Valentinum

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Mistralgitter

Mitglied
Valentinum - Der Versuch eine spiegelbildlesbare Geschichte zu schreiben (mit anderen Worten: Sie soll rückwärts gelesen möglichst auch einen Sinn machen.)


Jahrelang hatten sie dafür geübt. Heute taten sie nun endlich, wofür sie sonst nie Zeit hatten.
Sie hatte ihre dunklen Haare frisch gewaschen und sie zu einem dicken Zopf geflochten und war in das weiß gepunktete Frühlingskleid geschlüpft. Er hatte sich sorgfältig rasiert und seine Zähne geputzt, hatte sich den grauen Schlips umgebunden, seinen einzigen, und den Hut aufgesetzt.

Für wen? Warum heute?
Der Tag sollte ein besonderer werden.
Sie hatten zwei Fahrkarten gekauft.

Für die anderen gehörte das schon immer dazu.
Diesmal mischten sie mit. Sie wollten nicht außen vor bleiben. Alle Welt feierte die Liebe.

Keine Ahnung, ob sie ihn liebte.
Keine Ahnung, ob er sie liebte.
Sie nannten das Ganze ihr Valentinum.
Wollte sie nicht ein Eis essen, würde er nicht eine Schwarzwälder bestellen?

Zu Hause sei es genauso schön, sagte er. Sie sagte nichts. Wegen der Landschaft müssen wir eigentlich nicht weg, sagte er. Die haben wir vor der Haustür, sagte er.

Sie könnten im Park spazieren gehen, sagte sie, und sich zum Ausruhen auf eine Bank setzen. Das könnte sie sich gut vorstellen, hatte sie gesagt. Erst in der Dämmerung würde es Zeit sein nach Hause zu fahren.

Ein ganzer Tag war lang. Im Zug ist es früh morgens und spät abends meist ziemlich leer. Er darf nur seinen Hut nicht vergessen, wenn er aussteigt.
Der Zug rattert immer so laut.

Er war Künstler, oft brotlos, still und schweigsam. Ohne seine Frau wäre er hinter seinen Bildern verkommen. Sie stieg eine Haltestelle früher aus. Sie käme später nach, sagte sie. Sie wolle noch ein Stündchen zu ihrer Schwester gehen, sagte sie. Der Zug unten hält nur alle zwei Stunden an ihrem Bahnhof.

Er stapfte lustlos seinen Weg. Seine Frau ging wie immer leichten Fußes. Für ihn wurde der Weg hinauf, aber auch hinab manchmal schon beschwerlich. Sein Häuschen lag abseits von den anderen Häusern am Berghang. Er war fremd geblieben. Um Freunde kümmerte er sich nicht.

Es war lange bis in den Abend hinein sonnig und warm. Der Wind hatte meist keinen langen Atem hier oben.
Er setzte sich ans Fenster in der Küche und trank den kalten Tee von gestern.


_____________Spiegelachse_____________________


Er setzte sich ans Fenster in der Küche und trank den kalten Tee von gestern.
Der Wind hatte meist keinen langen Atem hier oben. Es war lange bis in den Abend hinein sonnig und warm.

Sein Häuschen lag abseits von den anderen Häusern am Berghang. Er war fremd geblieben. Um Freunde kümmerte er sich nicht.
Für ihn wurde der Weg hinauf, aber auch hinab manchmal schon beschwerlich. Seine Frau ging wie immer leichten Fußes. Er stapfte lustlos seinen Weg.

Der Zug unten hält nur alle zwei Stunden an ihrem Bahnhof. Sie wolle noch ein Stündchen zu ihrer Schwester gehen, sagte sie. Sie käme später nach, sagte sie. Sie stieg eine Haltestelle früher aus. Ohne seine Frau wäre er hinter seinen Bildern verkommen. Er war Künstler, oft brotlos, still und schweigsam.

Der Zug rattert immer so laut. Er darf nur seinen Hut nicht vergessen, wenn er aussteigt. Im Zug ist es früh morgens und spät abends meist ziemlich leer. Erst in der Dämmerung würde es Zeit sein nach Hause zu fahren. Ein ganzer Tag war lang.

Das könnte sie sich gut vorstellen, hatte sie gesagt. Sie könnten im Park spazieren gehen, sagte sie, und sich zum Ausruhen auf eine Bank setzen.
Die haben wir vor der Haustür, sagte er. Wegen der Landschaft müssen wir eigentlich nicht weg, sagte er.
Sie sagte nichts.
Zu Hause sei es genauso schön, sagte er.

Wollte sie nicht ein Eis essen, würde er nicht eine Schwarzwälder bestellen?
Sie nannten das Ganze ihr Valentinum.
Keine Ahnung, ob er sie liebte.
Keine Ahnung, ob sie ihn liebte.
Alle Welt feierte die Liebe.
Sie wollten nicht außen vor bleiben.
Diesmal mischten sie mit.
Für die andern gehörte das schon immer dazu.

Sie hatten zwei Fahrkarten gekauft. Der Tag sollte ein besonderer werden. Warum heute? Für wen?
Er hatte sich sorgfältig rasiert und seine Zähne geputzt, hatte sich den grauen Schlips umgebunden, seinen einzigen, und den Hut aufgesetzt.
Sie hatte ihre dunklen Haare frisch gewaschen und sie zu einem dicken Zopf geflochten und war in das weiß gepunktete Frühlingskleid geschlüpft.
Heute taten sie nun endlich, wofür sie sonst nie Zeit hatten.
Jahrelang hatten sie dafür geübt.
 

FrankK

Mitglied
Hallo, Mistralgitter

Ein sehr interessanter Ansatz. Sollte bei einer Spiegelgeschichte aber nicht auch eine andere Bedeutung heraus kommen? Hier lese ich irgendwie zweimal das selbe.

Sprachlich stolpert es etwas, es könnte noch ein wenig geschliffen werden.
Ganz intensiv stören mich die häufigen "sagte er" / "sagte sie" im Zentrum der Geschichte(n).

Dennoch gut gemacht. ;)


Grüßend aus Westfalen
Frank
 

Mistralgitter

Mitglied
Hallo Frank,

ich hab keine Ahnung von Spiegelgeschichten - der Einfall kam mir gestern Abend beim Zubettgehen. Also scheint es sowas auch sonst zu geben. Dabei dachte ich, ich sei einzigartig ;-)

Ja, die Geschichte holpert. Noch. Ich arbeite daran - wie immer an meinen Texten, die sind nie fertig - ich warte selten bis zum Sanktnimmerleinstag und mute sie meinen Lesern schon vorher zu.

Und ja, die vielen "sagte" sind gewollt!

Danke für deine Beschäftigung mit meinem Text - und wenn ich etwas wissen sollte über Spiegelgeschichten, lass es mich wissen. Ich wäre dir dankbar.

LG
Mistralgitter
 

FrankK

Mitglied
Oho, keine Ahnung ob es sowas sonst noch gibt.

Ich hätte nur "erwartet", dass die Geschichte auch einen anderen Sinn ergeben "könnte".

Dennoch, ein reizvolles Unterfangen.

Ganz ehrlich, die vielen "sagte" ... stören.


Aber was solls. Es ist Deine Geschichte.
Bin schon gespannt auf Deinen nächsten "Feinschliff".


Ermutigende Grüße aus Westfalen
Frank
 

Mistralgitter

Mitglied
Ich bin sonst auch immer ein Antiwiederholungstäter ("sagte"), aber in diesem Fall ... der Text sollte überhaupt völlig unelegant, eher spröde sein.

Zum Thema Spiegelgeschichte fand ich folgendes:
Die Spiegelgeschichte, von Ilse Aichinger 1949 verfasst und im August desselben Jahres in vier Folgen in der Wiener Tageszeitung veröffentlicht, handelt von einer jungen Frau, deren Lebensgeschichte rückwärts erzählt wird. Am Anfang und am Ende der Geschichte steht der Tod.Quelle: wikipedia,Spiegelgeschichte
Aber offenbar ist das was anderes, als was ich gemacht habe.

Ob es einen anderen Sinn ergibt, wenn man es vorwärts und rückwärts schreibt? Vielleicht andere Nuancen.

Ein anderes Beispiel finde ich auch reizvoll: Eine Geschichte immer wieder zu erzählen, aber sie leicht abzuändern und dadurch den Verlauf zu verändern, obwohl das Grundgerüst der Story stehen bleibt. Ähnlich wie im Film "Lola rennt".

LG
Mistralgitter
 

FrankK

Mitglied
Guten Abend, Mistralgitter
Ein anderes Beispiel finde ich auch reizvoll: Eine Geschichte immer wieder zu erzählen, aber sie leicht abzuändern und dadurch den Verlauf zu verändern, obwohl das Grundgerüst der Story stehen bleibt. Ähnlich wie im Film "Lola rennt".
Ein derartiges Motiv (wiederholte, abgewandelte Szenen) finden sich stark in der Science Fiction und der Fantastic.
Eine der bekanntesten Hervorbringungen ist "Und täglich grüßt das Murmeltier", eine andere Sichtweise darauf zeigt sich in "50 erste Dates".

Der Versuch eine spiegelbildlesbare Geschichte zu schreiben (mit anderen Worten: [blue]Sie soll rückwärts[/blue] gelesen möglichst [blue]auch einen Sinn[/blue] machen.)
Dieses Vorwort hatte in mir die Erwartung geweckt, es ergäbe sich ein (weiterer) Sinn durch die umgekehrte Lesart.
Jetzt frag ich mich - ist das überhaupt möglich?
Was meinst Du?


Abendliche Grüße aus Westfalen
Frank
 

Mistralgitter

Mitglied
Ich hatte es bei der Erstellung des Textes auch gehofft, dass das gelänge. Ein bisschen, zaghaft, andeutungsweise ist es in meinem Text schon da, weil der Anfang und der Schluss ja ein anderer ist. Wenn dann der Verlauf der Geschichte so gestaltet werden könnte, dass sich insgesamt eine neue Sichtweise auf die Handlung ergäbe, wäre ich glücklich.
Ob das möglich wäre - du fragst das zu Recht. Ich hab keine Ahnung. Ich hab das Ganze doch erst gestern Nacht zwischen 23.30 Und 00.30 Uhr erfunden!
 



 
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