Waldmärchen Lars

erpi

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Lars war inzwischen alt genug, um in die Waldschule zu gehen. Diese Waldschule liegt gar nicht so weit vom Haus seiner Eltern entfernt. Schon nach nur fünf Minuten Waldweg kommt er dort an. Sechsmal in der Woche geht er diesen Weg, den auch schon all seine Geschwister zuvor gegangen waren. Vorbei an der alten Linde, die gleich neben ihrem Haus steht, auf einem schmalen Fußweg weiter, weil die Holzbrücke überquert werden muss, die über den Bach führt.
Die Waldschule steht direkt neben uraltem Jasmin, dessen weiße und gelbe Blüten manchmal so stark duften, dass die Schüler der Waldschule „Duftfrei“ bekommen.
„Duftfrei“ hat daher bei den Kindern des Waldes genau so eine große Bedeutung, wie „Hitzefrei“ bei den Kindern in der Stadt. Nach Meinung aller Schulkinder blühte der Jasmin viel zu kurz und viel zu selten, denn die Kinder im Wald gingen genau so gerne zur Schule, wie ihre gleichaltrigen Stadtkinder. Manchmal gern und aber manchmal eben wieder nicht. Und die Waldschule hat einen riesigen Vorteil gegenüber einer Stadtschule.
Sie steht mitten in der Natur!
Hin und wieder passiert es, dass ein Igel durch lautes Pruschen und Knurren beim Absuchen des Grases nach Fressbarem vor den Fenstern der Waldschule den Unterricht von Fräulein Busch stört. Oder sich ein Star ins Klassenzimmer verirrt, der erst einmal erschrocken und aufgeregt in dem Klassenzimmer hin und her flattert, bis er wieder durch die weit geöffneten Fenster nach draußen entwischt. Lärmende und lachende Kinder, sowie ein empörtes Fräulein Busch bleiben danach im Klassenzimmer zurück. Einige Zeit später hat Fräulein Busch die Klasse wieder im „Griff“. So erklärt sie es jedenfalls in der anschließenden Pause dem Direktor Specht im Lehrerzimmer. Der ist der zweite Lehrer und gleichzeitig Waldschuldirektor. Letzteres erkennt man an der großen Direktorbrille, deren Gläser rechts und links vor seinem Schnabel hängen. Im Unterricht zählen die Kinder manchmal, wie oft Herr Specht seine Brille auf dem langen Schnabel nun wieder zu Recht gerückt hat. Immer, wenn Herr Specht an seiner Brille herum fummelt, macht Lars auf seinem Zettel einen Strich, oft solange, bis der total voller Striche war. Mehr als 80 Mal hat Lars seinen Strich schon gemalt.
Lautes Lachen ertönt von den Kindern in der anschließenden Pause, als sie noch einmal laut alle Striche nachzählen. Herr Specht steht am Lehrerzimmerfenster, hat die Hände in der Hosentasche, und fragt Fräulein Busch: „Ich weiß gar nicht, was den Kindern da so alles durch den Kopf geht. Sehen Sie mal, wie laut die Kleinen los lachen, als wenn so ein Clown einen Witz gemacht hätte?“ Aber Fräulein Busch kann es ihm nicht sagen, dafür war sie auch schon zu lange keine Schülerin mehr.
Die Waldschule hat drei Räume, einer davon ist das Klassenzimmer. Da sitzen alle Kinder, egal welchen Alters, denn es gehen ja nur so etwa 10 bis dreizehn Kinder in die Waldschule. Vorne steht eine schwarze Tafel, auf der mit den weißen Kreidestiften Zahlen und Buchstaben, manchmal aber auch ein Scherz über Lehrer an sich oder einer über Fräulein Busch und Herrn Specht im Besonderen geschrieben steht. Meist wird auch der Schwamm gebraucht.
Er hängt an der einen Seite der Tafel und ist ständig knochentrocken. Daher wischte er zwar Zahlen und Buchstaben weg, hinterlässt aber einen breiten weißen Streifen und quietscht fürchterlich über den glatten Untergrund der Tafel. Zwischen der Tafel und den Schülern im Klassenzimmer steht Tisch und Stuhl für den Lehrer, sozusagen als symbolischer Schützengraben zwischen den Fronten. Auf der einen Seite sitzen die Schüler und auf der anderen, die beiden Lehrer. Interessant für die Kinder ist das dünne Kissen auf dem Lehrer- Stuhl. Oft genug liegen ein paar „Überraschungen“ darunter, peinlich für einen Lehrer- Popo… z.B. kann sich der nasse Schwamm von der Tafel dort befinden, dessen feuchter Inhalt sich dann auf die Lehrerbeine stürzt, während sich der Lehrer- Popo auf das nasse Kissen senkt. Da liegt auch mal das so genannte Furz- Kissen. Das heißt so, weil es los furzt, wenn der Lehrer sich drauf setzte. Das klingt natürlich und laut, dass die Schüler gar nicht anders können, als lauthals los zu lachen. Fräulein Busch hatte da des Öfteren Pech, denn sie konnte nicht einmal richtig böse werden. Ihr Leitspruch war nun einmal „Lachen ist gesund.“.
Auch der Tisch vor diesem Lehrer- Stuhl hatte so seine interessanten Ecken. Nein, nicht wegen des dicken Buches, indem die Lehrer alles eintragen, was so von Schülern gemacht wird oder nicht, z.B. die Hausaufgaben und was mit Schülern in der Schule passierte.
Nein, hauptsächlich wegen der Schublade, die im Lehrertisch eingebaut war. Da hinein kamen alle schönen Sachen, die die Schüler in die Schule brachten und von denen die beiden Lehrer meinten, dass sie da nicht hin gehörten. Dabei kann man prima damit spielen, wenn der Unterricht langweilig wird. Allein von Lars waren schon einige Dinge da hinein gewandert und ein dickes Schloss aus Eisen verhindert, dass die Schüler in einem stillen Augenblick alles wieder herausholen würden.
Der Schlüssel hing fast immer an einem blauen Band um den Hals von Direktor Specht. Ja, schon allein wegen des Schlüssels ist Direktor Specht für die Kinder interessant und eine richtige Schlüsselpersönlichkeit.
Oh, was müssen das für tolle Sachen sein, die in dieser Schublade schon seit Jahrzehnte ruhen. Nicht nur die bunten Murmeln, die Kastanienkinder – das sind die Figuren, die man mit dünnen Holzspießen und Kastanien basteln und mit denen man im Unterricht prima spielen kann – von mindestens drei Generationen. Ungezählte Zettel, auf denen Schiffe leise aber zielsicher getroffen in den Fluten eines papiernen Ozeans versanken. Ganz sicher lagerten dort auch die Schleudern aus handlichen Astgablungen, deren Schenkel mit Gummiband verbunden waren.
Sie waren Startrampen für die Beförderungen vieler Kügelchen aus Stanniolpapier, aus Papier- oder Drahtkrampen über größere Entfernungen. In den Jahren, gar Jahrzehnten hatten sich noch gänzlich andere Dinge angesammelt, die Lehrer ihren Schülern weg nahmen, die jetzt tief unter der Erde ihr Leben nach dem Tode bestritten und nie mehr gesehen wurden.
Gerade diese uralten Sachen aus Zeiten, in denen die Großeltern noch Babys waren, interessieren heute alle Kinder sehr. Denn die Waldschule ist viel älter, als die Kinder oder ihre Eltern es sich denken können. Doch das dicke eiserne Schloss hatte bisher allen Versuchen der Schüler widerstanden.
Dann gab es noch das Lehrerzimmer für Lehrer in der Waldschule. Kein Wunder, die Erwachsenen brauchen natürlich ein eigenes Zimmer für sich, sie können ihre Frühstück- Stullen ja nicht gemeinsam mit den Kindern essen. Meist sitzt aber nur Fräulein Busch mit ihrer Butterstulle im Lehrerzimmer. Denn für Herrn Specht gibt es ja noch ein anderes Zimmer. Es ist das Direktorzimmer. Da empfängt Herr Specht alle Kinder, die von Fräulein Busch oder ihm selber aus dem Unterricht geschickt werden. Meistens hatten sie, womit auch immer, den Unterricht gestört. Da stand dann so ein armer Tropf von Kind, schlau den Anschein nach „Schuld bewusst“ vortäuschend, vor dem breiten Schreibtisch des Herrn Specht. Hinter dem sitzt natürlich Herr Specht, extra hat er seinen Stuhl auf vier Stapel Bücher gestellt, damit er schön hoch über dem Schüler, sozusagen von oben herab, eine Strafe für die schülerische Untat verkünden konnte. Zuvor muss der betreffende Schüler sein Unrecht eingestehen, das Böse seiner Tat anerkennen und laut bestätigen. „Einsicht ist wichtig!“, pflegt Herr Specht bei jeder passenden und auch unpassenden Gelegenheit zu verkünden. Die Strafen sind meist gemeinnützig und nützlicher Art für die Waldschule. Sie reichten von „einer Stunde Papier auf dem Schulhof sammeln“ bis zu „vier Wochen nachsitzen“. Letzteres konnte allerdings von den Beiden meist nicht vollständig durchgehalten werden, denn sowohl Herr Specht, als auch Fräulein Busch leiden an einer wohltuenden Gedächtnisschwäche.
Selbst so etwas wie einen Hausmeister, der für alle Stadtschulkinder ein natürlicher Gegner ist, haben die Kinder der Waldschule nicht. Das kann sich die Waldschulgemeinde gar nicht leisten und einen Freiwilligen, der unbezahlt als Hausmeister an der Waldschule sein wollte, den konnte die Gemeinde einfach nicht finden. Aber sie geben nie die Hoffnung auf. Weil die Gemeinde so sparsam mit den Finanzen umgeht, hat selbst der Dachs, der als Bürgermeister für sie praktisch ohne Bezahlung arbeitete, seine Höhle hier im Wald eingerichtet. Die Gemeinde gibt ihm was er essen mag und er isst was er bekommt.
Alles in dieser Gemeinde, über deren Wiese nun Lars auf dem Weg zur Schule lief, war vernünftig durchdacht. Gleich hinter dem Bach würde er sie deshalb finden, seine Waldschule. Jetzt im Herbst hatte der Bach wieder etwas übertrieben und schwamm so richtig angeschwollen daher. Wie ein Fluss will er wirken. Er hatte schon längere Zeit viel Wasser angesammelt, das vom stundenlangen Regen weit weg, von den Bergen hinter dem Mond, da wo die Hexe in der Höhle ohne Ecken lebte stammt. Eine Seite der Brücke hat er gänzlich überschwemmt. Die hat Lars heute Morgen freudig betreten. Und - was soll ich lange herum reden- genau am Anfang der Brücke fiel er doch in das Wasser des angeschwollenen Baches.
Oho, wie es ihn herum wirbelt.
„Hilfe!“, will er schreien „Rettet mich!“, doch aus seinem Mund dringt, in den kurzen Augenblicken an denen er über der Wasseroberfläche wirbelt, nur so etwas wie „Ühlwä“ und „isch“. Kein Mensch war in der Nähe und auch kein Tier auf der Wiese, das ihn jetzt noch retten konnte. Schnell trug ihn das Wasser hinweg. Lars musste nur darauf achten, dass er wenigstens hin und wieder einmal Luft bekam und er musste darauf Acht geben, dass sein Kopf nicht auf dem Grunde des Baches auf einen Stein traf. Dabei schlug er einen Wasser- Purzelbaum nach dem anderen. Der Krebs, der auf dem Grunde des Baches schon viele Jahre lebte, das erkannte man an seinen grauen, bemoosten Scheren – bei den jungen Krebsen sind sie ja bekanntlich dunkelschwarz, hatte solche Purzelbäume im Wasser noch nicht gesehen. Also selbst dieser lebenserfahrene Krebs staunte über einen Menschen, der ständig mit den Armen herum ruderte und Purzelbäume schlug. Mit vor Verwunderung weit hervorstehenden Stielaugen schaute er zu, wie sich Lars weiter den Bach hinunter bewegt. Vor Staunen konnte er keine Schere rühren. Ihm kam gar kein Gedanke, dass Lars Hilfe brauchen könnte. Aus Neugierde schwammen mindestens sieben Stichlinge, eine Plötze und fünf Barsche hinter Lars hinterher, aber keiner half ihm, alle gafften nur neugierig. Als er hinter einem kleinen Wehr, da wo das Wasser des Baches ein paar Zentimeter tiefer fällt, einen kleinen Sprung durch Luft machen musste, entdeckt er an der Seite einen dicken Schilfhalm und versuchte, mit dem Kopf schon wieder unter Wasser, den Stängel zu greifen. Endlich konnte er den ihn fassen. Da, sein Körper ruckt deutlich herum und verharrt auf der Stelle. Nun zerrte er sich mühsam gegen den Wasserlauf stemmend an das Ufer. Da saß er auch schon mit dem Hintern im matschigen Boden. Vom Kopf floss das Wasser aus seinen klatschnassen Haaren herunter über die Schultern bis in die ebenfalls nassen Schuhe. „Üuhhu“, schallt laut sein Husten über den wilden Bach durch den ganzen Wald. Wasser fließt auch aus seinem Mund, denn bei der Purzelbaumschlägerei im Bach hat er eine Menge Wasser geschluckt und in seine Lunge bekommen.
„Üuhhu“, stößt er ein weiteres Mal Wasser aus. Als er nun den Kopf hebt, um ein weiteres Mal tief Luft zu holen, bleiben sein Blick starr und sein Mund weit offen. „Da, da, da steht ja ein Fisch auf dem Wasser!“, spricht er laut vor sich hin, obwohl kein Mensch da ist, der ihn hören kann. Dennoch wiederholt er: „Da steht ein Fisch auf dem Wasser, der steht einfach so da!“, fassungslos schaut Lars vor sich hin. Dort mitten im schnell wirbelnden und fließenden Wasser steht ein Fisch, mindestens so groß wie Lars, aufrecht auf seinem Schwanz und schaut seinerseits auf Lars. Die seitlichen roten Flossen hat er vor seiner - hmmh, naja – Brust verschränkt und über seinem breiten Maul hängt ein dichter Schnauzbart aus Barteln. Rechts und links bammeln dessen Enden weit herunter. Er muss gerade aus dem Wasser aufgetaucht sein, dieser Fisch, denn die beiden Schnauzbartenden sind klatschnass und lassen ebenfalls dicke Wassertropfen in den Bach platschen. „Na geht es jetzt wieder besser?“, fragt eine tiefe Stimme. Sie klingt aus dem Fischmaul und die großen Augen an beiden Seiten des Fischkopfes gaffen Lars neugierig an. „De, de, du kannst sprechen?“, stottert Lars. Er ist fast sprachlos, einen solchen Fisch hatte er noch nie in seinem Leben gesehen und ich wette auch sein Vater, der Jäger, sah so einen Fisch noch nicht. „Na im Moment spreche ich sogar besser als du.“, entgegnet der Fisch und ... und tatsächlich, er grinst unter seinem dichten Schnauzbart. Empört will Lars nun laut werden. Vielleicht trägt der Fisch sogar Schuld daran, dass er diese gefährliche Wasserwanderung oder besser gesagt Unterwasserwanderung mitmachen musste. „Wer bist du eigentlich und hast du mich etwa in das Wasser geschmissen?“ Mutig stemmt er bei seinen Fragen beide Arme in die Seiten, denn er ist inzwischen aufgestanden. Er mag nicht von unten nach oben mit dem Fisch sprechen, wenn schon mit einem Fisch, dann wenigstens auf gleicher Höhe. „Das können wir alles bereden, am besten aber in meiner Grotte“, entgegnet der Fisch in ruhigem Ton, „komm mit!“ Er weist mit der einen Flosse bachabwärts. „Komm mit, da habe ich auch trockene Kleidung für dich und ein warmer Ofen wird dir helfen, eine Erkältung zu vermeiden.“ Klar, diesen Hinweis versteht auch Lars, obwohl er erst in die erste Klasse geht.
Erkältung ist Schnupfen und Husten, mit schmerzender roter Nase und immer feuchten Taschentüchern. Gar keine angenehme Krankheit! Inzwischen zog er auch den Schulranzen, der während seiner Wasser- Reise treu und brav auf seinem Rücken geblieben war, von seinem Rücken. Er dreht ihn um und verharrt eine Weile so, denn eine Menge Wasser lief aus dem Tornister heraus. Dann schnallt er ihn sich wieder auf den Rücken und geht los. Die Richtung zeigt ihm der große Fisch. Außerdem begleitete er Lars. Breit und ziemlich mächtig bewegte er seinen Fischschwanz hin und her und auch sein Bauch macht dieses Hin und Her mit. Damit ähnelt er tatsächlich dem dicken Müller von der Waldmühle, der genauso läuft, denkt Lars so bei sich.
„Ha, ha“, ertönt es da plötzlich von der Bachmitte. „Ich kann deine Gedanken lesen und außerdem kenne ich den Müller auch, aber der ist doch dreimal so dick wie ich!“ Demonstrativ hält der Fisch beim Laufen seinen Bauch fest. „Das sollte mal dein Müller probieren, der reicht mit seinen dicken Patschhändchen ja nicht einmal bis an seinen Bauch heran.“. Lars begreift sofort. Er sagt nichts mehr. Aber der Fisch lacht erneut los. Dann lacht auch Lars. Komisch? Ja! Aber nur für den, der es nicht weiß. Die beiden unterhalten sich nämlich in Gedanken. Lars dachte gerade: „Der dicke Müller braucht bloß mal richtig zu arbeiten, so wie sein Geselle und die beiden Lehrlinge, dann würde er dünner. Die anderen mühen sich ständig mit den schweren Säcken ab, während der dicke Müller nur immer mit ihnen meckert. Der hält mit dem Herumgeschimpfe nur an, wenn er sich wieder ein neues Stück Kuchen zwischen die Backen schiebt.“ „Da hast du wohl recht!“, lacht der Fisch und antwortet ebenfalls in Gedanken.
Dann sind die beiden angekommen. Der Fisch verschwindet hinter einem grünen Vorhang. Der ist aus den Pflanzen geflochten, die am Bachufer immer genug Wasser haben und deswegen besonders grün sind. Schon früh im Jahr beginnen sie mit dem Blühen. Wenn sie im Sommer niemals dursten müssen, blühen sie auch im Herbst am längsten. Fast solange bleiben sie grün, bis der erste Schnee fällt.
Als Lars durch diesen grünen Vorhang tritt, öffnet sich für ihn ein neuer großer Raum. Ringsum an den Wänden sind Polster verteilt, so dass jeder der hier her kommt, sofort einen Sitzplatz finden kann. Auch der große Fisch sitzt nun in zwei solchen Polstern und zeigt Lars einen Platz direkt vor ihm. Da liegen trockene, saubere Sachen und obenauf ein langes Handtuch, mit dem sich Lars nun die Haare und den Hals abtrocknet. Da ist auch ein Kamin, der auf der einen Seite der Grotte die Polstersitzreihe unterbricht und dessen fröhlich vor sich hin knackendes Holzfeuer wohlige Wärmestrahlen sendet.
Auch dem Fisch muss draußen kühl geworden sein, denn er hält seine Flossen vorsichtig in die Nähe des Kaminfeuers. Da steigen schon deutlich Dämpfe von seinen Flossen auf! „He du wirst dich noch verdampfen!“, schreit Lars in seinen Gedanken los. Als der Fisch einfach nicht reagiert und noch immer seine Flossen den Flammen entgegen streckt, schreit er es auch laut heraus:
„ He pass auf!! Du wirst verdampfen!“ Lars macht einen oder sogar zwei Schritte auf den Fisch zu. Der aber dreht sich um, sagt aber kein Wort. Seine Augen blicken Lars ruhig und gelassen an, als wenn ihm an dem Feuer nichts passieren konnte. Auch noch, als Dämpfe vor seinem Kopf aufstiegen und seine Augen fast verdecken, bewegt er sich nicht. Lautes Zischen ertönt. Laut blubberte es, als würde der alte Teekessel auf Mutters Küchenherd brodeln. Das tat er, wenn das Wasser drinnen schon fast verkocht war und dicke Dampfschwaden an die Decke steigen und die die Küche vernebelten. „Wie kannst du nur so ruhig sein?“, fragte Lars den Fisch. Der aber wiegte beruhigend den Kopf und macht eine Geste mit der Flosse, an der Lars erkennen konnte, dass er ein wenig abwarten sollte. „Was? Wie bitte? Warten soll ich?“ Empört stößt Lars die Worte „Du sollst hier doch nicht verdampfen!“, hervor. Fast trotzig will er schon mit dem Fuß auf den Boden stoßen, da geschieht etwas, das ihn sofort verstummen lässt. Der Fisch löst sich auf. Flosse für Flosse verschwindet genauso wie Schuppe für Schuppe. Als nur noch zwei dunkle, ruhige Augen aus dem inzwischen dichten Dampf auf Lars schauen, greift dieser mitten hinein in den Dampf. Mutig und bereit den Fisch noch irgendwie zu halten, ihn wie auch immer zu retten.
Da, er bekommt etwas zu fassen. Fest greifen die Finger jeder Hand zu. Es ist etwas körperliches, etwas wie ein Mensch vielleicht? Seine Hände und Finger können es noch nicht ertasten, aber sie halten es fest. Der Dampf wird in der Mitte noch dichter, weiter oben aber verzieht er sich langsam. Während seine Hände weiter schön fest halten, erblicken seine Augen erschrockenen neben den dunklen, ruhigen Augäpfeln des Fisches, die noch immer aus dem Dampf heraus schauen, ein anderes Gesicht.
Ist das ein Mädchengesicht? Runde Form, ganz anders als beim Fisch. Lars sieht hoch aufstrebende schwarze Haare, lauter Locken nun auch an den Seiten des Kopfes, die eventuell vorhandene Ohren verdecken. Eine kleine Stups- Nase in mitten des neuen Gesichtes und darunter ein lächelnder roter Mund. Der Mund spricht plötzlich: „So, nun kannst du aber los lassen, es ist ja vorbei.“ Verblüfft lässt Lars seine Hände sinken. Er tritt auch schnell einen Schritt zurück. Verschwunden ist der alles verhüllende Dampf. Der Fisch ist verschwunden. Mit weit geöffnetem Mund steht Lars da.
Seine Augen starren noch immer auf den Platz vor dem Kamin, da wo sich der aufrecht gehende Fisch seine Flossen wärmen wollte. Der Fisch ist nun verschwunden, keine Schuppe mehr von ihm zu sehen. Auch der rundliche Bauch, der ihn dem Müller so ähnlich machte, war weg.
Da steht doch vor ihm das Mädchen. Etwas größer als der Fisch und auch etwas größer als er selbst. Lars bekommt kein Wort heraus.
Dafür spricht sie los: „He Lars. Aufgewacht!“ und greift eine von seinen herabhängenden Händen. „Los komm, wir trinken eine Schokolade und ich erzähl dir alles.“ Dann zieht sie ihn in die Polster, setzt sich zu dem immer noch willenlosen Lars. Er scheint sogar noch immer schockiert. Sie setzt sich neben ihn, auf ein weiteres Polster. „W, w, wo kommst du denn her? W, w, wo ist der Fisch geblieben?“ Nur langsam findet Lars seine Stimme wieder und stammelt seine Fragen heraus. Das Mädchen, ja es ist eindeutig ein Mädchen, das hat Lars jetzt am Rock erkannt, den es trägt, antwortet:
„Da draußen in deiner Welt, am Bach und auf der Wiese, da bin ich ein großer Fisch, der aufrecht auf dem Schwanz gehen kann, aber nur wenn er mit einem Menschen sprechen will. Sonst schwimme ich genau wie die anderen Fische im Bach.“ Erstaunt und wie gerade erwachend schaut Lars sich in der Grotte um. Ja, da ist noch immer der grüne Vorhang aus den grünen Pflanzen vom Bachufer.
Dadurch ist er vorhin mit dem aufrecht gehenden Fisch gekommen, nass und klamm vom Bad im Bach auf dem Weg bis zur Grotte. Inzwischen ist ihm warm und trocken. „Nanu“, denkt er schon wieder verblüfft, „ich hatte doch zuvor nasse Sachen an und die trockenen lagen unter dem Handtuch und nun habe ich die trockenen Sachen an und meine nassen Sachen hängen in der Nähe des Kaminfeuers. Sie hängen mit Klammern befestigt sauber aufgereiht auf einer Leine. „Ich habe das mal schnell organisiert, damit du dich am Ende nicht noch erkältest. Wer will schon eine Schnupfgeschichte!?“ Dabei kichert das Mädchen los. „Hast du mich etwa ausgezogen?“, fragt Lars das Mädchen nun doch etwas erschrocken. „Na und, was ist denn schon dabei! Ich habe schon mehr nacksche Menschen gesehen, als du denkst. Bin ja schon viele hundert Jahre hier in der Grotte. Und außerdem ist es ganz natürlich, du bist auch nur ein Mensch“, lächelt ihn das Mädchen an, „jedenfalls das, was ich bis jetzt erkennen konnte.“
„Quatsch!“, sagt Lars, „Du bist doch höchstens 7 Jahre alt und gehst maximal in die zweite Klasse.“. Aber das Mädchen lächelt ihn nur weiter an und sagt: „Mein lieber Lars, du solltest nicht gleich „Quatsch“ sagen und nicht nur deinen Augen trauen, die kann man nämlich gut täuschen. Wenn ich es nicht anders wünsche, dann erscheine ich jedem Menschen entsprechend seines Alters. Das hast du doch schon gesehen, erst war ich ein Fisch und nun bin ich ein Mädchen, das nicht älter ist, als du selber. Man kann dann einfach besser miteinander sprechen, weißt du.“. Irgendwie beruhigt lehnte sich Lars in sein Polster zurück. In seinem Kopf kreiste noch immer die Vorstellung von einem großen aufrecht gehenden Fisch. Er dachte an die Dampfschwaden, die nach oben strebten und an ein Mädchen, das geduldig auf ihn einredete.
„Wunderst du dich gar nicht, dass ich dich gerufen habe?“, fragte ihn das Mädchen gerade in seinem Kopf, ebenso wie in der Wirklichkeit.
Nun schon etwas wacher und damit schlagfertiger antwortete Lars: „Gerufen? Du bist ja gut. Bist du vielleicht ins Wasser gepurzelt, an Steine gestoßen und Wurzeln geprallt. Überall habe ich blaue Flecke!“ Voller Stolz und auch ein bisschen trotzig zeigte er dem Mädchen nun einen blauen Fleck auf seiner Schulter, indem er den Kragen von der Schulter zog. „Ach so?“, spitz und belustigt klang der Ausruf das Mädchens, während vier Augen auf Lars seine Schulter blicken.
Nichts als makellos zartbraune Haut war da zu sehen. Unter dieser Haut schimmerten Muskeln und Knochen. Das Mädchen berührt ihn mit einem Finger vorsichtig.
„Na, wo ist denn dein blauer Fleck geblieben? Ich kann ihn nicht entdecken.“ Wieder ist Lars verblüfft. Er zieht den Kragen zurück und lässt schnell wieder seine nackte Schulter verschwinden.
„Aha“, sagt er überrascht, „also alles nur ein Zauber!“. „Kennst du einen anderen Zauber?“, fragt ihn das Mädchen. „Na klar, mein Vater ist der Jäger hier im Wald, er war bei der Hexe in der Höhle ohne Ecken und meine Mutter, die Siebenkinderfrau, ist inzwischen eine recht gute Freundin von Dornröschen! Und meine Schwester Emilie wurde eine Schwester der Feen und ist die gute Freundin von dem grünen Wiesenmännchen! Die haben alle schon einen Zauber erlebt und uns zu Hause davon erzählt.“, lacht Lars. Nun endlich ist auch einmal das Mädchen etwas verblüfft, wie Lars vergnügt an ihrem verdutzten Gesicht feststellen kann. „Ach, ach so?“, viel mehr bekam das Mädchen nicht aus dem offenen Fragemund heraus. „Dann stimmt es also doch!“, hell klingt nun ihre Stimme, wie als hätte sie etwas Wichtiges erkannt. „Wie, was soll stimmen?“, fragt Lars nur ein ganz kleines bisschen verblüfft zurück. „Na ja, es gibt in unseren Kreisen so einen verrückten Wissenschaftler. Der hat die Theorie aufgestellt, dass Kontakte zwischen der Zauberwelt, also meiner Welt und der realen Welt der Menschen, also deiner Welt, künftig immer konzentrierter auftreten. Er meint, es würden immer mehr Treffen aus Mitgliedern der gleichen Familien stattfinden. Bei euch hat es mit dem Vater, dem Jäger angefangen und bei uns mit der alten Hexe in der Höhle ohne Ecken. Sie ist meine Ur-, Ur-, Urgroßmutter, ging dann über deine Mutter, die Siebenkindermutter und Dornröschen, das ist nämlich meine Mutti und über deine Schwester Emilie und dem grünen Wiesenmännchen, das ist mein ältester Bruder.“ Fast gleichzeitig sprechen das Mädchen und Lars weiter: „Boahh, das sind vielleicht eine Menge Zufälle!“ und lachen dann fröhlich. Weil sich Lars beim Lachen mit den Händen auf die Schenkel schlägt, fällt die Tasse mit der heißen Schokolade um und ein brauner Fleck auf dem Teppich am Boden wird größer und größer. Erschrocken ist Lars auf gesprungen. „Hast du irgendwo einen Lappen?“, schnell will Lars den Schaden begrenzen und das Malheur beseitigen, aber das Mädchen kommt ihm zuvor. Mit einer weichen Kreisbewegung ihrer rechten Hand verschwindet der braune Fleck auf dem Teppich Stück für Stück. Lars schaut erleichtert dabei zu. Und mit der Erleichterung beginnt in seinem Kopf ein neues Fragenkarussell zu kreisen. „Weißt du, es wäre eigentlich besser, wenn ich deinen Namen kennen würde. Dann könnt ich dich direkt ansprechen und bräuchte nicht immer von einem Fisch oder Mädchen zu erzählen.
Außerdem müsste ich ja jetzt schon in der Waldschule sein, wo Fräulein Busch und Direktor Specht bestimmt auf mich warten und außerdem weiß ich auch gar nicht, wie viel Zeit inzwischen vergangen ist und ob ich nicht sogar schon wieder zu Hause sein müsste? Warum hast du mich eigentlich hier her gebracht?“ „Aber Hallo!“, rief das Mädchen, „das sind ja so viele Fragen. Doch ich will sie gerne beantworten. Also, ich heiße Anneliese. So, da hast du nun schon mal den Namen. Zu den anderen Fragen stelle ich feste, dass die ja alle etwas mit der Zeit zu tun haben. Mit der Zeit, die vergeht und mit der Zeit, die wir alle die Uhrzeit nennen. Und warum nennen wir sie Uhrzeit?
Weil ihr Menschen vor einigen Jahren dieses runde Ding erfunden habt, dessen zwei Zeiger, der große die Stunden und der kleinere die Minuten jeden Tages und jeder Nacht auffressen. Ihr lasst euch damit Zeit stehlen. Hier in meiner Welt gibt es keine Uhren, weder die mit den Zeigern noch die mit den Zahlen, die immer weiter zählen. Also! Weder in der Waldschule noch bei dir zu Hause wartet jetzt jemand auf dich! Wir beide sitzen in der Grotte „Zeitlos“. Das heißt, während wir hier beide schwatzen und unsere Sachen trocknen, vergeht in deiner Welt kein kleines Minütchen, die beiden Zeiger auf der Uhr stehen still. Das hat angefangen, als wir durch den grünen Vorhang der Grotte gekommen sind und wird erst enden, wenn wir wieder hinausgehen. Verstehst du? Für deine Welt bist du noch immer auf dem Schulweg.“ Anneliese schaut Lars fragend in die Augen. Lars sieht verblüfft zurück und überlegt eine Weile. „Ach so?“, sagt er, „dann können wir hier so lange herum machen, wie wir wollen? Ist es so, wie in dem einen Märchen, in dem die Hexe immer nur die beiden Zeigefinger zusammen stupst und dann steht die Zeit still und vergeht nicht?“. „Genauso ist es!“, antwortet ihm Anneliese überzeugt. Aber eine Antwort fehlte noch, denn Lars hatte ja auch nach dem „Warum er bei Anneliese in der Grotte ist“ gefragt. Aber diese Antwort gab sie ihm nun:
„Als ihr Menschen noch gar nicht erfunden wart, kamen auf der Erde nur gute und böse Geister vor. Die flogen in der ganzen Welt herum, verteilten sich auf alle Erdteilen. Überall dort waren sie zu finden. Weil ihr Menschen ja nicht gleich und nicht alle so schlau seid, wie ihr sollt, hatten sie eine Aufgabe, Richtiges vom Falschen und Gutes vom Bösen zu trennen, damit die Menschen, die auf die Welt kommen sollten, es unterscheiden lernen sollten. Dafür mussten sie überall in der Welt Speicher angelegen. Da wurde Gutes und Böses, Richtiges und Falsches eingelagert. Diese Speicher waren mit Millionen Ventilen verbunden. Die hatten vier Farben. Die blauen waren für Böses, die roten für Gutes, die gelben für Falsches und die grünen für Richtiges. Das alles geschah, bevor ihr auf der Erde erschient. Gleich bei ihrer Geburt sollten den jungen Menschen auf der Erde zu gleichen Teilen die Ventile zugeteilt bekommen. Beim ersten Menschen klappte das auf Anhieb, ja es ging bis zu den ersten tausend Menschen gut. Alle bekamen Ventile ab. Dann musste eine Reihe von Geistern aber verschwinden, weil sonst insgesamt zu viele Lebewesen auf der Erde geblieben wären. Je mehr Menschen also auf die Welt kamen, umso weniger Geister gab es. Je weniger Geister es aber gab, umso schlechter funktionierten die Ventile. Die wenigen Geister waren einfach nicht mehr in der Lage, die vielen Millionen Ventile zu pflegen.
Mal musste eine Gummidichtung ausgewechselt, mal eine Schraube nach gezogen werden. Auf die Menschen konnte diese Aufgabe nicht übertragen werden, denn wie die Geschichte beweist, nutzte jeder Mensch der Macht bekam, die ganz gewiss gegen andere Menschen aus.
Das sollte aber nicht sein! Darum wurde bestimmt, dass jedem Menschen aus allen vier Ventilen zu gleichen Teilen das Gute, das Richtige, das Böse und Falsche mit gegeben wurde.
Mit der Zeit fielen aber einige Ventile aus, verrosteten oder klemmten fest. Darum wurde der Auftrag im Laufe der Zeit immer mehr gestört. Irgendwann überließen die Geister die Verteilung der Ventile einfach dem Selbstlauf. Nur der Zufall bestimmte, welcher Mensch alles zu gleichen Teilen oder welcher etwas mehr von dem einen oder dem anderen bekam oder nicht.“„Mensch Anneliese, warum hat denn keiner etwas gesagt, ich hätte doch bestimmt dabei mit geholfen, dass alles wieder richtig verteilt werden kann!“, rief Lars, „du hättest doch wirklich was sagen können!“ „Ja sicher“, antwortete Anneliese. Lars schaut sie immer noch vorwurfsvoll an. Sie fährt etwas kleinlaut fort: „Obwohl du sicherlich jetzt glaubst, dass die meisten Menschen keine Farben richtig so unterscheiden können, muss ich dir sagen, dass die meisten Menschen „farbenblind“ sind. Sie erkennen nicht was gut also rot oder böse also blau, falsch eben gelb oder richtig also grün ist. Nur wenige Menschen können das ziemlich sicher erkennen und auch die sind nicht von Fehlern frei. Aber einer von denen bist du, Lars! Das haben mir meine Fischaugen gezeigt. Als du zur Brücke kamst und über den Bach wolltest, sind meine dichten Wahrheitsdämpfe aufgestiegen und haben es mir bestätigt.
Deshalb wurde ich für dich vom Fisch zum Mädchen.“
„Ich?“, staunte jetzt Lars mit weit geöffneten Augen, „was ich?“. „Ja, du!“, antwortet Anneliese.
„Aber um die Ventile wieder zu reparieren, braucht man zwei Dinge.“ „Ach so?“, erwidert Lars, nun darauf gefasst, dass doch alles wieder nicht so klappte, wie er es sich wünschte.
„Na komm“, antwortet Anneliese, „Lass da mal keinen Zweifel zu, es sind Dinge, die Mensch sowie Geister erreichen können! Als erstes brauchen wir den Schlüssel zum dicken Eisenschloss vom Lehrertisch in deinem Klassenzimmer. Ich meinen den in der Waldschule!“
„Was?“, staunt Lars, „den hat sich doch Direktor Specht um den Hals gehängt.“
„Ja, richtig“, betont Anneliese noch einmal, „den brauchen wir ganz dringend! Vor vielen, vielen Jahren wurde ein Geisterkind in der Waldschule eingeschult, denn du musst wissen, dass damals noch die Menschenkinder gemeinsam mit den Geisterkindern zusammen in die Schule gegangen sind. Geisterkinder unterschieden sich wenig von den Menschenkindern. Sie brauchten auch alle möglichen Sachen von Zuhause mit in den Unterricht und die wurden ihnen dann von den Lehrern weggenommen, weil sie damit den Unterricht störten. Das waren nicht nur die Puppen oder Murmeln, nein auch Handys und - ach Unsinn, die Handys gab es ja noch gar nicht – also nicht nur die Murmeln, sondern auch so einen großen blechernen Ventilschlüssel, mit dem jene Geister bekanntlich die farbigen Ventile reparieren konnten. Diesem Geisterkind nahm damals ein Lehrer den klimpernden Ventilschlüssel weg und legte ihn in die große Schublade des Lehrertisches.
Dann verschloss er die Schublade mit dem Schlüssel, der noch heute um Direktor Spechts Hals hängt. Und wenn du uns helfen willst, dann musst du diesen Ventilschlüssel holen. Willst du das wirklich tun?“ „Na klar!“, nickte Lars ganz überzeugend mit dem Kopf, obwohl ihm ein wenig mulmig dabei war, „ich soll Direktor Specht den Schlüssel vom Hals stehlen? In der Nacht, wenn er schläft? Ich weiß gar nicht, wo schläft der eigentlich? Die Schublade aufbrechen? Vielleicht mit einem langen Brecheisen?“
Lars Gedanken schlagen Purzelbäume, wie sein Körper sie vor einiger Zeit auch im Bachwasser geschlagen hatte. „Nein, du brauchst ihn nicht in der Nacht in seiner Baumhöhle aufzusuchen, um ihn zu stören und auch kein Betäubungsgas musst du versprühen…“, lachend las Anneliese seine Gedanken und antwortet ihm noch immer lachend: „Dir muss etwas anderes, möglichst einfacheres einfallen. Aber geh nur los, denn die Zeit soll nun langsam wieder weiter gehen. Wenn dir die einfache, anständige Lösung für unser gemeinsames Problem eingefallen ist, dann werde ich es sofort spüren. Nun leb wohl!“ Mit diesen Worten schob sie Lars wieder dicht an den grünen Vorgang der Grotte „Zeitlos“.
Lars sagte noch kurz „Tschüß“ und geht dann los. Schwupps, verschwindet er durch den grünen Pflanzenvorhang und befindet sich plötzlich wieder auf seinem 5- Minuten- Waldschulen- Weg, gleich hinter der Brücke, die er überqueren wollte, als er in den Bach fiel.
Nachdenklich schaut sich Lars noch einmal die Stelle an, von der aus er in den Bach gefallen war und nimmt dann seinen Weg zur Schule wieder auf.
„Hallo Sonnenstrahl, bist du einer jener Geister?“.
Da lacht der Sonnenstrahl fröhlich los: „Keine Überraschung bin ich für dich, nicht wahr? Wollte auch nur mal schnell fragen, ob dir schon eine Lösung eingefallen ist?“
„Nein, noch nicht, aber ganz bestimmt noch bevor ich in der Schule bin. Aber danke, dass du nachgefragt hast.“ „Und tschüß“, sagt da der Sonnenstrahl, wird immer kleiner auf der Brust von Lars.
Schließlich verschwindet er ganz.
Fest tritt Lars auf und selbstbewusst schritt er in Richtung Waldschule. Aber es waren erst zwei Minuten vergangen, als wieder etwas bei Lars auftaucht. Ein zarter Windhauch landet an seiner Wange. „Pfhhuuii, hallo Lars.“, haucht er ihm ins Ohr.
„Hallo Windhauch.“ flüstert Lars. „Hast du schon eine Idee, wie die einfache und ehrliche Lösung für das Problem aussehen könnte?“, will der Windhauch von Lars wissen. „Nein, noch nicht.“, flüstert Lars zurück. „Na du wirst es ganz bestimmt schaffen!“, versichert der Windhauch und verschwindet mit leichtem Hauch wieder von seiner Wange. „Alle möchten die Lösung haben und nehmen Anteil.“, denkt Lars bei sich, darüber vergeht wieder eine Minute.
Da klingt eine neue Stimme an seinem Ohr. von unten schallt sie herauf. „Hallo Lars. Hier, hier unten bin ich, heb mich doch bitte mal hoch.“, Lars Augen sind schon fleißig auf der Suche.
Da, gerade kurz vor seinem großen, linken Zeh winkt ihm ein kleiner Erdbrocken zu. Nur wenig größer ist er, als ein Körnchen. „Hast du denn schon die Lösung gefunden – so eine einfache, leichte Lösung?“, fragt das Körnchen, als es auf seiner Hand liegt. Neugierig schaut Lars sich das kleine Ding an. Unregelmäßige Ecken und Kanten, aber ein winzig kleiner Brocken aus Stein. Knopfaugen und einen klitzekleinen Schlitz, aus dem die Worte quellen. Lars antwortet: „Nee du, noch nicht, aber bestimmt gleich!“ Dabei hat er wohl zu sehr ausgeatmet, denn der kleine Brocken aus Erde flutscht von seiner Hand und ist auf dem Erdboden des Waldweges nicht mehr von den anderen Bröckchen zu unterscheiden. Weg ist er, denkt Lars und schüttelt noch verwundert den Kopf, denn normal ist das alles nicht.
„Hey!“, klatscht ihm da plötzlich ein Regentropfen auf die linke Wange. „Hallo Regentropfen!“, antwortet Lars und bremst seine linke Hand, die unwillkürlich versuchen will, den Tropfen von der Wange zu wischen. „Du willst es bestimmt auch wissen – nicht wahr?“, merkt Lars an und der Regentropfen entgegnet schnell, weil er ja durch die Wärme auf Lars Haut langsam austrocknet:
„Na klar, aber vielleicht kann ich dir auch helfen? Überlege mal, was dir in den wenigen Minuten auf dem Weg zur Schule passiert ist. Da waren Besucher, die haben mit dir so und so - verstehst du?“, fragt der Regentropfen noch und dann vertrocknete er. Nur so ein salziges Fleckchen verriet, wo er auf der Wange gesessen hatte.
„Was wollte er ihm bloß sagen?“ Mühsam ringt Lars mit seinem Kopf. „Ja was war es nur?“ – denkt sein Gehirn, schon fast höhnisch. Leichte Wut macht sich in Lars breit. Wut auf sich selbst und sein höhnisches Gehirn. Wütend geht er weiter. Schon sieht er den Jasminbusch an der Waldschule, als es ihn plötzlich durchfährt.
„Ja !“, und „Ja, das Iss es!!“
Und wirklich, endlich schießt ihm die Antwort in den Sinn. Sie wird ihm ganz klar. Die Lösung muss einfach und simpel sein und alle seine Besucher haben eben nur eines mit ihm gemacht:
Sie haben mit ihm g e s p r o c h e n!
„Ja, das ist die Lösung! Sprechen! Lehrer und Direktor Specht darauf hin ansprechen - ihn fragen ob es möglich wäre - ihm erklären, was es mit dem Schlüssel um seinen Hals auf sich hat - und was erst mit dem dicken eisernen Schloss in der Schublade vom Lehrertisch des Klassenzimmers. Wieso und wozu der Ventilschlüssel unbedingt gebraucht wird!“
Lars will, dass die Menschen doch wieder gerecht werden.
Als Lars ankam, wusste Direktor Specht schon alles. Wohlwollend nahm er Lars in seinem Direktorzimmer in Empfang und schaute, Dank der vier Bücherstapel unter seinem Stuhl, von oben durch die dicken Brillengläser auf ihn herab. Vor ihm auf dem breiten Schreibtisch lag schon ein silbrig glänzender metallischer Gegenstand. Lars erkannte gleich den Schlüssel!
Direktor Specht bemerkte noch weise: „Ja, das ist der Ventilschlüssel zu dem dich die Anneliese her geschickt hat. Ich glaube wirklich, dass es noch nicht zu spät ist. Nimm ihn dir und bringe ihn zur Grotte „Zeitlos“.
Und schon befand sich Lars wieder auf dem Weg und lief zurück zum Johannesbusch zurück. Er trat hindurch und während hinter ihm die Zweige des Jasminbusches noch winkten, öffnete sich vor ihm ein Lichtkreis. Darin stand, wundersam beleuchtet, die Anneliese.
Mit lächelndem Gesicht sagte sie nur:
„Du schaffst es, ich habe es gewusst!“
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
zu

erst einmal herzlich willkommen auf der leselupe.
eine ebenso lange wie nette kindergeschichte, die ich mit vergnügen gelesen habe.
lg
 

erpi

Mitglied
Danke für den freundlichen Kommentar. Lars Geschichte ist nur eine von vielen... Es freut mich, dass die Länge nicht dazu geführt hat, dass es für dich langweilig wurde.
Gruß
 



 
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