Und plötzlich waren überall Regenbogen

Art.Z.

Mitglied
Und plötzlich waren überall Regenbogen

Und plötzlich waren überall Regenbogen. Alles war so bunt und tolerant. Plötzlich waren alle dafür und solidarisch und eigentlich wollte es doch jeder schon lange gesagt haben, aber traute sich nicht oder hatte sonst etwas anderes zu tun. Aber jetzt ging es ganz schnell. Tag für Tag waren immer mehr Profilbilder mit einem bunten Streifenschleier überzogen und in den Medien geriet das Thema in den Vordergrund. Was in den USA beschlossene Sache ist, das ist in Deutschland bald auch Gesetz. Irgendwie müssen wir ja …
Und er wusste nicht so recht, was diese Veränderung nun bedeuten sollte. In der Schule sprachen alle darüber. Zwar waren nicht alle dafür, aber die, die dafür waren, sagten es lauter und zeigten ihre Meinung offener. Immer öfter sah er jetzt gleichgeschlechtliche Pärchen zusammen. Fast kam es ihm so vor, als gäbe es mehr von ihnen, als von den heterosexuellen. Aber vielleicht fielen sie einfach mehr auf.
Irgendwie wusste er einfach nicht, was das alles bedeuten sollte. War es denn jetzt wirklich allgemein akzeptiert, offen zu sagen, dass man schwul ist?
Sein Vater schimpfte am Esstisch. Es werde immer schlimmer. Die Welt versinke in Krieg und Amoralität. Jetzt auch noch diese Schwuchteln, die sich vermählen durften. Wo sollte das nur enden? Und seine Mutter aß ganz still und schaute nicht auf. Und kaute sehr lange an einem Bissen, der ihr scheinbar nicht schmecken wollte. Und er saß zwischen seinen Eltern und verstand irgendwie nicht, was das alles bedeuten sollte.
Herr Pfalzgraf sprach das Thema im Ethikunterricht an. Was meint ihr dazu? Ein paar sagten ihre Meinung. Viele waren dafür. Als Murat sagte, dass er das ekelhaft findet, wenn sich zwei Männer … Sie wissen schon. Er schaffte es nicht, seinen Gedanken zu Ende auszusprechen und kicherte laut. Herr Pfalzgraf sagte, dass er das sehr gut verstehen könnte. Wir sollten es aussprechen. Diese Praktik in wider die Natur. Aber wir leben in einer offenen und toleranten Gesellschaft. Da muss man bei so manchem beide Augen zudrücken.
Nachmittags beim Fußball war alles wie sonst auch. Keiner sprach über das Thema. Der Trainer ließ am Ende genau so viele Runden rennen wie letzte Woche.
Auf dem Heimweg mit Paul sprach er das Thema an. Mir ist es egal, sagte Paul. Ich bin nicht schwul und hab auch nichts gegen Schwule und Lesben. Wenn sie heiraten wollen, sollen sie doch. Aber ich glaube nicht, dass ich mit einem Schwulen befreundet sein könnte. Irgendwie fände ich das komisch.
Er hörte zu und wusste nicht, was er davon halten sollte.
Abends lag er dann im Bett und dachte nach. Vielleicht war es wirklich an der Zeit, die Wahrheit zu sagen? Vielleicht würden sie es akzeptieren? Schließlich war es heute doch keine große Sache mehr.
Er würde es morgen allen sagen. Und er schlief ein. Und er hatte ein gutes Gefühl.
Am Frühstückstisch sah sein Vater besonders mürrisch aus. Scheinbar lief bei ihm im Büro etwas schief. Also entschloss er sich, seinen Eltern erst mal nichts zu sagen.
In der Schule wurde das Thema nicht mehr angesprochen und ihn fragte keiner. Also schwieg er auch da.
Beim Fußball war auch alles wie immer. Auf dem Heimweg erzählte Paul von diesem einen Mädchen, in das er verliebt war. Er nickte nur und hörte zu. Es wäre unpassend, jetzt darüber zu sprechen.
Abends saß er wieder bei facebook und scrollte durch all die Regenbogen-Bilder.
Sollte er wenigstens sein Bild bunt machen? Aber was würden die anderen davon denken? Es wäre zu auffällig. Er traute sich erst mal nicht.
Am nächsten Tag in der Schule war Jonas das große Thema. Er hatte sich geoutet. Lief einfach so Hand in Hand mit Martin über den Schulhof. Es war das Thema Nummer eins. Der doch nicht … ich dachte nie, dass er … mein Gott, und ich hab die ganze Zeit mit ihm geduscht nach dem Fußball, rief Paul in seiner Clique und verzog demonstrativ das Gesicht. Gut dass du so ein Gesichtselfmeter bist, scherzte Murat, der hätte dich eh nie angefasst. Alle lachten. Er lachte mit.
Abends saß er wieder bei facebook. Alle waren so stolz auf diese Revolution. Aber war es wirklich eine? Oder nur ein Trend wie die Icebucketchallange oder Jesuischarlie? Wer war heute noch Charlie?
Vor dem schlafen likte er noch das Regenbogen-Bild eines Unbekannten.
 

steyrer

Mitglied
Geständnis

Homosexualität muss immer noch „gestanden“ werden:
früher in der Beichte,
heute beim Outing

und damals wie heute gibts danach Freisprechung (ok, nur im passenden Umfeld).

Kurz: Ich verstehe die Bedenken deines Protagonisten.

Schöne Grüße aus Österreich
steyrer
 



 
Oben Unten