Marcus Richter
Mitglied
Meine Hände sind kalt. Ich hatte sie die ganze Zeit in den Taschen, während ich irgendwie ziellos durch die Stadt rannte. Am Universitätsplatz, wo sich gleich fünf Straßenbahnlinien kreuzen, musste ich lange an der Straße warten. Es gab dort keine Ampel.
Die Autos rauschten an mir vorbei und bogen rücksichtslos in den Kreisverkehr ein. Ausfahrt Stadtzentrum, Ausfahrt Neustadt, Ausfahrt Herrenkrug. Ich beobachtete, wie die Fahrzeuge wie gefühlskalte Insekten übereinander herfielen, wie sie Gruppen bildeten, sich aneinander rieben, plötzlich auseinander brachen, Spuren wechselten. Wie eine Königin brach eine Straßenbahn in diese scheinbare Unordnung hinein. Mit ihrem prall gefüllten Hinterleib schob sie sich ruhig und gelassen in das Insektenchaos hinein und bannte meine Aufmerksamkeit durch ein einziges alles übertönendes Klingeln. Ihre Fenster waren wie die Öffnung von Bienenwaben und dahinter sah ich ihre Kinder, ihre Eier, die sie bald an der nächsten Haltestelle gebären würde. Sie hatte so viele Öffnungen, aus denen sie ihr entströmen konnten. Ein Kind nach dem anderen. Ein kurzes Putzen, ein Blinzeln ob dem neuen und unbekannten Sonnenlicht, der erste Schritt. Wie junge Schildkröten kriechen sie zielstrebig zum Wasser und können sofort schwimmen. Die meisten von ihnen kriechen ins Kaufhaus, wollen dort schwimmen. Der Existenzkampf beginnt in dem Moment, wenn ihre Leiber, wie schlachtreife Kühe in die Drehtür eintreten. Ihre Augen öffnen sich weit. Gleich wird entschieden, wer Jäger und wer Gejagter wird.
Die Straßenampeln schalteten auf Rot. Der Verkehr kam zum stehen, verdichtete sich. Wie im Triumphzug entließen die dicht an dicht stehenden Fahrzeuge ihre Königin in Richtung Stadtzentrum. Der ganze Kreisverkehr war plötzlich überfüllt und regungslos. Auch an der Stelle, wo ich wartete, kam der Verkehr zum stehen. Eine Frau, die ungeduldig in ihrem Auto saß, schaute mich von unten her kurz, fast fragend an. Ich schaute ihr von oben ins Dekolté. Nirgendwo, als nur im Straßenverkehr ist es erlaubt, so offene Blicke auszutauschen. Das liegt daran, dass sie sich sicher fühlen, in ihren metallenen Trutzburgen.
Ich überquerte die Straße. Die Ampeln sprangen auf Grün. Ungeduldig betätigte Gaspedale, die Kupplung kommt, Gaspedal voll durchgedrückt. Sie müssen sich unheimlich sicher fühlen in ihren metallenen Trutzburgen.
Als ich in den Kopiershop eintrat, überlegte ich, wie ich ihr erklären sollte, dass ich eine Geschichte über sie geschrieben hatte. Über sie! Sie brachte nicht ein einziges wahres Wort über sich selbst zu Stande. Und was hatte ich getan? Ich hatte eine Geschichte über sie geschrieben. Ich hatte einen Teil von ihr genommen und ihn öffentlich gemacht. Ich hatte ihn wie selbstverständlich ergriffen. Ich hatte darüber nachgedacht, die Worte waren wie von selbst gekommen. Dann war die Geschichte fertig gewesen und ich wusste, es hätte nicht schlimmer sein können, wenn ich ihr ins Gesicht schlug.
Ich stand an der Theke, nestelte das Papier aus der Innentasche meiner Lederjacke. Es wirkte etwas unbedeutend, wie es so zusammengefaltet in meiner Hand lag.
Wollte ich das jetzt wirklich? Ich legte das Papier auf die Theke, faltete es auseinander und strich die Seiten mit der flachen Hand glatt. Ich nickte.
„Zwei Mal.“, sagte ich.
„Nein, drei Mal.“
Der etwas ältere, glatzköpfige Besitzer des Kopierladens lächelte verständnisvoll.
„Gut. Fünf Mal.“, sagte ich entschlossen. Wenn ich schon einen Verrat beging, wollte ich ihn richtig begehen. Am besten wäre es gewesen, ich hätte die Geschichte dem glatzköpfigen Mann gleich vorgelesen, gleich bevor er sie mit nach hinten nahm und auf den Kopierer legte.
Ich hätte hinaus auf die Straße gehen sollen und sie allen vorlesen sollen. Dann wäre ich zu ihr nach Hause gekommen und hätte sagen können: „Hör auf zu schreien. Es ist geschehen. Du wirst daran nichts ändern. Ich habe es getan, ich habe einfach das getan, was du nicht tun kannst.“
Mein Kopf wurde so rot wie eine Laterne, als er das Papier ergriff. Wäre es anders gewesen, wenn ich eine anstößige Pornogeschichte geschrieben hätte? Wenn auf dem ersten Bogen etwas gestanden hätte, wie, ich will dich ficken oder siebzehn japanische Huren ficken für den Weltfrieden – siebzehn erotische Kurzgeschichten für unterwegs? Hätte ich dann nicht einfach nur gegrinst, wenn er erst das Papier und dann mich angeschaut hätte? Ich hätte die fünf Kopien entgegengenommen, bezahlt und eine Kopie grinsend auf die Theke gelegt.
„Für unterwegs.“
Meine Hände sind kalt. Ich sitze ihr gegenüber. Ich reibe meine Hände. Ich beobachte, wie ihre Hände das Papier berühren, wie sie die Ecken knicken, bevor sie ganz ruhig einen Bogen hinter den anderen schieben.
Die Zeit verstreicht. Ich reibe meine Hände und beobachte, wie ihr Blick sich in den Text vergräbt, wie sich manchmal ihre Lippen bewegen und ich ganz genau weiß, was sie sagt. Ich könnte jetzt leise sprechen und meine Lippen im Takt ihrer Lippen bewegen lassen. Ich könnte flüstern. Ich beuge mich vor und stütze meine Ellenbogen auf meinen Knien ab. Mein Blick streift den Fußboden. Ich blicke auf, sehe ihre Augen wie den Kursor an meinem Rechner hin und herrattern, Punkt, Absatz, neuer Abschnitt. Mit den Händen greife ich in meine Haare und ziehe sie in alle Richtungen auseinander. Sie nimmt den vorletzten Bogen Papier, knickt die Ecke und schiebt ihn nach hinten. Sie blickt kurz auf. Ihre Stirn ist glatt, ich sehe die alten Sorgenlinien darauf, ich denke daran, wie sich diese Stirn so oft in Falten gelegt hat, wie die schmalen, dunklen Augenbrauen so dicht bei einander standen. Ich sehe ihren Blick. Er ist frei von jedem Gedanken. Ich frage mich, ob meine Stirn jetzt genauso ruhig aussieht, so entspannt, so sicher.
„Ich mache uns einen Kaffee.“, sage ich und stehe auf. Ihr Blick weicht nicht von meinen Augen. „Du musst sie bis zum Schluss lesen.“, sage ich.
Sie nickt.
„Ich mache jetzt Kaffee.“, sage ich. Ich reibe meine Hände und blicke in die Küche. Ich weiß nicht einmal, wo der Kaffee steht. Ich gehe hinein. Ich sehe, wo die Kaffeemaschine steht und öffne die Küchenschranktür darüber. Ich sehe ein paar sehr bunte, große Kaffeetassen. Dann zwei, die etwas an der Seite stehen. Sie sind schlicht und sehen billig aus. Ich nehme sie heraus, nehme die Kaffeedose und gebe zwei gehäufte Teelöffel in jede Tasse.
Der Wasserkocher hat eine dunkle, fast warme Farbe. Ich öffne den Wasserhahn und ich höre das leise Brausen von kaltem, fließendem Wasser. Ich stelle den Kocher zurück auf die Ablage, ich betätige den Kippschalter – Klick.
Ich schaue auf die Uhr. Mit der Hand befühle ich den Wasserkocher. Ich fühle, wie sich das Wasser darin langsam erwärmt. Ich höre ein leises Rauschen. Es war nicht von Anfang an da, es kam langsam, ungefähr da, als ich meine Hand zum ersten Mal von dem Wasserkocher nehmen musste. Das Rauschen beruhigt mich. Ich schließe die Augen und beuge mich etwas vor. Mein Kopf sinkt nach vorn und meine Haare fallen mir in die Stirn.
Ich nehme ihre erste Berührung nur undeutlich war. Ihre Hand befühlt meinen Rücken, mein Hemd. Ich atme tief ein und nicke. Wie immer berührt mich ihre Hand nur flüchtig. Mehr ängstlich und bittend. Nur fragend.
Ich atme aus. Ich greife hinter mich, ergreife ihre Handgelenke, ziehe sie nach vorn und lege sie auf meinen Bauch.
„Sie war gut, nicht wahr?“
Sie nickt. Ich kann ihr Gesicht fühlen. Sie presst es gegen meinen Rücken. Ihr Kopf bewegt sich langsam auf und ab. Ich lächle und schließe wieder die Augen. `Sie nickt.´
Klick! Das Wasser kocht jetzt.
Ich drehe mich in ihren Armen um. Von unten her schaut sie mich an. Ich streichle ihr Gesicht.
„Wir haben einen Anfang gemacht.“, flüstere ich.
„DU hast einen Anfang gemacht.“
Dann küsse ich sie.
Meine Hände sind kalt. Ich sitze der jungen Frau gegenüber. Sie hat ihre Hände zwischen ihre Knie gelegt und sie merkwürdig ineinander gefaltet. Ich bin hier, um ihr zu helfen.
Sie sagt, dass sie es schön findet, dass sie ihre Therapie zu Hause haben kann. Sie traut sich nur noch selten aus ihrer Wohnung heraus. Sie fühlt sich hier sicher, sagt sie.
Ich nicke. Ich habe ihr seit einer Stunde zugehört und nicht gesprochen, nur genickt und ab und zu gelächelt. Ich weiß, sie hat viel zu erzählen.
Ich schaue mich in ihrer Wohnung um und sehe all die vielen persönlichen Dinge, die Erinnerungen, selbstgeschriebene Gedichte an den Wänden. Als sie zu weinen anfängt, setze ich mich zu ihr auf das Sofa und lege meinen Arm um sie.
Erschrocken weicht sie vor mir zurück.
Ich lächle und ich frage mich, was ich über sie schreiben werde.
„Wir werden einen langen Weg zusammen gehen.“, sage ich.
Und ich spüre ihr ängstliches Zittern und höre ihr Schluchzen und drücke sie beschützend an mich.
„Vertrauen ist nur der Anfang.“
I´LL HIDE BEHIND AN SMILE AND
UNDERSTANDING EYES
I´LL TELL YOU THINGS THAT YOU
ALREADY KNOW
SO YOU CAN SAY
I REALLY IDENTIFY WITH YOU
ALL THE TIME YOU´RE NEEDING ME
IS JUST THE TIME I´M BLEEDING YOU
I´LL COME TO YOU LIKE AN AFFLICTION
I´LL LEAVE YOU LIKE AN ADDICTION
YOU´LL NEVER FORGET ME
Henry Rollins
Die Autos rauschten an mir vorbei und bogen rücksichtslos in den Kreisverkehr ein. Ausfahrt Stadtzentrum, Ausfahrt Neustadt, Ausfahrt Herrenkrug. Ich beobachtete, wie die Fahrzeuge wie gefühlskalte Insekten übereinander herfielen, wie sie Gruppen bildeten, sich aneinander rieben, plötzlich auseinander brachen, Spuren wechselten. Wie eine Königin brach eine Straßenbahn in diese scheinbare Unordnung hinein. Mit ihrem prall gefüllten Hinterleib schob sie sich ruhig und gelassen in das Insektenchaos hinein und bannte meine Aufmerksamkeit durch ein einziges alles übertönendes Klingeln. Ihre Fenster waren wie die Öffnung von Bienenwaben und dahinter sah ich ihre Kinder, ihre Eier, die sie bald an der nächsten Haltestelle gebären würde. Sie hatte so viele Öffnungen, aus denen sie ihr entströmen konnten. Ein Kind nach dem anderen. Ein kurzes Putzen, ein Blinzeln ob dem neuen und unbekannten Sonnenlicht, der erste Schritt. Wie junge Schildkröten kriechen sie zielstrebig zum Wasser und können sofort schwimmen. Die meisten von ihnen kriechen ins Kaufhaus, wollen dort schwimmen. Der Existenzkampf beginnt in dem Moment, wenn ihre Leiber, wie schlachtreife Kühe in die Drehtür eintreten. Ihre Augen öffnen sich weit. Gleich wird entschieden, wer Jäger und wer Gejagter wird.
Die Straßenampeln schalteten auf Rot. Der Verkehr kam zum stehen, verdichtete sich. Wie im Triumphzug entließen die dicht an dicht stehenden Fahrzeuge ihre Königin in Richtung Stadtzentrum. Der ganze Kreisverkehr war plötzlich überfüllt und regungslos. Auch an der Stelle, wo ich wartete, kam der Verkehr zum stehen. Eine Frau, die ungeduldig in ihrem Auto saß, schaute mich von unten her kurz, fast fragend an. Ich schaute ihr von oben ins Dekolté. Nirgendwo, als nur im Straßenverkehr ist es erlaubt, so offene Blicke auszutauschen. Das liegt daran, dass sie sich sicher fühlen, in ihren metallenen Trutzburgen.
Ich überquerte die Straße. Die Ampeln sprangen auf Grün. Ungeduldig betätigte Gaspedale, die Kupplung kommt, Gaspedal voll durchgedrückt. Sie müssen sich unheimlich sicher fühlen in ihren metallenen Trutzburgen.
Als ich in den Kopiershop eintrat, überlegte ich, wie ich ihr erklären sollte, dass ich eine Geschichte über sie geschrieben hatte. Über sie! Sie brachte nicht ein einziges wahres Wort über sich selbst zu Stande. Und was hatte ich getan? Ich hatte eine Geschichte über sie geschrieben. Ich hatte einen Teil von ihr genommen und ihn öffentlich gemacht. Ich hatte ihn wie selbstverständlich ergriffen. Ich hatte darüber nachgedacht, die Worte waren wie von selbst gekommen. Dann war die Geschichte fertig gewesen und ich wusste, es hätte nicht schlimmer sein können, wenn ich ihr ins Gesicht schlug.
Ich stand an der Theke, nestelte das Papier aus der Innentasche meiner Lederjacke. Es wirkte etwas unbedeutend, wie es so zusammengefaltet in meiner Hand lag.
Wollte ich das jetzt wirklich? Ich legte das Papier auf die Theke, faltete es auseinander und strich die Seiten mit der flachen Hand glatt. Ich nickte.
„Zwei Mal.“, sagte ich.
„Nein, drei Mal.“
Der etwas ältere, glatzköpfige Besitzer des Kopierladens lächelte verständnisvoll.
„Gut. Fünf Mal.“, sagte ich entschlossen. Wenn ich schon einen Verrat beging, wollte ich ihn richtig begehen. Am besten wäre es gewesen, ich hätte die Geschichte dem glatzköpfigen Mann gleich vorgelesen, gleich bevor er sie mit nach hinten nahm und auf den Kopierer legte.
Ich hätte hinaus auf die Straße gehen sollen und sie allen vorlesen sollen. Dann wäre ich zu ihr nach Hause gekommen und hätte sagen können: „Hör auf zu schreien. Es ist geschehen. Du wirst daran nichts ändern. Ich habe es getan, ich habe einfach das getan, was du nicht tun kannst.“
Mein Kopf wurde so rot wie eine Laterne, als er das Papier ergriff. Wäre es anders gewesen, wenn ich eine anstößige Pornogeschichte geschrieben hätte? Wenn auf dem ersten Bogen etwas gestanden hätte, wie, ich will dich ficken oder siebzehn japanische Huren ficken für den Weltfrieden – siebzehn erotische Kurzgeschichten für unterwegs? Hätte ich dann nicht einfach nur gegrinst, wenn er erst das Papier und dann mich angeschaut hätte? Ich hätte die fünf Kopien entgegengenommen, bezahlt und eine Kopie grinsend auf die Theke gelegt.
„Für unterwegs.“
Meine Hände sind kalt. Ich sitze ihr gegenüber. Ich reibe meine Hände. Ich beobachte, wie ihre Hände das Papier berühren, wie sie die Ecken knicken, bevor sie ganz ruhig einen Bogen hinter den anderen schieben.
Die Zeit verstreicht. Ich reibe meine Hände und beobachte, wie ihr Blick sich in den Text vergräbt, wie sich manchmal ihre Lippen bewegen und ich ganz genau weiß, was sie sagt. Ich könnte jetzt leise sprechen und meine Lippen im Takt ihrer Lippen bewegen lassen. Ich könnte flüstern. Ich beuge mich vor und stütze meine Ellenbogen auf meinen Knien ab. Mein Blick streift den Fußboden. Ich blicke auf, sehe ihre Augen wie den Kursor an meinem Rechner hin und herrattern, Punkt, Absatz, neuer Abschnitt. Mit den Händen greife ich in meine Haare und ziehe sie in alle Richtungen auseinander. Sie nimmt den vorletzten Bogen Papier, knickt die Ecke und schiebt ihn nach hinten. Sie blickt kurz auf. Ihre Stirn ist glatt, ich sehe die alten Sorgenlinien darauf, ich denke daran, wie sich diese Stirn so oft in Falten gelegt hat, wie die schmalen, dunklen Augenbrauen so dicht bei einander standen. Ich sehe ihren Blick. Er ist frei von jedem Gedanken. Ich frage mich, ob meine Stirn jetzt genauso ruhig aussieht, so entspannt, so sicher.
„Ich mache uns einen Kaffee.“, sage ich und stehe auf. Ihr Blick weicht nicht von meinen Augen. „Du musst sie bis zum Schluss lesen.“, sage ich.
Sie nickt.
„Ich mache jetzt Kaffee.“, sage ich. Ich reibe meine Hände und blicke in die Küche. Ich weiß nicht einmal, wo der Kaffee steht. Ich gehe hinein. Ich sehe, wo die Kaffeemaschine steht und öffne die Küchenschranktür darüber. Ich sehe ein paar sehr bunte, große Kaffeetassen. Dann zwei, die etwas an der Seite stehen. Sie sind schlicht und sehen billig aus. Ich nehme sie heraus, nehme die Kaffeedose und gebe zwei gehäufte Teelöffel in jede Tasse.
Der Wasserkocher hat eine dunkle, fast warme Farbe. Ich öffne den Wasserhahn und ich höre das leise Brausen von kaltem, fließendem Wasser. Ich stelle den Kocher zurück auf die Ablage, ich betätige den Kippschalter – Klick.
Ich schaue auf die Uhr. Mit der Hand befühle ich den Wasserkocher. Ich fühle, wie sich das Wasser darin langsam erwärmt. Ich höre ein leises Rauschen. Es war nicht von Anfang an da, es kam langsam, ungefähr da, als ich meine Hand zum ersten Mal von dem Wasserkocher nehmen musste. Das Rauschen beruhigt mich. Ich schließe die Augen und beuge mich etwas vor. Mein Kopf sinkt nach vorn und meine Haare fallen mir in die Stirn.
Ich nehme ihre erste Berührung nur undeutlich war. Ihre Hand befühlt meinen Rücken, mein Hemd. Ich atme tief ein und nicke. Wie immer berührt mich ihre Hand nur flüchtig. Mehr ängstlich und bittend. Nur fragend.
Ich atme aus. Ich greife hinter mich, ergreife ihre Handgelenke, ziehe sie nach vorn und lege sie auf meinen Bauch.
„Sie war gut, nicht wahr?“
Sie nickt. Ich kann ihr Gesicht fühlen. Sie presst es gegen meinen Rücken. Ihr Kopf bewegt sich langsam auf und ab. Ich lächle und schließe wieder die Augen. `Sie nickt.´
Klick! Das Wasser kocht jetzt.
Ich drehe mich in ihren Armen um. Von unten her schaut sie mich an. Ich streichle ihr Gesicht.
„Wir haben einen Anfang gemacht.“, flüstere ich.
„DU hast einen Anfang gemacht.“
Dann küsse ich sie.
Meine Hände sind kalt. Ich sitze der jungen Frau gegenüber. Sie hat ihre Hände zwischen ihre Knie gelegt und sie merkwürdig ineinander gefaltet. Ich bin hier, um ihr zu helfen.
Sie sagt, dass sie es schön findet, dass sie ihre Therapie zu Hause haben kann. Sie traut sich nur noch selten aus ihrer Wohnung heraus. Sie fühlt sich hier sicher, sagt sie.
Ich nicke. Ich habe ihr seit einer Stunde zugehört und nicht gesprochen, nur genickt und ab und zu gelächelt. Ich weiß, sie hat viel zu erzählen.
Ich schaue mich in ihrer Wohnung um und sehe all die vielen persönlichen Dinge, die Erinnerungen, selbstgeschriebene Gedichte an den Wänden. Als sie zu weinen anfängt, setze ich mich zu ihr auf das Sofa und lege meinen Arm um sie.
Erschrocken weicht sie vor mir zurück.
Ich lächle und ich frage mich, was ich über sie schreiben werde.
„Wir werden einen langen Weg zusammen gehen.“, sage ich.
Und ich spüre ihr ängstliches Zittern und höre ihr Schluchzen und drücke sie beschützend an mich.
„Vertrauen ist nur der Anfang.“
I´LL HIDE BEHIND AN SMILE AND
UNDERSTANDING EYES
I´LL TELL YOU THINGS THAT YOU
ALREADY KNOW
SO YOU CAN SAY
I REALLY IDENTIFY WITH YOU
ALL THE TIME YOU´RE NEEDING ME
IS JUST THE TIME I´M BLEEDING YOU
I´LL COME TO YOU LIKE AN AFFLICTION
I´LL LEAVE YOU LIKE AN ADDICTION
YOU´LL NEVER FORGET ME
Henry Rollins