Tatsächlich Zufall

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ledsgo

Mitglied
Es erscheint mir wunderlich, wenn ich heute darüber nachdenke, wie ich mein Leben lebe. Wenn ich mir die Tatsachen vor Augen führe, so scheint es, als könnte ich jeder Mensch sein. Die Tatsachen, damit meine ich, dass ich mich tatsächlich einmal entschied, mein Studium abzubrechen, oder das ich meine damalige Freundin tatsächlich geheiratet habe. Es gibt viele Tatsachen dieser Art, ich kann sie aufzählen, und sie sind so wirklich, das ich gerne verleitet werde, sie als Schicksal hinzunehmen:
Ich lebe in Wien,
hatte eine Freundin
dann eine Frau
habe sie verloren
mein Studium abgebrochen
gehe meiner Arbeit nach.

All das ist wirklich, tatsächlich geschehen und für all das habe ich mich entschieden. Es ist natürlich nur ein kleiner Umriss, von all dem was ich bin, aber er reicht, um zu verstehen, dass ich jeder andere beliebige Mensch hätte werden können, wenn ich nur einmal anders entschieden hätte.
Nehmen wir nur das Studium. Warum habe ich es abgebrochen- aus Schicksal? Weil es damals nicht anders hätte sein können?
Nein.
Ich habe es abgebrochen, weil ich von einem Freund zur Beerdigung seiner Mutter eingeladen wurde, wo ich seine Schwester traf- das erste Mal in sechs Jahren. Womit ich nicht gerechnet habe ist, dass in diesen sechs Jahren seine jüngere Schwester zu einer Frau geworden ist.
Dass ich sie einige Zeit später- sie war in Wien, um Bekannte zu besuchen- wieder traf, war Zufall. Dass ich mich in sie verliebte, war ebenso Zufall. Genausogut hätte eine Andere an ihrer Stelle sein können, und doch ist es nun eine Tatsache, dass ich sie geliebt, geheiratet und verloren habe, und auf Grund ihres Daseins Entscheidungen getroffen habe, wie etwa die Aufgabe meines Studiums.
Und nun frage ich mich: Was wäre, wenn ihre Mutter nicht in diesen Autounfall verwickelt worden wäre? Wenn sie nicht kurzfristig zu einer Ausstellung nach Salzburg hätte fahren müssen, weil in letzter Sekunde einer der Aussteller noch abgesagt hätte; und wenn statt dem besoffenen LKW- Fahrer, der am Steuer einschlief und sie frontal rammte, irgendein Anderer gesessen wäre?
Vermutlich hätte ich sie niemals geliebt, weil ich sie überhaupt nicht getroffen hätte(auch nach Wien ist sie in Folge des Todes ihrer Mutter bei den Bekannten erschienen). Und selbst wenn ich sie getroffen hätte, wäre dann nicht schon eine Andere an meiner Seite gestanden?

Und nun stehen diese Dinge in meiner Geschichte als Tatsachen, geboren aus aneinandergereihten Zufällen, und ich frage mich, ob meine Entscheidungen denn richtig waren. Dabei kann ein Mensch die volle Bandbreite seiner Entscheidungen und die Zufälle, die mit ihnen verbunden sind, immer nur im nachhinein bewerten, und es ist völlig irrelevant, ob die Entscheidung, zB mein Studium abzubrechen nun richtig war, weil ich sie nicht nocheinmal treffen werde.
Und ich sehe mich, so wie ich bin, und frage mich, wer ich wäre, oder wer ich sein könnte, wenn ich mich zB nicht für Wien, sondern für München entschieden hätte.
Und ich frage mich, wer ich sein werde, nun, da ich wieder vor einer Entscheidung stehe, die ich auf Grund irgendeines völlig zufällig zustandekommenden Geschehnisses treffen werde, weil ich dieses Geschehnis irgendwie deuten werde.

Aber was doch eigenartig ist, ist dieses seltsame Gefühl, dass ich gar niemand anders sein könnte. Obwohl ich nüchtern betrachtet all die Zufälle sehe, die aus mir den gemacht haben, der ich jetzt gerade bin, so schreit in mir doch irgendetwas:
es war dein Schicksal,und es hätte nicht anders kommen können!
 

Oblomow

Mitglied
Kleine Fehler in der Zeichensetzung und Grammatik sind für viele ein Hindernis, sich auf einen Text einzulassen. Da das doch schade wäre, zunächst einmal ein paar Vorschläge:
[...] Warum habe ich es abgebrochen[red]–[/red] aus Schicksal [blue][Anm.: »aus Schicksal passieren« ist doch etwas unschön – besser vielleicht: »war es Schicksal?«][/blue]? Weil es damals nicht anders hätte sein können?
Nein.
Ich habe es abgebrochen, weil ich von einem Freund zur Beerdigung seiner Mutter eingeladen wurde, wo ich seine Schwester traf [red]–[/red] das erste Mal in sechs Jahren. Womit ich nicht gerechnet habe[red],[/red] ist, dass in diesen sechs Jahren seine jüngere Schwester zu einer Frau geworden ist.
Dass ich sie einige Zeit später [red]–[/red] sie war in Wien, um Bekannte zu besuchen [red]–[/red] wieder traf, war Zufall. Dass ich mich in sie verliebte, war ebenso Zufall. Genausogut hätte eine Andere an ihrer Stelle sein können, und doch ist es nun eine Tatsache, dass ich sie geliebt, geheiratet und verloren habe, und auf Grund ihres Daseins Entscheidungen getroffen habe, wie etwa die Aufgabe meines Studiums.
Und nun frage ich mich: Was wäre, wenn ihre Mutter nicht in diesen Autounfall verwickelt worden wäre? Wenn sie nicht kurzfristig zu einer Ausstellung nach Salzburg hätte fahren müssen, weil in letzter Sekunde einer der Aussteller noch abgesagt hätte; und wenn statt [red]des[/red] besoffenen [red]LKW-Fahrers[/red], der am Steuer einschlief und sie frontal rammte, irgendein Anderer gesessen wäre?
Vermutlich hätte ich sie niemals geliebt, weil ich sie überhaupt nicht getroffen hätte (auch nach Wien ist sie in Folge des Todes ihrer Mutter bei den Bekannten [red]gekommen[/red] [blue][Anm.: nach etwas erscheinen klingt seltsam)[/blue]. Und selbst wenn ich sie getroffen hätte, wäre dann nicht schon eine Andere an meiner Seite gestanden?

Und nun stehen diese Dinge in meiner Geschichte als Tatsachen, geboren aus aneinandergereihten Zufällen, und ich frage mich, ob meine Entscheidungen denn richtig waren. Dabei kann ein Mensch die volle Bandbreite seiner Entscheidungen und die Zufälle, die mit ihnen verbunden sind, immer nur im [red]N[/red]achhinein bewerten, und es ist völlig irrelevant, ob [red]z.B.[/red] die Entscheidung, [blue][Anm.: an diese Stelle gehört das »z.B.« nicht hin][/blue] mein Studium abzubrechen nun richtig war, weil ich sie nicht [red]noch einmal[/red] treffen werde.
Und ich sehe mich, so wie ich bin, und frage mich, wer ich wäre, oder wer ich sein könnte, wenn ich mich [red]z.B.[/red] nicht für Wien, sondern für München entschieden hätte.
Und ich frage mich, wer ich sein werde, nun, da ich wieder vor einer Entscheidung stehe, die ich auf Grund irgendeines völlig zufällig zustandekommenden Geschehnisses treffen werde, weil ich dieses Geschehnis irgendwie deuten werde.

Aber was doch eigenartig ist, ist dieses seltsame Gefühl, dass ich gar niemand anders sein könnte. Obwohl ich nüchtern betrachtet all die Zufälle sehe [blue](Anm.: nüchtern betrachtet sehen?)[/blue], die aus mir den gemacht haben, der ich jetzt gerade bin, so schreit in mir doch irgendetwas:
[red]E[/red]s war dein Schicksal, und es hätte nicht anders kommen können!
Zum Inhalt möchte ich an dieser Stelle nicht viel sagen, da es mir scheinen will, als ob der Text im Forum »Essays« besser aufgehoben wäre. Diese Abhandlung erzählt zu wenig. Fakten und Fragen werden aufgehäuft, Gründe gesucht. Das Gebiet »Persönlichkeit, Entscheidungen & Zufall/Schicksal« ist ein durchaus interessantes – und an Ideen fehlt es Dir ja nicht unbedingt. Persönlich fände ich den Text allerdings sehr viel interessanter, wenn er die philosophischen Betrachtungen nicht zu seiner einzigen Aufgabe gemacht hätte – statt diese Betrachtungen zu formulieren und einem Ziel zulaufen zu lassen, könnte man die Ergebnisse solcher Überlegungen auf eine subtilere Weise in ein Stück Kurzprosa einbauen.
 

Eve

Mitglied
Hallo ledsgo,

dein Text, dein Essay trifft mich. Und ich würde anfügen, ist es uns nicht lieber, die Dinge als Schicksal "abtun" oder bewerten zu können? Gibt das nicht eine gewisse Ruhe, auch wenn wir einmal die im Nachhinein falsche Entscheidung bereuen?

Es heißt ja oft, alles ist für etwas gut und hätte einen (tieferen) Sinn, den wir vielleicht im Moment noch nicht erfassen können - ist das dann Schicksal?

Ich glaube, in dem wir glauben, dass das Schicksal uns "lenkt" (wie stark auch immer), sind wir eher bereit, Dinge hinzunehmen oder weiter zu gehen, weil genauso wieder etwas passieren kann, was wir im Moment noch gar nicht absehen können - Schicksal eben.

Viele Grüße,
Eve
 

ledsgo

Mitglied
Hallo

erstmal danke für die Mühen den Text zu korrigieren, ich habe seither versucht, den Text etwas narrativer zu gestalten, also eine Geschichte (wie du vorschlägst) daraus zu machen, und sie scheint mir irgendwie nicht mehr enden zu wollen...
wenn es nicht bald was wird, werd ich vermutlich nur das original nach deinen vorschlägen korrigieren und evtl zu den Essays verschieben...

@ eve: natürlich erleichtert es unser dasein, wenn wir an ein schicksal glauben, aber das die sache ist ja, dass der protagonist im text eigentlich nicht daran glaubt, weil er die dinge eben als zufälle erkennt, und nicht als sinnvolle geschehnisse, er sieht sein leben überhaupt nicht als sinnlos/sinnvoll, sondern eher als völlig sinnfrei, aber er fühlt eben eine gewisse schicksalverbundenheit...
die freiheit,die wir (oder eben der prot) erhält, wenn er sich für ein "illusionsfreies" dasein (also eines ohne tieferen sinn, gott, schicksal) entscheidet, hat also eben den preis der zufälle, des sinnfreien. und abgesehen davon gelingt es ihm nicht, völlig illusionsfrei zu existieren, da dieses innere gefühl, das nach schicksal schreit, nicht auszurotten ist.
 
G

Gelöschtes Mitglied 7520

Gast
hallo ledsgo,

ein guter text, egal ob biografisch oder fiktiv, essay oder erzählung. das liest sich im großen und ganzen sehr gut (oblomov hat ja schon zur genüge angemerkt) und ich bin schon gespannt, ob's mit der überarbeitung was wird.

ich bin gespannt. bewertung wird aufgehoben.

grüße
nofrank
 

ledsgo

Mitglied
Es erscheint mir wunderlich, wenn ich heute darüber nachdenke, wie ich mein Leben lebe. Wenn ich mir die Tatsachen vor Augen führe, so scheint es, als könnte ich jeder Mensch sein. Die Tatsachen, damit meine ich, dass ich mich tatsächlich einmal entschied, mein Studium abzubrechen, oder das ich meine damalige Freundin tatsächlich geheiratet habe. Es gibt viele Tatsachen dieser Art, ich kann sie aufzählen, und sie sind so wirklich, das ich gerne verleitet werde, sie als Schicksal hinzunehmen:
Ich lebe in Wien,
hatte eine Freundin
dann eine Frau
habe sie verloren
mein Studium abgebrochen
gehe meiner Arbeit nach.

All das ist wirklich, tatsächlich geschehen und für all das habe ich mich entschieden. Es ist natürlich nur ein kleiner Umriss, von all dem was ich bin, aber er reicht, um zu verstehen, dass ich jeder andere beliebige Mensch hätte werden können, wenn ich nur einmal anders entschieden hätte.
Nehmen wir nur das Studium. Warum habe ich es abgebrochen- Schicksal? Weil es damals nicht anders hätte sein können?
Nein.
Ich habe es abgebrochen, weil ich von einem Freund zur Beerdigung seiner Mutter eingeladen wurde, wo ich seine Schwester traf - das erste Mal in sechs Jahren. Womit ich nicht gerechnet habe, ist, dass in diesen sechs Jahren seine jüngere Schwester zu einer Frau geworden ist.
Dass ich sie einige Zeit später - sie war in Wien, um Bekannte zu besuchen - wieder traf, war Zufall. Dass ich mich in sie verliebte, war ebenso Zufall. Genausogut hätte eine Andere an ihrer Stelle sein können, und doch ist es nun eine Tatsache, dass ich sie geliebt, geheiratet und verloren habe, und auf Grund ihres Daseins Entscheidungen getroffen habe, wie etwa die Aufgabe meines Studiums.
Und nun frage ich mich: Was wäre, wenn ihre Mutter nicht in diesen Autounfall verwickelt worden wäre? Wenn sie nicht kurzfristig zu einer Ausstellung nach Salzburg hätte fahren müssen, weil in letzter Sekunde einer der Aussteller noch abgesagt hätte; und wenn statt des besoffenen LKW- Fahrers, der am Steuer einschlief und sie frontal rammte, irgendein Anderer gesessen wäre?
Vermutlich hätte ich sie niemals geliebt, weil ich sie überhaupt nicht getroffen hätte(auch nach Wien ist sie in Folge des Todes ihrer Mutter zu den Bekannten gekommen). Und selbst wenn ich sie getroffen hätte, wäre dann nicht schon eine Andere an meiner Seite gestanden?

Und nun stehen diese Dinge in meiner Geschichte als Tatsachen, geboren aus aneinandergereihten Zufällen, und ich frage mich, ob meine Entscheidungen denn richtig waren. Dabei kann ein Mensch die volle Bandbreite seiner Entscheidungen und die Zufälle, die mit ihnen verbunden sind, immer nur im Nachhinein bewerten, und es ist völlig irrelevant, ob die Entscheidung, mein Studium abzubrechen nun richtig war, weil ich sie nicht nocheinmal treffen werde.
Und ich sehe mich, so wie ich bin, und frage mich, wer ich wäre, oder wer ich sein könnte, wenn ich mich zB nicht für Wien, sondern für München entschieden hätte.
Und ich frage mich, wer ich sein werde, nun, da ich wieder vor einer Entscheidung stehe, die ich auf Grund irgendeines völlig zufällig zustandekommenden Geschehnisses treffen werde, weil ich dieses Geschehnis irgendwie deuten werde.

Aber was doch eigenartig ist, ist dieses seltsame Gefühl, dass ich gar niemand anders sein könnte. Obwohl ich nüchtern betrachtet all die Zufälle sehe, die aus mir den gemacht haben, der ich jetzt gerade bin, so schreit in mir doch irgendetwas:
es war dein Schicksal,und es hätte nicht anders kommen können!
 

ledsgo

Mitglied
so, ich hab jetzt den ursprünglichen von kageb (danke dafür) verbesserten text hier stehen lassen, weil er mir bei den essays auch nicht wirklich besser aufgehoben zu sein scheint, und er hier zumindest eine kleine leserschaft hat ;-)...
 



 
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