetzt gewesen und hatte nicht begriffen, daß jener Mann, zwar 15 Jahre älter, aber doch vorher so agil und voller Verrücktheiten, plötzlich völlig in sich zusammengesunken und fahl im Gesicht auf ihrer Schwelle stand. Und dieser Eindruck war so überwältigend gewesen, daß für Zärtlichkeit und Trost kein Raum mehr blieb.
Als er erzählte, erfuhr sie das erste mal, daß er eine Frau gehabt hatte. Sie war einen Tag zuvor bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Und sie ahnte, jetzt gab es für ihn nur noch sie. Betroffenheit begann sich in ihr breit zu machen. Sie kochte für ihn Tee und strich ihm übers Haar. Dann glitt sie ab in ein Dunkel von Fremdheit und Verzweiflung. Sie fühlte sich einfach nicht stark genug, mit ihm gemeinsam das zu tragen, was ihm widerfahren war. Und so entrang sie ihre Jugend seinem Klammergriff. Sein Gesicht entfernte sich von dem ihren. Und dann ging er. Mühsam setzte er die Schritte, und sie rief ihn nicht zurück, als die Wohnungstür hinter ihm zufiel.
 
R

rilesi

Gast
ganz schön hart

und ganz schön mutig, irgendwie.

'seinem Klammergriff.'

ein stern, der sich aus dem leben eines in dunkelheit gehüllten davonmachte, um sich selber treu zu sein versuchen. sich und nicht dem gegenüber. jemand sagte mal zu mir: es gibt sehr viele einsame männer.

nette grüsse von rilesi
 

Anonym

Gast
ganz schön hart, das stimmt ...

aber welche Chance hat eine solche Beziehung, habe ich mich gefragt, die überwiegend auf Leidenschaft basiert, wenn plötzlich die Dramatik des Alltags über sie hereinbricht.Sie v.a., die junge Frau, erst am Anfang ihres Erwachsenenlebens ... vielleicht daher ihr Mut.
Ich danke Dir für Deinen einfühlsamen Kommentar
 



 
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