Verspieltes Glück

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Anonym

Gast
Verspieltes Glück

Er hatte erstmals kein einziges Spiel gewinnen können, hatte Schulden gemacht, wie angeklebt auf seinem Stuhl gesessen, Zeit und Raum vergessen. Noch ein letztes Spiel. Und dann noch eines. Und noch eines… Schweißperlen rannen ihm übers Gesicht, so sehr hatte es ihn angestrengt irgendwann vom Spieltisch aufzustehen und das Casino zu verlassen.
Ziellos lief er durch die dunklen Straßen, im verzweifelten Bemühen sich so der bitteren Erkenntnis entziehen zu können. Doch es gab kein Entrinnen. “Ich bin spielsüchtig”, hämmerte es in seinem Kopf. Liz hatte recht gehabt. Er schämte sich dafür, dass er ihre Besorgnis nie ernst genommen hatte. Und sie stattdessen behandelt hatte wie ein aufgeregtes Kind, das man in den Arm nimmt und streichelt, um es zu beruhigen. Er seufzte verzweifelt auf.
Bestimmt lag sie schon im Bett und schlief. Er würde sie aufwecken, sich bei ihr entschuldigen. Liz war eine starke Frau. Und sie liebte ihn immer noch, trotz allem. Sie würde an seiner Seite stehen, ihm die Kraft geben, die ihm selbst fehlte um diese Sucht zu bekämpfen. Liz, seine Liz, sie war das einzig wahre Glück in seinem Leben. Fast hätte er es verspielt.
Wie ein geprügelter Hund trottete er langsam nach Hause.


Beim Betreten der Wohnung beschlich ihn ein ungutes Gefühl. Das spärliche Flurlicht war nicht eingeschaltet. Alles war dunkel. Und totenstill. Mit zitternden Fingern knipste er in jedem Zimmer den Lichtschalter an. Liz war nicht da. Auf dem Küchentisch lag ein Bogen beschriebenes Papier:

“Geliebter Tom
Lange habe ich mich mit dieser Entscheidung gequält. Zu sehr schmerzte mich der Gedanke, nie mehr deine Arme um mich fühlen zu können, nie mehr deinen Mund auf meinen Lippen zu spüren, nie mehr in deine blauen Augen blicken zu dürfen, die mit ihrem zärtlichen Blick mein Herz so unendlich wärmen können. Ich liebe dich sehr, aber ich habe keine Kraft mehr um diese ständigen Ängste zu ertragen, die deine Spielleidenschaft in unser Leben gebracht hat. Jede Nacht redest du im Schlaf. Sitzt sogar in deinen Träumen am Spieltisch. Du brauchst dringend Hilfe, Tom! Und ich bin sehr verzweifelt, dass ich hilflos zusehen muss, wie die Spielerei dich kaputt macht. Uns, kaputt macht.
Ich verlasse dich, Tom. Es tut mir sehr weh, aber ich habe keine Kraft mehr für ein gemeinsames Leben mit dir. Ich werde den letzten Nachtzug nehmen und vorerst bei meinen Eltern wohnen. Leb wohl.
In Liebe. Liz.”

In panischer Angst rannte er los um den Zug noch rechtzeitig zu erreichen. Kam völlig aufgelöst und nach Atem ringend am Bahnsteig an. Und konnte nur noch ungläubig auf die sich schließenden Zugtüren starren. Dann rollte der Zug auch schon, fast lautlos, wie von Geisterhand gezogen aus der Halle. Und entführte Liz aus seinem Leben.
`Zu spät´, hallte das Unfassbare in seinem Kopf. Er sah ihre Augen vor sich, die so geheimnisvoll schimmerten wie ein von dichtem Wald umsäumter Bergsee…Jetzt würden sie ihn nie mehr liebevoll anstrahlen, ihm nie mehr Mut und Kraft geben. Er hatte verspielt. Das größte Glück seines Lebens verspielt. Mit müdem Schritt verließ er das grell beleuchtete Bahnhofsgebäude und trat hinaus, in die Dunkelheit der Nacht.


Die Wohnung wirkte leblos und fremd, ohne Liz. Mutlos sank er aufs Sofa. Fühlte sich wie ausgebrannt. Vorsichtig, als wäre es aus Porzellan, nahm er das bernsteinfarbene Sofakissen in beide Hände und drückte es sanft an sein Gesicht. Er roch noch einen Hauch ihres Parfums, sog den Duft tief in sich ein, als könnte er Liz so zu sich zurückholen. Dann weinte er sich all seine Verzweiflung aus dem Leib.
Stunden später raffte er sich auf, nahm Papier und Stift und begann zu schreiben:

“Geliebte Liz
Ich hatte meine Augen vor der Wahrheit verschlossen und schäme mich sehr dafür, dass ich deine Besorgnis nie ernst genommen habe. Bitte verzeih mir! Ich werde mich in ärztliche Hände begeben. Erst wenn ich es geschafft habe gegen meine Spielsucht erfolgreich anzukämpfen, erst dann werde ich dir wieder in deine wunderschönen Augen blicken können, ohne mich zu schämen. Und dann könnten wir ein neues Leben beginnen, wieder in unsere kleine Heimatstadt zurückkehren. Und dort das Leben führen, das du dir immer gewünscht hast - wenn du mich noch willst? Bitte gib uns noch diese letzte Chance! Bitte warte auf mich. Ich vermisse dich. Ich brauche dich.
Ich liebe dich. Dein Tom”


Der Morgen begann schon zu dämmern. Kalter, feuchter Nebel schlug ihm entgegen. Wie ein Kleinod hielt er den Brief in beiden Händen.`Bitte, Gott, bitte lass es nicht zu spät sein! ´ flüsterte er flehend zum Himmel hinauf, und schob den Brief in den Postkasten. Hörte ihn hineinfallen.
Dann schritt er mit bangem Gefühl im Herzen in den erwachenden Morgen hinein. Mit der bedrückenden Gewissheit, sein größtes Glück leichtsinnig verspielt zu haben. Mit der Hoffnung, dass Liz ihm noch dieses eine Mal verzeihen könne. Und mit der Sehnsucht in sich, sie wieder in seine Arme schließen zu dürfen - und seinen Blick wieder eintauchen zu können, in ihre geheimnisvoll schimmernden, vom Grün des Waldes dicht umsäumten Bergseeaugen…
 



 
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