Tür

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monkey

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„Warum bist du durch die Tür gegangen“, fragte Dennis leise. „Du blöder Penner. Du dämlicher verblödeter Penner.“ Dann heulte er verzweifelt los, wie ein kleines Kind, das im Kaufhaus seine Mutter verloren hat.

Er saß im Schatten eines Etwas, das mit Fantasie ein Baum sein konnte... jedenfalls ähnelte es entfernt einem Baum nach der gängigen Konvention: Stamm, Äste, Blätterdach. Aber der „Stamm“ hatte eine leichtrosa Farbe und sah glatt aus, das „Blätterdach“ bestand aus einer riesigen dunklen halbdurchsichtigen Membran, getragen von vier gleichmäßigen und gleichmäßig verteilten „Ästen“, die den Baum wie einen mutierten Fallschirmspringer aussehen ließen, der den Fallschirm über den Kopf hielt.
Die Welt hier war nicht das was er zu sehen gewohnt war. Er saß in schimmerndem grünlichem Sand, der sich weich wie Moos anfühlte, und eine angenehme Wärme ausstrahlte. Das obwohl vom Himmel keine Sonne strahlte, die ihn aufgeheizt haben konnte. Dennoch fiel Tageslicht herab, oder kam sonst woher, und vielleicht war es auch gar nicht Tag, auf jeden Fall war es hell.
Der Baum wuchs direkt im Sand und war im weiten Umkreis das einzig andere außer dem Sand. Jedoch zeichneten sich am Horizont undeutlich Umrisse ab, auf dessen Ursprung Dennis aber nicht schließen konnte, so sehr er sich auch bemühte. Sie waren riesig und schemenhaft, vielleicht Berge.

Er hatte die Rinde des Baumes, sofern es denn eine war, berührt und war angeekelt zurückgeschreckt, weil sie sich anfühlte wie Haut, wie raue Haut. Die Hand putzte er übertrieben am Hosenbein ab. Der Baum war nicht aus Holz, der Baum war nackt, dachte er. Plötzlicherinnerte er sich, wie er einmal das Wasser aus einem Wurst-Glas probiert hatte, und bekam einen heftigen Würgreiz. Kurz darauf fing er an zu weinen.

Er konnte sich nicht erinnern wie lange er sich an der Tür zu schaffen gemacht und versucht hatte sie zu öffnen, aber er das war auch nicht wichtig. Wichtig war, dass er es nicht schaffte. Er hatte nicht den Eindruck, dass sie sich nicht öffnen ließ, aber eine massive, wenn auch stinknormale Holztür ohne Werkzeug zu öffnen war ein Ding der Unmöglichkeit. Er saß davor, den entstellten Baum im Rücken, und betrachtete sie. Sie war nun leicht verschrammt und mit kleinen Blutflecken von seinen’ aufgerissenen Fingerkuppen besprenkelt. Er hatte versucht sie mit bloßen Fingern aufzuziehen, das Holz zu beschädigen, sie einzutreten, durch das Schlüsselloch zu gucken, er hatte gerufen bis ihm der Hals brannte und er heiser war, aber nichts von alledem war von Erfolg gekrönt.
Zu diesem Zeitpunkt nahm er die Welt um sich herum erstmals wirklich wahr.

Als sich die Tür auf dieser Seite der Wirklichkeit öffnete kam ein Mann Mitte 20 hindurch, blaue verblichene Jeans, Karo-Hemd, blonde Gel-Frisur, und schaute, als hätte ihm jemand heftig ins Gesicht geschlagen. Er schlug die Hände vor das Gesicht. Er wollte gar nicht hier sein, warum war er durch die Tür getreten? Die Tür... Er drehte sich um und Panik explodierte in Dennis’ Kopf, sie war zu. Hoffentlich nicht verschlossen, bitte, bitte. Er packte die Klinke so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten, und rückte sie herunter. Nichts, die Tür blieb verschlossen. Vielleicht ziehen? Aber da wusste er schon, dass die Tür eine Falle war.

Sein Kopf schmerzte. Scharfe Schmerzen, schon eine ganze Weile lang, weil sein Gehirn die Eindrücke nur unzureichend verarbeiten konnte, so simpel sie auch waren. Er zweifelte zu keiner Sekunde daran nicht mehr auf der Erde zu sein. Sein erster klare Gedanke war, dass er Glück hatte nicht in einem hiesigen Equivalent zu einem Rockkonzert mit Lichtshow geraten zu sein, sein Kopf wäre sicher geplatzt, und er lächelte. Er war dabei ganz ruhig, fast fröhlich. Was brachte es sich einen kopf zu machen? Er musste sich mit der Situation arrangieren. So wie man es als Kind auch machte, die Dinge nehmen wie sie sind. Und so fühlte er sich auch, wie ein Junge, wie ein Junge auf Entdeckungsreise. Er schaute sich um, entdeckte die Umrisse am Horizont, betrachtete den Baum, dessen Abbild sich klar und doch verschwommen abzeichnete und berührte ihn dann.

Er beruhigte sich allmählich wieder. Das Weinen tat gut. Es würde sich schon eine Lösung finden. Ganz sicher. Er war ja noch nicht tot, das war doch ein gutes Zeichen. Gott wollte, dass er weiter lebte. Der alte Weise Mann im Himmel (ja, auch in diesem fast weißen Himmel) würde ihn beschützen. Vielleicht war das ein Test oder eine Prüfung. So wie Gott seine Propheten prüfte. War er der neue Prophet Gottes? Wenn ja, würde er das Amt dankend annehmen. Hörst du Gott? Ich möchte dein Prophet sein.

Er erwachte. Wo war er? Er atmete ein, und die Erinnerung war schlagartig zurück als er roch, als er die stinkende Luft an diesem Ort roch, die ihm seine Lunge zersetzte, das spürte er. Als er sich aufsetzte schmeckte es in seinem Mund nach Eisen. Er war anscheinend ohnmächtig geworden. Das letzte woran er sich erinnerte war, dass er mit Gott geredet hatte, verzweifeltes irres Gefasel. Gott konnte ihm gestohlen bleiben. Es gab keinen Gott.
Eine heftige Kopfschmerzattacke lies ihn stöhnend wieder zu Boden sinken. Er hustete krächzend, und als er sich erneut erhob schaute er auf einen Fleck schleimigen blutig-verklebten Sandes. Scheiße.
Plötzlich wusste er, dass der Baum hinter ihm lauerte. Er hatte sich selbst ausgegraben, ein entsetzlich entstelltes Monstrum, dass nach ihm grapschte, und dann grausame Dinge mit ihm anstellen würde, die er sich nicht Vorstellen konnte. Den heißen Atem konnte er im Nacken spüren... Er wirbelte herum, und da stand er. Er stand da wie zuvor, wie der Traum eines abstrakten Künstlers. Dennis lächelte, obwohl ihm gar nicht danach war. Er zeigte dem Baum den Mittelfinger. Er schaute nach der Tür. Auch sie war noch da und verhöhnte ihn mit ihrer Anwesenheit. Selbst Schuld, sagte sie. Und ja, das war er.

Die Tür stand plötzlich mitten in seiner Küche. Er hatte sich nur kurz zum Kühlschrank gebückt, und als er sich umdrehte, die Milchtüte in der Hand, stand sie da. Direkt vor ihm. Sie sah nicht neu aus, aber auch nicht alt. Sie sah aus wie eine Tür, wie man sie heute vielleicht noch in seinem Elternhaus sieht, und die mit Erinnerungen an gestoßene Ellenbogen oder Zehen behaftet ist. Ihr massives Holz glänzte matt im Schein der Deckenlampe, als wäre sie das Natürlichste auf der Welt, wie sie so da stand.
Dennis erschrak sich heftig, und verschüttete Milch auf dem Boden. Dann gaffte er die Tür eine Weile mit offenem Mund und rasendem Herzen an, während er nach möglichen Erklärungsversuchen suchte. Vorsichtig ging er um die Tür herum, langsam kamen zuerst ein Küchenstuhl, der Tisch und dann das restlich Mobiliar dahinter zum Vorschein. Sein Teller mit trockenen Cornflakes stand dort, auf die Milch wartend, die er nie bekommen würde. Dennis schob den Küchentisch und die Stühle bei Seite, um die Tür von der Seite besser betrachten zu können. Er fühlte sich, als träume er, zuerst glaubte er es sogar, doch war die Situation zu wirklich. Hatte er nicht einmal eine Kurzgeschichte gelesen, in der auch eine Tür plötzlich auftauchte und dahinter lauerten Monster? Ihn fröstelte. Das Licht in der Küche war auf einmal viel zu dunkel, die Wohnung zu groß und er zu allein. War das ein Scherz? Er glaubte es nicht. Keiner seiner Freunde war David Copperfield. Aber dann war es ein Phänomen, und eine Tür war ein unheimliches Phänomen. Was lag wohl dahinter? Denn darum ging es doch bei einer Tür, oder nicht? Was dahinter lag. Sperrte sie etwas aus? Nein, dann sähe sie wohl anders aus, vermutlich aus Stahl und mit Riegeln und so. Bot sie ihm einen Blick in die tiefsten Tiefen des Universums, von denen die Menschen nicht einmal zu träumen wagten? Oder würde er, wen er sie öffnete nur seinen offenen Kühlschrank mitsamt Joghurts, Aufschnitt und Getränken auf der anderen Seite sehen? Mit einem Mal war er sich sicher, dass es so sein musste. Es erschienen nicht einfach Türen in seiner Küche, die aussahen wie vor 20 Jahren im Möbelmarkt nebenan gekauft, und waren dann Tore in andere Welten, ob nun gute oder schlechte.
Die Angst war mit einem Mal verflogen, und er drückte die Klinke.

Danach erinnerte er sich erst wieder an etwas, von dem Zeitpunkt an, als er erschöpft und blutend davor saß, mit schmerzendem Kopf und wusste, dass er nicht mehr auf der Erde war.
Er schüttelte den Kopf, was eine heftige Schmerzattacke in seinem ganzen Körper verursachte, dabei flogen Haare lose von seinem Kopf und würden in Kürze kahle Stellen freigeben. Er konnte nicht länger hier sitzen, das wäre der sichere Tod, auch wenn er es nur schwer akzeptieren konnte, die Tür zurückzulassen. Sie war wahrscheinlich sein einziger Ausweg, aber eben nur wahrscheinlich. Vielleicht war sie auch sein Tod.
Er zweifelte daran, dass er es bis zum Horizont schaffen würde, der so unscharf und fern war, schob den Gedanken aber beiseite. Wenn nicht jetzt, dann nie. Würde er jetzt nicht aufbrechen, würde er es nie tun, das fühlte er. Er würde hier sitzen bleiben, langsam verwelken und auf den Tod warten, darauf hoffend, dass sich die Tür doch irgendwann öffnen würde. Aber Dennis war sich sicher, dass sie es nicht tun würde, sie war eine Falle. Vielleicht war es ja auch Schicksal hier zu landen...
Er schaute entschlossen zum Horizont, den er erreichen wollte, da bewegte er sich. Die riesigen schemenhaften Umrisse flossen am Himmel herab auf den Boden und breiteten sich zu einer tiefdunklen Linie aus. Ein Quieken erschall, schrill und unnatürlich, als würde er es gar nicht wirklich hören, durchzogen von krachendem Rauschen wie Störgeräusche in einem Radio. Dennis schlug die Hände auf die Ohren und sank stöhnend auf die Knie, während das Geräusch anschwoll. Kurz darauf zog ein Gestank auf, so grässlich, dass Dennis gelben Magenschleim, Blut und Stückchen kotzte. Als er dann fühlte, was da kam, denn es kam zu ihm, verlor er den Verstand. Aber das schützte ihn nicht davor, dass er es immer noch fühlte.

By Monkey
 

Paulin

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Hallo Monkey !
So gefällt es mir : eine Momentaufnahme fast und das Herausarbeiten der Gefühlswelt eines Menschen der den Verstand verliert.Grüße Paulin
 

monkey

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hi.

ich hab die story schon umgeschrieben. einige deiner kritik punkte sind ausgemerzt, die story ist aber noch nicht ganz final. ich überlege grad, das ende völlig umzuschreiben, und ihm eine ganz neue richtng zu geben...
außerdem muss die eine oder andere formulierung noch dran glauben. :)

monkey
 

monkey

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also ein neues ende habe ich mittlerweile verworfen. das ende gehört zu meiner story, alles andere wäre falsch. da geb ich mich auch mit dem derzeitigen mittelfeldplatz zufrieden. denn das ist meine geschichte. :)
 
Das Ende würde ich auch lassen, gefällt mir ganz gut.

Doch die Verzweiflung des Jungen, seine Gefühle, seine Hilflosigkeit, seine Angst, sein erwachender Widerstand...

kommt viel zu kurz, er bleibt leblos und zweidimensional, sollte aber meiner Meinung der Hauptaspekt dieser Geschichte sein, das Grauen hinter der Tür...
 

monkey

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Ursprünglich veröffentlicht von Michael Schmidt
Das Ende würde ich auch lassen, gefällt mir ganz gut.

Doch die Verzweiflung des Jungen, seine Gefühle, seine Hilflosigkeit, seine Angst, sein erwachender Widerstand...

kommt viel zu kurz, er bleibt leblos und zweidimensional,
auch jetzt noch? ich meine, meine vorangegangenen änderungen waren nicht so immens, aber ich dachte ich hätte das erleben des charakters gut geschildert.
paulin war schon bei der ersten fassung davon überzeugt.
 
Meiner Meinung nach ist die Verzweiflung usw. des Protagonisten der Kernpunkt der Geschichte, ich an deiner Stelle würde dies ausbauen.
Evtl. warte ein oder zwei Wochen, lies dir die Geschichte nochmals durch, vielleicht hast du dann das gleiche Empfinden wie ich.
 



 
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