Typisch New York ?- Eine kritische Reflexion

Dreamwalker

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" Eine häßliche Stadt, eine dreckige Stadt. Ihr Klima ist ein Skandal. Ihre Politik dient dazu, Kinder zu erschrecken. Ihr Verkehr ist ein Irrsinn. Ihre Konkurrenz ist mörderisch. Aber da ist was mit ihr - wenn Du einmal in New York gelebt hast, und es ist dein Zuhause geworden, ist kein anderer Ort mehr gut genug. "

Mit diesen unheilsschwangeren Worten eines Herrn JOHN STEINBECK beladen, sitze ich mit meiner Freundin im Rooftop - Restaurant des Marriot Hotels am Times- Square, schwindelnd hoch über dem Gewimmel der Straßen unter uns. Obwohl es erst Frühling ist, ist es heiß, sehr heiß, auch jetzt noch , wo die Sonne schon untergegangen ist. Die Luft ist stickig in den Straßen, und die klimatisierten Restaurants bevölkern die Leute, die es sich leisten können, um dort den Tagesabschluß zu begehen.

Mit einem Ohr lausche ich dem Gespräch am Nachbartisch. Zwei Männer in Designer - Anzügen unterhalten sich angeregt über einen Fahrstuhl, der offenbar ständig steckenbleibt. Einer der beiden ereifert sich darüber, daß er kürzlich deswegen einen Geschäftstermin verpasst hätte.

" Typisch New York " meint er.

Seit dem Tag beschäftigte mich für den Rest des Aufentaltes die Frage, was er denn damit gemeint haben könnte, was denn das Typische an der Stadt der Städte sein könnte.

Sind es die gierigen Yuppies der Reagan - Ära in ihren edlen Klamotten, die nichts anderes im Sinn haben, als ihren - oft auf Kosten anderer - erworbenen Neureichtum in Champagner umzusetzen und sich als elitäre Klasse der " Winner " zu fühlen ?
Sind es die die ständigen Defekte, die diese Stadt plagen : hängengebliebene Aufzüge und liegengebliebene Subways, zu heiße Heizungen, zu kalte Winde aus brausenden Klimaanlagen, ewig verstopfte Straßen, ein Leben, daß sich für den oberflächlichen Beobachter nur mit einer Mischung aus Fatalismus und Sportsgeist ertragen läßt?

Oder ist es eine Art der Amerikaner, die insbesondere hier in New York sublimiert ist ?

Ich denke daran, was ich im Reiseführer über den Times Square, der zu unseren Füßen liegt, gelesen habe:

Noch in den 80- er Jahren ein verruchter Pfuhl aus Sex, Dreck, Drogen und Gewalt. Penner unter Pappkartons, Besoffene, Bekiffte und Bettler, in den Hauseingängen Hütchentrickser und Huren, verschminkte blasse Mädchen, die fröstelnde Freier aus dem Licht der Leuchtreklamen in dunkle Winkel oder überheizte Stundenhotels lockten. An den Straßenecken wurde gedealt und gespielt, die Polizei ließ sich nur blicken, wenn jemand nach Überfällen oder Schlägereien rief.

Heute dagegen flanieren über denselben Ort verliebte Pärchen, das gesammte Areal wurde familienfreundlich umgestaltet. Private Wachleute in tadellosen Uniformen und hilfsbereite Polizisten , teilweise hoch zu Roß, halten ein wachsames Auge, während Straßenkehrer in adretten Overalls die Gehwege so sauber halten wie kaum irgendwo in Deutschland.

New York gilt heute sogar als Modell urbaner Wiederbelebung, und gar seriöse Kommentatoren schwärmen in den Gazzetten von einem " Miracle ".

Ist es tatsächlich ein Wunder ? Was hat zu diesem Aufstieg geführt ?

New York, lese ich, verfügte schon immer über eine beispiellose innere Energie,das Potential zum Reichtum, ein Rohstoff, der sich schöpferisch oder zerstörerisch entfalten kann. Dieses Potential war schon immer vorhanden, es wartete nur darauf, belebt zu werden.

Der Katalysator war in dem Fall der damalige Bürgermeister Rudolph Giuliani, der sich durch seine rigide Politik einen Namen gemacht hatte. " Zero Tolerance " war sein Motto. Er kürzte nach seiner Amtseinführung sämtliche Etats, insbesondere dem der Schulen, mit einer Ausnahme: Er stockte das Personal des Police Department kräftig auf und begann mit der größten Polizeistreitmacht der Welt einen erfolgreichen Feldzug gegen das Verbrechen. Ein Aufschrei ging damals durch die Bevölkerung, aber die Zahl der Verbrechen ging auf ein Drittel zurück.
Die Menschen schöpften wieder Vertrauen, und die Stadtflucht kehrte sich um: New York wuchs.

Durch den Zustrom der Menschen wandelte sich das Stadtbild, und New York wurde zu der Stadt, die sie heute ist.

Typisch New York ?

Ich denke zurück an Deutschland, an einige Städte des Ruhrgebietes, an sog. " benachteiligte " Stadtteile von Düsseldorf, an meine Eindrücke an eine Rundfahrt durch die Straßen des ehemaligen Ostberlins Anfang der 90'er Jahre, an Fersehbilder, die man von den sogenannten " strukturschwachen " Regionen sieht. Gar nicht so unähnlich, denke ich.

Ich frage mich, ob nicht auch in uns etwas von diesem Potential steckt, das New York zu zu dem gemacht hat, was es heute ist.
Deutschland ist ein reiches Land. Steckt nicht etwas von dem Potential auch in uns allen ?
 



 
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