U-Bahnneon

Das Ich

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23.11.2048.7:15 und 0 Sekunden. Exakt. Der Wecker klingelt nervtötend. "Für verantwortungsbewusste Arbeiter", steht darauf. Ich stehe auf, dusche mich unter der chemischen Dusche, ziehe meine graue Arbeiterkleidung an und frühstücke synthetische Kapseln und Tabletten. "Mit allen nötigen Vitaminen und Stoffen für einen fleißigen Arbeiter", steht darauf.
Ich verlasse das Haus. Es ist 8:00 und 0 Sekunden. Exakt. So ist es vorgeschrieben.
Ich gehe zu Fuß zur U-Bahnstation. Neben mir gehen noch ein paar andere Arbeiter, die auch um 8:00 ihr Haus verlassen haben.Ihre Gesichter sind grau, ihre Kleidung ist grau und ihr Leben ist grau. Aber produktiv. Produktiv.
Das Neonlicht der vorbeifahrenden Autos spiegelt sich in den Pfützen. Ich stehe vor der U-Bahnstation. An einer Mauer hängt ein Schild: "Effizienz, Leistung, Stärke"
Aber dieses Schild kann ich mir zuhause ja auch ansehen.
Es ist 8:15. Die U-Bahn kommt. Ein Arbeiter steigt in letzter Sekunde ein. Missbilligende Blicke von allen Seiten. Auch ich sehe ihn verächtlich an. Schließlich gehört es sich ja so. Alle tun es.
Die U-Bahn fährt los. Durch den dunklen Tunnel. Aber es gibt doch die Neonröhren. Die schönen hellen warmen Neonröhren. Im dunklen dunklen Tunnel.
Neonröhre 17.
Ein Mann liest eine Zeitung. Seine weißen Haare glänzen vom Neonlicht. Sein Körper zittert. Er schwitzt. "700 Obdachlose hingerichtet - erfolgreiche Beseitigung von unproduktiven Elementen", steht in der Zeitung.
Eine junge Frau mit schwarzen Haare sitzt mir gegenüber. Sie sieht zum Fenster hinaus. Aber da ist nichts zu sehen, außer Neonröhren und Dunkelheit.
Da steht die Frau auf. Sie hat genug Dunkelheit gesehen. Sie fällt hin. Da sind ihre schwarzen Haare ganz rot. Und der Schuss ihrer Pistole klingt wie ein Schrei.
Der alte Mann mit der Zeitung nimmt sein Handy aus der Tasche. "Leichenräumungsdienst? Wir haben hier ein hygienefeindliches Element." Dann liest er weiter Zeitung.
Neonröhre 53.
Nächste Haltestelle. Ein Mann mit grauer Krawatte steigt ein. Seine Haare sind gerade nach hinten gekämmt. Sein Blick ist hart und starr. Seinen Koffer hält er wie ein Schwert in der Hand. Er sieht die junge Frau mit den roten schwarzen Haaren an. "Kann denn niemand diese Person entfernen? Man stolpert ja noch. Das ist doch gefährlich. Am Ende verletzt sich noch jemand."
Mit angewidertem Blick steigt er über die Frau hinweg.
Man hört eine Mutter ihr Kind anschreien. Man versteht nichts, sie schreit zu laut. Jetzt schlägt sie sogar zu.
"Warum schlägst du dein Kind?", fragt der Arbeiter, der fast die U-Bahn verpasst hätte "du bist doch seine Mutter! Warum schlägst du dein Kind!?"
"Was geht denn Sie das an? Kümmern Sie sich doch um ihre eigenen Angelegenheiten!", kläfft sie ihn an.
"Da hat die Dame recht", sagt ein Mann mit ungeheuer wichtigem Ton "das geht Sie doch nichts an. Also das geht ja nun wirklich nicht, dass Sie sich hier einfach so einmischen, nicht wahr, mein Herr? Wo kämen wir denn da hin, nicht wahr?"
"Jaja", erwidert die Mutter "sehr richtig, das sagte ich ja bereits. Aber wenn Sie es unbedingt wissen wollen,bitte sehr!" Das "Bitte sehr" spricht sie so hart aus, dass ich ein bisschen zusammenzucke.
"Mein Kind hat von einem Fremden Geld angenommnen. Und auch noch von einem Schwarzen, stellen Sie sich das mal vor!" Und ihre Stimme bebt vor Entrüstung. "Von einem Ausländer!"
"Aber er war doch so nett", sagt das Kind "und er hatte so warme Augen!"
"Bist du wohl still!", schreit die Mutter und zerrt ihr Kind aus der haltenden U-Bahn.
"Gesindel", murmelt der zweite Arbeiter "diese Ausländer, alles Verbrecher!" Dann verlässt auch er hektisch das Abteil.
Neonröhre 87. Und der Tunnel zieht vorbei. Vorbei vorbei.
Ein Kontrolleur steigt ein. Er hat eine Zigarette im Mund. Obwohl Rauchen in der U-Bahn verboten ist. Seine Haare glänzen von Haargel. Und vom Neonlicht.
Langsam geht er durch die Sitzreihen. Jeder zeigt ihm seine Fahrkarte. Ich auch. Meine schaut er länger an als die anderen, aber dann geht er weiter.
Einer hat keine Fahrkarte. Der hat ganz abgewetzte Kleidung. Er schleppt vier Tüten mit sich herum. und seine Haare sind ganz lang und fettig.
"Na, was is'? Hast wohl keine,hm?", fragt der Kontrolleur und pafft ihm ins Gesicht.
"Nein, hab' ich nicht", sagt der Obdachlose.
"Dich kriegen sie auch noch, Abschaum!", ruft der Mann mit der Zeitung und der mit der grauen Krawatte nickt wichtig.
"Tja, das macht dann wohl 40 Euro, mein Lieber", sagt der Kontrolleur und grinst.
"Ich hab' kein Geld. Keine Hoffnung. Nur Hunger und Heimweh. Aber ich muss doch weiter!", schreit der Obdachlose.
"Geld haben Sie also auch keines. Wo wohnen Sie denn?"
"Ich wohne überall. Ich wohne nirgends. unter Eisenbahnbrücken und in leeren U-Bahnen. Aber die fahren nirgendwo hin!"
Das Quietschen der Bremsen unterbricht die Verzweiflung des Hungernden.
"Endstation", sagt eine Stimme. Künstlich und kalt. Alles aussteigen! Alles aussteigen! Alles aus - alles aus!
 

poppins

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Eine finstere, trost- und hoffnungslose Endzeitvision - das Szenario erinnert mich ein wenig an die "Schöne Neue Welt"...
Eine Szenerie, die so unangenehm ist, dass ich mich gar nicht richtig "hineingleiten" lassen wollte beim Lesen, sie weckt doch starken Widerwillen.
Worauf willst Du am Ende hinaus?

Zum sprachlichen: mich haben die diversen Wortwiederholungen und Adjektivketten gestört, z.B."Durch den dunklen Tunnel. Aber es gibt doch die Neonröhren. Die schönen hellen warmen Neonröhren. Im dunklen dunklen Tunnel." Ich glaube, damit wolltest Du womöglich das Gerumpele der U-Bahn einweben in Deinen Text, aber mich stört sowas sehr im Lesefluss. Ist mir irgendwie zu lyrisch, sowas in einem Prosatext...klar, reine Geschmackssache...;-).
 



 
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